Читать книгу SKULL 3: Die Würfel fallen - Stefan Burban - Страница 6
1
Оглавление1. August 2645
»Feindliche Schiffe nähern sich an bis auf äußerste Gefechtsdistanz.« Diese simple Meldung hing bedeutungsschwanger über der Flaggbrücke der Normandy. Es wurde so wenig wie möglich gesprochen. Auf dem großen Holotank war zu sehen, wie ein Pulk von Schiffen in bedrohlichem Rot sich von achtern näherte.
Dexter knirschte frustriert mit den Zähnen. Seit ihrer Flucht von Condor befand sich die kleine zusammengewürfelte Flotte aus überlebenden Skull-Schiffen und den letzten condorianischen Einheiten ständig in Bewegung. Mehrmals waren sie ihren Verfolgern beinahe entkommen, nur um sich abermals einem feindlichen Verband gegenüberzusehen.
Der Feind zog die Schlinge enger. Was die Sache nur umso gefährlicher machte, war die Beharrlichkeit des Gegners. Er verfolgte die Flüchtenden über die Grenzen des Königreichs hinaus. Das war eine neue Entwicklung und darüber hinaus eine besorgniserregende Eskalation. Es bewies, wie sehr dem Königreich im Allgemeinen und dem Zirkel sowie dessen militärischem Arm – dem Konsortium – im Speziellen daran gelegen war, die kleine Gruppe um Admiral Sorenson ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. In den allermeisten Fällen setzten sich die Verfolgergeschwader aus Einheiten des Konsortiums zusammen. Nicht jedoch dieses Mal. Hinter ihnen in kaum vier Lichtsekunden Entfernung schloss eine volle TOG der Colonial Royal Navy zu ihnen auf.
Daniel Dombrowski, Dexters Flagglieutenant, trat zu ihm und senkte die Stimme. Seine nächsten Worte waren nicht für die anderen anwesenden Offiziere bestimmt. »Die vorderste Linie der feindlichen Formation ist in knapp sechs Minuten in der Lage, eine erste Salve auf unsere Nachhut abzufeuern.«
Dexters Kiefermuskeln mahlten angestrengt. Er wusste genau, was sein Untergebener damit sagen wollte. Die Nachhut bestand aus zwei Kampfkreuzern der Skulls. Sie würden dem Beschuss des Gegners nicht lange standhalten können. Und sie würden wesentlich schneller zerstört werden, sollten sie das Feuer nicht erwidern dürfen. Allerdings sträubte sich jede Faser in Dexters Körper dagegen, diesen einen Befehl zu geben, der sie alle auf ewig brandmarken würde.
Sorenson trat auf seine andere Seite. Auch er senkte die Stimme. »Wir können nicht das Feuer auf königliche Einheiten eröffnen. Das sind unsere Leute.«
Dombrowski schüttelte leicht den Kopf. »Das hindert die nicht daran, auf uns zu schießen.«
Sorenson runzelte verärgert die Stirn und wandte sich direkt an den Flagglieutenant. »Die wissen es nicht besser. Sie werden gesteuert. Die Männer und Frauen an Bord dieser Schiffe sind der Meinung, das Richtige zu tun.«
Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik. Dexter kam sich beinahe so vor, als würden ein Engelchen und ein Teufelchen auf jeweils einer seiner Schultern sitzen und ihm ihre Gedanken einflüstern, damit er in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde. Theoretisch könnte Sorenson ihm den Befehl erteilen, nicht zu feuern. Der Admiral war das Oberhaupt der Söldnereinheit. Aber dieser würde nicht so weit gehen. Er wusste, es würde Dexters Autorität vor den anderen Offizieren schmälern.
»Geschwindigkeit erhöhen. Auf das Maximum des Möglichen«, befahl er.
»Da liegen wir schon fast«, gab Dombrowski zurück. »Wenn wir mehr Fahrt aufnehmen, müssten wir zwangsläufig ein paar der langsameren Schiffe zurücklassen.«
Dexter fletschte die Zähne. »Das kommt auf keinen Fall infrage!« Er beobachtete angespannt auf dem Hologramm vor ihm, wie die königlichen Schiffe beständig die Distanz verringerten. Die Kerle waren verdammt hartnäckig. Das musste man ihnen lassen.
»Wir feuern nicht, solange wir es vermeiden können.« Ihm war klar, wie ausweichend der Befehl sich sogar in seinen eigenen Ohren anhörte. Aber er sah nicht, welche Wahl ihm blieb. Genau wie Sorenson widerstrebte es ihm, auf Schiffe der CRN zu schießen. Sorenson und er waren alte Haudegen der königlichen Flotte. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten sie die Männer und Frauen, die auf den Verfolgerschiffen dienten, als Kameraden bezeichnet, sie sogar Brüder und Schwestern genannt. Sie hatten dieselbe Uniform getragen und denselben Idealen gedient. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, einige von ihnen in den Tod zu schicken.
»Wo ist der nächste Lagrange-Punkt?«, wollte er wissen.
»Das wäre L5«, informierte ihn der Flagglieutenant. »In knapp zwei Lichtsekunden Entfernung. Steuern wir diesen an?«
Dexter brauchte nicht lange zu überlegen und nickte. »Und danach fliegen wir sofort den nächsten erreichbaren Lagrange-Punkt an. Dieses Spielchen spielen wir danach noch dreimal. Vielleicht können wir sie auf diese Weise abhängen.«
»Kommt darauf an, ob uns auf dieser Strecke weitere Überraschungen erwarten«, gab Sorenson zu bedenken.
