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Kapitel 2

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Vier Wochen vorher

Januar 1822

Hillcroft Place, in der Nachbarschaft von Lancroft Abbey, Kent

„Mein lieber Freund, hören Sie gut zu, jetzt wird es interessant …“

Bevor Bertrams Mutter, die verwitwete Viscountess Panswick, den letzten Absatz des Briefes ihres Sohnes vorlesen konnte, nahm sie zuerst den Zwicker von der Nase, um ihn mit einem Taschentuch aus feinem Batist zu reinigen, das sie aus der eingenähten Tasche ihres flaschengrünen Tageskleids gezogen hatte. Zum einen galt es, Fingerabdrücke zu entfernen, die das Lesen erschwerten, zum anderen beabsichtigte sie damit, die Dramatik ihres Vortrags noch weiter zu steigern.

„Also, ich fand bereits Panswicks Schilderungen über die Zustände in Preußen durchaus interessant“, meinte ihr Gegenüber, Baron Glanshowe, und klopfte mit seiner emaillierten Schnupftabakdose dreimal auf die Platte des kleinen Tischchens neben seiner Armlehne. Dann öffnete er die Dose routiniert mit dem linken Daumennagel und entnahm ihr eine Prise, die er geräuschvoll in eines seiner Nasenlöcher zog. „Ich bedaure es immer noch, dass er nicht bereits im letzten Jahr Lancroft Abbey einen Besuch abgestattet hat, wie er dies ursprünglich geplant hatte. Ich hätte den jungen Spund herzlich gern hierher eingeladen, um ihm ins Gewissen zu reden. Wie lange will er Sie denn noch so über Gebühr belasten, meine Teure? Es ist doch unerträglich, dass er keine seiner Pflichten wahrnimmt und sich …“

Ein strenger Blick ließ ihn den Satz nicht vollenden. Stattdessen murmelte er ein begütigendes: „Ich weiß. Ich bin ja schon still, meine Liebe.“

Er tätschelte ihre Hand und freute sich, dass sie ihn gewähren ließ. Nach dem Tod seiner Gattin vor einigen Monaten waren die Besuche von Lady Panswick der einzige Lichtblick in seinem Leben. Sie zu erzürnen war daher das Letzte, was er im Sinn hatte. Außerdem hatten sie diese Unterhaltung über ihren Sohn schon mehrmals geführt, und immer wieder hatte die Viscountess darauf bestanden, dass es ihre eigene Entscheidung gewesen war, ihrem Ältesten die diplomatische Laufbahn zu ermöglichen. Und dass sie es nicht schätzte, wenn man diese in Zweifel zog.

„Vor sieben Jahren war er noch zu jung und zu unerfahren, um Lancroft Abbey zu leiten“, fühlte sie sich zu einer Erklärung veranlasst. „Seine Unruhe und sein Entdeckergeist mussten erst befriedigt, sein Urteilsvermögen gestärkt werden, bevor er hier Verantwortung übernehmen konnte.“

Das hatte sie Glanshowe bereits mehrmals erklärt. Obwohl er sie vor sieben Jahren, als Panswick die Insel in Richtung Kontinent verließ, noch gar nicht gekannt hatte, durchschaute er sie in der Zwischenzeit gut genug, um zu wissen, dass auch sie damals noch nicht bereit gewesen war, die Zügel aus der Hand zu geben. Er hoffte inständig, dass dies mittlerweile der Fall sein würde, und tätschelte abermals liebevoll ihre Hand. „Ich wünsche mir nur, dass Sie künftig mehr Zeit für mich haben, das ist alles, meine Teuerste. Sie wissen, ich würde Sie am liebsten den ganzen Tag um mich haben.“

Bei diesen Worten schlich sich ein zartes Rot über Lady Panswicks Wangen. Wäre eines ihrer Kinder anwesend gewesen, ihm wären wohl vor Erstaunen die Augen aus den Höhlen gefallen.

