Читать книгу Die perfekte Braut - Sophia Farago - Страница 12
Kapitel 5
ОглавлениеDrei Tage vorher
Mitte Februar 1822
White Rose Hill, Kent
Eliza hätte nicht glücklicher sein können. Vor wenigen Minuten hatte sie das Blöken der Schafherde aus einem erholsamen Schlaf geweckt und das leise Bimmeln der Glocke des Leittiers drang in ihr Gästezimmer herauf. Durch den Spalt im Vorhang drang das fahle Licht der morgendlichen Wintersonne ins Innere und versprach einen kalten, aber trockenen Tag. Die junge Lady streckte sich ausgiebig in ihrem bequemen Gästebett und zog dann die Bettvorhänge ein wenig zur Seite, um sich im Zimmer umblicken zu können. Alles war noch genauso, wie sie es bereits bei ihren früheren Besuchen hier auf White Rose Hill so sehr geliebt hatte. Ihr Blick wanderte von der mit weißen Rosen verzierten Tapete über die duftigen Vorhänge mit zarten, grünen Ranken hin zur schweren, altmodischen Kommode mit den drei Schubladen, auf der, wie immer, die Waschschüssel stand. Wie sehr freute sie sich, wieder hier zu sein! Sie liebte die Markfields, und sie liebte deren kleines Landhaus. Was aber den diesmaligen Aufenthalt zu etwas ganz Besonderem machte, war die Gewissheit, es geschafft zu haben. Sie war hier, ganz in die Nähe von Lancroft Abbey, und zwar Tage, bevor die anderen Bewerberinnen um Bertrams Gunst hier auftauchen würden. Ja, sogar bevor er selbst von der Reise zurückgekehrt war. Sie hatte sich mit ihrem Brief Penelope mehr oder weniger aufgedrängt und ihr Glück kaum fassen können, als diese sie wirklich umgehend eingeladen hatte. Diesen Vorsprung galt es nun zu nutzen. Mit Schwung setzte sie sich auf, schlüpfte in die bereitgestellten Samtschühchen und ging zur Tür hinüber, die zur Kammer ihrer Dienerin führte, um daran zu klopfen.
„Ethel“, rief sie und klopfte abermals. „Bist du schon wach?“
Penelopes Landhaus verfügte über keinerlei Klingelsystem, wie es in hochherrschaftlichen Anwesen mittlerweile gang und gäbe war. Bereits in der Vergangenheit hatte es sich daher als äußerst komfortabel erwiesen, dass man ihrer Dienerin eine Kammer auf demselben Stockwerk zugewiesen hatte, noch dazu Tür an Tür mit ihrem eigenen Gästezimmer.
Verschlafen stand Ethel im Türrahmen. Sie hatte sich zwar bereits angekleidet, war aber offensichtlich erst dabei gewesen, ihre langen, dunklen Haare in eine angemessene Frisur zu bringen.
„Sie sind aber früh auf, Mylady“, sagte sie und unterdrückte ein Gähnen, bevor sie einen guten Morgen wünschte. „Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Ihren Early-Morning-Tea aus der Küche zu holen.“
„Das macht doch nichts, Ethel. Den brauche ich hier auf dem Lande nicht. Bring mir bitte bloß einen Krug warmes Wasser und dann lege mir ein robustes Tageskleid heraus. In einer guten Stunde werde ich dazu noch meinen Mantel, Hut und die derben Stiefel brauchen, denn ich habe vor, nach dem Frühstück zur Abbey hinüberzufahren. Sicher kann Lady Panswick meine helfende Hand bei all ihren Vorbereitungen gut gebrauchen.“
Wie es sich herausstellte, sollte Eliza recht behalten. Sie war eben mit einem Gig der Markfields auf den gepflasterten Vorplatz von Lancroft Abbey eingebogen, da sah sie auch schon Lady Panswick mit einem der Gärtner in Richtung des Gewächshauses gehen. Ihre Ladyschaft trug einen wetterfesten, grünen Umhang aus dickem Lodenstoff und hatte einen Hut aus dem gleichen Material über ihre weißen Locken gestülpt. Die Hände steckten in derben Lederhandschuhen. Kurz: Sie bot das Bild einer Landedelfrau, die wusste, wie man am besten selbst mitanpackte. Als sie das Rollen der Räder und das Trampeln der Hufe vernommen hatte, war sie stehen geblieben, hatte sich umgedreht und, die Augen mit der Handfläche gegen das Sonnenlicht abgeschirmt, gewartet, um festzustellen, wer der Besucher war. Als sie Eliza erkannte, winkte sie ihr so freudig zu, dass es all jene überrascht hätte, die ihrer strengen Herrin keine solch überschwängliche Geste zugetraut hätten.
