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Kapitel 1

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Februar 1822

Lancroft Abbey, Kent

So hatte sich Bertram Barnett, der junge Viscount Panswick, seine Rückkehr nach Lancroft Abbey wahrlich nicht vorgestellt. Sieben lange Jahre hatte er nun als Diplomat auf dem Kontinent verbracht, und sein straffer Terminplan hatte ihm in all der Zeit keinen einzigen Besuch in der Heimat gestattet. War es da vermessen gewesen, anzunehmen, dass ihn seine Familie gebührend empfangen würde? Dass ihn seine drei Schwestern Frederica, Penelope und Vivian umschwirren und mit Fragen löchern würden und seine drei Schwager bereitstünden, um ihm in männlicher Herzlichkeit auf den Rücken zu klopfen? Ja, er hatte es nicht einmal für ausgeschlossen gehalten, dass sich seine gestrenge Mama, überwältigt von Rührung und Dankbarkeit über seine gesunde Heimkehr, dazu herablassen könnte, ihn kurz in die Arme zu ziehen. Doch nun empfing ihn nichts als ein gottverlassener Vorplatz, über den der eisige Wind verdorrte, braune Blätter wirbelte.

Es hatte wieder leicht zu schneien begonnen. Die gefrorenen Flocken kamen hart von der Seite und schmerzten auf seinen ohnehin schon kalten Wangen. Panswick zog den Kragen seines tannengrünen Reisemantels unter dem Kinn noch etwas enger zusammen. Warum erschien Shipton nicht, der alte Butler, um ihm einladend die Tür aufzuhalten und ihn in seinem Haus willkommen zu heißen? Er musste doch das Einfahren der Kutsche gehört haben. So ein Klappern der Räder auf dem unebenen Pflaster drang doch für gewöhnlich auch in die hintersten Räume. Er beugte sich in das Innere des Wagens, um seinen Reithut von der Bank zu fischen, auf die dunklen Locken zu stülpen und dort festzudrücken.

„William!“, brüllte er in Richtung der Stallungen. Warum tauchte denn nicht einmal ein Pferdeknecht auf, um die Rösser ins Trockene zu bringen? Man hatte ihm in der Poststation von Wadhurst ein Paar recht gute Renner angeschirrt, die nun dampfend und unruhig mit den Hufen scharrten und dringend abgerieben werden mussten.

„William! Warum kommt denn da keiner?“, rief Bertram noch einmal, so laut er nur konnte. Mit Verbitterung stellte er fest, dass der Wind seine Worte forttrug.

Also machte er kehrt, ging zum Hauseingang hinüber und ließ den Türklopfer aus Messing mehrmals so heftig gegen das Türblatt donnern, dass man es im Inneren unmöglich überhören konnte. Dennoch rührte sich nichts. Wenn nicht Rauch aus einzelnen Kaminen aufgestiegen wäre, hätte er annehmen müssen, dass nicht nur er es gewesen war, der Lancroft Abbey vor langer Zeit verlassen hatte, sondern dass das Anwesen gänzlich verwaist war. Der Rauch jedoch zeugt davon, dass es Feuer in Kaminen gibt, dachte er, um sich selbst zuversichtlicher zu stimmen. Wo es Feuer in Kaminen gab, da gab es für gewöhnlich auch Menschen. Er trat einige Schritte vom Haus weg, um die Fenster im ersten Stock zu inspizieren. Seine Mutter hätte doch schon längst vom Schreibtisch aufstehen müssen, wo sie für gewöhnlich saß, um eines der vielen Bücher der Guts- oder Hausverwaltung zu kontrollieren. Wenn sie ihm schon nicht freudestrahlend entgegenkam, warum war sie dann nicht zumindest an eine der Scheiben getreten und hatte den Vorhang einen Spaltbreit zur Seite geschoben, um nachzusehen, wem die Kutsche gehörte und wer da vor dem Haus so unelegant herumschrie? Doch die Gardinen bewegten sich nicht.

Der Viscount spürte nun, neben seiner Verbitterung, auch die Enttäuschung eines kleinen Kindes, für das man am Weihnachtsabend vergessen hatte, ein Geschenk zu besorgen. In jenen langen Stunden an Bord des Schiffes, das ihn in die Heimat zurückgebracht hatte, als die Wellen gegen den Rumpf peitschten und der Wind so laut tobte, dass man sein eigenes Wort kaum verstand, da hatte er in seiner Koje gelegen und sich die Szene seiner Heimkehr in den buntesten Farben ausgemalt. Während die Öllampe mit knarzenden Geräuschen beängstigend hin- und hergeschwungen war, hatte er sich ausgemalt, wie es sein würde, wieder im gemütlichen Wohnzimmer von Lancroft Abbey zu sitzen und unter einem der ausladenden Gobelins der staunenden Zuhörerschar von seinen Erlebnissen auf dem Kontinent zu berichten. Alle hätten sich gefreut, dass er wieder gesund und munter unter ihnen war und sich nun seinen Pflichten als Gutsherr und Erbe stellen wollte. Bertram schnaufte unwillig. Das war ja ein großartiger Anfang seiner Laufbahn als Hausherr, wenn es niemand für notwendig hielt, ihm auch nur die Tür zu öffnen. Ja, mehr noch, wenn man ihn einfach auf dem kalten Vorplatz stehen und frieren ließ, als wäre er ein ungebetener Wanderarbeiter.

