Читать книгу Die Regeln meines Herrn | Erotischer SM-Roman - Starla Bryce - Страница 11
Оглавление9. Spontaneität
Jeder einzelne Buchstabe fühlte sich verboten an, als Ria ihn in die Suchmaschine eingab. Sie fühlte sich wie ein 13-jähriges Mädchen, das einem Star nacheiferte. Sie saß auf dem Bett und spürte, wie ihr gesamter Körper, der seit dem Vorabend in einen ausgefransten Karo-Schlafanzug gehüllt war, von einem Kribbeln durchzogen wurde. Wieso konnte sie es nicht einfach auf sich beruhen lassen? Wieso musste der Drang so stark sein? Was hatte Kaltwein noch gleich im Café Number 8 zu ihr gesagt? Pass auf, dass du nicht süchtig wirst!
War das nicht längst geschehen? Warum sonst war er ständig präsent in ihren Gedanken?
Ria klickte auf die Bilder-Suchergebnisse. Boah, dieses langsame Internet! Eigentlich störte es sie nicht, aber heute hätte sie ihren Laptop am liebsten gegen die Wand geschmissen. Florin war im Wohnzimmer und räumte seinen Koffer aus. Er konnte jeden Moment hereinkommen und Ria dabei ertappen, wie sie nach seinem Kumpel suchte!
Heutzutage fand man doch fast jeden im Netz. Sie musste also irgendetwas finden, oder? Ob er bei Facebook angemeldet war? Sie selbst besaß keinen Account bei dem sozialen Netzwerk. Sollte sie … Nein! Das war zu übertrieben, zu sehr Stalker-Style! Du wirst dir kein Profil erstellen, nur um zu sehen, ob er eines hat!, ermahnte sich Ria. Erneut glitten ihre Augen über die Bildergebnisse. Noch immer war die Seite nicht geladen.
Erst nach und nach baute sich die Internetseite auf und immer mehr Bilder wurden für Ria sichtbar. Woher nahm die Suchmaschine eigentlich immer diese überhaupt nicht zum eingegebenen Thema passenden Bilder? Frauen und Männer, die höchstwahrscheinlich gar nichts mit Kaltwein zu schaffen hatten, grinsten Ria an. Dazu Firmenlogos und Partybilder. Und ein kleiner Junge auf einem grünen Traktor.
Und dann sah Ria sein Gesicht. Ja, das musste er sein! Diesen selbstsicheren Blick hätte Ria unter Hunderten, Tausenden erkannt! Auf dem Bild trug er ein neongelbes Fußballtrikot. Es war eine Porträtaufnahme. Kaltweins dunkles Haar war so zurechtgemacht wie immer, wenn Ria ihn gesehen hatte. Einen Bart sah sie nicht. Wahrscheinlich war das Foto schon ein paar Tage alt. Spielte er noch immer Fußball? Florin hatte gar nichts erzählt. Aber das sollte Ria nicht wundern. Sport gehörte nicht zu den Dingen, die er interessant oder auch nur erwähnenswert fand. Ria horchte. Von Florin war nichts zu hören. Sie hoffte, dass er noch ein paar Minuten dort bliebe, wo er gerade war. Ria klickte auf das Foto. Im Schildkrötentempo öffnete sich die Website eines Fußballvereins. FC Freistoß las Ria in dem gelben Emblem links oben.
Eine Auflistung der Vereinsspieler öffnete sich. Unter ihnen war auch Kaltwein. Er spielte im Angriff. Ria erschien diese Position äußerst passend. Laut Saisonangabe war er noch aktiv dabei.
»Übrigens: Wir kriegen gleich noch Besuch!«, rief Florin aus dem Wohnzimmer. Ria zuckte zusammen und konnte ihren Laptop gerade noch vom Herunterfallen abhalten.
»Besuch? Gleich?« Entweder scherzte Florin oder sie hatte sich verhört. Den ganzen Samstag hatten sie Zeit gehabt. Doch Florin hatte lieber den kompletten Nachmittag in der Küche gestanden und indische Samosas zubereitet, nachdem er am Freitagabend in einer Kochsendung ein super interessantes Rezept aufgeschnappt hatte. Seit Florins Rückkehr hatte sich also nichts geändert. Die gemeinsame Unternehmung, die Florin ihr am Donnerstagabend versprochen hatte, war ein leeres Versprechen geblieben. Florin war so zerstreut und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass Ria sich gelegentlich fragte, ob er überhaupt wahrnahm, dass sie da war.
