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Kapitel 6

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Am selben Tag

22. Februar 1822

Lancroft Abbey, Tunbridge Wells, Kent

Morgen sollte also der große Tag sein, an dem Bertram Barnett, der Viscount of Panswick, endlich zurückkehrte. Seine Mutter war zu Lord Glanshowe hinübergefahren, um mit diesem die letzten Details ihrer Vorbereitungen zu besprechen und sich mit ein, zwei Partien Schach die Wartezeit zu verkürzen. Shipton, der Butler, hatte, sehr zu seinem Leidwesen, ausgerechnet heute die familiäre Verpflichtung, seine Nichte zum Traualtar zu führen. Daher waren sämtliche Hausdiener in seiner Vertretung beauftragt worden, in der Stadt und im Umkreis die letzten Besorgungen zu erledigen. Der Stallmeister und zwei seiner drei Burschen waren zum Schmied nach Southborough gefahren, wohin man einige Pferde zum Beschlagen gebracht hatte. Auch waren neue Kutschenräder an den Phaeton seiner Lordschaft montiert worden. Um sich selbst ebenfalls die Wartezeit zu verkürzen, war Eliza mit Penelope Markfield unterwegs gewesen, um Salben und Tinkturen zu zwei Pächterfamilien zu bringen. Als sie am Rückweg in der Nähe der Abbey vorbeikamen, bat sie spontan, aussteigen zu dürfen.

„Tante Louise bat mich, das Klavier im Ballsaal zu stimmen, was ich gestern erledigt habe“, sagte sie zur Erklärung. „Jetzt fällt mir ein, dass es auch gut wäre, den Flügel im Musikzimmer unter die Lupe zu nehmen. Kannst du mich bitte beim Seiteneingang der Abbey absetzen?“

Penelope, die selbst sehr gern und gut Klavier spielte, war sofort bereit, diesem Wunsch nachzukommen, und nahm dafür auch gern einen kleinen Umweg in Kauf. „Ich bewundere dein Gehör und deine Fingerfertigkeit, Lizzy“, sagte sie mit ehrlichem Respekt. „Ich selbst wüsste nicht, wie man ein Klavier stimmt. Ich muss dafür immer den Fachmann aus Tunbridge kommen lassen.“

„Diese Fähigkeit hat mich Gustl gelehrt. Das war unser höchst außergewöhnlicher Diener in Wien. Der wusste nicht nur alles über die Stadt und seine Geschichte, er konnte auch die unterschiedlichsten Instrumente mit einer Perfektion spielen, die seinesgleichen sucht. Wenn du möchtest, kann ich mir auch dein Klavier ansehen, wenn ich auf White Rose Hill zurück bin.“

„Das wäre ausgesprochen nett von dir!“ Penelope Markfield lächelte zu ihrer Begleiterin hinüber. Dann fiel ihr etwas anderes ein. „Wie wirst du in die Abbey hineinkommen, da doch alle ausgeflogen sind? Oh, sag nicht, dass der Schlüssel für die Seitentür immer noch oben auf dem Türstock versteckt ist?“

Lachend bestätigte Eliza diesen Verdacht. „Manche Dinge ändern sich eben nie. Und das ist gut so, wie sich heute wieder einmal bestätigt.“

Gekonnt lenkte Penelope den Gig über den schmalen Weg zur Tür an der Westseite des ausladenden Backsteinbaus und erkundigte sich, während Eliza behände vom Bock sprang. „Wie wirst du zu uns zurückkommen? Soll ich dich in ein, zwei Stunden wieder hier abholen?“

Die andere schüttelte den Kopf. „Danke, Penelope, aber du hast sicher Wichtigeres zu tun. Ich werde mir eines der Pferde leihen. Sollten die Stallburschen nicht rechtzeitig zurück sein, um mir ein Tier zu satteln, dann werde ich mich eben zu Fuß auf den Weg machen. Eine halbe Stunde stramm marschiert und ich sitze wieder gemütlich vor eurem Kamin.“

