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Aeia - Brief von Levi

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Aeia,

die Jahre seit unserer Trennung, fühlen sich an wie hundert Winter, ich fühle mich um hundert Jahre gealtert - ohne Dich - hundert trostlose Jahre. Ich kann mir noch immer kein Leben ohne Dich und ohne unsere Tochter vorstellen. Wie soll ich den Alltag bestreiten, wie soll ich überleben, ohne zu wissen, wie es Dir geht? Mich quälen die unbeantworteten Briefe, das Schweigen, das Dich umgibt, raubt mir den Verstand und die Erinnerungen quälen mich, Dein Gesicht, Deine Stimme, Dein Herzschlag, den ich unter meiner Hand spürte und so sehr vermisse.

Könnte ich die Ereignisse, die unsere Liebe in Schatten versinken ließen, verändern, ich würde keine Sekunde zögern und es tun. Doch ich weiß das ist unmöglich. Niemand kann das, was wir verloren haben, wieder lebendig machen.

Aeia, vermisst Du mich nicht auch? Ich hoffe, eines Tages findest Du zu mir zurück.

Ich vermisse Dich, ich vermisse meine Frau, meine Geliebte, meine Freundin und einzige Liebe.

Ich weiß, Du wirst auch auf diesen Brief nicht antworten und ich habe Deine Entscheidung zu akzeptieren, aber haben wir das wirklich verdient? Hast Du das verdient?

Möge das Leben schön für Dich werden und möge unsere Tochter glücklich werden. Ich vermisse Dich und werde Dich immer lieben.

Dein Levi

Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie hält Levis Brief zwischen ihren zittrigen Fingern. Das Papier ist dick, porös, elfenbeinfarbig und fängt jeden einzelnen salzigen Tropfen auf. Sie faltet langsam das Papier und legt den Brief in die Holzkiste zu all den anderen, von denen jeder einzelne so - sehr - weh - tut. Die Gedanken und Erinnerungen an Levi fühlen sich an wie eine blutende Wunde, aus der beständig Lebensenergie strömt. Sie wünscht sich, es gäbe ein Heilmittel, um die Verletzung zu schließen und um die qualvollen, nächteraubenden Schmerzen endlich zu stillen.

Sie liebt ihn noch immer, aber es gibt kein Zurück mehr. Selbst wenn sie es wollte. Das TREECSS hat Levi alle Erinnerungen genommen. Die Xmemorarenikation ist ein Verfahren, eine Fähigkeit, über das die wenigsten irgendetwas wissen. Das war sein letzter Brief und es ist bestimmt besser so.

Aeia denkt an Naomi ihre wundervolle Tochter und versinkt in noch tieferer Traurigkeit. Was soll aus Naomi werden? Wird sie überleben und das TREECSS eines Tages als erwachsene Frau verlassen?

Sie ist ja erst siebzehn Jahre alt. Viel zu jung, um diese Welt schon wieder zu verlassen. Manchmal hätte Aeia gerne so eine Art Kalender, an dem sie jeden Abend ein Blatt abreißen könnte. Ein Tag länger, an dem sie ihrer Tochter in die Augen blicken kann. In nicht einmal einer Woche wird Naomi achtzehn. Sie betet zu Gott, dass es nicht die letzten sieben Blätter des Kalenders sind. Dann wäre sie erwachsen und könnte tun und lassen, was sie will. Naomi ist zur Hälfte ein Mensch, ihr steht dieses Recht zu.

Aeia ist nach dem Tod ihres Sohnes eine echte Glucke geworden. Sie hat nach der Trennung von Levi, als alleinerziehende Mutter, eine Menge neuer Fähigkeiten dazugewonnen. Ihr könnten bei TREECSS ganz neue berufliche Wege offenstehen.

Sie musste jahrelang ihre Arbeit als Kriminalpsychologin stark zurückschrauben, musste so viele Dinge des Familienalltags gleichzeitig im Kopf haben. Alltägliches, das sich ständig kompliziert gegenseitig beeinflusste und das sich durch die unberechenbaren und irrwitzigen Arbeitszeiten bei TREECSS und das unkontrollierbare Verhalten ihrer heranreifenden Tochter einer Kampfansage an den Alltag glich. Die Zeit ist vorbei, als Naomi an ihr zerrte und pausenlos auf sie einredete, während Aeia verzweifelt versuchte, in einem Fall zu recherchieren und nebenbei für ihre Tochter da zu sein. Aeia wäre jetzt ganz sicher fit für einen hohen Managerposten bei einem der großen Multi-Konzerne in der Europäischen Union. Ein größeres Irrenhaus als das ihre, kann das auch nicht sein. Und die Vorstellung, dafür dann auch noch vollkommen unangemessen hoch bezahlt zu werden, findet sie auch sehr reizvoll.

Sie hat sich oft gefragt, warum nicht die hardcore, organisationserprobten, Multitasking-Mamas in der Wirtschaft alle Spitzenposten besetzen? Aber eigentlich ist es klar, warum das nicht so ist: Sie werden bei ihrer Familie dringender gebraucht, und wenn die Kinder irgendwann ausgezogen sind, haben sie kein Bedürfnis mehr danach.

Als alleinerziehende Mutter wurde sie zu einer hochqualifizierten Konfliktmanagerin und könnte auch Beraterin oder Mediatorin werden, aber dazu hat sie sicher auch keine Lust. Eventuell hat sie auch gute berufliche Chancen im Personenschutz. Sie war jahrelang der perfekte Bodyguard - mit einem Blick konnte sie bereits aus weiter Entfernung, selbst in größeren Menschenmengen, alle sich nähernden Gefahren erfassen und von ihrer Tochter abwenden.

Leider gibt es auf dieser Welt Gefahren, gegen die auch Aeia nichts ausrichten kann. Sie denkt an ihr verstorbenes Kind, an ihren Sohn. Schiebt die unsagbar traurigen Gedanken an seinen Verlust in eine Kammer, tief in ihrem Unterbewusstsein. Versucht sich wieder, auf die Gegenwart zu besinnen.

Vielleicht sollte sie Kyalas Ratschlag, einfach erst mal ein Jahr lang nur zu schlafen, in Erwägung ziehen. Doch sie hat sich dem TREECSS und der Mission verschrieben, zu einer friedvolleren Welt beizutragen. Eine Auszeit kommt nicht in Frage.

Ein Blick auf ihren Smartscreen verrät Aeia, dass sie spät dran ist. Sie will Herr Davidi, den Leiter des Instituts und einen langjährigen Freund, nicht warten lassen und macht sich mitten in der Nacht auf den Weg zu seinem Büro.

Begnadet - Wiedergeburt - Buch 3

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