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Aeia - Schlechte Nachrichten

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Palo Davidi wurde am 28. Oktober 1951 als einziges Kind von zwei füreinander bestimmten Begnadeten in England geboren. In seiner Akte steht, er war ein Kind mit schwächlicher Konstitution, das mit einer leicht deformierten Wirbelsäule zur Welt kam. Schon zur Schulzeit war er seinen menschlichen Klassenkameraden weit voraus, aber einsam, und seine Eltern machten sich große Sorgen um ihn. Davidi erlebte den Kosmos der wüsten Nachkriegszeit. Seine Eltern waren Intellektuelle und geprägt von den alten Sagen, die vom Ursprung der Begnadeten berichten. Er studierte Philosophie und seine einzigartige Fähigkeit: Sich niemals zu irren, entwickelte sich mit seinem 21. Lebensjahr zu seiner vollen Reife. Er verliebte sich in Kyala, die ihn an einen Ort in seinem Herzen entführte, von dem er nie geahnt hätte, dass es ihn überhaupt gab. Seit Jahrzehnten ist er einer der drei Leiter des TREECSS. Er hat nie geheiratet und die gemeinsamen Tage mit Kyala in England, ihre kurze Liebe, zählt wohl zu seinen schönsten Lebensabschnitten.

»LOYALITÄT«, sagt Davidi und schließt seine Hand.

»AUFRICHTIGKEIT«, sagt er mit geöffneter Hand.

»TRADITION«, seine Hand schließt sich wieder.

Aeia nickt, wiederholt den traditionellen Gruß.

»Naomi ist dir so ähnlich«, beginnt Davidi. Der Institutsleiter schenkt Whisky in zwei Gläser ein und sieht Aeia erwartungsvoll an. Sein Körper ist in die Jahre gekommen, sein Gesicht knittrig. Er ist dünn, nur noch ein Schatten seiner alten Tage. Palo Davidi wirkt wie ein lebendes Fossil, aber seine Augen haben noch immer den Glanz, die Klarheit und den gleichen Scharfsinn wie damals, als Aeia sein Büro zum ersten Mal betrat.

Sie nimmt in dem Sessel vor Davidis Schreibtisch Platz, schlägt ihre Beine übereinander und blickt sich um. Nichts hat sich hier verändert. Die Zeit scheint in diesem Raum seit einundzwanzig Jahren still zu stehen. Alles ist beständig, bis auf die Leute, die ein und ausgehen. Aeia sucht den Blick ihres alten Mentors, ihres Freundes, hält die entstandene Pause geduldig aus und wartet darauf, bis Davidi fortfährt. Er lehnt sich zurück und legt seine Hände in den Schoß.

»Wenn ich deine Tochter ansehe, dann sehe ich dich. Ich sehe die gleiche Sturheit und Dickköpfigkeit. Ich sehe in ihr eine Rebellin und ...«, er hält kurz inne, um das richtige Wort auszuwählen, »... vielleicht auch eine Einzelkämpferin.« Davidi schielt Aeia über den Rand seiner Brille hinweg an, nimmt einen Schluck Whisky. Sie trinkt auch einen winzigen Schluck, hüstelt etwas und wartet geduldig ab, was noch kommt. »Und ich sehe in ihr dein Lächeln. Ein Lächeln, das alles auf dieser Welt an seinen rechten Platz rücken kann.«

»Wow, stur, dickköpfig, egoistisch? Ich sehe, du hast das Süßholzraspeln nicht verlernt und weißt genau, welche Worte das Herz einer Frau erwärmen«, sagt Aeia schmunzelnd.

»Schöne Worte kann es schließlich nie genug geben aber eins kannst du mir glauben, Komplimente klingen nur gut, wenn sie wirklich ehrlich gemeint sind. Du solltest das wissen. Schließlich würdest du jede Heuchelei und nur so dahingesagte Schmeichelei sofort entlarven.« Aeia schenkt ihrem Mentor ein warmes Lächeln.