Jede Dame der Londoner Gesellschaft hätte über solch ungeheuerliche Worte die Nase gerümpft. Körperliche Betätigung war den einfachen Menschen vorbehalten. Außerdem war es höchst unvernünftig, seinen Teint der frischen Luft allzu lange auszusetzen und damit Gefahr zu laufen, die vornehme Blässe zu verlieren. Penelope waren solche Gedanken fremd. Da sie selbst ein naturverbundener Mensch war, der es liebte, querfeldein durch die Gegend zu wandern, hatte sie am Plan ihres Gastes nicht das Geringste auszusetzen.

So kam es, dass Eliza, ganz in ihre Aufgabe vertieft, das Klavier im Musikzimmer zu stimmen, den Türklopfer überhörte, der ungeduldig gegen die Eingangstür gedonnert wurde. Schließlich war sie mit ihrem Werk zufrieden, schloss den Deckel und griff zu ihrem Mantel, den sie achtlos auf die ausladende Chaiselongue geworfen hatte. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, nach einem Diener zu läuten, da keiner kommen würde, um nach ihren Wünschen zu fragen. So schlüpfte sie ohne Hilfe in das hautenge Kleidungsstück, das an die Uniform eines Husaren erinnerte. Sie schloss die Knöpfe und machte sich dann auf die Suche nach einem Spiegel, um den hohen Reithut auf ihre blonden Locken zu drücken. Im Musikzimmer blieb diese Suche vergeblich, und so begab sie sich in die Vorhalle hinaus, wo der mannshohe Spiegel im schweren Goldrahmen unübersehbar war. Wie zauberhaft würde sich am nächsten Tag das Bouquet darin spiegeln, das aus den Blüten bestand, die Lady Panswick ausgesucht hatte! Noch war die große, bauchige Vase auf dem dunklen Tisch in der Mitte der Halle leer. Der Gärtner würde alles erst morgen in der Früh arrangieren, damit die Blumen nicht bereits die Köpfe hängen ließen, wenn der Hausherr hier eintraf.

Eliza war eben zum Spiegel hingetreten und hatte einen kritischen Blick auf ihre etwas derangierte Frisur geworfen, als sie Stimmen vernahm. Männliche Stimmen, die vom Vorplatz aus in die Stille der Eingangshalle hereindrangen. Sollten etwa bereits verfrühte Besucher vor dem Tor stehen und kein Diener da sein, um sie in Empfang zu nehmen? Eliza wusste, dass ihre Tante das nie und nimmer gutheißen würde. Also zögerte sie nicht lange, schob den Riegel des Haustors zurück, öffnete den Eingang und stand völlig unerwartet dem Viscount Panswick gegenüber.

Wie oft hatte sie sich in den letzten Tagen vor dem Schlafengehen diese Szene ausgemalt! Je öfter sie sie wiederholt hatte, desto inniger war das Wiedersehen geworden. Bertram, so hatte sie es sich vorgestellt, würde sie zuerst mit überraschtem, aber höchst liebevollem Blick betrachten. „Da ist sie ja endlich, meine Lizzy!“, würde er dann rufen und die Arme öffnen, damit sie sich an seine Brust werfen konnte.

In Wien waren sie so vertraut gewesen, hatten einander geneckt und miteinander gelernt. Er hatte sie mit Papa und Lady Agatha zu den ersten Veranstaltungen begleitet, die sie als Dreizehnjährige besuchen durfte. Im Kaiserreich hielt man sich nicht an die Regel, dass ein weibliches Wesen zuerst debütiert haben musste, bevor sie sich anderen Erwachsenen präsentieren durfte. Damals war Bertram ein älterer Freund gewesen. Im Laufe der sieben Jahre seit der Trennung war er langsam, still und leise zu noch viel mehr geworden. Er wurde zur Lichtgestalt, der sie am Abend ihren Tag schilderte und der sie ihre innigsten Träume anvertraute. Daher hätte Eliza jetzt nie mit dem gerechnet, was tatsächlich geschah.

