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Kapitel 3

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Ebenfalls vier Wochen vorher

Januar 1822

Stadtpalais des Duke of Landmark, Grosvenor Square, London

„Jetzt halten Sie doch endlich still, Mylady! Wenn Sie weiterhin so zappeln, dann werde ich es niemals schaffen, das neue Seidenband in Ihr Haar zu flechten.“

Lady Eliza Hawick lächelte ihrer Kammerzofe im Spiegel Verzeihung heischend zu. Wie sollte sie es aber auch schaffen, ruhig sitzen zu bleiben, wenn sich ihre Welt gerade aus den Angeln hob? Wenn es hieß, dass der Mann, von dem sie seit Jahren träumte, im Februar nach England zurückkehren würde? Sie konnte es gar nicht erwarten, ihm endlich wieder gegenüberzustehen. Diesen liebevollen Blick aufzufangen, den er ihr immer dann zugeworfen hatte, wenn sie etwas Kluges oder Amüsantes gesagt hatte. Bertram kam zurück! Genau zum richtigen Zeitpunkt, da alle Verwandten darauf warteten, dass sie sich endlich entscheide, welchem ihrer Verehrer sie die Hand zum Bund reichen wollte. Noch hielten sie sich zurück, sie zu drängen, aber wer wusste denn, wie lange das so bleiben würde? Sie war inzwischen zwanzig Jahre alt geworden. Außerdem war ihre beste Freundin Venetia seit Kurzem vergeben und konnte von nichts anderem mehr sprechen als von ihrem anbetungswürdigen Verlobten. Eliza wollte auch so verliebt und glücklich sein!

Während sie vor der Frisierkommode saß, eifrig bemüht, still zu halten und Ethel nicht länger bei der Arbeit zu stören, da wanderten ihre Gedanken sieben Jahre zurück. An jenen denkwürdigen Morgen, als ihr der junge Viscount in der Bibliothek ihres Vaters, des Dukes of Landmark, zum ersten Mal gegenübergestanden hatte. Sie war damals dreizehn gewesen und in höchstem Maße unglücklich. Ihre Mutter war schon lange tot und ihre Anstandsdame, Papas Cousine Cordula, war eine verbiesterte, alte Schreckschraube gewesen. Jeder Tag bestand aus Belehrungen und Tadel. Wenn sie den Mund aufmachte, um etwas zu fragen, dann hieß es, sie sei dumm. Wenn sie etwas erbat, war sie unbescheiden. Wenn sie, was ohnehin selten vorkam, versuchte, ihren Standpunkt klar zu machen, dann hieß es, sie wäre frech und gäbe Widerworte, die nicht zu dulden wären. Und dass sie mit so einem Verhalten niemals einen passenden Ehemann finden würde. Die Fröhlichkeit, die das Haus beherrscht hatte, als Mama noch lebte, war bleierner Schwere gewichen. Papa, der Tante Cordula offensichtlich ebenso verabscheute, war kaum zu Hause. Er ging im Außenministerium seinen Pflichten als Diplomat nach und verbrachte die Abende in seinem Club. Die wenigen Freundinnen, die sie gehabt hatte, waren von der Tante in kürzester Zeit vertrieben worden. War es da ein Wunder, dass sie, die alle Lizzy nannten, immer stiller und schüchterner wurde und sich immer mehr in sich zurückgezogen hatte?

Und da, ausgerechnet in der Zeit, als sie sich vom Kind zum jungen Fräulein entwickelte, war auf einmal Bertram Barnett auf der Bildfläche erschienen, der junge Viscount Panswick. Ein großer, stattlicher Mann von einundzwanzig Jahren, mit dunklem Haar und einem Gesicht, das die Steinmetze im alten Griechenland nicht feiner hätten meißeln können. Sein Lächeln erwärmte ihr einsames Herz und seine angeborene Herzlichkeit fegte wie ein frischer Wind in ihre trüben Tage. Da er mit drei Schwestern aufgewachsen war, war er im Umgang mit jungen Damen geübt, und so behandelte er sie von Anfang an mit einer gewissen brüderlichen Vertrautheit. Für sie jedoch war er etwas ganz anderes gewesen als ein Bruder. Schon damals hatte sie gewusst, dass er es sein würde, mit dem sie dereinst vor den Traualtar treten würde. Bertram Barnett hatte ihr Herz im Sturm erobert, und keinem anderen war es seither gelungen, ihn von dort zu vertreiben. Zu ihrem großen Glück hatte Vater ihn damals als Adjutanten eingestellt. Man schrieb das Jahr 1814, und Bertram sollte ihn zu einem Kongress nach Wien begleiten, wo die wichtigsten und mächtigsten Männer der Welt die Geschicke Europas neu ordnen wollten. Damals glaubte man doch tatsächlich noch, das korsische Ungeheuer Napoleon sei ein für alle Mal besiegt. Wie sehr man sich doch geirrt hatte!

Elizas Gedanken konzentrierten sich wieder auf jenen schicksalhaften Vormittag damals in der Bibliothek. Sie hatte soeben erfahren, dass sie mit nach Wien würde reisen dürfen. Sobald ihr klar wurde, dass dies auch bedeutete, der Fuchtel der Tante zu entkommen, die sich weigerte, eine derart beschwerliche Reise auf sich zu nehmen, da hatte es in ihrer Freude kein Halten gegeben. Sie würde mit dem schönsten, nettesten, aufregendsten … einfach großartigsten Mann der Welt nach Wien reisen (und damit meinte sie nicht ihren Papa) und so die Gelegenheit haben, die vielen Tage und Stunden in der Kutsche in seiner Gegenwart zu verbringen. Dazu kam noch ein weiterer Glücksfall, den sie ebenfalls Bertram zu verdanken hatte: Er überredete seine Cousine Agatha, sie als ihre Chaperon zu begleiten. Auf einen Schlag hatten sich damit die dunklen Schatten über ihrer Zukunft gelichtet und Vorfreude, Hoffnung und Zuversicht Platz gemacht. Agatha entpuppte sich als fröhliche, kluge Begleiterin, von der sie viel lernen konnte, und die sie sofort in ihr Herz schloss. Auch wenn sie es bis heute nicht so recht verstehen konnte, warum ihr Vater ausgerechnet die Frau, mit der er sich auf der langen Reise in einem fort gestritten hatte, einige Monate später zu seiner zweiten Ehefrau machte, so war sie mit seiner Entscheidung mehr als einverstanden. Lady Agatha war die beste Stiefmutter, die sie sich nur wünschen konnte. Und so sehr auch ihre beiden kleinen Zwillingsbrüder, die vor fünf Jahren geboren wurden, mitunter ihre Nerven strapazierten, war es doch schön, wieder Teil einer intakten, lebhaften Familie zu sein. Die Ehe zwischen Papa und Agatha lief allem Anschein nach sehr gut. Papa war nun auch viel öfter zu Hause als in ihren Kindertagen oder nahm sich die Zeit, seine Damen, wie er Agatha und sie nannte, zu Abendveranstaltungen zu begleiten. Wer jedoch davon ausging, dass die Wortgefechte zwischen ihm und seiner Gattin in der Zwischenzeit nachgelassen hätten, der irrte sich gewaltig. Bertram würde staunen, wenn er die beiden jetzt so miteinander erleben wird! Damals, auf der tagelangen, strapaziösen Reise eingepfercht in der Kutsche, hatten er und sie sich die Zeit damit vertrieben, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Schließlich galt es doch, sich im Österreich-Ungarischen Kaiserreich verständlich machen zu können. Eliza musste immer noch kichern, wenn sie daran dachte, an welch lustigen Konversationen sie sich damals versucht hatten. Bertram war ja so amüsant gewesen! Später dann, als sie längst in Wien angekommen waren, da hatte sie ihn kaum mehr zu Gesicht bekommen. Doch ihre gemeinsamen Deutschstunden jeden zweiten Tag, die hatte er trotz seiner vielen Pflichten nie ausfallen lassen. Nicht einmal dann, als er sich in diese … diese dämliche Hanni verliebte und …

