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Prolog
Zurück von den Toten

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27. Juli 2645

Er war nicht tot.

Diese Erkenntnis bohrte sich schmerzhaft in sein Bewusstsein. Er war selbst überrascht, dass dem so war. Die Dunkelheit, die sein bewusstes Denken umgab, löste sich nur langsam auf und machte brennenden Schmerzen Platz. In dem ersten Augenblick, als er wieder zu sich kam, sehnte er sich beinahe den Tod herbei.

Rodney MacTavish öffnete die Augen. Das Erste, was er wahrnahm, war das Weiß ringsum. Es bohrte sich förmlich über seine Augen in sein Gehirn. Dieses fing auf unangenehme Art und Weise hinter seiner Stirn zu pochen an.

In den Sekunden nach dem Erwachen hatte er mit heftiger Desorientierung zu kämpfen. Sein Atem ging stoßweise und sein Herz schien durch den Hals seinen Körper verlassen zu wollen.

MacTavish war schon mehrmals im Rahmen seines Dienstes verwundet worden, aber niemals derart schlimm. Die Erinnerungen setzten mit brutaler Klarheit ein: das Hotelzimmer; die Explosion; der Sprung aus dem Fenster; der Asphalt, der rasend schnell näher kam; plötzlich aufflammender Schmerz, der zwar nur Sekunden anhielt, aber deshalb nichts von seiner Intensität einbüßte – und schließlich alles umfassende Dunkelheit.

MacTavish versuchte, sich aufzurichten, und wurde prompt mit weiteren Schmerzen im Rücken und den Beinen belohnt. Er sackte zurück auf das Laken. Mit einem Mal stand eine Gestalt an seiner Seite. Für einen Moment geriet er in Panik. Bestimmende Hände hielten ihn aber an Ort und Stelle. Er war schwach wie ein kleines Kind und hatte keine andere Wahl, als sich zu fügen.

»Doktor! Unser Sorgenkind ist wach.«

Die Stimme der Frau klang irgendwie beruhigend. MacTavish konzentrierte sich. Seine Ausbildung beim RIS kam ihm zugute. Die Sicht klärte sich und er erkannte endlich eine Krankenschwester, die an seiner Seite stand und ihn mühelos an Ort und Stelle hielt, und das, obwohl sie von eher schmächtiger Figur war. Entweder war sie stärker, als sie aussah, oder er in weit schlechterem Zustand, als er vermutet hatte.

Jemand betrat das Zimmer und stellte sich auf die andere Seite des Bettes. MacTavish wandte den Blick in dessen Richtung. Dort stand ein älterer Arzt, der MacTavishs Krankenblatt auf einem elektronischen Klemmbrett studierte. Der Mann nahm das Klemmbrett herunter und musterte seinen Patienten kritisch über den Rand seiner Brille hinweg.

»Da hat sich wohl jemand entschieden, wieder unter die Lebenden zurückzukehren. Wir hatten schon so unsere Zweifel, dass Sie es schaffen.« Der Arzt setzte ein Lächeln auf, das fast ehrlich wirkte. MacTavishs kundiger Blick entlarvte es allerdings sofort als das, was es wirklich war: die professionelle Geste eines Mediziners, der genau dieses Lächeln in genau dieser Form jeden Tag hundertmal aufsetzte, um Patienten zu beruhigen.

»Mein Name ist Doktor Bedford. Wie fühlen Sie sich?«

MacTavish versuchte, etwas zu sagen. Es kam aber lediglich ein unverständliches Krächzen heraus. Seine Kehle fühlte sich ausgedörrt an und brannte. Die Krankenschwester nahm sofort einen Becher zur Hand, füllte eine klare Flüssigkeit hinein und schob ihm sanft einen Strohhalm zwischen die Lippen.

Man hatte es ihn während der Ausbildung anders gelehrt, aber MacTavish begann gierig am Strohhalm zu saugen. Es handelte sich nicht um Wasser, was seine Kehle daraufhin herabrann. Vermutlich war es irgendeine elektrolytische Flüssigkeit, die seinen Körper ein wenig aufpäppeln sollte. Und tatsächlich fühlte er sich schon bedeutend besser. Er nickte dankbar und die Schwester nahm den Becher beiseite.

»Wo … wo bin ich?«, wollte er wissen.

»Im Zentralkrankenhaus von Pollux«, erwiderte der Arzt. »An was erinnern Sie sich?«

Augenblicklich erwachten MacTavishs geheimdienstliche Instinkte. Es schien nicht ratsam, irgendetwas von Wert preiszugeben. Es war besser, erst einmal den Dummen zu spielen.