Vom Erröten abgesehen, hätte ein unbeteiligter Beobachter die Gesprächspartner für Geschwister halten können. Beide waren weißhaarig, was der Tatsache entsprach, dass sie längst in der zweiten Hälfte ihres Lebens standen. Sie waren groß und hager und dem Landleben entsprechend praktisch gekleidet. Der Leinenrock seiner Lordschaft war, ebenso wie die altmodischen Kniebundhosen, ganz in Schwarz gehalten, was ihn deutlich als Witwer auswies. Seit Kurzem trug er jedoch die Weste in einem satten Violettton, als Zeichen dafür, dass der Tod seiner Gattin nun schon länger als ein halbes Jahr zurücklag und er die strenge Trauerzeit als beendet betrachtete.

Das Ehepaar Glanshowe war, begleitet von der Schwester der Baronin, vor wenigen Jahren in die Nachbarschaft von Lancroft Abbey gezogen. Die Viscountess hatte einen Anstandsbesuch absolviert und war, wie die selige Baronin es in dem ihr eigenen Humor auszudrücken pflegte, „fortan quasi auf Hillcroft eingezogen“. Da sich die vier auf Anhieb gut verstanden hatten, traf man sich regelmäßig zum Tee, spielte Karten und diskutierte über König, Gott und die Welt. Als die beiden Schwestern im letzten Jahr an einer schweren Influenza erkrankten, war die Viscountess aufopfernd an ihrer Seite. Als sie starben, organisierte sie die Beerdigungen und unterstützte den einsamen Witwer fortan in allen Belangen der Haushaltsführung. Vor allem aber leistete sie ihm Gesellschaft. Da ihnen die Spielpartner fehlten, hatten sie die Karten längst mit dem Schachbrett vertauscht, und da es ohnehin vor allem sie beide gewesen waren, die die Gespräche am Laufen gehalten hatten, als sie noch zu viert waren, flossen die Unterhaltungen fast ebenso lebhaft dahin wie in der fröhlichen Zeit vor der Erkrankung der beiden Damen. Dass der Baron oft alte Geschichten aufwärmte, in denen seine verstorbene Gattin die Hauptrolle spielte, störte die Viscountess nicht, hatte sie in ihr doch selbst eine gute Freundin gefunden gehabt.

Hätte man Lady Panswick gefragt, in welcher Beziehung sie zum Baron stand, so hätte sie ernsthafte Probleme gehabt, dies zu definieren. Aber zum Glück war niemand da, der sie das fragte. Von ihren Kindern lebte allein ihre zweitälteste Tochter Penelope in der Nähe. Doch die war mit ihrer eigenen Familie, den Schafen, dem Mischen von Heilmitteln und ihren medizinischen Studien viel zu beschäftigt, als dass sie sich Gedanken über die Bekanntschaften ihrer Mutter gemacht hätte.

„Also, lieber Freund“, sagte ihre Ladyschaft nun, nachdem der Zwicker wieder an seinem Platz saß, „mein Sohn Panswick schreibt: Ich kann Mama nicht oft und nicht genug dafür danken, dass sie mir das Leben ermöglichte, das ich die letzten achtundzwanzig Lenze führen durfte, …“

„Hört, hört …“, murmelte seine Lordschaft, was ihm wieder einen tadelnden Blick einbrachte. Wenn es um eines ihrer Kinder ging, da duldete ihre Ladyschaft keine Kritik von außerhalb der Familie. Nicht einmal von ihm. Offensichtlich wusste sie nicht, ob er diese Worte anerkennend oder ironisch gemeint hatte. Er wusste es ja selbst nicht.

„Doch damit ist in Kürze Schluss“, las die Viscountess weiter. „Ich habe für den 18. Februar die Passage auf einem Schiff gebucht, das mich nach Dover bringen wird, wo ich drei Nächte bei meinem Bruder Nicolas zu verbringen gedenke, um seine mir ja leider noch unbekannte Gattin Claire und ihre Familie kennenzulernen. Wahrscheinlich am 23., spätestens jedoch am 24. Februar werde ich auf Lancroft Abbey eintreffen und kann es gar nicht erwarten, Euch alle nach so langer Zeit wieder in die Arme zu schließen. Zu diesem Zeitpunkt werde ich bereits den diplomatischen Dienst quittiert haben und auf Lancroft Abbey all meine Aufgaben aus den kundigen Händen von Mama übernehmen. Um diese Pflichten jedoch bestmöglich zu meistern …“ Die Viscountess unterbrach sich und sah kurz zu ihrem Gastgeber hinüber, um ihm zu signalisieren, dass nun etwas besonders Bemerkenswertes folgen würde. „Jetzt kommt es“, fügte sie zur Sicherheit auch noch hinzu. „… brauche ich eine passende Gattin an meiner Seite.“