Die ganze Wohnung roch nach heißem Öl und indischen Gewürzen. Florin hatte mal wieder sein Bestes gegeben, um den Garam-Masala-Knoblauch-Geruch noch tiefer in die Möbel dringen zu lassen. Auf dem Küchenboden vor dem Geschirrspüler lagen noch immer einige Erbsen, die Florin heruntergefallen waren. Und in dieser Wohnung wollte er ernsthaft Besuch empfangen?
»Ich bleib dann im Schlafzimmer, okay?«
Florin schaute zur Tür herein. »Was? Wieso denn? Du sollst dabei sein. Wir sind doch ein Paar, Mäuschen!« Er kam auf Ria zu.
Rasch klappte Ria den Laptop zu, ehe Florin mitbekam, wen sie hier stalkte. Ein Kuss traf Rias Lippen. Gewohnt trocken und leidenschaftslos. Florin hatte wieder den ihm eigenen Geruch nach Essen an sich und in seinem blonden Haar klebte etwas, das Ria als Samosa-Teig einstufte.
»Außerdem: Wie sieht das denn aus, wenn du im Schlafzimmer bist? Irgendwann musst du vielleicht rauskommen, weil du ein Taschentuch brauchst oder das Klo benutzen musst. Oder …«
»Und was ist damit?« Ria deutete auf den ausgefransten Karo-Schlafanzug mit dem Schokoladenfleck, der nicht mehr rausging.
»Ach, das ist doch nicht schlimm! Da achtet doch eh keiner drauf. Es ist Wochenende! Wofür ist denn das Wochenende da, wenn nicht dafür, um in Schlafklamotten rumzuhängen?«
»Da achtet keiner drauf … Du vielleicht nicht. Aber sag mal: Wer will denn kommen?« Ria konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt Besuch bekommen hatten, der nicht aus Verwandten bestand. Mit Annalena traf sich Ria meist in einem Café oder Lokal und weitere Freundinnen waren bei ihr rar. Florin kam zwar mit den meisten Menschen super zurecht, doch auch er konnte nicht von sich behaupten, eine riesige Auswahl an Kumpels sein eigen zu nennen.
»Cyril will kurz vorbeikommen.«
Rias Herz machte einen Satz. »Er kommt hierher? Nicht dein Ernst, oder?« Rias Stimme gelang es nicht besonders gut, ihren Schrecken zu verbergen.
»Ja. Ich habe ihm vor Kurzem geschrieben, dass ich ihn gern mal zu uns einladen möchte. Als Dankeschön wegen des Bankwechsels und so. Hat ja so wunderbar geklappt! Und eben kam die Nachricht, dass er gerade in der Nähe ist. Ob es uns passen würde, wenn er kurz vorbeischaut.«
»Das ist … sehr spontan!« Ria fuhr sich durch ihre Haare. Es wäre ihr nicht schlechter gegangen, wenn sie die Aufgabe bekommen hätte, innerhalb einer Stunde zwei Kindergeburtstage und zehn Hochzeiten zu organisieren und nebenbei den Brand in einem Sechsfamilienhaus zu löschen.
»Du magst doch Spontaneität! Und somit unternehmen wir auch noch was. Auch wenn wir nicht weggehen. Vielleicht hat Cyril ja Lust, eine Runde Kniffel zu spielen oder so.«
Florin wollte, dass sie zusammen mit Kaltwein Kniffel spielte? Ria legte den Laptop auf Florins Bettseite. »Wann kommt er denn?« Geradezu ängstlich wartete Ria auf Florins Antwort.
»So in circa dreißig Minuten, hat er geschrieben.«
»WAS? Wann hat er das geschrieben?« Ria sprang vom Bett hoch.
»Keine Panik, Mäuschen. Du musst jetzt nicht die Wohnung wienern!«
Mit schnellen Schritten ging Ria in die Küche. Florin folgte ihr. »Doch, genau das muss ich! Hast du dich hier mal umgesehen?« Ria hob die hinuntergefallenen Erbsen vom Boden auf. Dabei fand sie noch ein paar Körner Basmatireis und undefinierbare Krümel. Das Einzige in der Küche, das nicht mit Staub überzogen war, waren das Gewürzregal mit 32 verschiedenen Gewürzen und der Herd, der tagtäglich in Benutzung war. Die Uhr zeigte an, dass es kurz vor sechs war.