Den Viscount zu sehen, „Bertram!“ zu rufen und sich in seine Arme zu werfen, war ihr als logische Abfolge der Begrüßung erschienen, die sie umgehend in die Tat umsetzte. Erst sein offensichtliches Zögern brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Hätte er die Arme nicht doch instinktiv geöffnet, wäre sie wohl ungebremst gegen seine Brust gelaufen und dann zu Boden gegangen. Daher konnte sie nur froh und dankbar dafür sein, dass er sie vor einem bösen Sturz bewahrt hatte, auch wenn ihr das Peinliche an ihrem Verhalten nur zu deutlich bewusst wurde. Bertram hatte sie zwar aufgefangen, doch anstelle der erhofften Umarmung mit beiden Händen von sich weggeschoben. Dann war er eilig einige Schritte zurückgetreten.

Eliza zog es vor, ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Also bückte sie sich und hob den Hut auf, den sie vor lauter Wiedersehensfreude in hohem Bogen auf das Pflaster hatte segeln lassen. Einer Wiedersehensfreude, die ganz offensichtlich nicht geteilt wurde.

Das Nächste, was ihr bewusst wurde, war das neugierige Gesicht des Stallburschen, der hinter dem Rücken des Viscounts hervorlugte, eifrig bemüht, ja nichts zu versäumen.

„Du kannst gehen, Jeff“, befahl sie mit all der Würde, die sie aufzubringen vermochte. „Wir werden dich rufen, wenn wir deine Dienste benötigen.“

„Das kommt doch gar nicht infrage!“, befahl der Viscount, offensichtlich erzürnt. „Er bleibt!“

Sein Zorn verstärkte sich noch um ein Vielfaches, als der Bursche die Hand zur Mütze hob. „Ich kenne Sie nicht, Sir. Darum tu ich lieber, was ihre Ladyschaft befiehlt.“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen und verschwand in Richtung der Stallungen.

„Wenn Sie meinen, mich auf diese … äh … freimütige Art kompromittieren zu können, dann haben Sie sich getäuscht, Miss“, lauteten die nächsten verbitterten Worte seiner Lordschaft. „Ich denke gar nicht daran, mich von einem Frauenzimmer einfangen zu lassen, das mir in die Arme fällt, ohne dass wir uns überhaupt vorgestellt wurden. Also packen Sie Ihren Hut und machen Sie sich vom Acker!“

Eliza war fassungslos. Seine ungehobelten Worte waren eine einzige Beleidigung. Viel mehr als diese schmerzte sie jedoch die Tatsache, dass er sie nicht erkannt hatte und damit all ihre himmelhoch jauchzenden Träume von einer gemeinsamen Zukunft wie einen spröden Ballon zum Platzen brachte. Sie hingegen hatte ihn sofort wiedererkannt. Das Kinn war zwar kantiger, und rund um die Augen hatten sich kleine Fältchen gebildet, doch wenn sie sich den angewiderten Ausdruck auf seinen Lippen wegdachte, dann war das eindeutig der Bertram, dessen Bild sie seit Jahren im Herzen trug.

„Das ist kein Acker, sondern ein Vorplatz“, waren ihre nächsten Worte, und niemand konnte erstaunter sein als sie selbst, mit welch ruhiger Gelassenheit sie diese hervorbrachte.

