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Es war seltsam, seinen Fuß wieder auf den Boden von Beltaran zu setzen. Dexter fühlte sich, als würde er hier nicht hergehören. Dabei sah Ender, die planetare Hauptstadt der Grafschaft, so aus wie in seiner Erinnerung. Ein bisschen moderner vielleicht, aber immer noch sauber, ordentlich und strahlend schön. Dies alles entbehrte jedoch nicht eines Wermutstropfens: Die zunehmende Militarisierung Enders war allgegenwärtig.

Die aufgehende Sonne sandte ihre Strahlen über die Skyline der Stadt und tauchte die Wolkenkratzer in sanftes Licht. Eine Staffel Samurai-Helikopter flog im Tiefflug Patrouille über den Dächern und zerstörte damit das idyllische Bild. Auf vielen Gebäuden waren Luftabwehrstellungen installiert worden. Zu Zeiten seines Vaters hätte es das niemals gegeben. Nahezu jeder Platz, jede Straßenecke und jede Kreuzung wurde von Panzern oder schwerer Infanterie kontrolliert.

Die Zustände auf Beltaran waren schlimmer als während des Krieges. Man hätte meinen können, der Planet erwarte jeden Augenblick einen verheerenden Angriff. Dexter aber weigerte sich zu glauben, dass die Lage so weit eskalieren würde. Er hob den Blick. Eine zweite, eine dritte und kurz darauf sogar eine vierte Helikopterstaffel gesellten sich zu der ersten. Dexter verzog schmerzhaft berührt die Miene. Vielleicht irrte er sich auch.

Hoch am Himmel zog ein Schwarm Jäger seine Bahn. Dexter überschattete seine Augen mit der rechten Hand, konnte aber nicht erkennen, um was für einen Typ es sich handelte.

Die Grafschaft Beltaran konnte zur Verteidigung im Grunde auf zwei Truppenverbände bauen: die Miliz sowie die Blackburn-Hausgarde. Gemeinsam brachten es die beiden Waffengattungen auf ungefähr hunderttausend Mann unter Waffen. Hinzu kamen noch einmal etwa fünfzigtausend Mann, die an Bord der beltaranischen Systemflotte dienten.

Die Streitkräfte Beltarans waren sicherlich kompetent und für die Einheiten einer Grafschaft darüber hinaus gut bewaffnet. Dexter schätzte, dass sie durchaus einem Angreifer beträchtlichen Schaden zufügen konnten. Sollte es aber zu einem Schlagabtausch mit der Colonial Royal Navy kommen, würden sie innerhalb weniger Tage – allerhöchsten zwei oder drei Wochen – überwältigt werden.

Dexter blieb stehen, sobald er das Raumhafengebäude verlassen hatte, und atmete tief durch. Die Wiedersehensfreude wurde durch das allgegenwärtige Gefühl einer bevorstehenden militärischen Auseinandersetzung getrübt.

In seinem Kielwasser folgten Melanie St. John, Red, Lincoln Dunlow sowie Wolfgang Koch. Sie versammelten sich um ihn und musterten die Szenerie alle mit ähnlicher Mimik. Keinem von ihnen gefiel, was zu sehen war.

Melanie trat einen Schritt näher. »Wusstest du davon?«

Dexter sah sich halb um. »Dass es so schlimm ist?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hatte keine Ahnung.«

Dunlow rümpfte die Nase. »Ich habe schon Planeten kurz vor einer Invasion erlebt, auf denen die Stimmung positiver war.«

»Sie sollten nicht vergessen«, ermahnte Dexter, »hier stehen Menschen des Königsreichs gegen Menschen des Königreichs.«

Dunlow schnaubte. »Es waren Menschen des Königreichs, die meine Heimat vernichteten. Verzeihen Sie, wenn sich mein Mitgefühl in Grenzen hält.«

Koch warf dem Mann einen missbilligenden Blick zu. »Diese Leute hier sind in Schwierigkeiten, weil sie Ihren Leuten geholfen haben. Ein wenig Dankbarkeit wäre bestimmt nicht zu viel verlangt.«

Scham huschte über Dunlows Gesicht. »Sie haben natürlich recht.« Sein Blick zuckte in Dexters Richtung. »Vergeben Sie mir. Ich befürchte, meine Umgangsformen haben etwas gelitten.«

Dexter winkte ab. »Vergessen Sie es. Ich denke, wir haben auch durchaus andere Probleme.« Er setzte sich in Bewegung, seine Begleiter folgten ihm auf dem Fuße.

