Читать книгу SKULL 3: Die Würfel fallen - Stefan Burban - Страница 8

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Dexter rieb sich müde die Augen. Er hatte in den vergangenen drei Tagen kein Auge zugemacht. Aber trotz der Strapazen und Entbehrungen hatte es sich gelohnt. Es gab keine feindlichen Schiffe in Ortungsreichweite. Sie waren entkommen, und das, ohne auch nur ein einziges Schiff zu verlieren. Eine Leistung, auf die man zu Recht stolz sein konnte.

Dexter überflog im Kopf noch einmal die Aufstellung seines derzeitigen Kommandos. Die Skulls verfügten noch über elf einsatzfähige Kriegsschiffe sowie über etwa ein Dutzend Truppentransporter. Alle hatten während ihrer tagelangen Flucht mehr oder weniger Schaden genommen, aber sie flogen immerhin aus eigener Kraft. Dafür musste man schon dankbar sein.

Darüber hinaus hatten sich ihnen siebzehn Schiffe der condorianischen Streitkräfte unter dem Kommando von Konteradmiral Irina Necheyev angeschlossen. Diese siebzehn Schiffe waren die einzigen Überlebenden der Raumverbände der Freien Republik Condor. Alles in allem war ihre derzeitige Stärke einfach nur deprimierend. Und dass sie es überhaupt so weit geschafft hatten, ohne in tausend Stücke gesprengt zu werden, grenzte an ein Wunder.

Dexter hatte sich zur Besprechung relativ früh eingefunden und war wenig überrascht, der Einzige im Raum zu sein. Irgendein unbekannter Ordonnanzoffizier hatte Initiative gezeigt und für Erfrischungen gesorgt. Leere Gläser, Wasserflaschen und Kannen mit dampfendem Kaffee standen auf dem Tisch, darüber hinaus Teller mit Gebäck.

Bei dem Anblick machte sich Dexters Magen schmerzhaft bemerkbar. Wie die meisten anderen hatte er seit Beginn ihrer Flucht von Condor kaum gegessen oder getrunken. Er angelte sich ein Cookie von einem der Teller. Der Keks fühlte sich immer noch warm an. Dexter verspeiste ihn mit Inbrunst, nur um sich gleich danach zwei weitere zu genehmigen.

Die Tür ging zischend auf und Admiral Oscar Sorenson trat ein. Der Anführer der Skulls hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er sah aus, wie Dexter sich fühlte. Tatsächlich schien den Admiral mehr als nur ihre prekäre Situation zu beschäftigen seit dem Bekanntwerden, dass Cassandra Deveraux kein Mitglied des RIS und von Connors nicht bei den Skulls eingeschleust worden war. Eine Beobachtung, die auch bei Dexter immer wieder Besorgnis auslöste. Was verheimlichte Sorenson?

Als Nächste traten Major Melanie St. John und Clayton Redburn ein. Die beiden waren seit Condor unzertrennlich, was zum Teil an ihrer gemeinsam geteilten Erfahrung liegen mochte. Sie waren bei der Eskortierung eines zivilen Konvois von Konsortiums-Truppen überrascht, eingekesselt und belagert worden. Eine solche Erfahrung prägte. Man sah die Männer und Frauen, die mit einem im Schützengraben lagen, plötzlich mit anderen Augen. So etwas geschah häufiger, als man dachte.

Melanie und Red tuschelten miteinander. Ob es sich um Dienstliches oder Privates handelte, vermochte Dexter nicht zu sagen. Die beiden begaben sich immer noch tuschelnd zu ihren Plätzen, ohne im Reden auch nur einmal innezuhalten.

Insgeheim fragte er sich, ob die zwei miteinander schliefen. Falls das noch nicht geschehen war, dann würde es sicherlich bald so weit sein. Dexter erwartete, Eifersucht in sich aufsteigen zu spüren, und war einigermaßen perplex, als dem nicht so war.