Daran fand seine Lordschaft nichts Ungewöhnliches. Lady Panswick nippte an ihrem Tee, bevor sie fortfuhr: „So schwer es mir auch fällt, dies zuzugeben, so hat die Vergangenheit gezeigt, dass ich meinem Urteil bei der Partnerwahl nicht trauen kann. Ihr kennt mich so gut wie niemand anderes. Wahrscheinlich kennt Ihr mich besser, als ich mich selbst kenne. Und, was in diesem Zusammenhang fast noch wichtiger ist, Ihr kennt und liebt Lancroft Abbey. Niemand weiß so gut wie Ihr, welche Eigenschaften und Talente die zukünftige Viscountess mitbringen muss, um mit mir gemeinsam die Zukunft unserer geliebten Heimat abzusichern.“

Die Viscountess hielt kurz inne, nahm den Zwicker ab und massierte die roten Druckstellen auf der Nase. Dabei sah sie erwartungsvoll zu ihrem Gastgeber hinüber.

„Das klingt doch sehr vernünftig“, meinte dieser und ließ abermals die Schnupftabakdose aufschnappen. „Die Ehe zwischen meiner Frau und mir kam durch einen Pakt zwischen ihrem Vater und meinen Vormund zustande – und sieh uns an! Wir waren mehr als fünfunddreißig Jahre verheiratet und sind, wie Sie wohl selbst bemerkt haben, meine Liebe, gut miteinander ausgekommen. Bittet Sie Ihr Sohn, ihm eine passende Braut zu suchen?“

Wieder nahm er eine kräftige Prise und schnäuzte sich dann ausgiebig.

„Nicht nur mich“, informierte ihn die Viscountess und griff wieder zum Zwicker, „uns alle. Hören Sie nur …“ Sie las weiter: „Überlegt Euch bitte, welche junge Dame als perfekte Braut zu mir passen könnte. Trefft Eure Wahl und bringt die junge Dame bereits im Februar nach Lancroft Abbey mit, wenn wir alle unser Wiedersehen feiern. Eure Zustimmung vorausgesetzt, möchte ich gern zwei oder besser drei Wochen mit Euch allen und den jungen Damen verbringen. So kann ich die Mädchen näher kennenlernen und in Ruhe meine Auswahl treffen. Außerdem habe ich Euch, meine liebe Familie, an der Seite, wenn ich mich wieder an das Leben in der Heimat gewöhne. Ihr ahnt nicht, wie oft und innig ich Euch alle vermisst habe.“

Die Viscountess griff wieder zur Teetasse. Nie hätte sie zugegeben, dass sie bei diesen Worten schlucken musste. Also las sie schnell weiter: „Im Anschluss an diese Wochen wird es einen Frühlingsball geben. Ich hoffe, Mama, Du findest es nicht vermessen, dass ich Dich bitte, diesen vorzubereiten. Auf dem werde ich, wenn alles in meinem Sinne läuft, meine Verlobung bekannt geben. Ihr merkt, wie sehr ich Eurem Urteil vertraue, ich möchte die Auswahl der perfekten Braut allein Euch überlassen. Nun noch etwas besonders Wichtiges …“ Ihre Ladyschaft sah hoch und informierte den Baron, dass ihr Sohn es für nötig gehalten hatte, dieses Wort dreimal zu unterstreichen. „Aufgrund meiner schmerzhaften Erfahrungen in der Vergangenheit gibt es einige Einschränkungen, die ich Euch zu beachten bitte. Bei der Auserwählten darf es sich keinesfalls um die Tochter eines Herzogs handeln …“ Sie sah hoch. „Bertram hatte einst ein Tendre für … der Name tut nichts zur Sache. Sie war eine Herzogstochter. Es ging nicht gut aus“, murmelte sie, mehr zu sich selbst, als um den Baron zu informieren. „Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: … keinesfalls um die Tochter eines Herzogs handeln, da diese von Geburt an so sträflich verwöhnt werden, dass sie dem Landleben nichts abgewinnen können und sich stets, trotz etwaiger gegenteiliger Beteuerungen, nach den glänzenden Bällen und sonstigen gesellschaftlichen Vergnügungen der Hauptstadt sehnen. Die Braut darf weder klein und zierlich sein noch blond, und sie darf auf keinen Fall – diese Worte hat mein Sohn abermals mehrfach unterstrichen – vergissmeinnichtblaue Augen haben.“