Ein unabhängiger Frachter hatte sie von Selmondayek nach Beltaran geschmuggelt. Es war riskant und langwierig gewesen. Der Flug hatte fast einen Monat gedauert, länger als mit jeder anderen Beförderungsmöglichkeit. Außerdem hatte es ihre finanziellen Möglichkeiten schrumpfen lassen. Sie hatten nicht nur den Frachterkapitän bezahlen, sondern auch zwei Mitglieder der beltaranischen Zollbehörde schmieren müssen. Das Schlimmste war, dass keiner von ihnen eine Waffe trug. Bewaffnet hätten sie es nie aus dem Raumhafengebäude geschafft.

Koch seufzte. »Also, Commodore? Wie gehen wir am besten vor?«

Dexter überlegte. »Als Erstes beziehen wir irgendwo ein günstiges Hotel und ruhen uns etwas aus. Major St. John kann die Zeit nutzen, um das örtliche Datennetz nach Informationen zum Tod meines Vaters zu durchforsten. Gleichzeitig besorge ich uns ein paar Waffen.«

Koch zog beide Augenbrauen hoch. »Und wo wollen Sie die herbekommen?«

Dexter lächelte. »Das hier ist das Vereinigte Koloniale Königreich. Ein Schwarzmarkt für Waffen gibt es in jeder größeren Stadt. Man muss nur wissen, wohin man zu gehen hat.«

Die Absteige, in der sie sich einmieteten, verdiente die Bezeichnung Hotel nicht wirklich. Es war dreckig und heruntergekommen. Das einzig Positive war, dass sie oberflächlich betrachtet keine Schädlinge in den Zimmern fanden. Aber vermutlich nur deshalb, weil Asseln, Schaben und Ähnliches es vorgezogen hatten, das Hotel mit Sack und Pack zu verlassen. Die Gruppe nahm zu fünft lediglich ein Zimmer, da sie sich nicht mehr leisten konnten.

Der Mann an der Rezeption verzog zwar die Miene, bei der Vorstellung, dass eine Frau und vier Männer gemeinsam ein Hotelzimmer buchten, sagte aber nichts dazu. Vermutlich hatte ihn seine schmutzige Fantasie bereits mit irgendeiner Geschichte versorgt, in der Melanie unter den Männern herumgereicht wurde. Sollte er doch glauben, was er wollte, solange er die kleine Gruppe sich selbst überließ.

Dexter führte seinen Plan aus und überließ seine Kameraden eine Weile sich selbst, um für einigen Schutz zu sorgen, den sie bei ihrem Vorhaben dringend brauchen würden.

Er kehrte nach gut fünf Stunden zurück ins Hotelzimmer. Die Tasche, die er bei sich hatte, war prall gefüllt. Er warf sie auf das Bett, wobei Melanie dem improvisierten Wurfgeschoss ausweichen musste.

»Hey!«, protestierte sie.

»Entschuldige«, entgegnete Dexter. »Ich bin nur frustriert.« Er maß jeden der Anwesenden mit festem Blick. »Wir sind jetzt ganz offiziell pleite. Die Waffen haben unsere letzten Reserven aufgebraucht. Entweder wir finden eine andere Geldquelle hier auf Beltaran oder uns werden recht schnell die Optionen ausgehen.«

»Wir können ja zu Ihrem Bruder gehen«, frotzelte Dunlow in dem Versuch, einen Witz zu machen.