»Das hast du schön gesagt. Vielleicht wollen wir Frauen im Grunde auch gar nicht hübscher sein als jede andere. Vielleicht wollen wir nur in Momenten wie diesen für unseren Charme und unsere individuellen Talente und nicht für unser Aussehen bewundert werden. Ich denke, ein gutes Kompliment bestätigt unsere Einzigartigkeit. Das ist es, was sich gut anfühlt.«

»So habe ich das noch nie gesehen. Du überraschst mich noch immer, Aeia Engel und das nach so vielen Jahren. Im Übrigen habe ich schon erwähnt, dass deine Haare ganz wundervoll duften?«

»Schmeichler, oder sollte ich eher sagen: Lügner!«, grinst Aeia, die kritisch eine Augenbraue hochzieht. Davidi holt Luft, als wäre es anstrengend und belastend dieser Notwendigkeit nachzukommen. Aeia fasst ihn scharf ins Auge. »Du hast mich sicher nicht mitten in der Nacht herbestellt, um mir zu sagen, wie toll du meine Tochter und mich findest. Oder vielleicht doch? Willst du mir etwa einen Heiratsantrag machen?«

»Mach dir keine Illusionen, ich möchte nur ein bisschen plaudern«, lügt Davidi lächelnd, dann wird er nachdenklich und seine Miene verfinstert sich.

»Palo was ist los? Ich sehe dir an, dass etwas nicht stimmt. Geht es um Naomi?«

»Naomi? Ja, es geht natürlich um sie«, meint Davidi. »Aeia, du bist mein Schützling und ich respektiere dich, schätze deine Fähigkeit und deine Leistungen für das TREECSS.« Davidi legt wieder eine künstliche Pause ein. Atmet noch schwerer. »Obwohl ich deine Entscheidung verurteilt habe, Kinder mit einem Menschen zu zeugen und mit der Tradition und den Regeln zu brechen, habe ich zugestimmt, nach deinem schweren Schicksalsschlag, dem Tod deines Sohnes, deine Tochter bei TREECSS zu unterrichten.«

»Dafür werde ich dir immer dankbar sein«, sagt Aeia und nickt. »Macht Naomi Probleme? Fügt sie sich in die Familie nicht richtig ein? Wird sie nicht akzeptiert? Hat sie jemanden verletzt?«

»Wie schon erwähnt, deine Tochter ist ein Sturschädel. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ...«

»Du brauchst nichts weiter zu sagen. Ich weiß, was du meinst«, seufzt Aeia und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. »Aber was ist mit ihren Leistungen in den Pflichtfächern und Wahlkursen? In Mathematik ist sie ganz gut, oder?«

»Naomi ist eine der Schlechtesten. Aber nicht aus dem Grund, den du vielleicht vermutest. Naomi ist in dieser Hinsicht vielleicht nicht ganz ehrlich.«

»Naomi sagt immer die Wahrheit«, meint Aeia. Der Institutsleiter, hält kurz inne. Er verzieht keine Miene, aber ein fast unmerkliches Zucken um Nase und Mund und ein leichtes Anspannen der Schultern verraten Aeia, dass er grübelt.

»Ja, das passt tatsächlich zusammen. Weißt du eigentlich, was der Name deiner Tochter bedeutet?«

»Naomi, die Ehrliche und die Hübsche.« Davidi lacht. »Was ist daran so komisch?«

»Für eine Mutter, die die Fähigkeit hat, die Wahrheit zu durchdringen, ist das eine höchst seltsame Namenswahl für das eigene Kind. Naomi die Ehrliche. Du musst schon zugeben, das ist amüsant.«

»Levi und ich haben die Namen unserer Kinder nicht recherchiert. Die Bedeutung ist reiner Zufall.«

»Du glaubst also noch immer an Zufälle?«

»Jaja, ich weiß. Du bist da anderer Meinung. Gott würfelt nicht, lautet der Spruch von Albert Einstein, wenn ich mich recht entsinne.«

Herr Davidi lächelt zufrieden. Aeia ist wahrlich seine beste Schülerin. Sie hat das Zeug Angeliques Nachfolge als Priesterin zu werden, leider interessiert sie sich nicht für Religion. Das wird sich jedoch bald ändern müssen.

»Deine Tochter schafft es, dich hinters Licht zu führen, Aeia.«

»Sie würde mich nie anlügen. Ich würde es bemerken.«

»Liebst du deine Tochter denn?«

»Ich liebe sie über alles!« Aeias Worte lösen eine lange Stille aus. »Ich verstehe jetzt. Die Macht der Liebe?! Mein Talent funktioniert nicht bei Menschen, die ich liebe«, sagt sie.