Melanie war eine der ersten Personen gewesen, die ihn bei den Skulls freundlich aufgenommen hatten. In der Tat hatte er mit dem Gedanken gespielt, ihr Avancen zu machen. Dann war Cassandra in sein Leben getreten, hatte ihn für sich eingenommen, nur um wieder aus seinem Leben gerissen zu werden. Was aus ihr geworden war, wusste er nicht und er fragte sich, ob er es je erfahren würde. Hinzu kam, dass sie offensichtlich nicht der Mensch war, für den er sie gehalten hatte. Die logische Konsequenz war, alles infrage zu stellen, was er mit ihr geteilt und was sie ihm alles gesagt hatte.

Erneut ging die Tür auf und Lennox Christian stand im Raum. Der Marine sah natürlich mal wieder aus wie aus dem Ei gepellt. Allein dafür hätte Dexter diesem liebend gern die Fresse poliert. Allerdings herrschte zwischen ihnen ein brüchiger Waffenstillstand.

Christian begab sich schweigend zu seinem Platz und nickte jedem der Anwesenden nur einmal knapp zu. Sein Blick kreuzte den Dexters und die beiden hielten den Blickkontakt eine Sekunde länger, als nötig gewesen wäre. Ein stilles Versprechen, dass der Waffenstillstand immer noch hielt und sie gemeinsam herausfinden würden, wer Christians Männer auf Tessa umgebracht und Dexters Leben dadurch zerstört hatte. Seit Dooleys Tod in der letzten Schlacht auf Condor hatte Christian notgedrungen das Kommando über die Reste von Marines und Infanterie gleichermaßen übernommen.

Als Letzte erschien Konteradmiral Irina Necheyev – und das auch noch mit gleich zwei Adjutanten. Ein bemerkenswert unnötiger Auftritt und für Dexters Dafürhalten viel zu großspurig. Er hatte bereits den Eindruck, dass sie viel zu viel von sich selbst hielt, und ihr Erscheinen mit diesem Gefolge bestätigte seinen Ersteindruck.

Nachdem alle Platz genommen hatten, räusperte Oscar sich und schaute die Leute reihum an. Er räusperte sich abermals, bevor er begann. Dexter war gelinde gesagt schockiert. Der Mann wirkte um Jahre gealtert. Auf Condor war dieser noch voller Elan und Tatendrang gewesen. Das war erst wenige Wochen her. Nun wirkten Mimik und Körperhaltung des Admirals eingefallen und farblos.

Oscar Sorenson lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich muss wohl nicht näher darauf eingehen, wie verfahren unsere Situation ist«, begann er. »Wir sind Geächtete und vogelfrei. Jeder, der uns begegnet, stark genug ist und Bock darauf hat, kann uns erledigen. Straflos! Vermutlich wird er sogar noch dafür gefeiert. Wir gelten als Verbrecher und Königsmörder, und ich sehe nicht, wie wir derzeit unsere Unschuld beweisen können. Darüber hinaus kontrolliert nun der Zirkel das Königreich über Prinz Calvin, den älteren Sohn des verstorbenen Königs. Und dieser wird in den nächsten Wochen zum König des Vereinigten Kolonialen Königreichs gekrönt. Habe ich irgendetwas vergessen?«

Alle sahen betreten nach unten. Oscars Analyse war von bestechender Klarheit, um nicht zu sagen, schlichtweg niederschmetternd.

Oscar seufzte. »Damit bleibt nur eine Frage: Was tun wir jetzt?« Der Admiral sah sich abermals unter den Anwesenden um. »Vorschläge?«

Necheyev sah auf. »Es gibt eine Frage, die wir zuvor klären sollten.«

Oscar runzelte die Stirn. »Welche wäre?«

»Die Frage des Oberkommandos.«

Allgemeines unbehagliches Raunen wurde rund um den Tisch laut. Dexter hatte bereits erwartet, dass es damit Probleme geben würde. Oscars Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Auch er hatte schon damit gerechnet, dass dies zur Sprache kommen würde.

»Das Kommando liegt bei mir«, erklärte der Admiral im Brustton der Überzeugung. Ein Quäntchen seiner alten Kraft schien für einen Moment zurückzukehren, als er die condorianische Admiralin intensiv fixierte.