Agatha predigte zwar immer wieder, dass Gelassenheit ansteckend sei und man aufgeheizte Situationen am besten durch das zur Schaustellen einer solchen zu beruhigen vermochte, doch war dies an einem kalten Februartag wie heute offensichtlich nicht der Fall. Seine Lordschaft vergaß alle Manieren, zu denen er in Gegenwart einer Dame verpflichtet gewesen wäre, deutete mit seiner Rechten in Richtung Einfahrtstor und brüllte: „Verschwinden Sie von meinem Grund und Boden, Miss … wer immer Sie sind! Sie haben nicht den geringsten Grund, hier zu sein.“

Elizas Stimmung wandelte sich von Enttäuschung zu einem Zorn, der seinem um nichts nachstand. Also dachte sie gar nicht daran, seine harschen Worte zu befolgen, ja nicht einmal, sie unwidersprochen hinzunehmen. Nicht umsonst hatte ihre Stiefmutter sie immer ermutigt, sich eine Meinung zu bilden, diese zu vertreten und für die eigenen Belange einzustehen.

„Sie irren sich, Panswick“, entgegnete sie kühl. „Ich bin Lady Eliza Hawick und auf ausdrücklichen Wunsch Ihrer Mutter hier. Ich habe das Klavier im Ballsaal gestimmt.“

Nun hatte sie keine Probleme mehr damit, ihm direkt ins Gesicht zu blicken. Im Gegenteil, ihre blauen Augen blitzten herausfordernd.

„Das Klavier gestimmt …“, wiederholte er irritiert, bevor ihn etwas ganz anderes aus dem Konzept brachte. „Eliza Hawick?“, wiederholte er den Namen, der ihm natürlich etwas sagte. „Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes weismachen … o Gott, Lizzy, verzeih, ich habe dich nicht erkannt.“

Diese Worte klangen ehrlich bestürzt. Für einen kurzen Augenblick schien sich wahrhaftige Freude in seine Augen zu schleichen und ebenso kurz keimte in Eliza die Hoffnung auf, dass er sie endlich in die Arme ziehen würde. Ihr Herz begann wieder aufgeregt zu pochen, und nun war es nicht länger Zorn, was sie verspürte. Doch seine Freude, wenn sie sich die nicht überhaupt nur eingebildet hatte, währte nur kurz und machte einer strengen Miene Platz.

„Du solltest dich hier nicht allein herumtreiben. Wo ist deine Gouvernante, junges Fräulein?“

Damit verschwand Elizas Hoffnung wieder und machte nun ernst zu nehmender Entrüstung Platz. Gab es eine größere Schmach für eine junge Dame im heiratsfähigen Alter, als wie ein Schulmädchen behandelt zu werden?

„Ich bin zwanzig Jahre alt“, lautete ihre Antwort. Dann fügte sie, in der Absicht, ihn zu beeindrucken, hinzu: „Ich habe bereits vor zwei Saisons debütiert.“

„Oh, ich bitte um Verzeihung, Mylady. Es war mir entgangen, dass Sie inzwischen ein biblisches Alter erreicht haben.“ Für einen kurzen Augenblick blitzte es amüsiert in seinen Augen. Dass er zu Spott gegriffen hatte, machte ihre Laune nicht besser. Gänzlich im Keller landete sie allerdings, als sie die nächsten Worte vernahm. „Dennoch solltest du nicht herumlaufen und dich fremden Männern an den Hals werfen, Lizzy. Welcher junge Mann sollte dich denn je zur Frau nehmen wollen, wenn er sieht, wie freigiebig du deine Gunst verteilst?“

Eliza zog scharf die Luft ein. Was für ein unfairer Vorwurf! Und dann erst die ungeheuerliche Selbstgerechtigkeit, mit der er vorgebracht wurde! Sie verspürte gute Lust, ihm eine derart heftige Ohrfeige zu verpassen, dass ihm Hören und Sehen verginge. Oder ihm ihren Hut, den sie immer noch in Händen hielt, über die Ohren zu stülpen und so tief hinunterzuziehen, dass er nichts mehr hätte sehen können. Das Erste wagte sie nicht und mit dem Zweiten hätte sie ihm erst recht bewiesen, wie kindisch ihre Ideen immer noch waren. Also entgegnete sie mit so viel Würde, wie sie aufzubringen vermochte: „Ich werfe mich keineswegs fremden Männern an den Hals, Panswick. Und ich entschuldige mich in aller Form für die Umarmung. Ich hatte fälschlicherweise angenommen, wir wären Freunde.“

