Читать книгу Die perfekte Braut - Sophia Farago - Страница 15

Kapitel 8

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Als Bertram Barnett an diesem Abend unter die Bettdecke schlüpfte, da konnte er sich das Wirrwarr der Gefühle, das in seinem Inneren tobte, selbst nicht erklären. Was, bitte, störte ihn so sehr daran, dass Lizzy eine heimliche Verlobung eingegangen war, von der weder der Herzog von Landmark noch Agatha etwas wussten? Das war doch längst nicht mehr unüblich und sie würde es den beiden schon noch früh genug erzählen. Nämlich dann, wenn Landi … Landi! Welcher erwachsene Mann konnte es dulden, mit so einem lächerlichen Kosenamen angesprochen zu werden? Würde Lizzy ihn etwa Pansi nennen, wenn sie verlobt wären?

Panswick riss die Augen auf. Wo kam denn auf einmal dieser absurde Gedanke her? Lizzy und er, verlobt? Was für eine lächerliche Idee! Wie gut erinnerte er sich daran, mit welchem Eifer sie sich als Dreizehnjährige den gemeinsamen Deutschstunden gewidmet hatte. Wie stolz sie ihm Klavierstücke vorspielte, die ihr Gustl beigebracht hatte, und wie ihre Augen beim großen Feuerwerk gestrahlt hatten, zu dem sie anlässlich der offiziellen Eröffnungsfeier des Kongresses in Wien hatte mitgehen dürfen. Allerdings, und nun führten ihn seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück: Sie hatte sich so gar nicht wie ein Kind angefühlt, als sie ihm auf Lancroft Abbey zur Begrüßung in die Arme gefallen war. Ihre Freude war echt gewesen. Warum bloß hatte er den dringenden Wunsch verspürt, sie auf Abstand zu bringen? Woher hatte er sich das Recht herausgenommen, sie in ihre Schranken zu weisen? Er war doch nicht ihr Vormund! Lizzy hatte ihn zu Recht dafür gerügt. Schließlich war sie zwanzig, hatte bereits debütiert und war daher in Wahrheit alt genug, den Bund fürs Leben zu schließen. Aber doch nicht mit jemandem, der Landi hieß!, meldete sich die spöttischste seiner inneren Stimmen zu Wort, während die bockige antwortete, dass es ihm egal sein konnte, wie der Verlobte hieß, da er nicht wollte, dass es ihn überhaupt gab.

Dann forderte die Vernunft von ihm, sich auf seine eigene Zukunft zu konzentrieren. Er konnte es gar nicht mehr erwarten, die jungen Damen kennenzulernen, die seine Verwandten für ihn ausgesucht hatten. Wie viele es wohl sein würden? Nik hatte offensichtlich keine Auswahl getroffen, ebenso wenig die Markfields. Er konnte nur hoffen, dass seine beiden anderen Schwestern Frederica und Vivian seiner Bitte nachgekommen waren. Und natürlich seine Cousine Agatha. Apropos Agatha! Hatte sie ihm, in Unkenntnis ihrer Verlobung, etwa gar Lizzy als passende Braut geschickt? Er schätzte das Urteil seiner älteren Cousine sehr und wünschte sich, nun auch aus diesem Grund, er hätte Lizzys Freundlichkeiten nicht gar so brüsk zurückgewiesen. Künftig würde er wohl keine solchen Freundlichkeiten mehr von ihr erwarten können. Ganz im Gegenteil. Als er sich vor seiner Zimmertür von ihr verabschiedet und eine gute Nacht gewünscht hatte, da hatte sie ihm im Vorbeigehen zu ihrem Zimmer, einige Meter den Flur hinunter, zwei Worte zugeflüstert. Er hatte sie zuerst nicht so recht verstanden, bis er bemerkte, dass die Worte auf Deutsch gesprochen worden waren.

„Eingebildeter Hackbraten!“, hatte sie geflüstert. Das ergab zwar keinen richtigen Sinn, war aber auch irgendwie rührend. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er ein.