„William!“, brüllte er ein weiteres Mal und schlug die Arme vor dem Körper zusammen, als könnte er damit die Kälte vertreiben. Wo blieb der Bursche bloß? Wo war der Butler? Warum hörten ihn seine Familienmitglieder nicht? Er hatte sein Kommen doch angekündigt! In jenem Brief, in dem er sie auch gebeten hatte …

„William haben wir hier keinen mehr. Der ist letztes Jahr nach Tunbridge gezogen. Wegen irgendeiner Tante oder Cousine, so genau weiß ich das auch nicht.“

Bertram fuhr herum und sah einen Burschen aus Richtung der Stallungen auf sich zukommen, der sich die Hände an einer klobigen, braunen Schürze abwischte. Er schien es nicht eilig zu haben, sich nach seinen Wünschen zu erkundigen. Diesen jungen Stallknecht hatte er noch nie gesehen.

„Mit Verlaub, ich halte es für keine gute Idee, die Pferde einfach so in der Kälte herumstehen zu lassen, Sir“, hörte er ihn sagen. „Das bekommt ihnen nicht.“

„Großartiger Ratschlag“, entfuhr es Bertram, der sonst eher nicht zu Sarkasmus neigte. „Vielleicht hätte er die Güte, sich um die Rösser zu kümmern, statt hier kluge Reden zu halten? Sie müssen nach Wadhurst zurückgebracht werden. Doch ich denke, dafür ist morgen auch noch Zeit.“

„Und ich denke, das können Sie gleich selbst erledigen, Sir“, meinte der Bursche und klopfte einem der Tiere aufmunternd auf den Hals. „Wir empfangen nämlich nicht.“

„So, tun wir das nicht?“ Bertram verspürte zunehmend Gefallen an sarkastischen Kommentaren.

Der Stallbursche schüttelte den Kopf. „Nein. Die alte …“ Ein strenges Heben zweier Augenbrauen ließ ihm eine Korrektur empfehlenswert erscheinen. „Ich wollte sagen, die verwitwete Viscountess Panswick ist nicht im Haus. Und unser Herr, der nämlich der Viscount Panswick ist, wird erst in ein oder zwei Tagen zurückerwartet. Wenn Sie also bis dahin mit einem Gasthaus vorliebnehmen wollen, Sir? Oder vielleicht doch besser gleich nach Wadhurst zurück…“

„Wo ist Shipton?“, unterbrach ihn Bertram.

„Mr Shipton“, antwortete der Bursche und legte die Betonung seiner Worte auf Mister, so als stünde es ihm zu, den ungebetenen Gast in die Schranken zu weisen, „hat sich zwei Tage freigenommen, Sir. Seine Nichte heiratet nämlich heute unten in Rotherfield. Er kommt am Abend zurück, rechtzeitig, um alles für unseren … Ah, guten Tag, Mylady. Ich wusste nicht, dass Sie im Haus sind, denn ich habe gar kein Pferd gesehen. Kann ich etwas für Sie tun?“

Auf diese Worte konnte sich Bertram zuerst keinen Reim machen, doch dann folgte er dem schwärmerischen Blick des Burschen zum Haus zurück. Überraschung wäre eine äußerst untertriebene Bezeichnung für das Gefühl gewesen, das ihn dabei ergriff. Entgeisterung traf es wohl eher. In der offenen Tür stand das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie war zierlich und klein. Unter dem Husarenmantel aus blaugrauem Samt lugte ein Tageskleid hervor, das Blumen im selben Farbton aufwies. Die Farbe ihrer hochmodischen Kleidung verstärkte das strahlende Blau ihrer Augen. In der Hand hielt sie, neben einem Paar kalbslederner Handschuhe, auch einen hohen Reithut. Ihre blonden Haare mochten wohl einmal fein säuberlich aufgesteckt gewesen sein, doch jetzt hatten sich einige Locken selbstständig gemacht und ringelten sich an den Schläfen. Als die entzückende junge Dame ihn sah, röteten sich ihre Wangen und mit einem jubelnden Aufschrei stürzte sie sich auf ihn. Er war so verdutzt, dass er, ohne nachzudenken, die Arme öffnete, um sie zu umfangen. Während sein Herz wie verrückt klopfte, fragte er sich bitter, welcher seiner Verwandten ihm einen derart bösen Streich spielen mochte.

Die perfekte Braut

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