»Weißt du, wo sich deine Tochter jetzt befindet.«

»Wo soll sie schon sein? Es ist mitten in der Nacht, sie ist in ihrem Zimmer und schläft schon lange.«

»Aeia, du bist eine gute Mutter aber auch blind, was deine Tochter betrifft. Hast du denn nicht bemerkt, dass deine Tochter heute unterwegs war. Sie hat ihre Fähigkeiten und Herkunft wieder einmal unter Beweis gestellt. Hat zwei hilflosen Mädchen in Bedrängnis geholfen, ihren Vater ein letztes Mal besucht, bevor sie ihm alle Erinnerungen genommen haben und dann, wie immer, wenn ihr alles zu viel wird, um den Kopf frei zu bekommen, bis spät in die Nacht mit ihrer besten Freundin Phoenix in einem der Clubs getanzt. Sie hat erst vor wenigen Minuten das Institut wieder betreten.«

»Was?! Es herrscht doch Ausgangssperre.«

»Ich sagte doch, sie ist ganz die Mutter!«, lacht Davidi, dann legt sich plötzlich wieder ein Schatten über seine Miene.

»Kommen wir zurück zum Thema. Deine Tochter ist sterbenskrank. In ihr tickt eine Zeitbombe und die Zeit ist nahe, in der sie dich verlassen wird.«

Aeia kommen plötzlich die Tränen.

»Aber es gibt Hoffnung. Doch ich bin mir nicht sicher, ob du dazu bereit bist.«

»Wozu?«

»Die Wahrheit zu erfahren. Wissen führt zur Einsicht. Bist du bereit für eine Away-Mission?«

»Eine Away-Mission?«

»Ja ich weiß, das ist lange her.«

»Fast zwei Jahrzehnte, um genau zu sein«, sagt Aeia.

»Wir vermissen zwei unserer Teams und haben jeglichen Kontakt zu ihnen verloren.« Aeia hält sich die Finger vor den Mund, lauscht weiter den schlechten Nachrichten, die Davidi zu berichten hat. »Das sind die Aufträge«, sagt er und schiebt zwei Mappen über den Schreibtisch auf Aeias Seite.

Aeia nimmt die rechte Mappe und schlägt die erste Seite auf. Sie überfliegt den Inhalt und das Blut gefriert in ihren Adern, als sie den Namen der Person liest, die das Away-Team angeführt hat. Angelique, die Priesterin und eine von drei Leitern des TREECSS. Die Mission ist, ein Artefakt ausfindig zu machen. Aeia sucht auf dem Papier nach dem Namen des Gegenstandes, als sie bemerkt, dass sie sich verlesen hat. Die Mission lautet, das Artefakt zu finden.

Sie schlägt die Mappe zu, widmet sich der zweiten Away-Mission, dem zweiten verschwundenen Team. Ihr wird die Tragweite der Ereignisse bewusst, als sie den Namen des Kopfes dieser Mission erfasst. Ramires, der zweite Leiter des TREECSS.

Aeia, schaut zu Davidi auf, hört auf zu lesen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragt sie.

»Das ist die entscheidende Frage. Ich sehe, du hast nichts verlernt.«

Aeia entgeht nicht, dass Davidi keineswegs seinen Humor oder Sarkasmus verloren hat. Auch nicht in Anbetracht von Situationen wie dieser.

Aeia überfliegt auch diesen Auftrag, bringt in der Kürze der Zeit in Erfahrung, dass Ramires nicht den Spuren eines Artefaktes gefolgt ist, sondern seine Away-Mission ihn nach Russland, Sankt Petersburg geführt hat. Ein Besuch des R.I.P.SON. Aeia, weiß mit dieser Information nichts anzufangen. Sie blickt auf.

»Sie waren getrennt unterwegs. Jeder von ihnen befand sich auf einer äußerst wichtigen Mission. Falls ihre Missionen gescheitert sind, dann liegt es an uns, das wieder gerade zu biegen«, sagt Davidi.

»Das ist schrecklich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Lass uns das tun, was wir in solch schwierigen Situationen immer tun. Lass uns nach vorne blicken. Das sind jetzt unsere Aufträge«, sagt Davidi und legt seine Hände auf die beiden Auftragsmappen.

»Dies ist der Auftrag von Ramires.« Er tippt auf die rechte Akte. »Und Angeliques«, seine Hand legt sich auf die linke Akte. »Einer für dich und einer für mich. Was sagst du?«

Aeia schweigt, überlegt, was die Aufträge mit Naomi zu tun haben.