Der Empfang, der dem Viscount Panswick am nächsten Spätvormittag auf Lancroft Abbey bereitet wurde, entsprach genau den Vorstellungen seiner Mutter. Bertram sah das Strahlen in ihren Augen und konnte insgeheim Lizzy nicht genug dafür danken, dass sie ihn am Vortag davon abgehalten hatte, einfach sang- und klanglos wieder zu Hause einzuziehen. Ein Bote hatte noch am Vorabend seine genaue Ankunftszeit angekündigt, und darum standen sie nun schon alle am Vorplatz bereit, um ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Links vom Eingang hatte sich die Dienerschaft aufgestellt. Angeführt wurde sie selbstverständlich von Shipton, dem Butler, der trotz all seiner vornehmen Steifheit die Freude, seinen Herrn wiederzusehen, nicht verbergen konnte. Daneben die Haushälterin, Mutters Kammerfrau, zwei Hausdiener und einige Hausmädchen, die verlegen kichernd auf ihre weißen Schürzen starrten. Hatten sie immer schon so viel Personal gehabt? Der Stallmeister persönlich war herbeigeeilt, um die Kutsche in Empfang zu nehmen, und zwei seiner Burschen warteten schon vor der Stalltür, um sich um die Pferde zu kümmern. Was für ein Unterschied zum Vortag!

Rechts vom Eingang stand das Ehepaar Markfield, mit Eliza im Schlepptau, deren zusammengekniffene Lippen so gar nichts von ihrer sonstigen Fröhlichkeit verrieten. Man war übereingekommen, Mutter nichts davon zu verraten, dass die Rückkehr bereits am Vortag stattgefunden hatte, und so begrüßten ihn die drei, als würden sie ihn eben erst nach langen Jahren zu Gesicht bekommen. Penelope mit schwesterlicher Umarmung, Markfield mit einem kameradschaftlichen Klopfen auf die Schulter und Eliza mit einem so steifen Knicks, als hätte sie die Befürchtung, ihr Korsett könnte brechen, wenn sie sich ein wenig stärker bewegte. Vor allem aber war da seine Mutter, die ihn doch tatsächlich für einen kurzen Augenblick an ihren Busen zog, bevor sie eine junge Frau an der Hand nahm und in seine Richtung schob.

„Meine liebe Lady Lucille, darf ich Sie mit meinem ältesten Sohn Bertram, dem achten Viscount Panswick bekannt machen? Mein lieber Sohn, dies hier ist die bezaubernde Lady Lucille, die älteste Tochter des Earl of Hayloft.“

„Und auch die einzige“, meinte diese, reichte Bertram die Hand hinauf und versank in einen Knicks.

„Lady Lucille, es ist mir eine Freude“, sagte der Viscount mit einem amüsierten Lächeln, bevor er sich über die dargebotene Hand beugte. Das war also Mutters Auserwählte. Humor schien sie zu haben, das war schon einmal wichtig. Er versuchte sie nicht allzu auffällig in Augenschein zu nehmen. Das junge Mädchen –nein, ganz so jung war sie gewiss nicht mehr, Lady Lucille dürfte die Mitte zwanzig bereits überschritten haben – war eine großgewachsene, etwas stämmige junge Frau mit durchaus einnehmenden Gesichtszügen. Ihre dunklen Haare waren aufgesteckt und von einem praktischen Hut in Schach gehalten, deren karamellfarbene Schleife unter dem Kinn den warmen Ton ihrer Augen unterstrich. Der Schalk in diesen Augen versprach eine humorvolle Persönlichkeit, ihre feste Gestalt deutet darauf hin, dass sie so schnell nichts aus der Bahn warf.

„Wir wollen hineingehen, meine Lieben“, bestimmte die Hausherrin. „Erstens ist es noch zu frisch für ein längeres Stelldichein im Freien, und zweitens brennen auch die Gentlemen darauf, dich kennenzulernen.“