„So, Mylady, wir sind fertig. Wollen Sie sich nicht den Schal um die Schultern legen? Es werden mehrere Damen anwesend sein, vielleicht finden Sie keinen Platz direkt beim Kamin …“

Ohne auf ihre Antwort zu warten, legte die Dienerin ein Plaid aus feinem Kaschmir über die Schultern ihrer jungen Herrin, das diese sofort dankbar vor der Brust zusammenzog. Es hatte denselben Blauton wie das Tageskleid aus Jaconet-Musselin, war allerdings um einige Nuancen dunkler und mit feinen grünen Streifen durchzogen. Ein Grün, das sich auch im Haarband wiederfand.

In diesem Augenblick wurde im Erdgeschoss laut und vernehmlich der Türklopfer angeschlagen. Einmütig eilten die beiden Mädchen zum Fenster, um sich durch einen Vorhangspalt zu vergewissern, wer die erste Besucherin war.

„Es ist das Wappen des Viscount Badwell“, erkannte Ethel mit einem kundigen Blick auf die glänzende Kutschentür.

„Lady Vivian kommt also auch?!“, rief Eliza erfreut. „Ich wusste nicht, dass Lady Agatha ihre Cousine ebenfalls eingeladen hat. Ich dachte, wir würde nur ihre beste Freundin Lady Inglesham und deren Schwägerin Lady Venetia erwarten. Wie schön, dass Vivian unsere Runde ergänzt.“ Eliza klatschte begeistert in die Hände. „Sie hat immer so unkonventionelle Ansichten. Das wird sicher wieder höchst amüsant.“

„Wie ist ihre Ladyschaft mit Ihnen verwandt, Mylady?“, fragte das Hausmädchen neugierig. „Das vergesse ich immer wieder.“

„Mit mir ist sie gar nicht verwandt“, erklärte Eliza und warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. „Bertram“, sie errötete und beeilte sich, sich zu korrigieren, „ich wollte sagen, seine Lordschaft, der Viscount Panswick, ist Lady Agathas Cousin. Er hat einen Bruder Nicolas und drei Schwestern, Frederica, die Countess of Derryhill, Penelope, die einen Mr Markfield geheiratet hat, und eben auch Lady Vivian, die Viscountess Badwell.“

Eliza liebte Bertrams Schwestern. Alle drei und auch seine Mutter, die Viscountess, hatten sie von Anfang an mit großer Herzlichkeit in der Verwandtschaft aufgenommen. Lady Vivian stand ihr von allen im Alter am nächsten.

„So“, sagte Eliza und griff nach ihrem Fächer, „jetzt muss ich mich wirklich beeilen …“

Die Kammerzofe hielt ihr die Tür auf, und sie hopste fröhlichen Schrittes ins Erdgeschoss hinunter. Schon schlug der Türklopfer ein weiteres Mal gegen die Messingplatte an der Haustür.

Eine halbe Stunde später hatten sich alle Damen auf das Innigste begrüßt und ihre Plätze rund um den Teetisch eingenommen. Die Hausherrin verteilte edle Tassen mit dampfendem Tee, die jetzt, da es draußen bitterkalt war, besonders gern entgegengenommen wurden. Die unterste Platte der silbernen Etagere war mit Gurkensandwiches gefüllt, in der Mitte gab es kleine Früchtekuchen und Shortbread, ganz oben einen Stapel jenes Hefegebäcks, das sich Topfengolatsche nannte. Lady Agatha hatte das Rezept, wie das vieler anderer Mehlspeisen, aus Wien mitgebracht. Nun sorgten diese allesamt in der Londoner Gesellschaft für Furore. Im mannshohen Kamin prasselte ein lebhaftes Feuer, und da der Kaminkehrerjunge die Abzüge erst kürzlich gereinigt hatte, war es im Empfangssalon angenehm warm, ohne dass es erbärmlich rußte.

Während die ersten Neuigkeiten ausgetauscht wurden, war Eliza hin und her gerissen. Sollte sie den Erzählungen lauschen, die ihr ihre beste Freundin Venetia, mit der sie auf der kleineren der beiden Bänke Platz genommen hatte, mit gedämpfter Stimme anvertraute? Oder lieber den Worten, die ihre Stiefmutter mit Lady Vivian und Lady Inglesham, der Gattin von Venetias Bruder, austauschte? Derzeit unterhielten sich die Damen zu Elizas Glück noch über eine Abendeinladung, bei der eine italienische Sängerin die Gäste zu Begeisterungsstürmen hingerissen hatte. Also konnte sie sich beruhigt Venetias Worten widmen. Doch bald schon würde sich das allgemeine Gespräch um Bertrams Rückkehr und seinen damit verbundenen Brief drehen, und davon durfte sie kein noch so kleines Detail verpassen.

„Ach, Lizzy!“ Venetia griff sich ans Herz, seufzte und rollte mit theatralischem Blick die Augen nach oben. „Findest du nicht auch, dass es keinen besser aussehenden Mann gibt als meinen Dingi? Ich kann es noch gar nicht fassen, dass ich diesen Mann den meinen nennen darf. Wie schneidig er in seinem roten Uniformrock aussieht! Sag, hast du je einen so ansehnlichen, stattlichen Mann gesehen?“

Hier war vom ehrenwerten Mr Archibald Dingshow die Rede, mit dem Venetia seit den Weihnachtsfeiertagen verlobt war.