»Stress dich nicht so. Wir sitzen doch nicht in der Küche. Ich mache die Tür zu und fertig. Aufräumen kann ich später immer noch.«
Das war wieder typisch! Florin lebte in seiner eigenen Welt, in der es nicht schlimm war, was andere Leute über einen dachten. Einerseits beneidete Ria diese Sichtweise ihres Verlobten, andererseits hätte sie sich am liebsten wie eine Würgeschlange auf ihn gestürzt.
Wichtiger als die Küche war jetzt aber erst einmal Rias Aussehen. Unmöglich konnte sie Kaltwein in diesem Aufzug gegenübertreten! Der Blick in den Badezimmerspiegel zeigte ihr, dass es noch schlimmer als vermutet um ihr Äußeres stand. Rias Haar konnte man ohne schlechtes Gewissen als ein einziges braunes Wirrwarr bezeichnen, auf der Stirn lenkte ein leuchtend roter Pickel die Aufmerksamkeit auf sich und in den Innenwinkeln ihrer Augen befand sich noch immer Schlafsand. Rias Gesicht hatte heute noch keinen Kontakt mit einem einzigen Kosmetikartikel gehabt. Für gewöhnlich war Rias Motto: Make-up-frei am Wochenende! Doch für Kaltwein wollte sie alle Register ziehen. Zumindest die, die Florin nicht stutzig machten. Ria kramte in ihrer hellblauen Kosmetiktasche, die Spuren von zerbröckeltem Lidschatten zierte. Der Inhalt war mehr als übersichtlich: Eine Lidschatten-Palette mit Rosé-Tönen und eine von derselben Marke mit Weiß, Grau und Schwarz für klassische Smokey Eyes, ein Mascara, ein Kajalstift, der nur noch wenige Zentimeter groß war, und ein Augenbrauenstift, den Ria selten benutzte.
Ria zog einen schwarzen Lidstrich über beide Augenlider. Das linke Auge, das Ria als Letztes schminkte, schien einen störrischen Tag zu haben. Ausgerechnet heute! Zwei Mal musste Ria den Kajalstrich mit Make-up-Entferner wegwischen und einen neuen Versuch starten. Erst dann war sie einigermaßen mit dem Ergebnis zufrieden. Karamellfarbener Lidschatten gab Rias Augenlidern einen leichten Schimmer. Ihre Lippen schminkte Ria in einem dezenten Rotbraun. Mit dem Ergebnis ganz zufrieden, fehlte nun nur noch das passende Outfit. Auf dem Weg ins Schlafzimmer blockierte Florin den Weg und lächelte Ria zu. »Wow! Sieht toll aus. Gehst du heute Abend noch auf eine Preisverleihung?«
»Gehst du bitte beiseite? Ich muss mich umziehen!«, zischte Ria. Ihr blieb nur wenig Zeit. Und die Wohnung! Die musste Ria auch noch vom Schlimmsten befreien. Hatte sie irgendwo noch Renovierungsplanen rumliegen? Damit könnte sie die größten Katastrophenbereiche abdecken. Im Keller! Da mussten die übrig gebliebenen Planen sein, zusammen mit der Farbrolle und anderem Renovierungszubehör.
Wie ein Meerschweinchen auf Dope rannte Ria durch die Zimmer, um nachzusehen, wo es am schlimmsten aussah. Der Stapel von Florins Aubercchini-Ausgaben stand mitten im Flur herum, ein schiefer Turm aus Altpapier. Ria verfrachtete ihn in zwei Touren ins Schlafzimmer. Doch der wichtigste Bereich blieb das Wohnzimmer. Hier würden sie mit Kaltwein sitzen. Jetzt fiel Ria mehr denn je auf, wie wenig die Möbel und Dekoartikel zusammenpassten. Sie selbst hatte diesen charmanten Mischmasch immer gemocht. Individualität statt Katalog-Design. Aber Kaltwein? Er schätzte höchstwahrscheinlich das Elegante und Teure. Ria war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Kaltwein gleich in ihrem Wohnzimmer sitzen würde – auf dem Sofa, bei dem die Flecken beinahe schon ein eigenständiges Muster bildeten.