»Darüber sollten wir doch mal diskutieren«, erwiderte Necheyev. Sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Dexter wusste nicht, ob er das in der jetzigen Situation gut oder schlecht finden sollte. »Das Oberkommando sollte bei der Einheit mit der taktischen Überlegenheit liegen. Die Anzahl meiner Einheiten übersteigt die der Skulls deutlich.«

Dexter sah ruckartig auf. »Darf ich das als Drohung verstehen?«

Necheyev wandte sich ihm mit starrer Miene zu. »Keineswegs. Nur als Tatsache. Wie gesagt, liegt die taktische Überlegenheit bei uns Condorianern. Darüber hinaus hat Präsident Saizew einen Kontrakt mit den Skulls geschlossen. Als rechtlicher Nachfolger werde ich diesen Kontrakt übernehmen, was Ihre Söldnereinheit immer noch zu einem Vertragspartner und Angestellten der Freien Republik Condor macht.«

Lennox Christian schnaubte, ersparte sich jedoch einen Kommentar. Oscar Sorenson war nicht so höflich. »Eine Nation, die nicht länger existiert. Mit der FRC sind auch alle Verbindlichkeiten und Kontrakte erloschen. Ich sehe mich an den Vertrag nicht länger gebunden.«

Necheyev stand aggressiv von ihrem Stuhl auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. »Solange auch nur noch ein Condorianer aufrecht steht, existiert die FRC noch. Wagen Sie es ja nicht, etwas anderes anzudeuten!«

Oscar hob versöhnlich beide Hände mit den Handflächen nach außen. »Nichts liegt mir ferner, als Sie zu beleidigen, Admiral. Aber unsere Heimat wurde okkupiert und die Menschen dort wissen es noch nicht einmal. Vor wenigen Tagen wurden wir von königlichen Schiffen gejagt und beschossen.«

Necheyev setzte sich. Ihr Gesicht zeigte ein Grinsen, das man eigentlich nur mit Gehässigkeit umschreiben konnte. »Daran erinnere ich mich noch gut«, meinte sie.

Jeder der Anwesenden wusste, worauf sie anspielte. Die condorianische Admiralin hatte zwei königliche Schiffe zerstört, was streng genommen nicht notwendig gewesen wäre. Diese zwei Besatzungen waren für das gestorben, was Condor angetan worden war. Es war Necheyev egal, ob die Royal Navy sich dessen bewusst war oder nicht. Es genügte ihr völlig, dass sie selbst es wusste. Ihr Grinsen verblasste etwas. »Warum sollte mich kümmern, was mit dem Königreich aktuell passiert?«

»Weil dieselben Menschen, die das Königreich jetzt kontrollieren, für den Untergang Condors verantwortlich sind«, sprang Melanie helfend ein. »Das sollte auch Ihnen genug sein.«

Die Spitze traf und Necheyev senkte nachdenklich das Haupt. »Gutes Argument«, gab sie schließlich zu. »Das erklärt aber immer noch nicht, warum Sorenson den Oberbefehl innehaben sollte und nicht ich.«

»Ganz einfach«, meinte Dexter, »die Skulls sind gut vernetzt, besitzen Kontakte und ein Netzwerk von Informanten im Königreich.«

Necheyev zog eine Augenbraue hoch. »Das hoffen Sie. Wir wissen nicht, wie viel von diesen Kontakten noch aktiv sind. Auf der Jagd nach dem Mörder des Königs hat der RIS sicherlich ganze Arbeit geleistet. Und was die von Ihren Netzwerken übrig gelassen haben, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Zirkel eliminiert.«

Dexter biss sich leicht auf die Unterlippe. Die Frau hatte wirklich auf alles eine Antwort. Das Schlimme war, ihre Argumentation war leider nicht von der Hand zu weisen.

Es war schließlich Clayton Redburn, der den Ausschlag gab. Der uneheliche Sohn Saizews musterte Necheyev eindringlich. »Aber wir kennen die ganzen Hintergründe nicht. Wir wissen nicht, wie alles zusammenhängt. Die Vernichtung unserer Nation ist nur ein kleines Puzzleteil eines viel größeren Spiels um die Macht. Die Skulls sind darin bereits länger involviert als wir. Deshalb sollten sie auch eine Führungsrolle übernehmen.«

Necheyev rümpfte die Nase. »Sie sind nur der uneheliche Sohn meines toten Präsidenten. Von Ihnen nehme ich keine Befehle entgegen.«