„Er ist tatsächlich gut aussehend“, bestätigte Eliza, ohne zu zögern.

Venetia strahlte. „Ja, nicht wahr? Dazu auch noch so unglaublich liebenswert!“ Ihre Wangen röteten sich noch tiefer, während sie auch die nächsten Minuten dazu nutzte, ihrer Freundin von ihrem Verlobten vorzuschwärmen, seine originellsten und kühnsten Aussagen zu wiederholen und der Freude Ausdruck zu verleihen, dass er sie am selben Abend ins Theater ausführen würde. Alsdann ergriff sie Lizzys Rechte. „Ich schwöre dir, teuerste Freundin, verlobt zu sein ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. Nicht nur, weil ich Dingi über alles liebe, nein, es ist auch diese unerwartete Freiheit, die ich genieße. Für Mädchen von Stand, wie wir es sind, gibt es doch nichts Herrlicheres …“

All diese Lobeshymnen hatte Eliza in den letzten Wochen schon zu oft gehört, als dass sie eines Kommentares würdig gewesen wären. Doch diesmal war auch eine neue Information dabei.

„Freiheit?“, wiederholte sie. „Was meinst du denn mit Freiheit? Inwiefern hat deine Verlobung …?“

Weiter kam sie nicht, da sich ihre Freundin wieder ans Herz gegriffen hatte und der schwärmerische Ausdruck auf ihrem Gesicht sich noch vertiefte, bevor sie ihr ins Ohr raunte: „Lizzy, du hast keine Ahnung, was es bedeutet, verlobt zu sein.“

Kaum waren diese Worte ihren Lippen entkommen, wurde Venetias Miene schuldbewusst. „Es tut mir leid, ich wollte damit natürlich nicht andeuten, dass ich dich für eine alte Jungfer halte. Das tue ich natürlich nicht, denn ich war ja bis vor Kurzem in der gleichen Situation. Was ich sagen wollte, war, dass ich zu meinem Glück einen ungewöhnlich toleranten, weltoffenen Verlobten gefunden habe. Wenn ich denke, was der armen Abigail Sandham passiert ist, du erinnerst dich doch noch an sie, Lizzy? Ihr Vater bestand darauf …“

„Venetia!“, forderte Eliza ungeduldig und bemühte sich gleichzeitig, mitzubekommen, was die anderen Damen soeben besprachen. „Du schnatterst schon wieder. Könntest du bitte zum Punkt kommen?“

Es folgte ein Schwall von Worten, die Venetia nur so aus dem Mund sprudelten. Alfred war, wiewohl der beste Mann auf Erden, leider kein begnadeter Tänzer. Da er wusste, wie gern sie übers Parkett wirbelte, hatte er nichts dagegen, dass sich andere Männer in ihre Tanzkarte eintrugen. Im Gegenteil, er hatte ihr letzten Donnerstag bei Almacks sogar passende Partner für die Quadrille oder die ländlichen Tanzfolgen vorgestellt und sich gefreut, als sie die Tänze genoss und sich gut unterhielt.

„Ist das nicht überaus reizend von ihm, Lizzy? Du glaubst gar nicht, wie befreiend es ist, mit jungen Männern ungezwungene Konversation machen zu können, ohne befürchten zu müssen, sie zu ermutigen oder gar den strengen Augen der Moralapostel nicht zu genügen. Seit Dingi um meine Hand angehalten hat, ist mir, als säße mein Korsett mit einem Schlag nicht mehr so eng und ich würde endlich freier atmen können.“

Eliza, die sich nicht genau vorstellen konnte, was ihre Freundin meinte, und gleichzeitig vom anderen Gespräch abgelenkt war, lächelte etwas zerstreut und beteuerte, wie sehr sie sich freue, dass Venetia glücklich war. Da fielen auf der anderen Seite des Teetisches die lang erwarteten, bedeutungsschweren Worte:

„Dann kam Bertrams Brief und versetzte uns alle in Aufregung.“ Lady Agatha hielt besagtes Schreiben in die Höhe.

Bertrams Brief?“Auch Venetia war sofort abgelenkt. Sie wandte sich an ihre Schwägerin Lady Inglesham. „Panswick, von dessen Rückkehr du mir gestern erzählt hast, heißt mit Vornamen Bertram?“ Als diese nickte, fuhr sie herum, und ihr Blick fixierte die Freundin auf der Bank neben sich. „Das ist aber nicht derselbe Bertram, in den du schon so lange verliebt bist, oder etwa doch, Lizzy?“

Die so Angesprochene starrte mit großen Augen zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf, so als könnte sie die andere damit ermahnen, kein weiteres Wort mehr zu verlieren. Eliza konnte es nicht glauben. Wie kam Venetia bloß dazu, etwas so Ungeheuerliches laut auszusprechen? Noch dazu im Beisein der beiden Damen und ihrer Stiefmutter? Während Lady Vivian die Augen zu Schlitzen zusammenzog und sie prüfend musterte, kam ihr Agatha mit der Antwort zuvor.

„Verliebt sein?“ Ihre Stimme klang strenger, als man es im Allgemeinen von ihr gewöhnt war. „Werde bitte nicht melodramatisch, meine gute Venetia! Ich darf dich daran erinnern, dass Eliza ganze dreizehn Jahre alt war, als sie meinen Cousin das letzte Mal gesehen hat. Ob sie ihm damals zugetan war? Natürlich. Schließlich behandelte er sie stets so, wie man eine liebgewonnene kleine Schwester behandelt. Eliza blickte zu ihm auf, das will ich gar nicht abstreiten. Es war verständliche, jugendliche Schwärmerei. Aber verliebt sein? Nein, dazu bestand nicht der geringste Grund. Panswick war und ist acht Jahre älter als deine Freundin. Außerdem ist es nun schon ganze sieben Jahre her, dass sie einander das letzte Mal gesehen haben.“

„Aber …“, versuchte Venetia einen Protest. Sie erinnerte sich offensichtlich nur allzu gut an die mit glänzenden Augen vorgebrachten Träumereien ihrer Freundin. Die waren nicht sieben Jahre her, sondern keine sieben Tage.