Ehe Ria jedoch diese Baustelle in Angriff nahm, erinnerte sie sich daran, wo sie eigentlich hatte hingehen wollen: ins Schlafzimmer.
»Du willst wirklich jetzt noch was anderes anziehen? Mach dir keinen Stress, Mäuschen! Wir gehen doch fast schon wieder schlafen.«
Ria hatte große Lust, Florin mit einem lauten Uargh! an die Gurgel zu springen. Er konnte doch nicht allen Ernstes wollen, dass sie Kaltwein in ihrem Schlafanzug gegenübertrat? Ihm, der Ria die Nässe zwischen die Schenkel trieb. Sie wollte gut aussehen. Mehr als das! Sie wollte, musste ihm begehrenswert erscheinen.
Im Schlafzimmer riss Ria die Schranktüren auf. Die Eile drängte sie, schnell eine Wahl zu treffen. Doch fühlte Ria sich nicht imstande, ihre Hände über die Kleidungsstücke gleiten zu lassen. Statuenhaft stand sie vor dem Schrank, unfähig, sich zu rühren. Sie brauchte etwas mit WOW-Effekt. Kleidung, die sie optisch ins beste Licht rückte. Andererseits durfte es auch nicht zu übertrieben sein. Sie musste so cool wie möglich wirken. So, als hätte sie sein Besuch keinesfalls aus dem Konzept gebracht. Damit schied das meerblaue Paillettenkleid von Silvester vor drei Jahren aus.
»Dir ist es heute echt wichtig, gut auszusehen, was?« Florin lehnte sich in den Türrahmen. Wieso war er gerade heute so anhänglich?
Ria schaute ihren Verlobten an. »Es ist mir wichtig, dass du der Einzige bist, der mich im Schlafzeug sieht!«
»Entspann dich! Ist doch nur ein nettes kleines Treffen.«
»Lass mich einfach eben machen, okay? Du kannst ja schnell mal schauen, ob wir Getränke da haben.«
Florin trank gewöhnlich Leitungswasser. Es war günstiger und so brauchte Florin keine Angst wegen der Weichmacher in den Plastikflaschen zu haben. Ria war mit schwarzem Tee und Kräutertees zufrieden. Selten stand bei ihnen ein Sechserträger Limo, Cola oder anderes süßes Zeug herum.
Florin entfernte sich vom Türrahmen.
Aus ihrer Starre erwacht, schob Ria in einem Anfall von Hektik die Drahtbügel zur Seite – einen nach dem anderen, um sich einen Überblick über ihre Kleidung zu verschaffen. Da gab es die orange-weiße Tunika. Aber der Stoff war für die warmen Temperaturen eindeutig zu dick!
Ria entschied sich für den hellblauen Jumpsuit mit Spaghettiträgern und rosa Kolibri-Muster.
Wenn Kaltwein pünktlich war, blieben Ria noch etwa fünfzehn Minuten, um die Wohnung auf Vordermann zu bringen. Ria bereute es jetzt, so ein Putzmuffel zu sein. Was, zum Henker, war hier das Schlimmste? Der Boden, der mit Staubmäusen belagert war? Die Küche mit dem Haufen schmutzigen Geschirrs? Ria beschloss, dass die Spinnweben an der Decke wohl am schnellsten zu entfernen waren, damit es etwas weniger nach Hexenwohnung aussah. Die Spinnen hatten die Decken und Ecken der Räume innerhalb von mindestens zwölf Monaten kunstvoll dekoriert. So sahen sie es bestimmt. Für Kaltwein wären sie ein Zeichen dafür, dass Ria eine faule, schlampige Hausfrau sein musste. Ganz egal, dass sie einen Vollzeitjob hatte – es waren doch immer noch die Frauen, denen man eine unaufgeräumte Wohnung übel nahm. Ria nahm sich die alte Staubbiene, die ihr Vater ihr zu einem ihrer Geburtstage geschenkt hatte – für Ludwig Ettgers Verhältnisse ein sehr persönliches Geschenk. Bad, Schlafzimmer und Küche ließ Ria getrost aus und widmete sich den Bereichen, die Kaltwein auf jeden Fall zu Gesicht bekommen würde.
