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Naomi - Jayden

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Verwirrt und noch in Gedanken kehre ich zurück.

Ich bewege mich lautlos durch das Institut. Ich muss nachdenken, aber auf jeden Fall auch irgendwann schlafen.

Manchmal denke ich, das Institutsareal hat noch viel mehr zu verbergen. Geheime Räume hinter verschlossenen, vielleicht sogar unsichtbaren Geheimtüren. Geheimaufträge und Artefakte, die dem engsten Kreis, den ältesten Mitgliedern vorbehalten sind. Ich bleibe für einen Augenblick stehen und werfe einen Blick zurück, auf die Hörsäle, habe ein Geräusch gehört. Ich muss vorsichtig sein, will nicht von der Nachtschicht des Sicherheitsteams erwischt werden.

Ich verschwinde, bewege mich im Dunkeln vorwärts, kenne jeden Winkel, jede Abzweigung, bin wie eine Schlafwandlerin. Die finsteren Korridore und die Schatten sind meine Verbündeten. Kühle Luft umspielt meine Füße, weht sanft über den Dielenboden. Ein offenes Fenster hat die nächtliche Erscheinung hereingelassen.

Ich bleibe davor stehen und starre hinaus ins Freie. Hier und da leuchten vereinzelte Lichter aus dem Hauptgebäude herüber. Der Mond steht als einsame, schmale Sichel am Himmel, schimmert sanft und ruhig durch den aufsteigenden nächtlichen Dunst. Leise wiegen sich die Bäume des nahen Waldes im Takt der kühlen Brise. Ich sauge die Luft ein, schlinge die Arme um meinen Oberkörper und spüre das wohlige Kribbeln, das meine Haut wellenartig von den Füßen aufwärts durchströmt. Es sind Momente wie diese, die das Leben ausmachen. Friedvoll, ruhig, mystisch. Für einen Moment zu vergessen, wer oder was man ist, was kommt, was war. Keinen Anforderungen zu genügen, nichts leisten zu müssen, einfach nur zu sein und den Atem des Lebens zu spüren. Ich schließe meine Augen und halte den Augenblick fest, will ihn mitnehmen, bevor ich das Fenster schließe und meinen Weg fortsetze.

Ganz in der Nähe von unserem Zimmer begegne ich Jayden.

»Gut dass ihr es endlich geschafft habt. Wenn ich jetzt ins Bett komme, dann kann ich zumindest noch ein paar Stunden schlafen«, sage ich.

»Danke für deine Geduld und dein Verständnis. Ist bestimmt nicht einfach für dich in einer WG zu wohnen«, sagt Jayden.

»Ganz ehrlich, eigentlich wollte ich die ATON rufen gehen, so müde bin ich. Habe es mir dann doch anders überlegt und bin wie jedes Mal, wenn ihr es treibt, nur in den Gängen des Instituts herumgeirrt«, erkläre ich ihm.

Jayden läuft purpurrot an.

»Hast du uns belauscht?«

»Gott, nein. Ich weiß die Privatsphäre anderer Leute wirklich zu schätzen«, lache ich mit einem vielsagenden Augenaufschlag.

»Und als du durchs Zimmer gehuscht bist. Hast du da ...?«

»Etwas gesehen? Nein, ich bin doch keine Spannerin«, schwindle ich ein bisschen und erinnere mich amüsiert an Jaydens Hintern.

»Das ist mir wirklich sehr unangenehm. Das war echt nicht geplant. Scheiße, wie peinlich. Es ist aber auch echt dieser Effekt, wie besoffen zu sein, man ist irgendwie in einem anderen Zustand und kann gar nicht mehr einschätzen, wie das auf andere, also auf nicht Mitmachende, wirkt.«

»Findest du wirklich, dass das ein gelungenes Gleichnis ist? Dicht zu sein, mit Sex zu haben, zu vergleichen?«

Jayden zuckt mit den Schultern. »Den berauschenden Zustand meinte ich«, versucht er, sich herauszuwinden.

»Ach so. Na dann.« So langsam halte ich diese Situation, hier im Gang, allein mit Jayden für etwas zu delikat und unangebracht. Er spricht über den Sex, den er mit meiner besten Freundin hatte, als wäre ich ein Kerl. Ich bin hin und her gerissen, zwischen laut loszulachen oder peinlich berührt zu sein.

»Auf jeden Fall müssen wir eine Lösung finden. Denn jetzt muss ich jedes Mal daran denken, dass du irgendwie ausgesperrt bist. Da kann ich nicht abschalten«, sagt er.

»Vielleicht solltest du dich dann vorher volllaufen lassen, macht ja anscheinend eh keinen Unterschied«, schlage ich vor.