»Nicht an viel«, antwortete er und machte absichtlich den Eindruck, sich an Einzelheiten erinnern zu wollen. »Ich hatte wohl einen Unfall.«

Der Arzt schnaubte. »So kann man es auch nennen.« Er musterte MacTavish mit seltsamer Mimik. »Wissen Sie noch Ihren Namen? Wie heißen Sie?«

Er runzelte die Stirn. »Mein Name?«

Der Arzt nickte. »Wir führen Sie seit diesem Vorfall unter John Doe. Sie hatten keine Papiere bei sich. Seltsamerweise ergaben auch weder DNA noch Ihre Fingerabdrücke etwas. Die Polizei hat deshalb verständlicherweise Fragen an Sie.«

Hinter MacTavishs Stirn begann es aufgeregt zu rattern. Das war überaus seltsam. Jeder Bürger des Königreichs gab bereits kurz nach der Geburt eine DNA-Probe und seine Fingerabdrücke ins Staatsarchiv. Damit konnte jeder überall und jederzeit identifiziert werden. Wenn seine Daten nicht mehr abrufbar waren, dann hatte jemand das Archiv manipuliert. Dazu waren eigentlich nur staatliche Stellen fähig. Auf Anhieb fiel ihm in diesem Zusammenhang der RIS ein. Und zumindest Teile des Geheimdienstes waren in die Ermordung des Königs verstrickt.

MacTavish schluckte. Wenn das Krankenhaus versucht hatte, ihn zu identifizieren, dann wusste der RIS inzwischen, dass er den Anschlag überlebt hatte. Sie wollten mit Sicherheit immer noch seinen Tod. Die Frage war nun, warum sie es noch nicht über die Bühne gebracht hatten. Er hatte im Koma gelegen. Eine bessere Gelegenheit konnte ein Attentäter kaum bekommen.

MacTavish erhielt die Antwort, als der Arzt zur Tür deutete. Dort standen mehrere Polizeibeamte auf Wache. Sie waren wohl eher dafür zuständig, ihn am Gehen zu hindern, und nicht etwa, um Attentäter, von denen sie nichts wussten, daran zu hindern, ihm den Garaus zu machen. Aber die Anwesenheit dieser Beamten hatte ihm dennoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet. Vorläufig. Man war einfach nicht an ihn herangekommen. Demnach war die hiesige Polizei noch nicht kompromittiert worden. Das war wenigstens etwas.

»Wann wird die Polizei mit mir reden wollen?«

»Heute noch nicht«, versicherte der Arzt. »Aber bestimmt bald. Es gibt viele Fragen zu klären. Immerhin waren Sie in eine schwere Bombenexplosion verwickelt. Es gibt Zeugen, die sahen Sie aus dem Fenster springen, nur Sekunden bevor der Sprengsatz hochging. Das wirft Fragen auf.«

»Ich … ich kann mich an nichts erinnern.«

Der Arzt rümpfte die Nase. »Das überrascht mich nicht. Sie haben einen ziemlichen Dickschädel, Mister Doe. Geringere Männer wären bei einem solchen Stunt draufgegangen.«

»Und wie ist mein Zustand?«

Erneut konsultierte der Arzt das elektronische Klemmbrett. »Oh, wir haben Sie ganz anständig wieder zusammengeflickt. Die inneren Verletzungen sind gut versorgt worden. Von denen geht keine Gefahr mehr aus. Dann ein paar Quetschungen, zwei gebrochene Rippen und ein verstauchter Nackenwirbel. Die Gehirnerschütterung macht mir noch etwas Sorgen, aber mit ein wenig Ruhe werden Sie wieder ganz der Alte sein.«

Der Arzt hängte das Klemmbrett zurück an seinen Platz am Fußende des Bettes. »Ruhen Sie sich jetzt etwas aus. Falls Sie etwas brauchen, ist Schwester Sybille für Sie da.«

Die Krankenschwester reagierte auf die Erwähnung ihres Namens mit einem sanften Nicken. MacTavish lächelte ihr kurz zu. Der Arzt verließ das Zimmer, ohne sich zu verabschieden. Seine Gedanken drehten sich bereits um den nächsten Patienten.

