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Naomi - Gehackt

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»Ich gehe zuerst ins Bad«, sage ich Phoenix zuliebe, die sich innig von Jayden verabschiedet. Mit Oliven-Seife wasche ich mir die kleinen Farbrückstände aus dem Gesicht, dort wo sich vor Sekunden noch Schminke befunden hat. Ich betrachte die Ausläufer meines neuen Tattoos, ziehe die Folie langsam ab und wasche das Wundwasser lauwarm ab.

Nicht zu fassen, was ich heute alles erlebt habe. Mein erstes Tattoo, eine Schlägerei im Parkhaus, einen Flirt mit einem süßen Jungen, der traurige Abschied von meinem Dad und zum Abschluss wieder einmal eine beispiellose Nacht im Club. Wow. Carpe diem.

Nach dem Zähneputzen gehe ich noch ganz kurz unter die Dusche. Anschließend creme ich mein Tattoo dünn mit Heilsalbe ein und stelle mich vor den Spiegel, den ich mit einem Wisch vom angeschlagenen Wasserdampf befreie. Das feuchte Glas fängt mein Spiegelbild ein.

Einerseits fühle ich mich frei, andererseits wie eine Gefangene im eigenen Körper. Ich halte mich aufrecht, was ohne Exoskelett unvorstellbar wäre. Ich sehe mir ins Gesicht, blicke an meinem Körper hinab und nehme zur Kenntnis, dass ich mir mehr blaue Flecken, als gedacht, zugezogen habe.

Aber das ist nicht so schlimm wie das unbekannte Etwas, diese Krankheit, die meinen Muskeln die Lebensenergie stiehlt. Ich schlucke meine Goldtabletten, hoffe, ich gehe nicht an einer Metallvergiftung zugrunde und streiche mit meinen Fingern über das Exoskelett, das sich ästhetisch an meinen Körper anschmiegt, auf meiner Haut liegt, wie ein fremdes Wesen, das mit mir eine Symbiose eingegangen ist. Es schenkt mir Kraft, Ausdauer und eine Reaktionsgeschwindigkeit, die über normale menschliche Möglichkeiten hinausgeht und im Austausch dafür, überlasse ich dem Exoskelett meinen Körper, um die Welt zu erkunden.

Die silbernen, hauchdünnen Fäden bestehen aus Graphen. Einer einlagigen Schicht aus Kohlenstoffatomen. Das Exoskelett kann elektrischen Strom und Wärme extrem gut leiten. Es ist gerade mal 0,3 Nanometer dick, das ist etwa 100.000 mal dünner als ein menschliches Haar. Dadurch ist es so gut wie unsichtbar und lässt sich extrem leicht verformen, ohne dass es zerbricht. Tatsächlich sind die Kohlenstoffatome so fest miteinander verbunden, dass es fester ist als Stahl und härter als Diamant. Das habe ich gut auswendig gelernt, obwohl ich kaum danach gefragt werde. Wüsste man nicht über ihre Existenz Bescheid, würde man die Fäden nicht sehen können, die über mein Becken, Gesäß, Hüften und Oberschenkel verlaufen. Sie überziehen hier und da, an entscheidenden Punkten, meinen Oberkörper und die Arme. Unter Infrarotlicht werden die Fasern sichtbar, dann sehe ich so exotisch aus wie Spiderman.

Mein Gesicht und Hals sind die einzigen Zonen, wohin sich keine Ausläufer des Exoskeletts verirrt haben. Seltsam, dass ich mir gerade dort, heute, ohne die Erlaubnis von Aeia, ein Tattoo habe stechen lassen. Das wird einen Riesenärger geben. Ich lehne mich vor, betrachte mein Gesicht genauer. Die Form ist ziemlich eckig. Das hervorgereckte Kinn, die vollen Lippen, meine mandelförmigen Augen, sehen orientalisch aus. Und die braunschwarzen Haare, bestärken diesen außergewöhnlichen Ausdruck in meinen dunklen Augen. Sehe ich in anderen Augen fremdartig aus? Seltsam, so etwas über sein eigenes Aussehen, seinen eigenen Körper zu sagen, zu dem man im Grunde nichts kann. Jeder ist so, wie er ist und das ist gut so. Ich ziehe meinen Pyjama, bestehend aus Trägershirt und Leggins an. Grinse über den Aufdruck der Häschen. Ich liebe mich, wie ich bin, aber gesund zu sein, hätte schon seine Vorteile, sinniere ich über mein Schicksal.