„Kein Aber!“, bestimmte die Hausherrin unnachgiebig, um sich dann zu ihrer Stieftochter umzuwenden. „Ich habe doch recht, nicht wahr, Lizzy?“

Diese nickte folgsam und zwang sich, tapfer zu lächeln. Was hätte sie vor den neugierigen Ohren der beiden Damen auch anderes tun sollen? Die Ladys würden ihre Münder doch nur zu einem kleinen spöttischen oder gar mitleidigen Lächeln verziehen, wenn sie eingestände, dass die sogenannte jugendliche Schwärmerei in all den Jahren nicht nachgelassen hatte und sie es kaum mehr erwarten konnte, Bertram endlich wieder gegenüberzustehen. Sollten Agatha und ihre Freundinnen doch denken, was sie wollten, und Pläne bezüglich passender Gattinnen schmieden, so viel sie wollten, sie wusste es besser. Sie würde vor allen anderen nach Lancroft Abbey reisen und dem Viscount beweisen, dass sie allein die perfekte Braut war, die er sich so sehnlichst wünschte. Er würde sie in seine starken Arme ziehen, und sie würden auf dem geplanten Frühlingsball der staunenden Menge ihre Verlobung bekannt geben …

„Bertram schildert uns die Art Frau, die wir ihm auf gar keinen Fall vorstellen dürfen. Wie kommt es eigentlich, dass er dich dabei so genau beschreibt, Lizzy?“, durchbrach Lady Badwells Stimme diese freudvollen Gedanken.

„Wie bitte?“ Eliza vermeinte, nicht richtig gehört zu haben.

„Nun, er will keine Herzogstochter, du bist eine.“ Vivian begann die Aufzählung mithilfe der Finger zu unterstreichen. „Er will keinesfalls eine blonde, zierliche Braut. Du bist ohne Zweifel zierlich. Und blond bist du auch. Dann möchte er keine vergissmeinnichtblauen Augen …“

„Meine Augen sind eher blaugrün …“, lautete Elizas gestotterter Protest, der selbst in ihren eigenen Ohren wenig überzeugend klang. Kein Wunder, dass Bertrams Schwester auflachte. „Das kannst du doch nicht ernst meinen! Vergissmeinnichtblau, blaugrün, das ist doch einerlei. Welcher Gentleman würde da einen Unterschied erkennen? Hauptsache blau.“

Eliza presste die Lippen zusammen und schwieg. Was hätte sie auch darauf erwidern sollen? Es war ihr doch selbst ein Rätsel, was Bertram bewogen hatte, genau diese Zeilen zu verfassen. Zum Glück sprang ihr Agatha zur Seite. „Die Beschreibung hat doch nicht im Geringsten mit Eliza zu tun, Vivian, ich bitte dich! Die Sachlage ist eine ganz andere. Dein Bruder machte in Wien eine, wie soll ich es nennen … unglückliche Bekanntschaft mit einer zierlichen … äh … jungen … Blondine mit vergissmeinnichtblauen Augen. Diese Erfahrung wünscht er nicht zu wiederholen, das ist alles.“

„War sie denn eine Herzogstochter?“, wollte Lady Inglesham höchst interessiert wissen. Sie begann sogleich zu überlegen: „Welcher englische Duke war denn mit seiner Familie bei diesem Kongress? Und vor allem, wer hat eine blonde Tochter im passenden Alter?“

Agatha lachte zuerst auf und schüttelte dann den Kopf. „Sie war keine Herzogstochter, also kannst du aufhören, Mutmaßungen anzustrengen.“

Wenn die wüsste!, dachte sie und war gleichzeitig froh, dass ihre Freundin die Wahrheit niemals erfahren würde. Bertrams Angebetete namens Hanni war alles andere als eine höhere Tochter gewesen. Das Wort Freudenmädchen hätte es wohl eher getroffen. Doch darüber würde sie kein Wort verlieren. Es war ausgeschlossen, so ein verruchtes Thema im Salon eines englischen Dukes zu diskutieren. Allein schon das Wort Freudenmädchen auszusprechen hätte die guten Sitten verletzt. Außerdem war sie bestimmt nicht so dumm, die eigenen Pläne durch eine derartige Offenheit in Gefahr zu bringen. In ihren Augen war nämlich Lady Ingleshams Schwester Davina Johnston-Brooks, die jüngste Tochter des Earl of Wildmoore, die ideale Braut für ihren Cousin. Und wer, bitte, wollte seine Schwester einem Mann zur Frau geben, der nicht genügend Urteilsvermögen besaß, eine Dirne von einer vornehmen jungen Dame zu unterscheiden? Ihre Freundin Vera, Lady Inglesham, ganz gewiss nicht. Agatha seufzte. Sie konnte nur hoffen, dass Bertram in den letzten Jahren weiser und weltgewandter geworden war, sodass ihm ein derartiger Fauxpas nun nicht mehr passieren könnte. Während sie fieberhaft nach einer passenden Antwort suchte, ergriff Vivian das Wort, ersparte ihr damit die Peinlichkeit, eine Lüge auftischen zu müssen, und ergänzte so gleichzeitig das letzte Puzzleteil der Geschichte. „Mit der Herzogstochter ist wohl Clarissa Harristowe gemeint.“

Zu Agathas Glück war Lady Inglesham sofort abgelenkt. „Die Tochter des alten Duke of Stainmore? Hat sie nicht vor zwei, drei Jahren nach Schottland hinauf geheiratet?“

Vivian nickte. „Genau die. Bertram war vor einigen Jahren ganz vernarrt in sie und unsere Mutter hätte alles dafür getan, eine Herzogstochter in der Familie willkommen heißen zu können.“

Agatha runzelte die Stirn. „Wann war das?“, wollte sie wissen, „Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“

„Das war, als du den Kontinent bereist hast“, erklärte Vivian, und Agatha lehnte sich zufrieden in ihrem Sessel zurück. „Ich besuchte damals noch Mrs Cliffords Institut für Höhere Töchter. Eines Tages tauchte Bertram bei mir auf, es ging ihm nicht gut.“

Diese Geschichte hörte nicht nur Agatha, sondern auch Eliza zum ersten Mal.

„Was war passiert?“, fragte sie mit angehaltenem Atem.

Vivian zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht mehr daran, was genau passiert war. Vielleicht hat er es mir aber auch gar nicht erzählt. Was ich mit Sicherheit noch weiß, ist, dass der gute Bertram an Liebeskummer litt. Er blieb damals eine ganze Woche bei mir. In jeder freien Stunde sind wir Seite an Seite über Wiesen und Felder galoppiert.“ Lady Badwell lächelte in der Erinnerung. „Das hat ihm wohl geholfen, wieder zu sich zu finden. Kurz darauf ist er nach London gereist und hat die Stelle beim Duke, also deinem späteren Gatten, angenommen, Agatha.“

„Aha, so war das also“, sagte ihre Cousine und besann sich wieder des eigentlichen Themas. „Nachdem das nun geklärt ist, wollen wir uns wieder der Gegenwart zuwenden. Wie es der Zufall will, werden Bertrams Vorgaben durch unsere Entscheidung eingehalten. Davina ist großgewachsen, nicht zierlich. Sie ist dunkelhaarig, nicht blond. Darüber hinaus ist sie die Tochter eines Earls und nicht die eines Herzogs. Wenn ich mich recht erinnere, dann sind auch ihre Augen dunkel, habe ich nicht recht, liebe Vera?“

Die liebe Vera stand nicht an, das zu bestätigen.