Sie hielt abermals inne und ließ das Schreiben sinken. „Ich verstehe nicht, was die Farbe der Haare oder gar der Augen für eine Rolle spielen soll, aber das andere erscheint mir vernünftig“, lautete ihr Kommentar. „Es braucht Zähigkeit, Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen, wenn man dieser verantwortungsvollen Rolle gewachsen sein will. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Auch wenn unser neuer Verwalter recht tüchtig zu sein scheint, braucht der Viscount eine robuste Frau an seiner Seite. Eine, die sich nicht für Modefirlefanz interessiert und den ach so schönen Künsten hingibt, sondern die auch mal zupacken kann, wenn Not am Mann ist. Sie muss bereit sein zu lernen, wie man Dienstboten führt und sich Respekt durch Wissen, Umsicht, aber auch durch Gerechtigkeit erwirbt.“ Lady Panswick überlegte kurz, bevor sie fortfuhr: „Am besten wäre natürlich, sie brächte bereits gewisse Grundkenntnisse mit, aber das ist bei den jungen Damen heutzutage wahrscheinlich zu viel verlangt. Außerdem muss sie natürlich mit einem Gig kutschieren können und sich sicher im Sattel halten. Unsere Besitzungen sind weitläufig …“

„Ich denke …“, seine Lordschaft drehte nachdenklich die emaillierte Schnupftabakdose zwischen den Fingern, „da wüsste ich jemanden, den ich Ihnen empfehlen könnte.“

„… und es ist wichtig, dass sie regelmäßig bei den Pächtern vorbeischaut“, setzte die Viscountess, ganz in Gedanken, ihre Aufzählung fort. Dann hielt sie jedoch abrupt inne, denn seine Worte waren nun bis zu ihr durchgedrungen. „Tatsächlich? Wen meinen Sie, mein lieber Glanshowe? Kenne ich die junge Dame? Sie lebt doch nicht etwa hier in der Gegend?“

Der Baron schüttelte den Kopf. „Nein. Sie kommt aus dem Umkreis von Oxford, aus Kennington, um genau zu sein. Es handelt sich um meine Nichte Lucille. Sie ist nicht nur eine tüchtige junge Dame, sie ist auch aus erstklassigem Stall. Ihr Vater ist mein seltsamer Cousin Hayloft.“

Die Viscountess hatte sich vorgebeugt, höchst interessiert, Näheres über die junge Dame zu erfahren. Nun war sie für einen kurzen Augenblick abgelenkt. „Hayloft? Hayloft? Sie sprechen doch nicht etwa vom Earl?“

„Von eben diesem“, bestätigte ihr Gesprächspartner, und es klang nicht wirklich begeistert.

Ihre Ladyschaft hingegen hätte nicht begeisterter sein können.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie mit einem Earl verwandt sind, mein Lieber. Ich kenne den derzeitigen zwar nicht persönlich, bin aber seinem Vater vor vielen Jahren einmal auf einem Jagdempfang begegnet. Das war so um 1805, als Panswick, also mein Mann, noch lebte. Damals war der Earl schon reichlich betagt, schien mir aber ein äußerst seriöser und angenehmer Gentleman zu sein, der besonders viel Wert auf Moral und Anstand legte, wenn ich mich richtig entsinne. Warum nennen Sie seinen Sohn seltsam?“