Schon lief ein Stallknecht herbei, um der jungen Besucherin die Zügel abzunehmen, und sie sprang so behände vom Bock, dass der zweite Diener, der ihr die Hand hatte reichen wollen, unverrichteter Dinge wieder abzog. Eliza hatte nicht gelogen, als sie in ihrem Brief an Penelope vom Landleben schwärmte. Sie liebte es wirklich. Wo sonst konnte sie sich so frei bewegen? Ohne eine Anstandsdame, die sie nie aus den Augen ließ? Seit Henry Markfield ihr das Kutschieren beigebracht hatte, hatte niemand etwas dagegen einzuwenden, dass sie sich einen der beiden Gigs auslieh, um nach Lancroft Abbey zu kommen, wann immer ihr der Sinn danach stand. Da es keine Poststraße war, die die beiden Anwesen miteinander verband, konnten auch die strengsten Gemüter nichts gegen dieses Verhalten einzuwenden haben. Außerdem stand ihr stets ein Pferd zur Verfügung. Wenn Penelope oder Henry sich von ihren Pflichten loseisen konnten, dann genoss sie einen gemeinsamen Ritt mit den beiden über die Wiesen und Felder. Besonders aber genoss sie es, durch die Abbey zu streifen, in der Gemäldegalerie die Ahnen derer von Panswick zu bestaunen und die Möbel und Dekorationsgegenstände in allen Räumen zu bewundern. Am liebsten war sie allerdings im Ballsaal, setzte sich ans Klavier, schlug die flottesten Walzermelodien an und träumte davon, dass Bertram endlich zurückkehren würde, um sie über das Parkett zu wirbeln.
„Sieh an, die kleine Lizzy!“, rief die Viscountess schon von Weitem. „Penelope hat mir dein Kommen schon angekündigt. Dass du dich auch wieder einmal bei uns blicken lässt!“ In der offenkundigen Freude, sie zu sehen, schwang auch ein Hauch von Tadel mit, der durch die nächsten Worte noch unterstrichen wurde: „Ich dachte schon, du hättest uns vergessen.“
Eliza beeilte sich, näher zu treten und in einen Knicks zu versinken. Dabei kämpften zwei Gefühle in ihrer Brust. Zum einen war da das schlechte Gewissen. Das gesellschaftliche Leben in London hatte sie so in seinen Bann gezogen gehabt, dass sie fast gar nicht mehr an Lancroft Abbey gedacht und ihrer Ladyschaft kaum geschrieben hatte. Zum anderen die Erkenntnis, wie sie mit einem großen, inneren Seufzen feststellen musste, dass es ihr wohl nie gelingen würde, für die Menschen hier auf dem Land etwas anderes zu sein als die kleine Lizzy, das Mädchen, das sie bei ihrem Kennenlernen gewesen war. Natürlich wagte sie es nicht, die Viscountess darauf hinzuweisen. Ihre Ladyschaft hasste alles, was sich auch nur im Entferntesten als Kritik auslegen ließ.
„Ich freue mich auch sehr, wieder hier zu sein, Tante Louise“, sagte sie stattdessen im Hochkommen. „Lancroft Abbey hat mir gefehlt.“
Am wohlwollenden Lächeln ihres Gegenübers erkannte sie, dass sie die richtigen Worte getroffen und ihre Ladyschaft wieder milde gestimmt hatte. Obwohl die Viscountess streng genommen nicht ihre Tante, sondern die Tante ihrer Stiefmutter war, hatte sie bei Elizas erstem Besuch die Güte besessen, ihr diese informelle Anrede zu gestatten. Nun maß sie ihre Wahlnichte mit einem prüfenden Blick von oben nach unten und war zufrieden.
„Du bist praktisch gekleidet, das ist gut. Denn du kannst mir gleich helfen. Ich bin mit dem Gärtner zum Gewächshaus unterwegs.“
„Guten Morgen, Richards“, sagte Lizzy an den Mann mit den roten Wangen im derben Tweedanzug gewandt, der etwas abseits auf weitere Instruktionen seiner Herrin gewartet hatte. „Ich freue mich, Sie bei so guter Gesundheit wiederzusehen.“
Er hatte die Kappe abgenommen, verbeugte sich nun und sagte, es sei ihm eine Freude, Mylady wieder auf Lancroft Abbey zu wissen.