Die genannten Gentlemen entpuppten sich zum einen als Baron Glanshowe. Diesen Nachbarn hatte die Mutter in ihren Briefen so häufig erwähnt, dass Bertram dem Kennenlernen bereits mit großem Interesse entgegengesehen hatte. Und zum anderen als dessen Vetter, den Earl of Hayloft. Vom Aussehen her hätten die beiden nicht unterschiedlicher sein können. Der eine, bis auf eine schlichte violette Weste ganz in Schwarz gekleidet, wies Merkmale eines typischen Landedelmanns auf: Gerötete Wangen, die bewiesen, dass er sich viel im Freien bewegte und auch einem guten Tropfen nicht abgeneigt war. Die braunen Spuren an der Nase verrieten ihn als begeisterten Tabakschnupfer. Der andere Gentleman war groß und hager wie Glanshowe auch. Doch damit endete die verwandtschaftliche Ähnlichkeit. Der Earl trug die dichten weißen Haare länger, als die herrschende Mode vorschrieb, und im Nacken zu einem Zopf zusammengefasst. Seine aristokratische Nase und die vornehme Blässe unterstrichen das distinguierte Auftreten. Der weinrote Samtrock über einer mit Pfauen und Fasanen bestickten Weste passte zu seinem Ruf als Paradiesvogel. Während der Baron schon begierig darauf wartete, mit dem Sohn seiner geliebten Freundin ein paar ernste Worte zu wechseln, war das Interesse des anderen, falls überhaupt vorhanden, eher höflicher Natur. Man begrüßte einander mit dem gebührenden Respekt und nahm dann rund um den ausladenden Teetisch Platz, auf dem die Hausherrin kleine Köstlichkeiten und Erfrischungen hatte bereitstellen lassen.

Die nächsten Stunden vergingen damit, dass Bertram mit Fragen gelöchert wurde. Baron Glanshowe ergriff als Erster das Wort, indem er wissen wollte, wie weit die Idee von König Friedrich Wilhelm gediehen war, Preußen in eine konstitutionelle Monarchie umzuwandeln. Bertram war stolz darauf, ihm von einer Unterredung mit Staatskanzler Hardenberg erzählen zu können, an der er persönlich teilgenommen hatte und in der Details der zukünftigen Verfassung besprochen wurden. Als er dann dazu überging, über sein Leben in Berlin zu erzählen, hörten ihm auch alle anderen gebannt zu. Sogar der Earl, der sich ein Buch geschnappt hatte, um achtlos darin zu blättern, hielt inne und lieh dem Viscount sein Ohr. So verging der Vormittag in Windeseile und wurde von einem Mittagessen abgelöst, bei dem Bertram, wie könnte es anders sein, neben Lady Lucille platziert wurde.

Eliza saß genau gegenüber und fragte sich, wieso es sie störte, wie gut sich die beiden ganz offensichtlich miteinander unterhielten. Lady Lucille gelang es sogar mehrmals, den Viscount zum Lachen zu bringen. Das war ein richtiges Lachen, nicht dieses Lächeln von oben herab, mit dem er sie gestern bedacht hatte. Nicht dieses arrogante Ach, kleine Lizzy, was bist du doch wieder dumm und niedlich!-Lächeln, sondern ein Lachen, das ein Mann einer Frau schenkte, an der er Interesse hatte. Kein Mensch mit Verstand würde die Earlstochter je als niedlich bezeichnen. Sie war groß und stämmig, sprach ohne Scheu und lachte, wann immer es ihr beliebte, und zwar ohne dabei geziert die Hand vor den Mund zu führen, wie es die Damen der Stadt zu tun pflegten. Alles in allem machte sie, wie Eliza ungern, aber ehrlich vor sich selbst zugeben musste, einen durch und durch patenten und sympathischen Eindruck. So jemanden wählte man als Herrin eines großen Anwesens, dachte sie bitter. Wenn Bertram Lucille zur Frau nahm, dann würde sie die Geschicke von Lancroft Abbey, und wahrscheinlich auch ihn selbst, mit sicherer, aber durchaus auch strenger Hand leiten. Ha, dachte Eliza voll stiller Genugtuung, das würde ihm nur recht geschehen.

Die Viscountess hatte soeben die Vorschläge zur Nachmittagsgestaltung unterbreitet, als Bertram sich mit der Serviette den Mund abtupfte und verkündete: „Ich bitte um Verständnis, Mama, aber auf meine Gesellschaft werdet ihr an diesem Nachmittag verzichten müssen. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Daher habe ich für zwei Uhr den Verwalter einbestellt, um mit ihm eine Ausfahrt über unsere Ländereien zu unternehmen. Es ist höchst an der Zeit, dass er mich auf den neuesten Stand der Entwicklung unserer Besitzungen bringt.“