„Ihre Worte beschreiben meinen Onkel Hayloft recht gut, meine Liebe, ich bewundere Ihr Erinnerungsvermögen. Sie müssen wissen, dass mein armer Vater verstarb, als ich noch kurze Hosen trug, was den Earl für lange Zeit zu meinem Vormund machte.“ Er schwieg, seufzte und hob nachdenklich die Augenbrauen, ehe er fortfuhr: „Ich gebe es nur ungern zu, aber in all den Jahren beschlich mich stets das Gefühl, dass er mich seinem eigenen Sohn vorzog. Das war vielleicht insofern verständlich, da ich, im Gegensatz zu meinem Cousin Cedric, in Eton ein ebenso fleißiger Schüler war wie später ein lernbegeisterter Student in Oxford. Mir machte es nichts aus, mich an Onkels strenge Anweisungen zu halten, entsprachen sie doch im Großen und Ganzen meinen eigenen Überzeugungen und meinem ernsthaften Wesen. Cedric sah das ein wenig anders.“

„Ihr Cousin war also ein Versager und daher eine bittere Enttäuschung für den armen Earl?“, schloss ihre Ladyschaft messerscharf. Der Baron schüttelte zuerst den Kopf, bevor er das Gesicht verzog und zu nicken begann. „Ja und nein, meine Liebe. Seine Prüfungen bestand er mit Bravour. Mein Onkel hätte also allen Grund gehabt, auch auf ihn stolz zu sein. Stattdessen hielt er ihm vor, dass er die erstklassigen Zensuren weniger dem ernsthaften Studium der Bücher verdankte als seinem Charme und seiner raschen Auffassungsgabe. Was aber noch viel schwerer wog: Cedric fühlte sich schon als Junge der Kunst verpflichtet. Er malt.“

„Du lieber Himmel!“ Lady Panswick verstand sofort, welchen Kummer der alte Earl verspürt haben musste. „Ein Earl! Der hat doch wahrhaft andere Pflichten, als den Tag mit Pinsel und Farbe zu vergeuden.“

„Sie sagen es, Sie sagen es!“ Der Baron fand es wieder einmal an der Zeit, Myladys Rechte kurz zu drücken. „Dann kam der Tag, an dem sich mein Cousin verliebte …“

„In eine völlig unpassende Frau, möchte ich wetten.“

„Sie sagen es, Sie sagen es!“, wiederholte er. „Aus verarmtem Landadel, soweit ich mich erinnere. Ich habe die junge Dame nie persönlich kennengelernt. Beide waren noch viel zu jung, um eine Entscheidung von solch großer Reichweite treffen zu können, dennoch haben sie sich heimlich verlobt.“

„Du lieber Himmel!“, wiederholte nun auch die Viscountess.

„Mein Onkel erfuhr zum Glück rechtzeitig von dieser unpassenden Verbindung und arrangierte Cedrics Vermählung mit Deidre, der Tochter seines besten Freundes. Wie ich hörte, war sie das absolute Gegenteil der heimlichen Verlobten. Diese hatte Cedrics Begeisterung für die schönen Dinge geteilt und war, wie Onkel es nannte, ein Flattervogel, was immer er damit genau ausdrücken wollte. Deidre hingegen war bodenständig und solide. In der Ehe waren die Aufgaben dann klar verteilt: Sie kümmerte sich um das Anwesen, er sich um die Malerei. Nachdem sie ihm als zweites Kind einen Sohn und Erben geboren hatte, blieben beide zwar weiter in Hayloft House wohnen, gingen jedoch getrennte Wege.“

Die Viscountess nickte. Was hatte sie nur selbst für ein Glück gehabt! Auch ihr war es überlassen gewesen, sich um das Anwesen zu kümmern, während ihr Gatte fast ausschließlich an den Expeditionen ihres Neffen interessiert war. Er hatte zwar dafür fast das ganze ererbte Vermögen verschleudert, aber zumindest konnten sie stets gut miteinander reden. Und was noch wichtiger war: Panswick hatte nicht gemalt!

„Eines nebligen Herbsttages vor fünf Jahren verunglückte Deidre mit dem Gig“, fuhr der Baron fort. „Sie war seither gelähmt und auch nicht mehr ganz richtig im Kopf. Also wurde es nichts mit dem geplanten Debüt meiner Nichte Lucille in London. Im Gegenteil, sie musste über Nacht erwachsen werden und in die Fußstapfen ihrer Mutter treten.“

„Und der Earl?“

Der Baron zuckte mit den Schultern. „Der hat wohl weitergemalt“, sagte er trocken.