Die Schwester wollte sich ihm anschließen, aber MacTavish hielt sie noch zurück. »Schwester Sybille?«

»Ja?«

»Wo sind meine persönlichen Sachen?«

»Hier im Krankenhaus. Die Polizei hält sie aber unter Verschluss. Wieso? Brauchen Sie etwas?«

Er lächelte nichtssagend. »Nein. Ist schon gut.«

Schwester Sybille nickte und verließ das Krankenzimmer, während MacTavish leicht verzweifelt an die Decke starrte. »So ein verfluchter Mist!«, hauchte er in die aufkeimende Stille hinein.

Zeus stand vor dem großen Panoramafenster seines privaten Domizils. Vor ihm breitete sich die Skyline von Johannesburg aus. Die Stadt hatte die meiste Industrie aus dem Stadtkern in die Außenbezirke verbannt und stattdessen Parks und Grünflächen angelegt. Vor Zeus’ Augen erstreckte sich eine atemberaubende Landschaft, die aus den verschiedensten Grüntönen bestand. Für gewöhnlich beruhigte ihn der Anblick. Nicht aber heute. Die Dinge entwickelten sich ganz und gar nicht nach Plan. Um genau zu sein, entglitt die Situation mehr und mehr seiner Kontrolle. Etwas nie zuvor Dagewesenes in der bewegten Geschichte des Zirkels. Noch nie war einem seiner Vorgänger dieses Maß an Illoyalität entgegengeschlagen.

Hinter ihm öffnete sich die Tür. Seine schwer bewaffneten Leibwächter spannten sich unwillkürlich an. Zeus hatte sich entschieden, die Sicherheit zu erhöhen. Die für seinen Schutz verantwortlichen Männer und Frauen waren nun mit militärtauglichen Körperpanzern sowie automatischen Waffen ausgerüstet.

Seine Leibwächter entspannten sich wieder, als Angel wie selbstverständlich hereinspazierte. Der Eliteattentäter schlenderte durch die Reihen der für alle Eventualitäten gewappneten Leibwache, als wäre diese nicht vorhanden, und die Männer und Frauen machten diesem bereitwillig Platz.

Angel blieb zwei Schritte hinter ihm abwartend stehen. Zeus konnte die Spiegelung seiner ausdruckslosen Maske im Fensterglas erkennen.

»Du weißt, dass du deine Maske hier abnehmen kannst.«

Angel lachte leise. Der Laut klang durch die Sprachverzerrung seltsam unwirklich. »Und du weißt, dass ich sie zu tragen bevorzuge.«

»Selbst hier?«

»Selbst hier.«

Zeus schmunzelte und ließ Angel gewähren. »Was hast du herausgefunden?«

Jede Heiterkeit schwand schlagartig aus Stimme und Körpersprache des Attentäters. »Janus ist untergetaucht und nicht zu finden.«

Zeus fluchte unterdrückt. »Verdammter Dawson! Was treibt der Kerl nur?« Die Frage stellte sich eigentlich gar nicht. Der Industriemagnat verfügte über beträchtliche Mittel. Und wenn er tatsächlich untergetaucht war – und Zeus hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Angels Ergebnis der Wahrheit entsprach –, dann war das der Anfang vom Aufstand gegen Zeus. Dawson war der Meinung, er könnte eine Auseinandersetzung mit Zeus gewinnen. So viel Selbstvertrauen sah dem alten Idioten gar nicht ähnlich. »Was ist mit Merkur und Apollo?«

»Haben sich auf ihre Heimatwelten begeben und ihre Privatarmeen mobilisiert. Einschließlich beträchtlicher Ressourcen des Konsortiums. Nicht einmal ich kam nahe genug an einen von ihnen heran. Die leben inzwischen wie in einer Festung.«

Zeus grinste unverhohlen. Die beiden waren also mit Dawson im Bunde und nun hatten sie Angst, dass Angel ihnen einen Besuch abstattete. Diese Befürchtung kam nicht von ungefähr. Zeus hatte gute Lust, Angel loszuschicken. Aber der Attentäter war sein bester Agent und darüber hinaus auch noch ein enger Vertrauter. Angel zu verlieren, konnte sich Zeus beim besten Willen nicht leisten.