Dereks finsterer Blick brachte ihn umgehend zum Schweigen. »Das werden wir ganz sicher nicht tun. Wir werden meinen Bruder so lange wie möglich aus der Sache heraushalten.« Er schlug die Augen nieder. »Ich weiß nicht, inwieweit man ihm trauen kann.«

Melanie sah auf. »Sie glauben doch nicht, dass er was mit dem Tod Ihres Vaters zu tun hat?«

Dexter biss sich leicht auf die Unterlippe, bevor er antwortete. »Er gehört mit Sicherheit zu den Verdächtigen. Er ist der direkte Nutznießer vom Tod meines Vaters.«

Melanie schüttelte den Kopf. »Wir sollten uns nicht zu schnell auf einen Verdächtigen festlegen. Warten wir es erst mal ab, was wir herausfinden.«

Dexter musterte die Nachrichtendienstoffizierin eindringlich. »Hast du denn schon was herausgefunden?«

Sie zögerte und seufzte. »Nicht das Geringste. Im Netz sind so gut wie keine Informationen über den Tod des Grafen zu finden.«

Dexter runzelte die Stirn. »Ist das normal?«

Melanie verzog die Miene. »Ganz im Gegenteil. Das ist sehr ungewöhnlich. Man findet immer Informationen über alles im Netz. Wenn etwas nicht zu finden ist, dann deshalb, weil sich jemand große Mühe damit gegeben hat, alles aufzuspüren und zu beseitigen, und in der heutigen Zeit ist das ein enormer Aufwand. Es war schon vor fünfhundert Jahren gelinde gesagt schwierig, aber nun ist es eine ungleich härtere Herausforderung. Vor einer Stunde hätte ich noch gesagt, es wäre unmöglich.«

Dexter fluchte unterdrückt. »Das erschwert unser Vorhaben. Ich hatte gehofft, eine Suche im Netz liefert uns einen ersten Anhaltspunkt.«

Während Dexter angestrengt nachdachte, begab sich Dunlow zur Tasche auf dem Bett und öffnete sie. Er pfiff leise durch die Vorderzähne und breitete ihre neuen Spielsachen auf dem Bett aus. Es handelte sich um ein paar Handfeuerwaffen, zwei Maschinenpistolen, ein Sturmgewehr sowie ein zerlegbares Scharfschützengewehr. Koch nahm es sofort an sich und begann, es fein säuberlich zusammenzusetzen. Es handelte sich um ein älteres Modell, aber der Scharfschütze war sofort in seinem Element. Er prüfte die Zieloptik, nickte zufrieden und strich zärtlich über das schwarze Gehäuse der Waffe.

Dunlow förderte auf dem Grund der Tasche noch mehrere Blend- und Splittergranaten zutage und sah Dexter mit neuem Respekt an. »Ziehen wir etwa in den Krieg?«

Dexter zuckte die Achseln. »Gut möglich. Ich wollte auf jede Eventualität vorbereitet sein.«

Melanie zuckte die Achseln. »Wir sind jetzt gut ausgerüstet. Bleibt aber die Frage, wofür?«

Dexter war nicht glücklich über den nächsten Schritt, doch er sah keine Alternative. »Saizew hat durchblicken lassen, dass beim Tod meines Vaters irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging.« Er hob den Kopf. »Also sehen wir uns einfach mal die Leiche meines Vaters an.«

Die Nordhalbkugel von Beltaran lag in tiefdunkler Nacht. Noch nicht einmal Sterne waren zu sehen. Es schien, als würden sie sich verstecken vor den grausamen Tagen, denen der Planet mit Riesenschritten entgegenging.

Wie dem auch sei, die allumfassende Schwärze begünstigte Dexters Vorhaben. Der Commodore, St. John, Red sowie Lincoln Dunlow überwanden den Zaun, der den Zentralfriedhof von Ender umgab, ohne Mühe. Es war ihnen ein Leichtes, die wenigen Nachtwächter zu umgehen. Koch hatte in einem leer stehenden Gebäude einige Hundert Meter entfernt Stellung bezogen und gab ihnen mit seinem Scharfschützengewehr Deckung. Dexter hatte sogar daran gedacht, ein Optikmodul für Nachteinsätze für das Gewehr zu besorgen.