„Wunderbar“, meinte Agatha zufrieden. „Wir haben mit Davina die perfekte Gemahlin für den Viscount gefunden! Niemand könnte passender sein als sie.“ Sie sah Beifall heischend in die Runde.

Eliza war weit davon entfernt, ihr zu applaudieren. Im Gegenteil, sie hielt entsetzt die Luft an. Die Damen hatten sich bereits auf eine passende Braut geeinigt?

„Das stimmt, meine Liebe, eine bessere Gattin als meine kleine Schwester Davina könnte man ihm nicht wünschen“, bestätigte Lady Inglesham ihre schlimmen Befürchtungen. „Sie hat ein angenehmes Wesen und einen lebhaften Geist, ist aber nicht so klug, dass ein junger Mann vor Angst die Flucht ergreifen müsste. Sie singt wie ein Engel, spielt Klavier und Harfe geradezu göttlich und wurde, ebenso wie ich, von Mama bestens dafür ausgebildet, einen großen Haushalt zu führen.“

„Außerdem ist sie wunderschön“, entfuhr es Eliza, deren Vorfreude auf die kommenden Ereignisse einen schlimmen Dämpfer erhalten hatte.

„Wie recht du doch hast, meine Liebe“, stimmte ihr Agatha freudig zu. „Sie hat mir so leidgetan, als sie ihre zweite Saison vorzeitig abbrechen musste. Doch jetzt denke ich, es war ein Glücksfall, sonst hätte sie uns wahrscheinlich ein anderer Edelmann vor der Nase weggeschnappt.“ Sie wurde schlagartig ernst. „Da fällt mir ein, die kranke Person, um die sich Davina kümmern musste, ist ja in der Zwischenzeit verstorben, wie du mir geschrieben hast. War das eine enge Verwandte, Vera? Heißt das, dass die arme Davina verpflichtet ist, Trauerkleidung zu tragen?“

Bitte sag Ja!, flehte Eliza innerlich. Selbst eine Schönheit wie Davina konnte in schwarzen Kleidern keine Herzen höherschlagen lassen. Außerdem würde sie nicht tanzen dürfen …

„Das würde unseren Plänen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen“, hörte sie ihre Stiefmutter sagen und bekam umgehend ein schlechtes Gewissen, weil sie so inständig hoffte, dass das der Fall war. Zu ihrem Leidwesen kniff Lady Inglesham zwar die Lippen zusammen, versicherte aber, dass von einer Trauerzeit keine Rede wäre.

Agatha atmete auf. „Ich bin froh, das zu hören. Ich brenne darauf, Bertram mit Davina bekannt zu machen! Sie war das hübscheste Mädchen der letzten Saison und konnte sich vor Verehrern kaum retten …“

Wem sagte sie das? Eliza hatte hautnah miterlebt, wie jeder junge Mann verträumte Augen und Schnappatmung bekam, sobald ihm Lady Davina gegenüberstand. Nicht, dass es ihr selbst an Verehrern gemangelt hätte. Aber man hielt sie wohl eher für niedlich und amüsant, Davina hingegen war mit ihrer eleganten Erscheinung, den langen Wimpern und ihrer vornehmen Blässe ein wahr gewordener Traum jedes Gentlemans. Eliza unterdrückte ein Seufzen. Bei so starker Konkurrenz würde es schwieriger werden, Bertram zu erobern, als sie gedacht hatte. Es musste ihr unbedingt gelingen, einige Tage vor Davina auf Lancroft Abbey einzutreffen. Dann hatte sie das Herz des Viscounts vielleicht schon gewonnen, ehe die Schönheit auf der Bildfläche erschien …

„Ihr beide habt eure Wahl vielleicht schon getroffen. Ich sage jedoch: gutes Aussehen ist nicht alles“, meldete sich da Lady Vivian zu Wort. Sie ließ den Satz wirken und inspizierte angelegentlich die auf der Etagere liebevoll drapierten kleinen Köstlichkeiten. Dann entschied sie sich für ein Stück Lavendel-Shortbread und beförderte es mit einer kleinen Silberzange auf ihren Teller. „Ich bin im Übrigen weit davon entfernt, deine Meinung darüber zu teilen, teuerste Vera, dass ein Mädchen zu klug sein kann, um einem Gentleman von Format zu gefallen. Eine Frau kann gar nicht intelligent genug sein. Daher haben Badwell und ich auch eine ganz andere Braut für meinen Bruder ins Auge gefasst.“ Sie knabberte am Gebäck. „Das ist köstlich, Agatha, mein Kompliment an die Köchin.“

Eine weitere Konkurrentin? Noch dazu eine kluge? Das hatte Eliza gerade noch gefehlt.

„Du willst deinen Bruder mit einem Blaustrumpf zusammenbringen?“, meinte Lady Inglesham, und ihre Stimme hatte einen spöttischen Tonfall angenommen. „Na, da wünsche ich dir viel Glück! Welcher junge Mann schenkt so jemandem einen zweiten Blick, wenn Davina in der Nähe ist?“

„An wen denkst du?“, erkundigte sich Lady Agatha, die wohl beschlossen hatte, die Worte ihrer Freundin zu überhören.

„Heather Oddington ist eine der talentiertesten Lehrerinnen, die wir seit Beginn unseres Instituts beschäftigen, und ich werde sie nur höchst ungern gehen lassen. Doch sie wird mit ihrer umsichtigen Art perfekt zu meinem Bruder passen.“

Lady Badwell, die es sich schon früh in den Kopf gesetzt hatte, die Lebenssituation verarmter, adeliger Mädchen zu verbessern, hatte das Glück gehabt, einen Gatten zu finden, der diese Pläne unterstützte. Die Schule, die sie auf Hyacinth Manor, dem Landsitz von Badwells verstorbener Großmutter in Kingsbury, errichtet hatten, hatte sich in den letzten Jahren einen ausgezeichneten Ruf erarbeiten können.

„Eine Lehrerin?“ Agatha zog halb interessiert, halb skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. „Du hast doch wohl berücksichtigt, welchen Stand sie haben muss, um als passende Gattin eines Viscount infrage zu kommen?“

„Wovon du mit Sicherheit ausgehen kannst, liebe Cousine.“ Vivian klang nicht eben erfreut.