Der Anführer des Zirkels seufzte tief. »Hast du sonst irgendetwas von Wert herausgefunden? Vielleicht im Hinblick auf Dawsons weitere Pläne?«

Angel schüttelte den Kopf. »Nichts Konkretes. Aber es wäre möglich, dass Dawson seine Aufmerksamkeit auf Beltaran richtet.«

Zeus’ Interesse war augenblicklich geweckt. »Warum ausgerechnet Beltaran?«

»Die politische Lage spitzt sich zu«, erläuterte Angel. »Beltaran hat klar Position bezogen und gegen Verbände des Konsortiums gekämpft, eine Söldnereinheit mit Militärmandat des Königreichs. Außerdem boten sie condorianischen Flüchtlingen Unterschlupf. Im Parlament wird sogar die Möglichkeit einer Strafexpedition diskutiert.«

Zeus wirbelte auf dem Absatz herum. »Eine Strafexpedition? Gegen Beltaran? Das würde Dawson nicht wagen!«

»Er würde«, beharrte Angel. »Und ich glaube, er hat. Es gibt Anzeichen, dass er das Parlament beeinflusst, um eine Mehrheit für einen Militäreinsatz zusammenzubekommen. Er könnte damit sogar erfolgreich sein.«

Zeus schüttelte den Kopf. »Aber warum? Beltaran ist keine Gefahr.«

»Beltaran hat sich gegen das Konsortium gestellt. Und in gewissem Sinne auch gegen das Königreich. Es zog Ehre und Hilfsbereitschaft der Loyalität vor. Damit ist es sehr wohl eine Gefahr. Dawson kann nicht zulassen, dass dieses Verhalten Schule macht. Wenn sich weitere Grafschaften davon beeinflussen lassen oder sogar auf Beltarans Seite stellen, dann droht er die Kontrolle zu verlieren.« Angel zögerte. »Es könnte sogar einen neuen Bürgerkrieg geben.«

Zeus schüttelte den Kopf. »Das können wir nicht zulassen. Ein Bürgerkrieg ist das Letzte, was ich will.«

Angel zögerte erneut. »Und da wäre natürlich noch die Sache mit Dexter.«

Zeus merkte auf. »Was ist mit ihm?«

»Ich denke, Dawson glaubt, er könnte auf Beltaran aufschlagen. Er hat einige seiner besten Agenten mit einem Tötungsbefehl nach Beltaran geschickt.«

»Das ist doch Unsinn!«, wehrte Zeus ab. »Dexter hat genügend eigene Probleme und keinen Grund, nach Beltaran zurückzukehren.«

»Mag sein. Aber Dawson ist wohl der Meinung, dass die Möglichkeit besteht. Er kennt deine Besessenheit für Dexter, auch wenn ihm der Grund dafür zum Glück nicht bekannt ist. Dawson ist wohl der Meinung, Dexters Tod könnte dich schwächen. Würde er die Wahrheit kennen, dann hätte er bereits losgeschlagen – gegen dich und gegen Dexter.«

»Womit er gar nicht mal so falschliegt. Aber Dexter wird nicht nach Beltaran reisen. Das wäre einfach nur dumm.«

»Dexter ist nicht gerade für seine Klugheit bekannt, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Und er taucht immer dort auf, wo es Probleme gibt. Und nirgendwo gibt es momentan mehr Probleme als auf Beltaran.«

Zeus überlegte fieberhaft. »Falls es tatsächlich auch nur die geringste Möglichkeit gibt, dass Dexter nach Beltaran geht, dann müssen wir seinen Tod unter allen Umständen verhindern.«

Angel merkte auf. »Und das heißt?«

Zeus fixierte seinen Attentäter mit festem Blick. »Du gehst ebenfalls dorthin. Du tust alles, was nötig ist, um ihn zu schützen.«

Angel legte den Kopf leicht auf die Seite. »Und wenn mir Dawsons Agenten in die Quere kommen?«

»Das wäre wirklich sehr bedauerlich – für Dawsons Leute.«

Angel kicherte heiser. »Verstanden.« Mit diesem einen Wort drehte sich der Attentäter um und schlenderte davon, als hätten sie sich gerade lediglich über das Wetter unterhalten.

»Und Angel?«, hielt Zeus ihn noch einmal zurück. Der Attentäter verharrte. »Falls du auf deinem Weg Dawson oder Burgh triffst, dann sag Ihnen doch bitte ›Lebewohl‹ von mir.«

Angel nickte und setzte seinen Weg fort.

Zeus drehte sich wieder zum Panoramafenster um. Er holte tief Luft und stieß sie in einem Schwall wieder aus. Die Fensterscheibe beschlug etwas. Der Ausblick konnte ihn immer noch nicht beruhigen.

»Verdammt, Dexter«, wisperte er, »wenn du auch nur einen Funken Verstand hast, dann bleibst du weg von Beltaran! Selbst Angel kann dich möglicherweise nicht schützen vor dem, was den Planeten erwartet.«

SKULL 3: Die Würfel fallen

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