Für kurz flackerte ein Anflug von schlechtem Gewissen in seiner Miene auf. „Natürlich waren wir einmal Freunde“, beeilte er sich, ihr zu versichern. Das Lächeln, das diese Worte begleitete, verschwand so schnell, wie es gekommen war, und machte abermals strengen Worten Platz. „Doch das ist nun ganze sieben Jahre her, also macht es dein Verhalten nicht besser. Ungebundene Frauen haben von Männern Abstand zu halten. Hat man dir das denn nicht beigebracht? Mir scheint, ich muss mit meiner Cousine Agatha ein ernstes Wort sprechen.“

Das hätte Eliza gerade noch gefehlt! Ihre Stiefmutter hielt doch ohnehin nichts von dem, was sie Lizzys jugendliche Schwärmerei nannte. Eine Schwärmerei, die sie jetzt, da sich der Mann ihrer Träume als selbstgerechter Moralapostel entpuppte, selbst schwer nachvollziehen konnte. Sie straffte die Schultern und konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn ein für alle Mal in die Schranken zu weisen. „Ich darf dich darüber in Kenntnis setzen, Panswick, dass ich längst nicht mehr ungebunden bin. Es steht dir nicht zu, mich zu tadeln, denn ich bin verlobt.“

Zu ihrer größten Genugtuung sah sie, dass ihm die Gesichtszüge entglitten. Ha, das war ja endlich eine erfreuliche Wendung in dieser so unerfreulichen Begebenheit!

„Verlobt?“, wiederholte er. „Seit wann? Und vor allem, mit wem? Kenne ich den Glücklichen? Wie ist sein Name, woher kommt er?“

„Seit letzten Weihnachten“, antwortete sie und hoffte inständig, er würde nicht umgehend auf die Beantwortung seiner weiteren Fragen bestehen. Wie sollte sie sich denn so schnell den Namen und eine passende Lebensgeschichte ausdenken? Natürlich machte Bertram auch diese Hoffnung zunichte. Im Gegenteil, er wiederholte seine Fragen nicht nur, er fügte weitere hinzu, während sie unverwandt auf den Landauer starrte, dessen Pferde zunehmend unruhig wurden.

„Mein Verlobter heißt … äh … James“, sagte sie, weil das der erste Name war, der ihr einfiel. „James Land…“, jetzt hätte sie fast Landauer gesagt, aber das hätte ihn sicher stutzig gemacht, „Land…ower, und er ist ein Baron.“

So, jetzt war es heraus. Hoffentlich wollte Bertram keine weiteren Details wissen. Es war nie ratsam, sich in ein Gespinst von Lügen zu verstricken. Vor allem dann nicht, wenn man den Gentleman, dem man sie erzählte, eigentlich für sich hatte gewinnen wollen. Obwohl, so wie er sich derzeit benahm, war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie ihn tatsächlich noch für sich gewinnen wollte.

„Baron Landower?“, wiederholte er, und das Stirnrunzeln vertiefte sich. „Ich kann mich nicht erinnern, diesen Namen schon einmal gehört zu haben.“

„Es existieren offensichtlich auch Menschen, denen nicht das Glück zuteilgeworden ist, mit Viscount Panswick Bekanntschaft gemacht zu haben.“ Nun schien ihr die Flucht in den Spott am sichersten.