Ich will mich jetzt aufs Ohr legen, denn morgen, gleich in der ersten Stunde haben wir Geschichte bei Professor Yamorra und es gibt bessere Ideen, als in seiner Vorlesung völlig übermüdet aufzukreuzen.

Ich öffne die Tür und trete in Phoenix und mein Zimmer. Phoenix ist meine beste Freundin und sie kuschelt fürs Leben gern mit Jayden. Sie sind wie zwei liebestrunkene Teenager, zur Hälfte zugedeckt, unter der Bettdecke und es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, was sie beabsichtigen zu tun.

Als ich aufkreuze, bricht natürlich die Panik aus.

»Bin schon weg. Bin schon raus«, sage ich und unterdrücke das Lachen, das mir in der Kehle steckt und manövriere mich Richtung Ausgang, nicht ohne zuvor einen Blick auf Jaydens nackten Hintern zu erhaschen. Meine Entschädigung für den bevorstehenden Schlafentzug.

Der nächtliche, notgedrungene Spaziergang führt mich in den Ostflügel von TREECSS. Hier befinden sich die Hörsäle, die tagsüber für gewöhnlich mit Begnadeten des Instituts gefüllt sind. Doch in den letzten Monaten hat sich etwas verändert. Es sind immer weniger Begnadete anzutreffen. So als würden sie alle das TREECSS verlassen. So als würden wir still und heimlich evakuiert werden. Es hat sich rumgesprochen, dass es jemand auf uns abgesehen hat, jemand Jagd auf Begnadete macht. Deshalb auch die Ausgangssperre für Minderjährige. Ich schüttle diese Gedanken ab, gehe weiter.

Nachts bin ich hier noch nie jemandem begegnet, das ist auch gut so, denn niemand soll mich im Pyjama sehen. Ich bin wirklich ziemlich oft hier, kommt es mir in den Sinn. Jedes Mal, wenn Phoenix und Jayden die Zweisamkeit suchen, treibt es mich in den alten Stufensaal. Der größte Hörsaal von TREECSS. Er verfügt über mehr als einhundert Sitzplätze, die sich über zwölf Reihen wie eine Treppe nach oben anordnen. Jeder einzelne Platz scheint mir in der Stille dieser Nacht, seine Geschichte zuflüstern zu wollen. Von Generationen von Begnadeten, ihren Ängsten, Hoffnungen, Freuden, von dem Wissen der Professoren, das jede Holzfaser, jede Steinpore durchdrungen und beseelt hat.

Räume sind keine Lebewesen, aber wenn ein Individuum sich durch seine einzigartige Energie von den anderen abhebt, dann lebt dieser Raum doch, denn ich spüre seine Energie und genieße seine Nähe, wie die eines alten, sehr guten Freundes. Ich setze mich in die unterste Reihe. Mein nächtliches Privileg, das tagsüber den Begnadeten höheren Alters vorbehalten ist.

Ich lasse mich von dem Alten, den Schwingungen die hier vorherrschen, davontragen, versinke in so etwas wie einen Wachkomazustand, als eine unscheinbare, grüne LED meine Aufmerksamkeit erregt. Professor Yamorra hat vergessen, den Computer herunterzufahren. Das ist typisch für ihn. Er kann mit den modernen Medien nicht sonderlich viel anfangen.

Ein Gedanke lässt mich aufstehen. Eine Idee. Nicht, dass mich eine abgeschaltete Maschine davon abhalten könnte, die Hürden zu überwinden, um sie wieder startklar zu machen, aber dieses Licht verspricht noch eine ganz andere intellektuelle Herausforderung, auf kreative Weise eine bestehende Grenze zu überwinden. Ich bin eine Hackerin.