Red blieb auch angesichts dieses offensichtlichen Angriffs gelassen. »Das war kein Befehl, sondern nur meine Meinung. Es hat keinen Sinn, die Führung zu beanspruchen, wenn man nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Wenn wir den Untergang Condors irgendwann rächen wollen, dann müssen wir den Skulls vertrauen und ihnen auf ihrem Weg folgen. So einfach ist das. Falls Sie mit dem Gedanken spielen, sich von den Söldnern zu trennen, dann ist das die beste Methode, uns alle in den Abgrund zu schicken. Wir können nur überleben, wenn wir zusammenhalten.«

Necheyev überlegte angestrengt. Sie suchte verzweifelt ein Argument, das ihr half, ihren Anspruch auf das Oberkommando durchzusetzen.

Oscar räusperte sich. »Wir müssen diese leidige Diskussion zu einem Ende bringen, um uns den wirklich wichtigen Dingen zu widmen. Falls Sie sich damit besser fühlen, dann wäre ich mit einem gemeinsamen Oberkommando einverstanden. Solange Sie einwilligen, dass im Zweifelsfall mein Wort vor Ihrem gilt und Ihre Leute bereitwillig meinen Befehlen folgen. Ist das akzeptabel?«

Necheyev überlegte erneut, schließlich nickte sie langsam. »Für Condors Wohl – meinetwegen.«

Red klatschte leicht in die Hände. Der Knall hallte in der aufkeimenden Stille jedoch unangenehm laut durch den Raum. »Na sehen Sie? War das so schwierig?«

Necheyev schenkte ihm lediglich einen bitterbösen Blick, der nach einem Augenblick allerdings von einem leichten Lächeln abgelöst wurde.

Red erwiderte es. »Denken Sie daran: Diese Menschen haben einen beträchtlichen Teil unserer Bevölkerung in Sicherheit gebracht. Das ist auch etwas wert und dafür schulden wir ihnen eine Menge.«

Necheyev presste die Lippen aufeinander, nickte dann jedoch. Die Sache war fürs Erste beigelegt.

Oscar seufzte erleichtert. »Nun, dann also zurück zu meiner Eingangsfrage: Was unternehmen wir jetzt?«

Dexter hatte sich schon eine Antwort zurechtgelegt, wusste aber, dass sie keinem der Anwesenden gefallen würde. »Das Königreich wird vom Zirkel kontrolliert«, erklärte er. »Um den Zirkel zu entmachten, müssen wir daher in Opposition zum Königreich gehen. Das ist unsere einzige Chance. Wir müssen das Königreich an den Verhandlungstisch zwingen. Und dazu ist es notwendig, Druck aufzubauen.«

»Und wie machen wir das?«, wollte Red wissen.

Dexter atmete einmal tief durch. »Indem wir eine neue Rebellion anzetteln.«

Mit einem Mal redeten alle am Tisch durcheinander. Dexter ließ sie gewähren. Er wusste, sein Vorschlag war ein radikaler Schritt, doch er sah nicht, welche Alternative ihnen blieb. Es kehrte nur langsam Ruhe ein. Nachdem alle wieder schwiegen, musterte Oscar ihn scharf. »Ist dir eigentlich klar, was du da von dir gibst?«

Dexter musterte seinen alten Freund und Weggefährten eindringlich. »Ich habe mir das nicht leicht gemacht, Oscar. Aber wir für uns allein … das reicht einfach nicht. Wir brauchen Leute, Schiffe, Waffen und vor allem Geld.«

Oscar wechselte Blicke mit allen Anwesenden, bevor er sich erneut Dexter zuwandte. »Und was soll das bringen?«

»Man muss uns zuhören. Das wird man aber nicht, solange wir keine Größe sind, mit der man rechnen muss.«

Lennox Christian runzelte die Stirn. »Falls Sie mich für diesen aberwitzigen Plan gewinnen – und das ist ein großes Falls –, wo bekommen wir all das überhaupt her: die Schiffe, die Leute, die Waffen und das Geld? Wir sind mittellos, falls Sie sich erinnern. Unsere Konten sind bestimmt längst eingefroren und beschlagnahmt.«

Dexter lächelte in dem Bewusstsein, dass sein nächster Vorschlag erneut einen Sturm der Entrüstung auslösen würde. »Wir befreien Jennifer Fischer aus dem Gefängnis.«

Erneut brandete heftiger Widerstand auf und die Offiziere redeten alle durcheinander. Oscar Sorenson ließ es aber nicht eskalieren. Er schlug mehrmals mit der flachen Hand auf die Tischplatte, bis wieder Ruhe einkehrte.