Dexter hielt inne und bedeutete seinen Kameraden, es ihm gleichzutun. In einiger Entfernung ging ein Nachtwächter vorüber. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe zog behäbig über die zahlreichen, ordentlich in Reih und Glied drapierten Grabsteine. Obwohl der Mann keine Gefahr war, hielt Dexter den Atem an. Das Letzte, was er wollte, war, jemanden zu verletzen.

Der Nachtwächter eilte aber vorüber, ohne sich ihrer Gegenwart bewusst zu werden. Dexter atmete erleichtert aus. Er setzte sich erneut in Bewegung.

Die Familiengruft der Blackburns befand sich ziemlich mittig des Areals und war auch schon von Weitem gut zu erkennen. Es war auf Beltaran bereits seit Jahrhunderten Sitte, die Mitglieder der Grafenfamilie einzubalsamieren. Dexter hoffte, der Körper seines Vaters würde Aufschluss über dessen Tod liefern. Es war eine geringe Hoffnung, aber mehr besaßen sie im Moment nicht.

Die vier Soldaten schlichen über das Gelände. Sie huschten dabei von Deckung zu Deckung, zu jedem Zeitpunkt mit Problemen rechnend. Die Familiengruft der Blackburns erhob sich in der Ferne, bei Nacht lediglich ein großer, schwarzer Schemen. Dexters Blick blieb darauf fixiert. Unbewusst trieb er seine Begleiter zur Eile an. Er konnte es nicht erwarten, die Gruft zu betreten – aber er fürchtete sich auch davor.

Sergeant Wolfgang Koch lag bäuchlings in einem Raum, der vermutlich mal als Büro vorgesehen gewesen war. Das ganze Gebäude war allerdings nie fertiggestellt worden. Vermutlich gehörte es zu den Projekten, bei denen mitten in der Bauphase das Geld ausgegangen war. Da ein Abriss ebenfalls nicht unerhebliche finanzielle Mittel benötigte, die niemand aufbringen wollte, hatte man das Gebäude einfach in halb fertigem Zustand stehen lassen.

Für Wolfgang stellte das sogar einen Glücksfall dar. Die gesamte Südfront fehlte fast gänzlich, was es ihm erlaubte, etwas weiter hinten im Raum auf dem Bauch zu liegen und trotzdem freie Sicht auf das Zielgebiet zu haben.

Wolfgang unterdrückte standhaft ein Gähnen. Als Scharfschütze war er es gewohnt, manchmal tagelang in ein und derselben Stellung zu verharren und auf Beute zu lauern.

Er spähte durch die Zieloptik. Dexter Blackburn und die anderen drei Skull-Offiziere waren lediglich sich bewegende unförmige farbige Flecken. Das Körperzentrum strahlte dabei in besonders deutlichen Rot- und Gelbtönen.

Etwas ganz am Rand von Wolfgangs Blickfeld erregte seine Aufmerksamkeit. Im ersten Moment hielt er den farbigen Fleck für einen der Nachtwächter auf seiner stündlichen Runde. Doch dieses Ziel bewegte sich deutlich vorsichtiger und in halb gebückter Haltung. Als sich auch noch ein zweiter und ein dritter Fleck hinzugesellten, war Wolfgang vollends alarmiert.

Wolfgang aktivierte sein Kommlink. »Commodore? Sie haben Gesellschaft.«

Blackburn antwortete ihm nicht. Tatsächlich drang nichts aus dem Kommlink. Noch nicht einmal statisches Rauschen, was an sich schon ungewöhnlich war. Weitere Gestalten tauchten auf. Das kundige Auge des Scharfschützen erkannte augenblicklich, dass sie dabei waren, die Skull-Offiziere einzukreisen. Dabei gingen sie umsichtig und versiert zu Werke. Das waren eindeutig Profis. Wolfgang fluchte.

Der Scharfschütze nahm den Gegner ins Visier, der der Gruppe um Blackburn am nächsten war. Sollte der unbekannte Angreifer eine imaginäre Linie überschreiten, würde Wolfgang tun, was notwendig war.