Ein System gilt als gehackt, wenn sein Sicherungsmechanismus gebrochen oder umgangen wurde. Ich stehe auf und betrete den Platz, wo sonst nur die Professoren stehen. Rollentausch. Ich fahre den Computer vollends hoch und das Hologramm erscheint in der Mitte des Hörsaals. Zwischen mir und den staunenden, leeren Sitzreihen.

TREECSS scheut die Öffentlichkeit, will unentdeckt bleiben, keine Geheimnisse preisgeben. Ein schwieriges Unterfangen in einem digitalen Zeitalter, wie dem unseren. Keinerlei Informationen können die eingerichteten Barrieren verlassen, aber wie sieht es andersherum aus? Könnte es mir gelingen so etwas einfaches wie Nachrichten zu empfangen. Signale, Wellen, Informationen von außerhalb des Instituts? Vielleicht erfahre ich etwas Neues, Interessantes über das Verschwinden der Begnadeten?

Die Sicherheitsvorkehrungen sind für mich kein Problem. Ich mache mich ans Werk, schreibe keine Programmcodes oder Ähnliches, sondern verbinde mich über die Schnittstelle meines Exoskeletts mit dem Computer im Hörsaal. Das Exoskelett hat also auch noch andere Vorteile. Ich trage meine digitale Schnittstelle, mit der ich mein Zentralnervensystem mit jedem Netzwerk verbinden kann, sozusagen immer griffbereit mit mir herum.

Hacken ist der Kontakt mit digitaler Technik jeglicher Art. Darin bin ich eine Spezialistin, das ist mein verborgenes Talent, meine Fähigkeit. Ungewöhnlich für mein Alter? Gewiss, denn ich bin noch keine einundzwanzig. Aber für mich sind alles nur elektrische Impulse. Einser und Nullen, sage ich immer. Ich kann mit Computern und Maschinen sprechen, könnte man meinen.

Ich bin im Nu drin, habe mich mit dem System von TREECSS verbunden und erkunde auf digitalen Wegen, die Sicherheitsvorkehrungen. Ich erkunde mit meinem Geist den Backupserver des Instituts und erschaffe nur mit meinen Gedanken einen Trojaner, den ich als blinden Passagier getarnt an den Traffic des Instituts hänge. Nachts ist es eine wenig befahrene Datenautobahn. Das ist fast zu einfach. Keine Sicherheitsprotokolle, die ich nicht überwinden kann. Die Informationen, die ich empfange, kommen von dem Rand dieses elektronischen Mikrokosmos, die digitale Institutsgrenze. Ich habe die Firewall erreicht.

Auf der Suche nach einer Lücke, taste ich die Sicherheitsvorkehrungen ab. Ich will kein Aufsehen erregen, doch plötzlich stoße ich an eine geöffnete digitale Tür. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das Institut Traffic mit der Außenwelt zulässt. Jemand tauscht Daten aus, kommuniziert mit jemanden außerhalb von TREECSS und ich ziehe die Daten ab, lausche sozusagen an dem digitalen Portal.

Ich höre Stimmen, ziehe meinen Geist zurück in meinen Körper, und lasse sie über den Lautsprecher im Hörsaal erklingen, bin erstaunt, weil sie sich so nah und klar anhören. Ist das Zufall oder Bestimmung, dass ich jetzt gerade hier bin? Seltsame Gedankengänge, die ich habe. Wie so oft geht meine Fantasie wieder einmal mit mir durch. Bilde mir Sachen ein, die gar nicht so sind. Aber die Stimme von Aeia und von Herr Davidi bilde ich mir nicht ein.

Wie kann das sein? Wer hat die Möglichkeit die Firewall zu umgehen und Davidi in seinem Büro zu belauschen? Wer außer mir? Ich weiß es nicht, werde es Aeia sagen müssen, dass ihr Gespräch nicht vertraulich war. Aber dann würde sie wissen, was ich getan habe. Schwierige Aufgabe, die ich morgen lösen muss. Jetzt horche ich einfach weiter zu, setze mich in die erste Reihe im Hörsaal und schließe meine Augen, um mich ganz auf den Inhalt der Worte konzentrieren zu können.

Begnadet - Wiedergeburt - Buch 3

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