Mit fassungsloser Mimik wandte er sich Dexter zu. »Ist dir eigentlich klar, wovon du da redest? Die Frau hat die erste Rebellion angeführt, die zu fast zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg führte. Sie ist eine Staatsfeindin.«

»Das sind wir jetzt auch«, meinte Dexter. Das stichhaltige Argument ließ alle Anwesenden schlagartig verstummen. Dexter verstand dies als Aufforderung zum Weiterreden. »Es gibt immer noch aktive Widerstandszellen und ehemalige Rebellen, die sich jetzt als Söldner und Piraten ihren Lebensunterhalt verdienen. Fischer hat Kontakte und könnte die versprengten Reste der letzten Rebellion wieder zusammenführen. Mit ihnen hätten wir den Grundstein, um in die Offensive zu gehen und endlich einmal selbst zuzuschlagen. Bisher haben wir immer nur reagiert und darauf gewartet, dass man uns in den Arsch tritt.« Dexter bemerkte die Skepsis ringsum. Er seufzte und schlug den Blick nieder. »Ich weiß«, lenkte er ein. »Gegen das Königreich zu kämpfen … damit fühlt sich keiner von uns wohl.« Necheyev grinste. »Ich korrigiere, damit fühlt sich kaum einer von uns wohl«, fügte Dexter hinzu. »Soweit möglich, werden wir nicht gegen königliche Einrichtungen und Verbände kämpfen, aber das Konsortium – der militärische Arm des Zirkels – ist jetzt tief im Königreich verankert. Gegen die müssen wir handeln. Wir müssen ihre Schiffe und Basen eliminieren und sie in die Defensive zwängen. Nur dann finden wir die Beweise, die wir brauchen, um der breiten Öffentlichkeit vor Augen zu führen, was hier wirklich vor sich geht.«

»Sie können aber nicht versprechen, dass wir uns nicht eines Tages vor den Geschützläufen der Royal Navy wiederfinden werden«, gab Christian zu bedenken.

»Nein, das kann ich nicht«, gab Dexter freimütig zu. »Diese Garantie kann niemand geben. Und ich will ganz ehrlich sein, es wird noch schlimmer, bevor es besser wird. Aber wenn wir die Kontrolle des Zirkels über das Königreich brechen wollen, ist das der beste Ansatz. Legitime Angriffsziele werden vor allem die Grafschaften Rayat und Onbele sein. Diese zwei Systeme haben es überhaupt ermöglicht, dass das Konsortium zur militärischen Bedrohung wurde. Sie müssen irgendwie mit dem Zirkel in Verbindung stehen. Ich wäre nicht überrascht, wenn diese beiden Grafschaften ein wichtiger Teil ihrer militärischen und administrativen Infrastruktur wären.«

Oscar rieb sich die Hände aneinander, während er angestrengt nachdachte. Als er aufsah, blitzten seine Augen. »Ich nehme an, du hast einen Plan, was Fischers Befreiung angeht?«

Dexter nickte. »Fischer sitzt an Bord der Asylum. Präsident Saizew gab mir zum Abschied ein Geschenk.« Er holte einen Datenträger aus der Uniformjacke und steckte diesen in eine eigens dafür vorgesehene Vertiefung am Tisch. Augenblicklich wurde das Hologramm eines Schiffes über den Tisch projiziert.

Necheyev sog scharf die Luft ein, als ihr die schieren Ausmaße des Gefängnisraumers bewusst wurden. »Das verdammte Ding ist ja riesig«, hauchte sie.