»Für den Fall, dass Ramires und Angelique tot sind ...«, Davidi hält inne, beginnt noch einmal von vorne. »Aeia, ich brauche jemanden an meiner Seite, jemand, der das TREECSS durch diese schwierigen Zeiten geleiten kann. Machen wir uns nichts vor, ich werde langsam zu alt für diese Aufgaben und falls Angelique wirklich etwas Schlimmes zugestoßen ist, dann braucht das TREECSS eine neue Priesterin.«

»Das wird nicht nötig sein. Wir finden die beiden und erfüllen die Missionen«, sagt Aeia. »Denk nicht einmal darüber nach, Ramires, Angelique oder dich durch irgendjemand anderen ersetzen zu wollen«, sagt Aeia und legt ihre Hände auf die ihres Freundes und Mentors. Davidi lächelt matt, genehmigt sich einen Schluck Whisky. Aeia ist einerseits über die schlechten Nachrichten erschüttert. Andererseits ist sie voller Zuversicht, dass alles gut enden wird.

»Welche der beiden Away-Missionen, hast du für mich vorgesehen?«

»Angeliques«, sagt Davidi. Aeia nickt. Plötzlich spürt sie, dass es keine zufällige Entscheidung ist, dass die Chance, diesen Auftrag zu bekommen, nicht bei 50 zu 50 lag.

»Warum Angelique? Warum nicht Ramires?«, fragt sie und ihr Talent, die Wahrheit zu erspüren läuft auf Hochtouren. Sie durchbohrt Davidi mit ihren Augen, will wissen warum.

»Weil ...«, Davidi stockt.

»Ja?«

»Ramires Auftrag war es, das R.I.P.SON in Sankt Petersburg aufzusuchen.«

»So viel habe ich auf der ersten Seite gelesen. R.I.P.SON? Was bedeutet das?«

»Wie TREECSS für SECRETS steht, hat auch R.I.P.SON eine Bedeutung. Es ist ein Anagramm«, sagt Davidi.

»R.I.P.SON?, überlegt Aeia. Diese seltsame Schreibweise kommt ihr bekannt vor. »Rip? Requiescat in pace. Oder Rest in peace? Abgekürzt R.I.P.« Aeia runzelt die Stirn. Kann es das sein? »R.I.P. Son? So wie Ruhe in Frieden mein Sohn?« Sie überlegt weiter, nimmt die Buchstaben in ihrem Kopf auseinander und setzt sie wieder in unterschiedlichsten Kombinationen zusammen. Sie ist die perfekte Analytikerin. »RIPSON ist ein Anagramm für PRISON, für Gefängnis!«, sagt Aeia dann langsam.

»Das Verlies unter der Eremitage«, sagt Davidi. »Ein Gefängnis für all diejenigen unserer Spezies, die nie mehr das Licht der Freiheit erblicken sollten, weil sie durch ihr Handeln das Fortbestehen unserer Spezies gefährden.«

Aeia erinnert sich schlagartig an die Ereignisse, die über zwei Jahrzehnte zurückliegen. An den Mann der sie gefoltert und fast getötet hat, damit sie als Märtyrerin stirbt und sich die Spezies der Begnadeten als Götter über die Menschen erheben würden, was letzten Endes nur die Verfolgung und Auslöschung der Begnadeten bedeutet hätte. Was sollen ein paar Tausend gegen Milliarden ausrichten? Sie entsinnt sich an einen Mann der ganz gewiss in Sankt Petersburg, im R.I.P.Son weggesperrt wurde, damit er niemandem, nie mehr etwas antun kann. Was ist aus ihm in der Zwischenzeit geworden?

»Oh mein Gott!« Aeia schaut den Institutsleiter an. Zieht die Augenbrauen zusammen und beginnt das Verhör, so als wäre Davidi eine Verdachtsperson, aus dem sie die Wahrheit herausholen will.

»Hat es etwas mit Alexander zu tun?«

»Aeia lass das!«, allein diese Antwort genügt, dass Aeia die Wahrheit spüren kann. Ihr Talent hat sich inzwischen zu einem messerscharfen Werkzeug weiterentwickelt und sie beherrscht es wie ein Meister.

»Um was geht es hier wirklich? Was haben die Aufträge mit Naomi zu tun? Wie kann ich Naomi helfen? Zu was soll ich bereit sein? Warum lügst du mich an?«, sprudeln die Fragen aus Aeia heraus.

Begnadet - Wiedergeburt - Buch 3

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