Читать книгу Die perfekte Braut - Sophia Farago - Страница 11
Kapitel 4
ОглавлениеDrei Wochen vorher
Ende Januar 1822
White Rose Hill, Kent
„Heute ist wahrlich der Tag der bemerkenswerten Briefe.“
Mrs Penelope Markfield, Bertrams zweitälteste Schwester, hatte es sich mit der ganzen Familie im behaglichen Wohnzimmer ihres Landhauses White Rose Hill gemütlich gemacht. Das Feuer prasselte im Kamin und sie nippte an einer großen Tasse heißer Schokolade, die auch ihre Finger auf das Erfreulichste wärmte. Auf der Bank ihr gegenüber saß ihr Gatte Henry Bernard mit jeweils einem der kleinen Söhne auf jedem Knie.
„Schneller, Pferdchen!“, forderte der eine.
„Festhalten, Jungs!“, befahl der Vater. Dann begann er, so schnell er konnte mit den Füßen zu trampeln, sodass die Buben wie in einem wilden Ritt immer wieder in die Luft geworfen wurden und glockenhelle Jubelschreie den Raum erfüllten. Dieser Lärm rief die Nanny auf den Plan, die die Buben zum Abendessen abholte. Nach vielen Umarmungen und Küssen und dem Versprechen der Eltern, später noch im Kinderzimmer vorbeizusehen, ließen sich die beiden aus dem Raum führen.
Penelope stand auf und setzte sich zu ihrem Mann, der sie sofort in die Arme zog.
„Was habe ich bloß für ein Glück!“ Sie lächelte zu ihm empor.
„Das Glück ist ganz auf meiner Seite.“ Er lächelte zurück, bevor er ihr einen innigen Kuss auf die Lippen drückte.
„Wie war das mit den Briefen?“, fragte er schließlich, als sich seine Gattin an seine Schulter gelehnt hatte. Penelope beugte sich vor und fischte nach dem ersten der beiden Schreiben.
„Dieser hier kam heute von der Abbey herüber. Er stammt von Bertram und ist an Mama und uns adressiert. Wenn man das Datum betrachtet, könnte er bereits geraume Zeit bei Mutter gelegen sein. Außerdem ist er völlig verknittert und hat schon so manche Spritzer ihres Lieblingstees abbekommen. Aber egal – Hauptsache ist, dass der Grund des Briefes ein höchst erfreulicher ist.“
Sie reichte ihrem Gatten das Schreiben. Er zog den Arm von ihrer Schulter, griff danach und begann zu lesen.
„Oh, das freut mich! Wie schön, dass Panswick wieder nach Hause kommt. Das ist nach sieben Jahren auch schon höchst an der Zeit. Ich habe das Gefühl, die Viscountess kann es gar nicht mehr erwarten, die Geschicke von Lancroft Abbey in seine Hände zu legen.“
„Meinst du?“ Penelopes Stimme klang nicht überzeugt. „Bist du dir denn sicher, dass sie auch tatsächlich loslassen wird? Wird sie nicht trotz seiner Rückkehr die Zügel in der Hand behalten wollen?“
Henry Bernard Markfield überlegte nicht lange. „Vor ein, zwei Jahren hätte ich dir noch recht gegeben, Lämmchen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Jetzt ist deine Mutter viel öfter auf Hillcroft Place zu finden als an ihrem eigenen Schreibtisch. Statt mit ihrem Gig über die Ländereien zu kutschieren, um selbst nach dem Rechten zu sehen, lässt sie den Verwalter viel freier schalten und walten, als sie das seinem Vorgänger gestattet hatte. Andererseits erwähnte Buxhall erst neulich so ganz nebenbei, dass sich ihre Ladyschaft scheue, Entscheidungen zu treffen, was die Modernisierung der Bewässerung anbelangt. Dabei besteht anscheinend dringender Handlungsbedarf.“
Penelope rückte von ihm ab. „Soll das heißen, der neue Verwalter von Lancroft Abbey hat sich bei dir über Mama beschwert? Das hättest du nicht zulassen dürfen, Henry.“
Er lehnte sich vor und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn. Zu gut kannte er die Loyalität der Barnetts untereinander. „Beruhige dich, meine Liebe, Mr Buxhall hat sich nicht beschwert, wir haben uns lediglich vor ein paar Tagen, als wir gemeinsam den Weidezaun zwischen unseren beiden Landgütern inspizierten, darüber unterhalten.“
Seine Gattin war offensichtlich wieder besänftigt, denn sie lehnte sich an den Platz an seiner Schulter zurück.
„Wenn du deine Nase nicht immer in heilkundige Bücher stecken würdest oder mit der Verarbeitung von Kräutern beschäftigt wärst, Lämmchen, dann hättest du längst mitbekommen, dass sich eure Mutter verändert hat, seit Baron Glanshowe auf Hillcroft eingezogen ist. Sie spielt jetzt lieber Karten und Schach, als sich den Rechnungsbüchern zu widmen. Wenn du mich fragst, dann ist das auch ihr gutes Recht, schließlich hat sie sich lang genug um die Geschicke von Lancroft Abbey gekümmert. Jetzt ist Panswick an der Reihe. Darf ich den Brief nun fertiglesen oder willst du weiter …“
„Lies!“, forderte sie ihn auf.
Dann war es einige Augenblicke still, bevor er einen leisen Pfiff ausstieß. „Verheiraten will er sich, ja?“
„Immerhin ist er achtundzwanzig, also wahrlich weder zu jung, um seine Pflichten zu übernehmen, noch um sich eine passende Frau zu suchen“, lautete der trockene Kommentar.