„Oddington?“, wiederholte Lady Inglesham nachdenklich. „Der Name ist mir nicht fremd. War das nicht der Familienname von Viscount Sandleigh, der auf so tragische Weise ums Leben kam? Wann wird das gewesen sein? Vor einem Jahr, oder doch schon vor zwei? Die Zeit vergeht so schnell, da bringt man so etwas leicht durcheinander.“

„Auf tragische Weise?“, meldete sich Venetia erschrocken zu Wort. „Was ist denn passiert?“

„Der Viscount befand sich auf dem Weg von einem Pächter nach Hause, als ein Wintergewitter aufzog“, begann Vivian. „Er war gerade dabei, über eine Lichtung zu reiten, als er offensichtlich vom Blitz getroffen wurde. Als seine Diener ihn am nächsten Tag fanden, war sein toter Körper bereits steif gefroren und zum größten Teil mit Schnee bedeckt.“

„Musst du immer alles so drastisch schildern?“, warf ihr Agatha vor und rollte ihre Augen in Richtung der jungen Mädchen.

„Wie schrecklich!“, rief nun auch Eliza aus. „Seine arme Tochter! Hat sie wenigstens Familie, die ihr in dieser schlimmen Stunde beigestanden hat?“

Vivian schüttelte aufseufzend den Kopf, bevor sie abermals in den Keks biss. „Leider nein. Was alles noch schlimmer machte, war, dass auch ihr Bruder kurz davor gestorben war. Der Viscount wollte die Zukunft seiner Tochter entsprechend absichern, verschied jedoch, bevor er das Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. Daher ließ er sie nicht nur völlig allein, sondern auch unversorgt zurück.“

„Das arme Ding!“, rief Venetia erschüttert. „Wer erbte den Besitz?“

„Ein entfernter Cousin ihres Vaters, den sie noch nie zuvor gesehen hatte“, erklärte Vivian. „An ihn gingen der Titel, alle Besitzungen und das gesamte Vermögen.“

„Kann Badwell nicht mit ihm sprechen, dass er der armen Lady einen kleinen Teil davon abgibt?“, wollte Eliza wissen. „Sicher kann er ihn überzeugen.“

„Wohl kaum“, antwortete Vivian bitter. „Der Verwandte ließ sich nicht einmal dazu herab, mit Heather persönlich zu sprechen. Er schickte ihr seinen Anwalt mit der Aufforderung, das Elternhaus binnen vierzehn Tagen zu räumen. Ach, ich finde unsere Gesetze so ungerecht. Wenn ich …“

„Ja, Vivian, wir wissen es“, unterbrach Agatha sie, bevor sie sich wieder einmal über ihr Lieblingsthema ereifern konnte. „Es freut mich für diese junge Dame, dass sie den Weg zu euch gefunden hat. Die sichere Anstellung als Lehrerin erspart ihr ein viel schlimmeres Schicksal.“

„Ein Schicksal noch schlimmer als dieses?“, fuhr Lady Inglesham auf. „Ist es nicht schon schlimm genug, dass sie, eine Hochadelige, für ihren Unterhalt arbeiten muss?“

„Da hast du völlig recht“, Vivian nickte. „Darum werde ich auch alles daransetzen, dass mein Bruder sie als Gemahlin auserwählt und der armen Heather damit die Stellung und die Sicherheit bietet, die ihr von Geburt wegen zusteht.“

Während Lady Inglesham ihre impulsiven Worte wieder bereute, bewies Agatha die Fairness, für die sie bekannt war. „Das verstehe ich“, sagte sie. „Wie gut, dass Bertram uns alle gebeten hat, nach einer passenden Braut Ausschau zu halten und wir uns nicht auf eine Kandidatin einigen müssen. Die endgültige Entscheidung will er natürlich selbst treffen. Das wird nicht leicht werden, ich beneide ihn nicht darum.“

Eliza war ganz still geworden. War sie ein schlechter Mensch, wenn sie hoffte, dass Bertram sich nicht für die arme Heather entschied?

„Das muss ich dir unbedingt auch noch erzählen“, flüsterte ihr Venetias leise Stimme ins Ohr. „Gestern hat mein lieber Dingi …“

Eliza hörte sie nicht.

„Wurde der Termin für den Frühlingsball schon festgelegt?“, wollte sie stattdessen wissen.

„Ich habe gestern Abend meine Schwester Frederica getroffen“, erklärte Vivian anstelle einer Antwort. „Sie ist von eurer Wahl sehr angetan und findet Davina ebenfalls passend.“

„Oh, das ist ja erfreulich!“ Lady Vera klatschte in die Hände. „Heißt das etwa, dass sie keinen eigenen Vorschlag machen wird?“

Vivian erwog den Gedanken. „Das heißt es wohl, denke ich. Sie hat sich mit ihrer Schwiegermutter beraten, wie sie das immer tut. Und auch die Dowager Countess schien den Plan zu billigen.“

Wenn es noch etwas gebraucht hätte, um Eliza vollständig zu entmutigen, dann war es diese Aussage. Die ältere Lady Derryhill war nicht nur überaus liebenswert, sie war auch in der noblen Londoner Gesellschaft für ihr gutes Urteilsvermögen bekannt. Wenn man Lady Agatha glauben konnte, dann hatte sie bei allen drei Ehen von Bertrams Schwestern auf die eine oder andere Art ihre Finger mit im Spiel. Und diese Verbindungen verliefen samt und sonders äußerst glücklich.

„Um deine Frage zu beantworten, Lizzy“, riss Lady Badwell sie aus den Gedanken, „Bertrams voraussichtlicher Ankunftstermin ist, wie er schreibt, der 23. oder 24. Februar …“

„Oh!“, rief Lady Inglesham aus, „was für ein Zufall! Kurz darauf feiert Davina Geburtstag. Ihren einundzwanzigsten.“

Agatha wurde hellhörig. „Das heißt, ab diesem Zeitpunkt ist sie volljährig. Kann sie dann etwa bereits über das Vermögen verfügen, das ihr eure Großtante vermacht hat?“

Ihre Freundin hob die Hände gegen die Zimmerdecke. „Erinnere mich nicht daran. Wir werden uns vor Mitgiftjägern nicht retten können. Schön und reich, das ist einfach zu viel.“

„Also können wir nur hoffen, dass sie und mein Bruder sich bis dahin einig sind. Der Ball wird dann wohl Mitte März auf Lancroft Abbey stattfinden. Wenn alles planmäßig verläuft, können die beiden dort bereits ihre Verlobung bekannt geben.“

„Lancroft Abbey?“, wiederholte Lady Inglesham und runzelte die Stirn. „Was für eine seltsame Idee. Im März ist die Saison bereits in vollem Gange. Da wird es kaum möglich sein, die vornehme Gesellschaft aufs Land hinaus zu locken, Panswicks Rückkehr hin oder her. Warum findet der Ball denn nicht hier in London statt?“

Nein, bitte nicht!, dachte die leidgeprüfte Eliza. Hier in der Hauptstadt war die Konkurrenz enorm, und mit Ausnahme seines obligatorischen Antrittsbesuchs hätte sie kaum die Möglichkeit, Bertram zu Gesicht zu bekommen. Außerdem bot London viel zu viel Abwechslung und zu mannigfaltige Verlockungen für einen jungen Mann von Stand.

