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Kapitel 2.6

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In den Raum, der keine Ecken hat, tritt eine Frau. Ich bin größer als sie, obwohl sie Stiefel anhat und ich den kühlen Boden unter meinen nackten Füßen spüre. Sie sieht älter als mein Spiegelbild aus. Da fällt mir ein, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wie alt ich tatsächlich bin. Sechzehn? Siebzehn? Vielleicht auch achtzehn? Sie ist Mitte zwanzig, garantiert und hat eine Präsenz zum niederknien.

Ihre Haare sind flammenblau und ihre Augen versprühen grüne Funken. Sie trägt ein schulterfreies, violettes Kleid bis zu den Knien und schwarze Stiefel mit hohen Absätzen, die ihre schmalen Beine großartig zur Geltung bringen.

»Wie ich sehe, habt ihr schon Bekanntschaft gemacht. Du und dein Spiegelbild. Und gefällst du dir als Pyjamakriegerin? Ich war so frei und habe dir die Haare etwas geschnitten. Sie sind kürzer und frecher als früher. Aber was rede ich da? Daran erinnerst du dich ja nicht.«

Sie tritt einen Schritt näher an mich heran. »Tut mir leid, wenn ich dich überfordere. Ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt. Ich bin Kristen.« Sie lacht. »Es ist jedes Mal ein Erlebnis. Tut mir leid, aber du solltest dein Gesicht sehen.« Ich blicke in den Spiegel und weiß sofort, von was sie spricht.

Ich mache meinen Mund zu und verscheuche den bescheuerten Gesichtsausdruck. Lächle sie auch an. »Du weißt, wer ich bin?«

»Natürlich weiß ich es.«

»Kannst du mir vielleicht sagen, wie mein Name ist?«

»Ich könnte dir sagen, wie dein Name war. Ja, das könnte ich. Aber ich werde es nicht tun?«

»Wieso nicht?«

»Weil? Sagen wir einmal, meine ärztliche Schweigepflicht es mir verbietet, mich in die Angelegenheiten meiner Kunden und meiner Patienten einzumischen. Weißt du, was ärztliche Schweigepflicht bedeutet?«

»Ich glaube ja.«

»Gut. Du bist hellwach. Viel aufgeweckter als die meisten anderen. Fühlt sich das seltsam an, sich an nichts zu erinnern und trotzdem alles zu wissen?«

»Alles?«

»Naja, vieles!«

»Was ist mit mir passiert? Was für eine Patientin bin ich? Warum kann ich mich an nichts erinnern?«

»So viele Fragen? Nun, du kannst dich doch erinnern. Du weißt, wie man spricht, wie man sich bewegt, wie man kommuniziert. Du kennst doch das Wort kommunizieren? Oder?«

»Ja. Es ist das Gegenteil von schweigen.«

»Siehst du. Du erinnerst dich.«

»Aber ich weiß nicht, wer ich bin?«

»Komm schon, Schätzchen. Wer weiß das schon. Das ist eine philosophische Frage.«

»Ich kenne meinen Namen nicht«, sage ich und setze mich auf das Bett, ziehe meine Beine hoch und umklammere sie und lege meinen Kopf auf meine Knie. Sind das alles Gesten, die schon früher zu mir gehörten?

Kristen beobachtet mich amüsiert und schlendert zu dem Gerät, dessen Name ich nicht kenne. Das Piepsen hört abrupt auf, als sie daran herumfummelt. »Du kannst neu anfangen. Sieh es positiv. Du sitzt hier. recht hübsch, aufgeweckt, gesund, sozusagen frisch geboren. Ach, wo wir gerade beim Thema sind. Du solltest dich frisch machen und du solltest dir etwas anderes anziehen, überhaupt mal etwas anziehen.« Sie grinst und ihr linkes Auge zwinkert mir zu. »Den Korridor entlang, dann links halten. Dort findest du alles, was du brauchst und ich habe ein paar hübsche Sachen besorgt. Such dir einfach etwas aus. Ist alles für dich. Und pass auf, du lagst eine ganze Weile im künstlichen Koma. Deine Muskeln brauchen ein paar Tage, bevor sie sich wieder an die Belastung gewöhnen«, sagt sie und ich nicke und stelle fest, dass man auch schweigend kommunizieren kann.

Violet - Die 7. Prophezeiung - Buch 1-7

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