Dexter nickte. »Sie misst vom Bug bis zum Heck acht Kilometer. Die Asylum ist sowohl Gefängnis- als auch Fabrikschiff. Mit ihr werden Rohstoffe in Asteroiden abgebaut und das Roherz wird gleich auf dem Schiff raffiniert und veredelt, sodass es fertig zur Weiterverarbeitung ist. Heute wissen wir, dass die Asylum mehr vom Zirkel als vom Königreich selbst kontrolliert wird. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt befinden sich etwa dreitausendfünfhundert Häftlinge an Bord sowie achthundert Mann Besatzung und etwa tausend schwer bewaffnete Wachen. Die meisten derzeitigen Gefangenen werden Bürgerkriegssoldaten sein, die auf der falschen Seite standen. Der Zirkel nutzt die Asylum, um politische Gegner, Dissidenten und Menschen von Interesse wegzusperren, sie aber bei Bedarf trotzdem verfügbar zu haben.«

Dexter holte kurz Luft. Die Erinnerungen an seine Zeit auf der Asylum überfluteten ihn. Szenen der Grausamkeit liefen vor seinem inneren Auge ab. Schlafentzug, Isolierung in Einzelhaft sowie Schläge durch die brutalen Wachen waren an Bord dieses Schiffes an der Tagesordnung. Individualität oder Widerstand jeglicher Art wurde nicht toleriert. Er schluckte schwer.

»Die Asylum ändert einmal pro Woche die Position. Der Flugplan ist nur einer kleinen, sehr illustren Gruppe von Personen bekannt. Gregory Saizew gehörte dazu.« Bei der Erwähnung des Namens seines Vaters schlug Red betroffen die Augen nieder, während Dexter fortfuhr. »Die Asylum wird einmal pro Monat angeflogen. Neue Gefangene werden an Bord gebracht und das raffinierte Erz wird weggeschafft. Es wird sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken zugeführt.«

Dexter betätigte einen Schalter und der Grundriss der Asylum wurde ersetzt durch eine Sternkarte, durch die eine rote Linie führte. »Die Asylum bewegt sich ausschließlich außerhalb des Königreichs. Das ist rechtsfreier Raum. Dort können die Verantwortlichen tun, was immer sie wollen. Einen namenlosen Gefangenen aus der Luftschleuse zu stoßen, kümmert dort kein Schwein. Würde die Öffentlichkeit je erfahren, was sich dort abspielt, wäre der moralische Aufschrei ohrenbetäubend.«

»Und so etwas erlaubt das Königreich?« Necheyev war fassungslos.

Oscar schnaubte. »Vergessen Sie nicht, dass Ihr Präsident davon wusste und die Asylum auch auf seinem Hoheitsgebiet tolerierte. Die wenigsten Menschen sind ohne Schuld.«

Necheyev presste die Lippen aufeinander, schwieg aber. An die Verantwortung ihres eigenen Staatsoberhauptes erinnert zu werden, schmeckte ihr nicht besonders.

Oscar ließ es dabei bewenden. Er deutete auf das Hologramm des Flugplans. »Dieses verdammte Ding ist eine Festung. Die Frage ist: Wie knacken wir sie?«

Schweigen breitete sich aus, als alle Anwesenden über die Problematik nachdachten. Das war in der Tat ein schwieriger Punkt.

»Wir schleusen jemanden ein«, meinte Lennox Christian schließlich.

Dexter schüttelte den Kopf. »Das wird nicht funktionieren. Besatzungsmitglieder und Wachen sind handverlesen und der überwiegende Teil gehört vermutlich zum Zirkel. Zumindest müssen wir davon ausgehen. Es ist unmöglich, dort jemanden reinzubringen. Die vorherige Sicherheitsüberprüfung würde ihn zwangsläufig enttarnen.«

»Ich hatte auch nicht daran gedacht, jemanden als Wache einzuschleusen.«

Dexter sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Als Häftling also?« Er überlegte. »Nun, das ist mit Sicherheit leichter denn als Wachmann. Aber es wird schwieriger, ihn wieder rauszubringen.«

Oscar leckte sich über die Lippen. »Es wäre sinnvoll, jemanden dort reinzubringen, der sich mit den Gegebenheiten auskennt.«

Dexter benötigte einen Augenblick, um zu erkennen, worauf Oscar hinauswollte. Er sah sich unter den Anwesenden um. Ihre Blicke lagen vielsagend auf seiner Person. Er riss die Augen auf und lehnte sich zurück.