„Bertram hat uns ausdrücklich gebeten, mit den jungen Damen nach Kent zu kommen. Schließlich möchte er mehrere Wochen in ihrer Gesellschaft verbringen, um sie besser kennenzulernen. Das wäre so in London nicht möglich. Außerdem ist es ihm wohl auch ein besonderes Anliegen, dass sich seine Zukünftige mit den Gegebenheiten auf Lancroft Abbey vertraut machen kann“, erklärte Vivian. „Was ich im Übrigen für sehr vernünftig halte. Ein Mädchen, das sich zu fein ist, sich auch mal den Rocksaum schmutzig zu machen, können wir als künftige Viscountess Panswick nicht gebrauchen.“

„Sehr richtig“, stimmte ihr Agatha zu. „Überdies wird es ja kein großer Ball werden, zu dem der Londoner Hochadel in Massen strömen soll. Das Ganze wird eher in kleinerem Rahmen stattfinden. Der Gentry des Landkreises, ein paar Nachbarn, die Familie und die Mädchen, die wir Bertram vorstellen. Mit ihrer Entourage natürlich.“ Sie hob die Teekanne und blickte erwartungsvoll in die Runde.

„Ah, ich verstehe“, meinte Lady Inglesham, während sie sich die Tasse füllen ließ. „Wirst du Miss Oddington begleiten, meine liebe Vivian?“

Diese nickte. „Badwell und ich können es gar nicht erwarten, Bertram endlich wieder in die Arme zu schließen. Außerdem wollen wir uns den Frühlingsball nicht entgehen lassen und Miss Oddington auch nicht allein nach Lancroft Abbey schicken. Was ist mit dir, Vera, du hast doch sicherlich ebenfalls vor, deine Schwester zu begleiten?“

Zur allgemeinen Überraschung schüttelte diese den Kopf. „Ich fürchte, nein. Inglesham zieht es zu dieser Jahreszeit bestimmt nicht aufs Land. Wir werden für Davina eine andere Anstandsdame suchen müssen.“

„Was ist mit eurer Tante?“, wandte Agatha ein. „Die alte Lady, die Davina bei ihrer ersten Saison an den vielen Abenden begleitete, wenn du andere Verpflichtungen hattest, meine Liebe? Die schien mir doch sehr nett und passend zu sein.“

„Nett?“, rief Lady Inglesham, ohne nachzudenken. „Ja, man kann es auch nett nennen.“ Dann schlug sie sich mit der Hand gegen die Lippen und wünschte sich ganz offensichtlich, sie hätte geschwiegen.

Natürlich war es Vivian, die nicht lockerließ und unbedingt wissen wollte, was diese Worte bedeuteten. Schließlich rückte ihre Ladyschaft mit der pikanten Wahrheit heraus. „Es fällt mir schwer, euch das so offen heraus zu sagen, meine teuren Freundinnen, aber nett sein ist nicht die passende Eigenschaft für eine Duenna. Tante Elsas Nettigkeit hat es nämlich zugelassen, dass Davina regen Umgang mit einem völlig unpassenden Mann pflegte und sich schließlich gar einbildete, in ihn verliebt zu sein.“

Die beiden jungen Mädchen hörten ihr offenen Mundes zu, während die Älteren gelassen reagierten. Sie wussten längst, dass solche Gefühlsverirrungen nicht ungewöhnlich waren. Wozu gab es schließlich Anstandsdamen, wenn nicht, um solche unpassenden Empfindungen im Keim zu ersticken?

„Tante Elsa, das alte Kirchenlicht, hat diese Verbindung nicht nur nicht unterbunden, sondern den beiden auch noch die Möglichkeit zu heimlichen Stelldicheins gegeben. Als ich dahinterkam …“

„Was ist ein altes Kirchenlicht?“, stellte Vivian die Frage, die auch Eliza auf der Zunge brannte.

„Es ist ein despektierlicher Ausdruck, ich bitte um Entschuldigung.“ Lady Inglesham lächelte Verzeihung heischend in die Runde. „Mein Gatte gab seiner Tante diesen Spitznamen, weil er sich darüber mokiert, dass sie jeden zweiten Tag in die Kirche rennt.“

„Wer war Davinas unpassender Galan?“, wollte Agatha wissen. „Soweit ich mich erinnern kann, war auf all den gesellschaftlichen Ereignissen nicht zu erkennen, dass sie einem bestimmten Mann den Vorzug gab. Ist dir etwas Derartiges aufgefallen, Lizzy?“

Eliza verneinte, ohne zu zögern. Ihr war lediglich aufgefallen, dass Davina die Blicke sämtlicher Herren auf sich gezogen hatte. Egal, ob diese jung oder alt, verheiratet oder noch zu haben, passend oder unpassend waren. In ihrer Nähe fühlte sie selbst sich wie eine kleine, graue Maus, die niemand beachtete.

„Das ist kein Wunder“, erklärte Lady Inglesham, „denn er war arm wie eine Kirchenmaus und konnte sich, wiewohl von ganz annehmbarer Abstammung, das gesellschaftliche Leben gar nicht leisten.“

„Wie, um Himmels willen, konnten sie sich dann überhaupt kennenlernen?“

„Ein Freund hat ihn wohl einmal ins Drury-Lane-Theater mitgenommen, und dort ist er meiner Schwester über den Weg gelaufen. Sie haben sich dann regelmäßig heimlich in einer Kirche wiedergesehen. Wie du dir denken kannst, traf meinen armen Papa und mich fast der Schlag, als wir davon erfuhren.“

„Wie gut ich mir das vorstellen kann“, sagte Agatha mitfühlend. „In welcher Kirche haben sie sich getroffen? Und was meinst du mit ganz annehmbarer Abstammung?“

„Soweit ich weiß, ist er der dritte oder vierte Sohn eines Landadeligen aus irgendeinem County im Süden. Da er über keinerlei Zukunftsaussichten verfügt, weigerte ich mich, mich näher mit ihm zu befassen. Und die Kirche, meine Liebe, liegt anscheinend irgendwo in der City.“

„In der City!“, rief Agatha, gerade so, als wären solch heimliche Stelldicheins in St Pauls passender gewesen. „Was hast du unternommen, teure Freundin?“