Er lachte laut auf. „Das mag wohl stimmen“, gab er zu. „Du musst mir mehr von ihm erzählen. Aus welcher Gegend stammt er? Wo hast du ihn kennengelernt? Ich will alles wissen. Aber zuerst muss ich mich dringend frisch machen. Die Pferde gehören versorgt. Außerdem besteht kein Grund, warum wir beide weiter in der Kälte stehen sollten.“ Er streckte die Hand aus, um ihre zu ergreifen. „Komm mit ins Haus. So, wie es aussieht, hast du, im Unterschied zu mir, einen Schlüssel. Was mich zu meiner vordringlichsten Frage bringt: Weißt du, wo die anderen sind? Warum ist nicht ein einziger Diener da, um mich willkommen zu heißen?“

Er wollte eben einen Schritt auf die Abbey zu machen, da stellte sich ihm Eliza in den Weg.

„Du darfst da nicht eintreten!“, sagte sie und streckte, um den Worten noch mehr Gewicht zu geben, beide Arme zur Seite aus, sodass er nicht vorbeikonnte.

„Wie bitte? Was ist denn das für ein seltsamer Tag? Zuerst gibt es niemanden, der mir die Tür öffnet, und jetzt soll ich mein Anwesen nicht einmal betreten dürfen?“

„Tante Louise, also deine Mama, hat sich so große Mühe gegeben, alles perfekt für deine Ankunft vorzubereiten“, erklärte sie ihm. „Kannst du dir vorstellen, wie enttäuscht sie wäre, wenn du ihre Pläne zunichtemachst?“ Dieser Satz brachte sie zu einer ganz anderen Frage. „Was machst du überhaupt heute schon hier? Du wolltest doch erst morgen oder vielleicht sogar übermorgen hier eintreffen.“

Der Viscount atmete tief durch, und ein befreites Lächeln glitt über seine Züge. „Ach, das ist des Rätsels Lösung!“, rief er aus. „Mutter hat also doch Vorbereitungen für meine Rückkehr getroffen? Wenn das so ist, möchte ich ihr die Überraschung natürlich nicht verderben. Was also schlägst du vor?“

„Am besten steigst du wieder in die Kutsche“, meinte sie, ohne zu zögern. „Verbring die Nacht bei den Markfields auf White Rose Hill und komm morgen frisch und ausgeruht zurück, um von deiner Mutter mit allen dir zustehenden Ehren empfangen zu werden.“

Der Viscount erwog diesen Plan und nickte schließlich.

„Du bist ein kluges Kind, kleine Lizzy“, sagte er anerkennend.

Eliza knirschte mit den Zähnen. Ob sie wohl je in der Lage sein würde, ihm beizubringen, dass sie weder ein kluges Kind mehr war noch eine kleine Lizzy?

„Kann ich dich vielleicht ein Stück des Wegs mitnehmen?“, riss er sie aus ihren Überlegungen. „Du siehst aus, als wärest du für eine Ausfahrt bereit. Wohin wolltest du denn, als ich so überraschend deinen Weg gekreuzt und dich aufgehalten habe?“

„Wir haben tatsächlich dasselbe Ziel. Ich hatte vor, mir ein Pferd satteln zu lassen. Oder einen Gig zu nehmen, um nach White Rose Hill zu fahren. Ich bin nämlich dort ebenfalls zu Gast.“

Wieder schnellte eine Augenbraue nach oben. „Soll das etwa heißen, du kutschierst selbst? Was, bitte, würde dein Vater, der Duke of Landmark, davon halten, wenn sein einziges Kind mutterseelenallein …“

Jetzt wurde es Eliza endgültig zu dumm. „Ich bin in den letzten sieben Jahren sehr gut ohne dich zurechtgekommen, Panswick! Kümmere du dich also um deine eigenen Angelegenheiten und untersteh dich, mir Vorschriften zu machen. Weder bin ich Papas einziges Kind noch hat er etwas dagegen einzuwenden, wenn ich meine Fähigkeiten dazu nutze, besser durchs Leben zu kommen. Nun sollten wir uns beeilen, bevor deine Mutter zurückkommt und du ihr die Freude doch noch verdirbst.“

Ohne ein weiteres Wort des Widerspruchs trat der Viscount zum Landauer hinüber, öffnete den Schlag, schob die Gepäckstücke zur Seite und half Eliza beim Einsteigen. Schon bereute sie es wieder, ihn gar so angefahren zu haben.