»Wir könnten auch alle miteinander Sex haben, so löst sich das Problem von ganz allein.«

»Wundert mich, dass der Vorschlag nicht schon viel früher kam. Ist echt eine sehr tolle Idee.«

»Findest du wirklich?«, fragt er mit einem Lächeln. Ich antworte nichts, was auch nicht nötig ist, denn ich kenne Jaydens Humor nur zu gut.

»Sag Phoenix bitte nichts von dem Gleichnis, ja? Also das mit dem berauschten Zustand und so, okay?«

»Ich schweige wie ein Grab«, lüge ich.

»Naomi, du bist wirklich eine tolle Freundin und für dein Alter schon so reif«, sagt Jayden und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf meine Wange, dann verabschiedet er sich und lässt mich allein zurück, unsicher, ob ich das jetzt als Kompliment auffassen soll, oder in welche Schublade ich auch immer gerade gesteckt wurde.

Als ich endlich, viel zu müde, um überhaupt noch über irgendetwas nachdenken zu können, ins Zimmer torkle, liegt Phoenix in meinem Bett und schläft schon. Amüsiert darüber, wie sie das Bett verwechseln kann, schalte ich das Licht meines Smartscreens aus, ziehe mich auf dem Weg zu dem Bett meiner besten Freundin aus und kuschle mich erleichtert unter ihre Decke. Kurz befällt mich ein Gedanke, ob sie und Jayden womöglich in meinem Bett Sex miteinander hatten, aber ich schaffe es diesen verwirrenden Gedanken abzuschütteln.

Ich bin mittlerweile gut darin, alle dunklen Gedanken auszublenden. Wenn man seit Jahren weiß, dass man sterben wird, und alles Erdenkliche versucht hat, über die eigene Krankheit herauszufinden, oder unternommen hat, seinen Körper zu stärken, und nichts Hoffnung verspricht, dann wird man zur Spezialistin darin. Ich bin Spezialistin im Umgang mit dem Sterben. Aber das war nicht immer so.

Nach dem Tod meines Bruders und der Erkenntnis, dass ich auch draufgehen werde, da war meine Angst übermächtig.

Ich hätte alles dafür gegeben, um nicht so eine furchtbare, erdrückende Angst zu haben. Aber jetzt bin ich ganz ruhig. Vielleicht gibt es mich bald nicht mehr. Wahrscheinlich ist mein Körper schon in ein paar Tagen tot. Einfach nicht mehr existent. Kann nicht mehr fühlen, riechen, schmecken und nicht mehr denken. Mittlerweile kann ich diese Gedanken aushalten, ohne mich zu übergeben. Es ist einfach so. Es können nicht alle Geschichten gut ausgehen. Als mein Bruder noch lebte, da fühlten wir uns so sicher. Wir waren Glückskinder. Wie naiv. Wir wussten um die Kriege und den Terror auf der Welt. Hunger und Leid. Der Tod schreit uns heute noch täglich von den Screens an, wo sie die News in alle Welt senden. Wir wussten, wie sterbende Kinder aussehen. Aber die Härte des Lebens gab es immer nur in den Schicksalen anderer. Mein Bruder war auch für die meisten anderen Menschen, einer dieser anderen. Für ihn gab es kein Happy End und als die Krankheit auch bei mir ausgebrochen ist, war mir klar, dass es für mich auch keins gibt. Ich habe mich nicht mehr unbesiegbar gefühlt. Habe geforscht und gesucht und geübt und alles, was die Ärzte mit mir tun wollten, über mich ergehen lassen. Aber irgendwann, da hört man auf. Nicht zu kämpfen, sondern zu grübeln. Ich bin eine Kämpferin, aber mir fiel nichts mehr ein. Nichts, das Hoffnung versprach. Und jetzt ist sie plötzlich wieder da. Hoffnung. Davidi hat davon gesprochen.

Vielleicht gibt es doch noch ein Happy End für Naomi Engel. Aber mit der Hoffnung kommt auch die Angst zurück. Todesangst. Unmittelbar und brutal. Ich versuche sie zu bändigen, wie ich es die ganzen Jahre über geschafft habe, damit ich nicht wieder durch das Tal der puren Hilflosigkeit und Ohnmacht hindurch gehen muss. Damit ich einschlafen kann und morgen zur Vorlesung gehen kann, als würde mir der Tod nicht im Nacken sitzen. Es hat keinen Sinn, sich seinen Gedanken und Ängsten zu ergeben, das habe ich doch gelernt.

Ich benötige Schlaf, will jetzt endlich einschlafen. An dem Tag, an dem mein Bruder gestorben ist, ist der Tod zu mir gekommen und für immer geblieben. Auch die größte Willensanstrengung konnte mir mein altes Leben nicht zurückgeben, also lebe ich mein Neues. Carpe diem. Endlich spüre ich, wie der Schlaf sich meiner bemächtigt.

Begnadet - Wiedergeburt - Buch 3

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