„Genug der Höflichkeiten“, bestimmte die Viscountess, die den Wortwechsel durchaus mit Wohlwollen verfolgt hatte. „Wir werden ins Gewächshaus hinübergehen, um die Blumen auszusuchen, die die Halle zum Empfang meines Ältesten zieren sollen.“
Sprach’s und machte sich auf den Weg. Ihre forschen Schritte hatten so gar nichts vom Getrippel der vornehmen Londoner Gesellschaft, und Eliza hatte Mühe, ihr zu folgen.
„Mein Sohn war jetzt ganze sieben Jahre nicht zu Hause. Er soll merken, was ihm hier entgangen ist. Aber auch, wie sehr wir uns freuen, ihn wieder wohlbehalten in unserer Mitte zu haben. Darum soll, nein, darum muss alles perfekt sein, wenn er hier ankommt“, erklärte ihre Ladyschaft. „Wir haben in den letzten Wochen das meiste von unten nach oben gekehrt. Die Vorhänge wurden gewaschen, die Böden frisch poliert, die Sitzmöbel im Wohnzimmer neu bezogen, da die Polsterung nun doch schon sehr in die Jahre gekommen war. Wenn man Tag für Tag darin wohnt, fallen einem solche Unzulänglichkeiten nicht auf. Aber Bertram hätte sich wohl gefragt, ob ich sein Anwesen habe verlottern lassen.“
Sie blieben stehen und warteten, bis der Gärtner die Tür zum Gewächshaus entriegelt hatte, bevor sie zu dritt in die feuchte Wärme eintraten. Durch die Verglasung an drei Seiten fiel das Licht der Wintersonne auf Tontöpfe voll mit blühenden Sträuchern. Der Pfirsichbaum am Spalier neben der Tür trug bereits die ersten, allerdings noch unreifen Früchte.
„Wie schön es hier ist!“, rief Eliza begeistert. „Und wie gut es hier duftet. Wie kommt es, dass es in diesem Glashaus nicht friert?“
„Wir heizen es durch Torföfen unter dem Boden, Mylady“, erklärte der Gärtner eifrig. „Sehen Sie die Rohre an der Seite? Die verteilen die Wärme hier oben und tragen dazu bei, dass die Pflanzen auch in der kalten Jahreszeit so prächtig gedeihen.“
„Alles schön und gut“, meinte Lady Panswick und verzog unwillig den Mund. „Dennoch ist es Ihnen bisher noch nicht gelungen, Ananaspflanzen hochzuziehen.“
Diese Frucht war in der noblen Gesellschaft sehr begehrt und wurde auch in Elizas Elternhaus zu besonderen Anlässen serviert. Weil es so schwierig war, sie auf der Insel zu züchten, war sie äußerst kostspielig. Eliza hatte von Familien gehört, die eine solche Ananas vor Gästen nur zur Schau stellten und dann an Verwandte weiterreichten, die nun ihrerseits die Tafel damit schmückten, bevor sie sie wieder weitergaben.
„Wenn ich daran erinnern darf – ich habe bereits ausgeführt, dass wir zum Züchten von Ananas und anderer tropischer Früchte ein neues Gewächshaus mit einem halbkreisförmig gewölbten Eisen-Glas-Dach bräuchten, Mylady. Ein Gentleman mit Namen John Louden hat in Bayswater bei London verschiedene Versuchsgewächshäuser errichtet und dabei festgestellt …“
„Ja, ja, ja“, unterbrach ihn ihre Ladyschaft, an den technischen Neuerungen alles andere als interessiert. „Ich denke, wir nehmen Lilien, Iris und ein paar von diesen Gelben da.“
Eine halbe Stunde später begleitete Eliza ihre Ladyschaft durchs gesamte Haus und brachte ehrliche Bewunderung für alle Änderungen und Verbesserungen zum Ausdruck, die die Hausherrin in den letzten Wochen und Monaten hatte vornehmen lassen. Das Silber glänzte in den Vitrinen, die Fenster waren frisch geputzt, die Holzböden strahlten wie neu.