Ihre Ladyschaft stöhnte auf. „Natürlich das, was jede verantwortungsbewusste ältere Schwester getan hätte. Ich habe Davina nach Hause verfrachtet, wo sie sich Papas Moralpredigten so lange anhören musste, bis sie schwor, sich nie wieder einem unpassenden Mann auch nur zu nähern. Dort hatte sie auch Zeit, sich in Ruhe von ihrem ach so großen Kummer zu erholen. Tante Elsa zog, mehr oder weniger freiwillig, zu ihrer Schwester hinauf an die Grenze zu Schottland, und mein guter Inglesham sorgte mit einem Bündel Geld dafür, dass der junge Mann die Stadt verließ. Das ist alles.“

Sie schlug die Handflächen gegeneinander, so als würde sie Staub abschütteln, bevor sie sich zu einem Lächeln zwang. „Ich hoffe, das Geheimnis ist bei euch gut und sicher aufgehoben.“ Um dann, als alle eifrig nickten, zum ursprünglichen Thema zurückzukehren. „Denkt ihr, Davina und … die Lehrerin werden die einzigen Anwärterinnen auf Panswicks Gunst sein?“

Eliza hätte noch gern wissen wollen, ob Davina sich von ihrem Schmerz in der Zwischenzeit erholt hatte, wagte es jedoch nicht, zu fragen. Bis vor wenigen Minuten hätte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können, dass ihr diese Schönheit einmal Anlass geben könnte, sie zu bemitleiden.

„Wo denkst du hin?!“, rief Agatha aus. „Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass seine Mutter, die Viscountess, ebenfalls eine passende Braut ins Auge fasst. Vielleicht bringt auch sein Bruder Nik ein Mädchen aus Dover mit.“ Sie zog eine Augenbraue hoch und überlegte. „Ich hege allerdings Zweifel, dass sich Bertrams zweitälteste Schwester zu diesem Thema ernsthafte Gedanken machen könnte.“

Vivian lachte laut auf. „Da hast du allerdings recht. Penelope hat sicher kein Interesse, irgendjemanden zu verkuppeln. Wenn, dann bringt sie ihm höchstens ein Schaf als Ballbegleitung mit.“

Während die Mädchen ob dieser seltsamen Vorstellung kicherten, wollte es Lady Inglesham genauer wissen. „Ein Schaf? Warum sollte deine Schwester mit einem Schaf auf den Ball kommen? Das ergibt doch keinen Sinn. Leider hatte ich bisher keine Gelegenheit, Mrs … äh …“

„Markfield“, ergänzte Vivian. „Penelope hat einen simplen Mr Markfield geheiratet, der sich jedoch als wahrer Glücksfall entpuppt hat. Sie liebt Schafe über alles, und er hat es ihr ermöglicht, sich mit ihm gemeinsam als Züchter im gesamten Landkreis einen Namen zu machen.“

Ihre Ladyschaft zog die Stirn kraus. „Als Züchter von Schafen? Die Schwester eines Viscounts? Wie … äh … ungewöhnlich.“

Darauf sagte niemand ein Wort. Agatha und Vivian waren es gewöhnt, dass die feine Gesellschaft mit Penelopes Lebensstil nichts anzufangen wusste, und sie waren es längst leid, sie immer wieder zu verteidigen. Vor allem deshalb, weil dies nie zu einem positiven Ergebnis führte. Dazu war der Adel viel zu sehr von sich eingenommen.

„Wann werden wir nach Lancroft Abbey reisen?“, fragte Eliza, zum einen, um die unangenehme Stille zu durchbrechen, und zum anderen, weil sie es gar nicht mehr erwarten konnte, in die Kutsche zu steigen.

Nun war es an ihrer Stiefmutter, die Stirn kraus zu ziehen. „Wir? Warum sollten wir uns auf die Reise machen? Wir sehen meinen Vetter doch ohnehin im März hier in London, wenn er seine Auserwählte der Gesellschaft präsentiert.“

Eliza war wie vor den Kopf geschlagen.

„Ja, aber“, versuchte sie einen Protest, „wäre es nicht nett, wenn wir Bertram bei seiner Heimkehr willkommen heißen würden?“

Agatha tätschelte ihre Hand. „Das ist wieder einmal so typisch für dich, Lizzy, immer möchtest du anderen eine Freude bereiten. Aber nein, glaube mir, es ist nicht notwendig, dass wir uns dieser Mühe unterziehen. Bertram wird mit seinen Geschwistern und vor allem den jungen Damen, die sich in ihrem Schlepptau befinden, wahrlich genug zu tun haben. Da braucht er nicht auch noch seine Cousine samt Anhang um sich, die ihm wohl ohnehin nur im Weg stehen würden.“

Da hielt es Eliza für besser, den Mund zu halten. Wenn sich Lady Agatha eine Meinung gebildet hatte, dann war sie kaum vom Gegenteil zu überzeugen. So gut kannte sie ihre Stiefmutter inzwischen. Außerdem würde jede Widerrede in Anwesenheit der anderen Damen als Ungezogenheit angesehen werden, derer sie sich nicht schuldig machen wollte.

„Möchtest du mit uns kommen, Lizzy?“, bot Vivian an, der wohl ihr enttäuschtes Gesicht aufgefallen war. „Du hast doch nichts dagegen, wenn uns deine Stieftochter nach Kent begleitet, oder, Agatha?“

Eliza atmete auf, und ein Strahlen ging über ihr Gesicht. Sie wollte sich soeben stürmisch bedanken, als ihre Ladyschaft ergänzte: „Wir werden allerdings erst wenige Tage vor dem Ball anreisen, ich weiß noch nicht genau, wann. Miss Oddington wird in der Schule gebraucht.“

Erst wenige Tage vor dem Ball anreisen?, ging es Eliza durch den Kopf. Das war das Letzte, was sie wollte. All die anderen Damen würden sich längst bei Bertram angenehm gemacht haben, und sie selbst würde das Nachsehen haben. Außerdem würde sie wohl vor Ungeduld platzen, wenn sie Bertram nicht unmittelbar nach seiner Rückkehr daheim willkommen heißen könnte.

„Wenn du wirklich meinst, Vivian“, wollte Agatha eben zögernd beginnen, als ihr Elizas Antwort zuvorkam. „Nein, keinesfalls!“, rief sie aus. Dann sah sie die irritierten Gesichter aller Anwesenden, schluckte und beeilte sich um ein Lächeln. „Ich wollte sagen, herzlichen Dank für dein Angebot, liebe Vivian. Ich weiß es sehr zu schätzen, möchte euch aber lieber nicht zur Last fallen.“

„Sehr gut“, meinte ihre Stiefmutter. „Nachdem dieses Thema nun so erfreulich geklärt ist, können wir uns einem weiteren spannenden Ereignis widmen: Sally Jerseys Picknick. Wer von euch wird einen eigenen Landauer nehmen, um nach Richmond zu gelangen?“

Die perfekte Braut

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