Noch zögerte er jedoch, den tödlichen Fangschuss anzubringen. Der Kontakt zu Blackburn und jedem anderen Mitglied der Gruppe war offenbar abgebrochen. Würde er jetzt das Gefecht eröffnen, dann wären sie die Leidtragenden. Für sie käme der Angriff völlig überraschend. Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als die Sache weiterhin zu beobachten. In diesem Moment bemerkte er die Gefahr, die sich hinter ihm näherte. Wolfgang wirbelte herum und zog dem Angreifer in seinem Rücken die Beine unter Körper weg. Dieser fluchte und prallte schwer auf dem Boden auf. Wolfgang kam behände auf die Beine und ging sofort in Kampfstellung über.

Der Scharfschütze machte sich bereit, den Mann erneut anzugreifen, bevor dieser sich wieder aufrappeln konnte. Mit einem Mal flammten mehrere Laserzielvisiere aus der Finsternis auf. Wolfgang sah an sich herab und musterte das halbe Dutzend roter Punkte, die alle dicht bei seinem Herzen verharrten. Er hob das Haupt und fletschte die Zähne. »So ein Mist!«, fluchte er.

Melanie St. John benötigte lediglich Sekunden, um das hoch komplizierte Schloss am Tor der Familiengruft der Blackburns der knacken. Insgeheim war Dexter froh, sie mitgenommen zu haben. Ihm selbst wäre der Vorgang deutlich schwerergefallen.

Das Tor schwang quietschend auf. Dexter sah sich eilig um. Die Dunkelheit blieb jedoch friedlich. Kein Nachtwächter eilte herbei, um nach dem Ursprung des Geräusches zu suchen.

Melanie trat beiseite und überließ es Dexter voranzugehen. Dieser setzte seinen Fuß auf die erste Stufe. Aus Erfahrung wusste er, die Treppe führte nur acht Stufen in die Tiefe. Dennoch gelang es ihm nicht, die Dunkelheit zu durchdringen, trotz seiner bereits eingesetzten Nachtsicht. Solange er auch in die Finsternis starrte, diese starrte lediglich zurück und schien sowohl Körper als auch Geist zu durchdringen. Er schauderte. Der Schauer, der seinen Rücken hinablief, hinterließ eine unangenehme Gänsehaut.

Dexter wurde bewusst, dass er wie erstarrt auf dem oberen Treppenabsatz verharrte. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was wohl gerade seine Begleiter von ihm dachten. An der Wand befand sich ein Lichtschalter. Er entschloss sich jedoch, diesen nicht zu benutzen. Es würde unliebsame Aufmerksamkeit auf sie ziehen.

Stattdessen zog er seine Taschenlampe hervor und beleuchtete den Weg voraus. Er nahm einen kurzen Atemzug und rümpfte unwillkürlich die Nase. Die Luft roch muffig nach verrottendem Fleisch. Der Geruch des Todes haftete diesem Ort an. Nun, das war keine Überraschung. Es wunderte ihn lediglich, warum er nicht zuvor damit gerechnet hatte.

Dexter setzte seinen Weg fort und bemühte sich dabei, flach und durch den Mund zu atmen. Wenige Meter weiter erreichten die drei Männer und Melanie St. John eine weite Kammer mit hoher Decke.

Dexter blieb ehrfürchtig stehen. In dieser Gruft lagen die sterblichen Überreste von sechs Generationen der Blackburns. Männer und Frauen, die sogar schon gegen die Solare Republik im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatten. Er senkte andächtig den Blick. Dexter kam sich hier vor wie ein Eindringling. Dies war ein heiliger Ort für seine Familie. Ein Ort der Ehre. Dexter hatte immer angenommen, auch einmal hier beigesetzt zu werden. Neben seinem Bruder, seiner Mutter … seinem Vater.

Er ging weiter, hielt nur einmal schweigend am Sarg seiner Mutter inne. Dexter sprach in Gedanken einige Worte. Es handelte sich um ein kurzes Gebet, das die Toten auf ihrem Weg begleiten sollte. Dexters Mutter war, schon Jahre bevor er auf die Asylum gekommen war, an einer schweren Krankheit gestorben. Sein Vater hatte sich niemals gänzlich davon erholt. Dexter fragte sich, welchen Verlauf die Geschichte seines Vaters und auch seine eigene genommen hätte, wäre die Gräfin Blackburn nicht derart früh aus dem Leben gerissen worden. Ihre ruhige, besonnene Präsenz hatte immer mäßigend auf Dexters heißblütigen Vater eingewirkt. Und auch auf ihre gemeinsamen Söhne.