„Das ist ein nobles Fahrzeug“, meinte sie versöhnlich und strich über das feine Leder der Sitzbank. „Viel zu neu und elegant, als dass man es in einer Poststation hätte mieten können. Hast du es etwa gleich nach deiner Rückkehr am Hafen erstanden?“

Er lachte auf. „Nein, glaub mir, so viel Bargeld trage ich nicht mit mir herum. Die Kutsche gehört Nicolas. Man mag es fast nicht glauben, aber mein kleiner Bruder scheint mit Überseehandel zu so großem Wohlstand gekommen zu sein, dass er sich gleich zwei elegante Wagen leisten kann.“ Bertram schloss die Kutschentür und erklomm den Bock, um die gefrorenen Zügel in die eiskalten Hände zu nehmen und die Pferde zu wenden.

Die kleine Lizzy, dachte er, während er die lange Auffahrt hinunterfuhr und dann auf die Poststraße einbog. Wenn er in Berlin an sie gedacht hatte, und das war mit den Jahren immer seltener vorgekommen, dann hatte er sie stets als Halbwüchsige vor sich gesehen. Auch wenn ihm sein Verstand jetzt sagte, dass er sich längst hätte ausrechnen können, wie alt sie in Wirklichkeit war, so war sie in seiner Erinnerung dreizehn geblieben. Kein Wunder, dass er sie nicht erkannt hatte, als sie jetzt so unerwartet vor ihm stand. Sie war zierlich, blond und blauäugig und hatte ein Lächeln, das seine Sinne erwärmte. Kurz, sie war in den letzten Jahren genau der Typ Frau geworden, den er am meisten begehrte und dem er, aus reinen Vernunftgründen, abgeschworen hatte. Nie wieder wollte er sich von einer Frau dieses Aussehens umgarnen lassen. Hieß es nicht immer, aller guten Dinge wären drei? Warum sollte das nicht auch für die schlechten Dinge gelten? Zweimal hatte eine zierliche Blondine sein Herz gestohlen, um darauf herumzutrampeln. Er hatte nicht die geringste Lust, dies ein weiteres Mal zu erleben. Dennoch: Als Lizzy vor die Tür der Abbey getreten war, war sie ihm einen kurzen Augenblick lang wie ein Geschenk des Himmels erschienen. Dieses Gefühl hatte ihn sofort an Hanni erinnert und schlagartig war er sich sicher gewesen, dass sie nichts anderes sein konnte als ein weiteres Mädchen, vielleicht sogar Freudenmädchen, das sich ihm an den Hals warf, um ihn auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Als sie sich ihm dann zu erkennen gegeben hatte, hatte er den vorschnellen Verdacht natürlich sofort bereut. Nur den Zorn auf jenen Verwandten, der Lizzy gegen seinen ausdrücklichen Wunsch als passende Gemahlin für ihn eingeladen hatte, hatte ihn davon abgehalten, sich bei ihr zu entschuldigen. Und dann hatte sich auch dieser Verdacht als falsch erwiesen. Die kleine Lizzy war verlobt! Er wunderte sich über sich selbst, wie wenig ihm dieser Gedanke behagte. Wie kamen Agatha und Landmark dazu, ihr das zu gestatten? Sie war nicht nur zu jung, sie war so unschuldig, so unerfahren wie ein kleines Kätzchen. Er fühlte, wie der Beschützerinstinkt, den er auf der Reise nach Wien verspürt hatte, wieder zurückkehrte. Obwohl, und bei diesem Gedanken musste er grinsen, das kleine Kätzchen durchaus seine Krallen auszufahren wusste, wie er soeben erlebt hatte.

Die perfekte Braut

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