Es war offensichtlich, dass die Viscountess aus dem ersten Impuls heraus widersprechen wollte, doch sie schloss den Mund wieder. Durch Bertrams Worte war sie hin- und hergerissen. Einerseits war sie der Ansicht, dass sich ihr Sohn um die Gäste kümmern sollte, die extra angereist waren, um ihn willkommen zu heißen und Zeit mit ihm zu verbringen. Hier dachte sie natürlich vor allem an Lady Lucille, die schließlich nicht ohne Hintergedanken nach Lancroft Abbey gekommen war. Wenn es nach ihr ginge, dann sollte die junge Lady die Zeit nutzen, solange noch wenige Leute im Haus wohnten. Vor allem auch, solange keine anderen Anwärterinnen um Bertrams Gunst unter ihnen weilten. Für den Abend war ihr jüngerer Sohn mit Begleitung angekündigt worden. Sie hatte keine Ahnung, wen dieser mitzubringen gedachte. Vielleicht waren auch schon die Derryhills und die Badwells mit ihren Kandidatinnen auf dem Weg hierher. Also galt es keine Zeit zu verlieren, um die Vorteile, die Lucilles vorzeitige Ankunft bot, auch tatsächlich zu nutzen. Andererseits war sie stolz darauf, dass ihr Ältester nun endlich seine Pflichten so ernst nahm, dass er es nicht erwarten konnte, sie zu übernehmen.

„Was für eine glänzende Idee, mein Sohn“, sagte sie daher, nachdem sie sich dies alles hatte durch den Kopf gehen lassen. Sie lächelte ihm zu. „Ich bin sicher, Lady Lucille wird dich auf dieser Ausfahrt nur zu gern begleiten. Sie hegen doch reges Interesse an allem, was mit der Verwaltung eines Gutes zu tun hat, nicht wahr, meine Liebe?“

Der auffordernde Blick in Richtung der jungen Lady blieb nicht unbeantwortet. „Es wäre mir eine große Freude“, meinte Lucille und wandte den Blick zu ihrem Vater. „Du hast doch nichts dagegen, Papa?“

„Du entscheidest seit Jahren selbst, was dich interessiert, meine Liebe“, antwortete dieser gelassen. „Ich sehe keine Veranlassung, dies jetzt plötzlich ändern zu wollen.“

Sprach’s und widmete sich wieder dem Rest seines Mahls. Damit ist das erste Tête-à-tête zwischen Bertram und Lucille beschlossene Sache, dachte die Viscountess zufrieden. Ganz im Gegensatz zu Eliza. Auch wenn der Verwalter mit von der Partie sein würde, war der Plan nichts, was sie mit Freude erfüllt hätte.

„Mich würde die Ausfahrt über die Ländereien ebenfalls interessieren“, murmelte sie bitter vor sich hin. „Aber auf die Idee, mich dazu einzuladen, kommt ja keiner.“

Henry Bernard Markfield, der als ihr Tischherr zu ihrer Linken saß, warf ihr einen schnellen, prüfenden Blick zu, bevor er sich, zur Überraschung aller, zu Wort meldete. „Lady Lucille wird sich mit einer weiblichen Begleitung bestimmt wohler fühlen, meinst du nicht auch, liebe Schwiegermama? Ich bin sicher, Lady Eliza ist gern bereit, dafür zur Verfügung zu stehen.“

Der strafende Blick, den ihm die Hausherrin nun zuwarf, reihte sich in die lange Reihe der strafenden Blicke ein, die er in der Vergangenheit bereits von ihr empfangen hatte. Dennoch war dies nichts, was ihn beunruhigte, wusste er in der Zwischenzeit doch zu gut, dass ihre Ladyschaft ihn und seine Meinung durchaus zu schätzen wusste. Mehr, als sie aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft je zuzugeben bereit sein würde. Außerdem waren es ihm die dankbaren Blicke, die er von Eliza und Penelope erhielt, allemal wert.

„Was für eine hervorragende Idee“, rief Lady Lucille zu seiner Überraschung, bevor noch irgendjemand anderes hätte antworten können. Sie war viel zu lange Herrin im Haus ihres Vaters gewesen, als dass sie jungmädchenhaft nur dann sprechen wollte, wenn sie gefragt worden war. „Wenn Sie einverstanden sind, Lady Eliza, dann freue ich mich sehr, Sie an meiner Seite zu haben. Was für ein Spaß das werden wird!“

Die perfekte Braut

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