Ihre Ladyschaft ließ ein bellendes Lachen hören, bevor sie sich ihm mit ernster Miene zuwandte. „Sie meinen also, dass die Tochter so eines Malers, Earl hin oder her, die passende Gattin für meinen ältesten Sohn und Erben abgeben könnte? Kann sie denn ihre versehrte Mutter allein lassen?“ Die Skepsis der Viscountess war unüberhörbar.

„Zu Ihrer zweiten Frage muss ich Sie informieren, dass Deidre vor einem Jahr gestorben ist. Leider, oder wie ich so frei bin, Ihnen zu gestehen, zum Glück für alle Beteiligten. Was die erste Frage betrifft, so lautet meine Antwort aus ganzem Herzen: aber gewiss, meine Liebe.“

Je länger der Baron über seine spontane Idee nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. „Da die Mutter das Krankenlager hüten musste und der Vater sich weigerte, mehr Pflichten als unbedingt nötig zu übernehmen, musste Lucille die Verantwortung tragen. Der langjährige Verwalter, auf den Deidre vor ihrem Unfall große Stücke gehalten hatte, stand ihr dabei bis zu seinem Tod zur Seite. Von ihm bekam sie eine umfassende Ausbildung in allen relevanten Belangen. Mit zweiundzwanzig übernahm sie allein das Ruder in ihrem Elternhaus und leitet Gut und Haushalt seither höchst erfolgreich.“

Ihre Ladyschaft erwog diese Worte und fühlte sich noch ein wenig mehr an sich selbst erinnert. Seit einem halben Jahr hatte sie allerdings mit Mr Buxhall einen neuen Verwalter. Inzwischen hat er viele Aufgaben an sich gerissen, und sie hatte ihn gewähren lassen. Er war ein gebildeter, fleißiger Mann, zudem aus gutem Haus, ja sogar über ein paar Ecken mit ihrem ältesten Schwiegersohn, dem Earl of Derryhill verwandt. Es fiel ihr allerdings schwer, sich mit seinen modernen Ansichten anzufreunden. Sie konnte nur hoffen, dass Bertram damit besser zurechtkommen würde. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken, denn eine andere Frage war vorrangig: „Wenn dem so ist, wie Sie sagen, mein Freund, dann ist doch Ihre Nichte im Haus des Vaters unabkömmlich. Sie kann doch nicht mit Panswick verheiratet sein, sich um Lancroft Abbey kümmern und gleichzeitig auf Hayloft House nach dem Rechten sehen!“

„Das ist mir bewusst, meine Liebe. Müsste sie das, hätte ich Ihnen den Vorschlag nicht unterbreitet. Wie mir Lucille in ihrem letzten Brief verriet, trägt sich jedoch ihr jüngerer Bruder Wilbur mit dem Gedanken, auf Brautschau zu gehen. Dankbarkeit ist ihm ein Fremdwort. Im Gegenteil: Er erwartet, dass seine Schwester das Haus verlässt, sobald die Hochzeitsglocken läuten, um Platz für die künftige Lady Hayloft zu machen.“

„Sie mögen ihn nicht.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Nicht im Geringsten“, gab er unumwunden zu. „Er ist ein arroganter junger Stutzer. Ich mochte ihn allerdings schon nicht, als er noch kurze Hosen trug. Wie auch immer: Gut aussehend und reich, wie er nun mal ist, wird es nicht mehr lange dauern, bis er eine passende Braut gefunden hat, und dann wird wiederum das freudige Ereignis nicht allzu lange auf sich warten lassen.“

„Ich verstehe“, sagte ihre Ladyschaft, die diese Überlegung für vernünftig hielt. „Die Aussicht auf den hohen Titel wird die Brautschau auch nicht gerade erschweren.“

Der Baron lachte auf und meinte, dass das anzunehmen wäre.