»Die Staubbiene ist noch da? Ich dachte, die wäre längst verschollen!« Florin lachte. »Nein, Spaß, mein Mäuschen. Aber ich frage mich immer noch: wozu der Aufwand? Wenn du unbedingt die Wohnung putzen willst, können wir das doch morgen machen. Wir haben nichts weiter vor. Aber abends? Das muss doch nicht sein.«
Ria konnte sich vorstellen, dass es komisch aussah, wie sie sich geschminkt und im Jumpsuit in die Luft streckte, um mit der Staubbiene die hohen Decken zu erreichen. »Willst du mich jetzt beobachten oder mir helfen?«
Florin nahm seine Denkerpose ein und blickte nach oben. »Ich glaube, ich nehme die erste Option und beobachte dich. Dieser Anblick ist so rar!«
»Haha! Du solltest mir wirklich helfen! Oder willst du einen schlechten Eindruck bei deinem Freund machen?«
Florins Lachen war nicht aus seinem Gesicht zu kriegen. »Darüber mach dir mal keine Sorgen! Aber ich helfe dir gleich. Muss nur noch kurz auf Klo.«
Ria hätte toben können. Schlimm genug, dass Florin seinen Kumpel in diese unordentliche Wohnung bestellt hatte. Aber jetzt half er ihr noch nicht mal beim Saubermachen! Florins Toilettensitzungen dehnten sich nicht selten bis auf eine halbe Stunde aus. Ria wollte gar nicht wissen, ob er währenddessen Rezepte in seinen Kochzeitschriften studierte oder auf seinem Handy Kochvideos ansah.
»Verdammte Axt! Weg jetzt!« Die Spinnweben an der Ecke zum Balkon wollten nicht abgehen, egal, wie sehr Ria sich mit dem Fluchen ins Zeug legte. Doch statt sich der Staubbiene zu ergeben und sich einfangen zu lassen, rieselte der Spinnwebenflatschen auf Rias Kopf hinab. Ria strich sich schnell über die Haare.
Es klingelte.
Was? Das konnte doch nicht … War er wirklich schon da? War die Zeit so schnell vergangen oder war er früher als erwartet eingetroffen? Stand er unten an der Eingangstür oder war er bereits die Stufen zum ersten Stockwerk hinaufgelaufen? Je nachdem, ob Ben, der pubertierende Skater-Junge von oben wieder mal die Tür nicht geschlossen hatte.
»Gehst du? Ich habe hier gerade noch was Wichtiges zu erledigen!«, kam aus dem Badezimmer.
Ria warf die Staubbiene ins Schlafzimmer, wo Kaltwein sie nicht sehen würde. Bevor sie zur Tür ging, versicherte sie sich, dass sie alle Zimmertüren geschlossen hatte.
Wieso konnte Florin nicht die Tür öffnen und Ria somit einen Funken Peinlichkeit ersparen? Musste seinem Darm ausgerechnet jetzt einfallen, dass er entleert werden wollte?
Es klingelte erneut. Ria wollte sich ein Loch in den Fußboden bohren und schleunigst von hier verschwinden.
»Gehst du jetzt?«, rief es aus dem Bad.
»JA!« Ria schluckte ihr Unbehagen hinunter. So war zumindest der Plan. Sie würde ihn gleich wiedersehen. Cyril Kaltwein. Der sie nachts im Bett wach liegen ließ und ihre Pussy mit immer neuem Schwanzgleitsaft ausstattete. Sie wollte nicht an ihn denken. Aber jetzt würde er jeden Moment ihre Wohnung betreten und sein Duft würde möglicherweise den Geruch nach indischem Essen übertönen und sich in die Möbel reinbrennen, wie er sich bereits in Rias Nase gebrannt hatte.
Mit langsamen Schritten ging Ria zur Tür. Würde seine Anwesenheit sie heute wieder so willenlos werden lassen? Im Billard-Café hätte Ria sich ihm am liebsten komplett hingegeben. Ein letzter Blick in den Spiegel an der Garderobe versicherte Ria, dass ihr Erscheinungsbild okay war. Sie drehte den Schlüssel im Schloss um. Florin schloss abends immer ab, weil es ihm ein Gefühl von Sicherheit gab.