»Auf keinen Fall!«, wehrte er ab.

»Dexter …«, begann Oscar.

Doch Dexter ließ ihn gar nicht erst ausreden. »Nein!«, begehrte er auf. »Ich habe dort Jahre meines Lebens verbracht. Nichts und niemand bringt mich wieder dort hinein. Auf keinen Fall!«

»Du wirst tun, was ich dir befehle!«, erwiderte Oscar unnachgiebig in hartem Tonfall.

Dexter schnaubte. »Ich werde jeden Befehl von dir buchstabengetreu ausführen. Darauf kannst du dich verlassen – bis auf diesen einen. Ich gehe nicht mehr auf die Asylum zurück. Nie wieder!«

Oscar wollte schon aufstehen, um seine Autorität zu unterstreichen, doch ein Einwand hielt ihn zurück. »Ich mache es.«

Alle Augen richteten sich auf Lennox Christian, der die Blicke ungerührt erwiderte. »Ja, ich mache es. Ich gehe auf dieses Schiff. Und ich nehme Barrera mit.«

Oscar setzte sich wieder. »Sind Sie sicher?«

Dexter war ob dieser Bemerkung etwas verärgert. Von ihm selbst hatte Sorenson vorausgesetzt, er solle auf jeden Fall gehen. Bei Christian fragte er nach, ob dieser das wirklich auf sich nehmen wolle.

Der Marine-Colonel nickte. »Jemand muss es tun und es wäre gut, wenn es jemand ist, der sich in Guerillakriegsführung und sowohl in der Bekämpfung als auch im Anzetteln von Aufständen auskennt. Auf einen Flottenoffizier trifft das nicht zu.« Christian schenkte Dexter einen mitfühlenden Blick. »Außerdem verstehe ich den Commodore. Niemand, der diese Hölle einmal überlebt hat, würde dorthin zurückkehren wollen.«

Dexter erwiderte mit steinerner Miene das Nicken.

Red seufzte. »Nun, dann wissen wir, was wir machen, aber wie kriegen wir Barrera und Sie auf dieses Schiff?«

Dexter brauchte nicht lange zu überlegen. »Sie beide kehren ins Königreich zurück«, sprach er Christian an. »Und das lassen wir durchsickern. Man wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Sie festzunehmen.«

»Und wenn man die beiden kurzerhand tötet?«, gab Melanie zu bedenken. Sie wirkte von dem ganzen Plan nicht überzeugt.

»Kann ich mir nicht vorstellen«, meinte Dexter. »Der Zirkel will uns. Und sowohl Christian als auch Barrera ist eine Ressource auf dem Weg dorthin. Der Zirkel verschwendet keine Ressourcen. Genauso wenig wird man sie in ein königliches Militärgefängnis bringen. Das erregt zu viel Aufmerksamkeit, nicht zuletzt in der Öffentlichkeit. Die Asylum ist die logische Wahl. Man wird die beiden dorthin bringen, um sie zu befragen und den Standort unserer Flotte zu erfahren.« Dexters Blick richtete sich erneut auf Christian. »Das wird nicht angenehm.«

»Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, meinte dieser achselzuckend.

»Nein, haben Sie nicht«, gab Dexter zurück.

Bevor Christian darauf etwas erwidern konnte, meldete sich Oscar wieder zu Wort. »Na schön, dann belassen wir es vorerst dabei. Dexter? Ich gehe davon aus, dass du im Vorfeld der Operation Christian alles erzählst, was du über die Asylum und den Ablauf an Bord weißt.«

Dexter nickte.

Oscar sah sich abermals um. »Damit wäre die Besprechung für den Moment erledigt. Wir treffen morgen wieder zusammen, um die Mission im Einzelnen zu besprechen.«

Die Menge löste sich auf und strebte dem Ausgang entgegen. Dexter hatte es sehr eilig, aus dem Besprechungsraum zu kommen. Im Augenwinkel bemerkte er, wie Oscar ihn düster musterte, und er hatte keine Lust, sich auf ein Streitgespräch mit seinem Vorgesetzten einzulassen.

SKULL 3: Die Würfel fallen

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