Dagegen hatte er nichts vorzubringen und erkundigte sich daher: „Hast du schon eine passende Braut im Auge, mein Liebes?“
Sie rückte wieder ein Stück von ihm weg und sah so entgeistert zu ihm hoch, dass er nur schallend lachen konnte. „Oh, verzeih, ich vergaß. Da wir uns so gut wie nie in die Gesellschaft von Tunbridge Wells bemühen, hast du keine Ahnung, wer gerade auf dem Markt ist und wen du daher empfehlen könntest, habe ich recht?“
Sie grinste zurück. „Die einzigen jungen Frauen, die ich treffe, sind die Töchter der Bauern und Pächter aus der Umgebung. Immer dann, wenn sie mir die Leiden ihrer Familienmitglieder schildern und sich Salben oder Tinkturen abholen. Das sind also wohl kaum die richtigen Bekanntschaften für einen Viscount. Außerdem …“
Sie seufzte.
„Außerdem?“, wiederholte er erwartungsvoll.
„Ich halte nichts davon, andere verkuppeln zu wollen. Mama hat dereinst versucht, mich passend unter die Haube zu bringen, und das ist kläglich gescheitert, wie du weißt.“
„Kläglich gescheitert?“ Er plusterte seine Backen auf und tat, als wäre er entrüstet. „Du hast immerhin mich gefunden, also gar so kläglich gescheitert kannst du wohl nicht sein!“
Sie boxte ihn undamenhaft in die Seite. „Du weißt genau, was ich meine. Mama hätte dich von sich aus nie in die engere Wahl gezogen. Für sie sind nur Mitglieder der höchsten Familien passend für ihre Kinder.“
Er hob ihre Rechte zu seinen Lippen und drückte einen kleinen Kuss darauf. „Das stimmt. Ich danke dem lieben Gott jeden Tag dafür, dass du anders denkst und mich zum Mann genommen hast.“
Mit diesen Worten zog er sie wieder in seine Arme, was sie sich nur zu gern gefallen ließ. Einige innige Küsse später fiel ihr der zweite Brief ein. Sie reichte ihn zu ihm hinüber. „Dieses Schreiben kam heute aus London. Von Lizzy. Es ist keiner ihrer üblichen Briefe, in denen sie uns lustige Begebenheiten vom Tanzparkett schildert. Doch lies selbst. Vielleicht kannst du dir ja einen Reim darauf machen, Henry.“
Er las und lachte schließlich laut auf. „Bist du dir sicher, dass Eliza und du nicht doch blutsverwandt seid?“
„Du weißt, dass sie Cousine Agathas Stieftochter ist, Henry. Also, worauf willst du hinaus?“
„Nun, sie schreibt, dass sie London hasse, weil ihr der Gestank die Luft zum Atmen nähme. Dass sie die zahlreichen Gesellschaften, zu denen sie ihre Stiefmutter mitschleppe, mit zunehmendem Widerwillen erfüllten und dass sie sich nach nichts mehr sehne als nach ein paar Tagen in Ruhe und frischer Landluft.“ Henry ließ das Schreiben wieder sinken. „Diese Zeilen könnten von dir stammen, meine Liebe.“
„Genau das ist es ja, was mich verwirrt“, antwortete seine Ehefrau. „Bevor Lizzy bei Hof vorgestellt wurde, liebte sie es, viel Zeit bei uns auf dem Land zu verbringen. Wir sind miteinander ausgeritten und sie hat Mama auf ihren Fahrten zu den Pächtern begleitet. Sie konnte gar nicht oft genug zu uns kommen. Doch nun ist ihr letzter Besuch bereits ein gutes Jahr her, und damals sprach sie von kaum etwas anderem als ihrem Debüt. Sie freute sich auf die Bälle und Soireen, die Abende bei Almacks, die Theatervorstellungen, die sie in Begleitung ihrer Eltern besuchen würde. Weißt du noch, wie du im Musikzimmer der Abbey mit ihr die ersten Tanzschritte geübt hast, während ich eifrig in die Tasten griff?“
„Natürlich erinnere ich mich“, bestätigte er lächelnd. „Sie war äußerst talentiert. Außerdem liebe ich es, wenn du für mich spielst.“ Diesmal lenkte sie der kleine Kuss, den er ihr auf die Stirn drückte, nicht von ihren Gedanken ab.
„Seit dem Tag, als sie ihren Knicks vor dem König machte, ward sie hier in Kent nicht mehr gesehen. Aus ihren enthusiastischen, aber doch recht spärlichen Briefen wissen wir, wie sehr sie das Leben und Treiben in der Hauptstadt genoss. Jetzt auf einmal soll ihr das alles zu viel geworden sein? Da kommen mir Zweifel, Henry. Große Zweifel sogar.“
„Nun denn“, sagte ihr Gatte gelassen, „dann lade sie zu uns ein und finde heraus, ob deine Zweifel begründet sind. Ich schicke Joseph ohnehin morgen mit einem Schreiben zur königlichen Landwirtschaftsbehörde nach London. Da kann er deine Karte gleich am Grosvenor Square abgeben.“
„Meinst du wirklich? Wir haben im Augenblick alle Hände voll zu tun und dann kommen auch noch Bertram und die anderen Geschwister und …“
„Also kommt es auf eine mehr oder weniger nicht an. Es wird dir doch ohnehin keine Ruhe lassen, bis du ergründet hast, was hinter dem Brief der kleinen Lady Hawick steckt“, sagte er, stupste liebevoll mit dem Zeigefinger auf ihre Nasenspitze und bewies wieder einmal zweifelsfrei, wie gut er seine Gattin kannte. „Also lade sie ein und finde es heraus.“