»Wir müssen uns beeilen«, mahnte Melanie flüsternd.

Dexters Gedanken kehrten ins Hier und Jetzt zurück. Er schüttelte den Kopf, als würde er aus einem Traum erwachen. Schließlich nickte der Skull-Offizier. »Du hast recht.«

Er wandte sich dem Sarg seines Vaters zu. Dieser stand direkt neben dem seiner Mutter. Dexter machte eine knappe Handbewegung. Melanie und er positionierten sich auf der rechten Seite, Lincoln und Red auf der linken. »Auf drei«, wies Dexter sie an. Er holte tief Luft und eröffnete den Countdown. »Eins … zwei … drei!« Bei der letzten Zahl stemmten die vier Gefährten den Sargdeckel in die Höhe und legten ihn behutsam beiseite.

Das verdammte Ding war weit schwerer, als er angenommen hatte. Stockend atmend richtete sich Dexter wieder auf. Er konnte es kaum erwarten, endlich den einbalsamierten Körper seines Vaters zu untersuchen. Er musste einfach wissen, was Saizew mit seiner geheimnisvollen Andeutung gemeint hatte. Der Präsident der Freien Republik Condor hatte es inmitten einer blutigen Schlacht für nötig gehalten, Dexter auf diesen Weg zu bringen. Der Mann hatte sich etwas dabei gedacht und Dexter war entschlossen herauszufinden, worin dies bestand.

Dexters Blick richtete sich auf das Innere des Sargs und er verharrte fassungslos. Eine eisige Klammer schien nach seinem Herzen zu greifen und mit aller Kraft zuzudrücken. Seine drei Kameraden erstarrten nicht weniger verblüfft. Der Sarg war leer.

»Was zum Teufel geht hier vor?«, flüsterte Dexter mit kaum unterdrücktem Zorn. Er runzelte die Stirn. »Jemand hat seine Leiche gestohlen!«

Clayton Redburn beugte sich tief hinunter und sog leicht die Luft ein. Schließlich richtete er sich kopfschüttelnd auf. »Das bezweifle ich. In dem Sarg hat niemals eine Leiche gelegen.« Er sah auf und musterte Dexter mitfühlend. »Es tut mir leid, Commodore, aber die sterblichen Überreste Ihres Vaters waren niemals hier.«

Dexter versuchte, den Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seinem Hals zu bilden drohte. Es gelang ihm nicht völlig. Bevor er etwas erwidern konnte, ging schlagartig das Licht in der Gruft an. Die Skull-Offiziere blinzelten in der unerwarteten Helligkeit. Tränen traten in Dexters Augen und behinderten seine Sicht zusätzlich. Er ließ die Taschenlampe fallen und griff nach der unter seiner Jacke verborgenen Waffe.

»Das würde ich nicht tun«, sprach ihn eine befehlsgewohnte Stimme an.

Waffen wurden durchgeladen und er spürte mehr, als er es sah, dass ein Dutzend Gewehrläufe auf seine Kameraden und ihn gerichtet wurden. Dexter blinzelte gegen die Helligkeit an. Seine Sicht klärte sich etwas. Er begann, Umrisse wahrzunehmen.

Der Raum hatte sich mit Bewaffneten gefüllt, allen voran zwei Männer. In dem einen meinte er Vladimir, den Anführer des gräflichen Personenschutzes, zu erkennen. Der andere war sein Bruder.

Miles Blackburn trat mit angelegter Waffe einen Schritt vor. »Willkommen zu Hause, Bruder!« Die Stimme des amtierenden Grafen von Beltaran nahm einen harten Tonfall an. »Du hättest auf mich hören und dich von dieser Welt fernhalten sollen.«

SKULL 3: Die Würfel fallen

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