„Diese Vorhänge hier finde ich besonders dekorativ“, erklärte Lady Panswick, als sie den Frühstücksraum betraten. „Die alten waren noch von meiner Schwiegermutter ausgesucht worden. Es war höchste Zeit, dass man sie ersetzte. Wie gefällt dir dieses zarte Paisleymuster?“
„Es gibt dem Raum etwas … äh … Frisches“, lautete die Antwort, die ihre Ladyschaft erfreute. „Das helle Violett an den Wänden ist auch neu, nicht wahr? Früher waren die Wände senfgelb, wenn ich mich richtig erinnere.“
Insgeheim fragte sich Eliza, ob das Auswechseln der Vorhänge nach all den langen Jahren nicht noch etwas länger hätte warten können, um Bertrams Gattin die Auswahl zu überlassen. Sie selbst hätte den Raum ganz anders eingerichtet. Da sie dies jedoch wohlweislich verschwieg, verging die nächste Stunde auf das Erfreulichste, und die beiden Damen fanden sich schließlich zu einer kleinen Erfrischung im Wohnzimmer ein. In diesem Raum hatte in der Vergangenheit das Familienleben meistens stattgefunden. Dort stand auch der große Schreibtisch, an dem die Hausherrin ihre vielfältigen Aufgaben erledigte. Heute war er über und über mit Karten bedeckt. Lady Panswick hatte am Vortag damit begonnen, die ersten Einladungen für den Ball zu schreiben, und Eliza machte sich umgehend erbötig, sie bei dieser Aufgabe zu unterstützen. So saß sie dann ihrer Wahltante am Schreibtisch gegenüber und brachte, eine Einladung als Muster vor sich, die ersten Zeilen auf das schwere Büttenpapier.
„Deine Hilfe ist mir höchst willkommen, meine liebe Lizzy. Wie ich sehe, habe ich mich richtig daran erinnert, dass du über eine recht herzeigbare Handschrift verfügst. Übrigens habe ich mich entschlossen, tatsächlich von einem Frühlingsball zu sprechen und die geplante Verlobung mit keinem Wort zu erwähnen. Auch wenn ich mir nach Glanshowes Beschreibungen sicher bin, mit seiner Nichte die richtige Wahl getroffen zu haben, so will ich nichts ankündigen, was am Ende vielleicht doch nicht stattfindet.“
Eliza blickte auf. Lord Glanshowes Nichte war also die dritte Auserwählte. Sie konnte es gar nicht erwarten, mehr über diese junge Lady zu erfahren, um festzustellen, ob es sich bei ihr um eine ernsthafte Konkurrentin handelte. Das musste sie allerdings äußerst behutsam angehen, um nicht allzu neugierig zu wirken. Neugier war eine kindliche Eigenschaft, die sie besser nicht an den Tag legen sollte, wenn sie ihre Ladyschaft nicht in dem Eindruck bestärken wollte, sie sei noch immer nichts anderes als eine kleine Lizzy.
„Oh, Lord Glanshowe“, sagte sie daher. „Wie geht es dem Baron? Ich war so traurig, als ich vom Tod der beiden Damen erfuhr. Hat er sich von seinem Schmerz schon einigermaßen erholt?“
„Du weißt ja, wie Männer sind“, antwortete ihre Ladyschaft und steckte eine fertige Karte in den Umschlag. „Sie sind keine so empfindlichen Geschöpfe. Daher halten sie sich nicht lange mit seelischen Belangen auf. Das ist allgemein bekannt und wohl auch der Grund, warum niemand von ihnen erwartet, eine Trauerzeit von mindestens einem Jahr einzuhalten, wie es uns Frauen vorgeschrieben ist.“
„Das heißt, dass wir ihn am Frühlingsball erwarten dürfen?“, schloss Eliza aus diesen Worten und freute sich, da sie ahnte, wie wichtig seine Anwesenheit für die Gastgeberin war.
„Ja, das dürfen wir. Und mit ihm seinen Cousin Cedric Penkridge, den Earl of Hayloft, und seine Tochter Lucille.“
„Lucille Penkridge?“, wiederholte Eliza und versuchte vergeblich, sich daran zu erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben. Auch gab es kein Gesicht, das sie mit ihm verbinden konnte. Nicht einmal der Name des Earls war ihr ein Begriff. Das war seltsam, denn alle Mitglieder des Hochadels schienen schon einmal im Haus Ihres Vaters zu Gast gewesen zu sein.
Für Lady Panswick war Elizas Wiederholung des Namens das Stichwort, ihr mit Freuden und voller Elan von den Vorzügen der jungen Lucille Penkridge vorzuschwärmen und auch sonst alles aufzuzählen, was sie von ihr wusste. Ihre Wahlnichte wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass ihre Ladyschaft das Mädchen selbst noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte.
„Ich verstehe deine Begeisterung, liebe Tante Louise. Die junge Dame scheint dir sehr ähnlich zu sein“, schloss sie aus diesen Worten. Während sie nicht wusste, ob sie darüber glücklich oder beunruhigt sein sollte, war Lady Panswick ganz offensichtlich entzückt. „So, meinst du?“ Sie überlegte kurz. „Ja, ja, das könnte in der Tat stimmen. Wie ich schon sagte, ich bin mit meiner Wahl äußerst zufrieden und ich bin mir absolut sicher, Bertram wird es auch sein.“