Dann vergingen ein paar schweigsame Minuten, bevor sich die Viscountess mit beiden Händen auf den Schoß klopfte, als deutliches Zeichen, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. „Ich vertraue Ihrem Urteil, Glanshowe. Wenn Sie sagen, Ihre Nichte sei die ideale Gattin für meinen Sohn, dann glaube ich Ihnen.“ Sie zögerte kurz. „Die junge Lady ist doch nicht allzu unerfreulich anzusehen, nicht wahr? Keine blonden Haare, keine … wie hat er geschrieben? Keine irgendwie blauen Augen?“

Der Baron beeilte sich, diese Bedenken zu zerstreuen. „Die Haare sind dunkel, aber ich bitte um Verständnis, dass sich ihre Augenfarbe meiner Kenntnis entzieht.“

„Ja, ja, ist schon in Ordnung, daran wird es wohl nicht scheitern. Ich denke, man kann überdies davon ausgehen, dass das Benehmen einwandfrei und der Ruf unbefleckt ist …“

„Selbstverständlich kann man das.“

„Dann soll es so sein. Ich werde gleich morgen früh eine passende Einladung formulieren und einen Boten nach Oxford schicken. Wir haben schließlich keine Zeit zu verlieren.“

Laut und deutlich durchschlug ein Gong die ruhige Atmosphäre des Salons. Die Blicke des Barons schnellten zur kleinen Marmoruhr auf dem Kaminsims hinüber. „Wie schnell doch die Stunden vergehen, wenn Sie mir Gesellschaft leisten, liebe Viscountess“, sagte er. Er erhob sich, als er merkte, dass ihre Ladyschaft bereits behände aus ihrem Lehnsessel hochgeschnellt war.

„Nun denn, dann wird es wohl Zeit für mich, Sie zu ersuchen, die Pferde anspannen zu lassen und …“, begann sie.

„Es sei denn“, unterbrach sie der Baron, „Sie hätten die Güte, auch beim Abendessen an meiner Seite zu bleiben. Dann würde selbstverständlich auch ich auf das Umkleiden verzichten, und …“

„Sehr gut“, ihre Ladyschaft sank wieder auf den Sitz zurück. „Ich bin froh, dass Sie mich das fragen. Natürlich bleibe ich gerne noch ein wenig hier, um Ihnen Gesellschaft zu leisten. Ihre Köchin versteht es, wahre Wunder zu vollbringen, und außerdem kann ich es gar nicht erwarten, noch mehr über ihre Nichte zu erfahren. Was denken Sie, wen wird sie zu ihrer Begleitung mitbringen? Wer ist ihre Duenna? Kennen Sie sie? Ist das eine angenehme Frau?“

„Geben Sie bitte in der Küche Bescheid“, sagte seine Lordschaft zum Butler, der eingetreten war, um ihn an den Gong zu erinnern. „Ihre Ladyschaft wird mir beim Essen Gesellschaft leisten.“

„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte er. „Ach ja, bei der Anstandsdame. Lucille hat keine. Da sie im Haus ihres Vaters lebt und sich nur in dessen Umkreis bewegt, hat man beschlossen, darauf zu verzichten. Andererseits werden wir wohl mit der Anwesenheit des Earls rechnen müssen.“

„Das soll mir recht sein“, meinte die Viscountess. „Wir haben eine Mehrheit an Ladys, da bin ich um jeden Gentleman froh, der die Zahl bei Tisch ausgleicht. Da mein Sohn diesen besagten Brief“, sie deutete auf das Schreiben vor sich auf dem Beistelltisch, „auch an seine Schwestern und seine Cousine Agatha geschickt hat, ist davon auszugehen, dass Ihre Lucille nicht die einzig mögliche Kandidatin bleiben wird. Also ist die Anwesenheit eines weiteren Gentlemans durchaus willkommen. Selbst wenn es ein Maler ist“, fügte sie hinzu und brachte ihn damit zum Schmunzeln.

„Gilt das auch, wenn er seine Staffelei mitbringt und ein bisweilen verschrobener Kauz ist?“, vergewisserte er sich.

„Selbst dann“, antwortete sie leichthin. „Es gibt wahrlich Schlimmeres.“

Die perfekte Braut

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