»Irgendwann müssen sie aufgeben«, erwiderte Dexter. »Weder das Konsortium noch das Königreich besitzt genügend Schiffe, um sämtliche Systeme jenseits ihrer Grenzen zu überwachen. Ihr Netz muss zwangsläufig Löcher aufweisen. Wir müssen nur eines finden und hindurchschlüpfen.«
»Falls sie uns nicht vorher in Stücke schießen.« Dombrowski wirkte mit der Entscheidung unzufrieden, ersparte jedoch jedem der Anwesenden eine direkte Kritik daran. Er begnügte sich mit düsteren Blicken. Dexter konnte den Mann sogar bis zu einem gewissen Grad verstehen. Dombrowski hatte nie in der CRN gedient. Ihn verband nichts mit den Besatzungen auf den Verfolgerschiffen. Für ihn waren es lediglich Ziele, die zerstört werden mussten. Genau das, was Dexter keinesfalls wollte.
»Abschuss!«, meldete plötzlich einer der anwesenden Ordonnanzen. Dexters Blick richtete sich schlagartig auf das Hologramm. Seine Augen verengten sich. Die in Rot dargestellten königlichen Schiffe stießen eine Salve Torpedos aus. Sie waren noch außer Reichweite. Der Antrieb würde den Treibstoff verbraucht haben, bevor die Geschosse die Skull-Nachhut erreicht haben würde. Sinn und Zweck dieser Salve war lediglich, die Fliehenden unter Druck zu setzen und sie zu einer unbedachten Handlung zu verleiten. Dexter dachte nicht im Traum daran, diesen Köder zu schlucken.
Innerhalb der nächsten Minuten verschossen die royalen Schiffe Salve um Salve. Und mit jeder Salve kamen die Lenkflugkörper näher an die Nachhut heran, bevor der Antrieb den Geist aufgab.
Es dauerte nicht lange und die ersten Geschosse schlugen ein. Beide Kampfkreuzer hatten ihre Schildblase aufgebaut und so viel Energie wie möglich den Heckschilden zugeführt. Die Energieblase schillerte unter dem Aufprall Dutzender Geschosse. Die königlichen Besatzungen hatten Blut geleckt. Sie spürten, dass sich die Jagd dem Ende entgegenneigte.
Dexter bewunderte die Disziplin seiner Leute. Obwohl die Anspannung angesichts der drohenden Vernichtung enorm sein musste, schlug keines der beiden Schiffe zurück. Sie begnügten sich auf rein defensive Maßnahmen.
Mit einem Mal versagten die Heckschilde des Kampfkreuzers Perikles. Detonationen überschütteten das Heck. Dexter beugte sich unvermittelt vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Holotanks. Seine Finger umklammerten diesen so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Ein Ruf von der Perikles«, informierte ihn Dombrowski.
»Einspeisen!«, ordnete Dexter an.
Die taktische Ansicht des Hologramms verkleinerte sich merklich. Es wurde ersetzt von dem Abbild eines schmächtigen Offiziers mit Halbglatze, aber dafür stechend blauen Augen.
»Captain Ortega? Wie ist die Lage?«
Captain Benito Ortega von der Perikles räusperte sich. »Wir nehmen schweren Schaden im Bereich der Antriebssektion. Die Panzerung hält bisher, aber wir wissen nicht, wie lange das noch gut geht. Mein Chefingenieur versucht, die Schilde wieder hochzufahren, aber auch das wäre lediglich eine Notlösung. Wie sollen wir weiter verfahren?«
Dexter wusste genau, was der Mann eigentlich fragen wollte: »Dürfen wir zurückschießen?« Am liebsten hätte er geantwortet: »Handeln Sie nach eigenem Ermessen.« Aber damit hätte er den Schwarzen Peter lediglich an Ortega weitergereicht. Das wäre bei keinem der Offiziere gut angekommen. Ganz davon abgesehen, dass sich Dexter damit selbst nicht wohlgefühlt hätte. Er wollte gerade antworten, als Dombrowski aufsah.
»Die Stolz verliert Geschwindigkeit.«
Dexter runzelte die Stirn. »Einen Augenblick, Ortega«, bat er und wandte sich erneut dem taktischen Hologramm zu. Bei der Stolz handelte es sich um das Großschlachtschiff, das nun als Flaggschiff der letzten condorianischen Streitkräfte fungierte. Es verlor tatsächlich an Fahrt.
»Hat das Schiff Schäden gemeldet?«
Dombrowski schüttelte als Antwort lediglich den Kopf. Dexter beobachtete unterdessen fasziniert den Vorgang, der sich vor ihm abspielte. Konteradmiral Irina Necheyev ließ ihr Großschlachtschiff elegant zurückfallen und setzte sich ans Ende der Kolonne – direkt in die Schusslinie zwischen die royalen Einheiten und die Skull-Nachhut. Die Geschosse prasselten nun auf die viel stärkeren Schilde des condorianischen Kriegsschiffes ein, die dem Beschuss zumindest im Moment problemlos standhielten.
»Ortega«, sprach Dexter den Captain der Perikles an, »bringen Sie Ihre Schilde wieder online. Die Stolz gibt Ihnen Deckung.«
Ortega nickte dankbar und beendete die Verbindung.
»Commodore? Da tut sich etwas«, meinte Dombrowski mit einem Mal.
Dexter sah auf. Die Stolz ließ unvermittelt ihre Heckschilde fallen und feuerte eine volle Breitseite aus den Hecktorpedorohren sowie ihren Raketenwerfern ab.
»Eine Verbindung zur Stolz!«, befahl Dexter. Er hatte kaum ausgesprochen, da erschien bereits das ernste Konterfei Konteradmiral Necheyevs auf seinem Hologramm. Die Frau wäre attraktiv gewesen, hätte sie auch mal gelächelt oder sich nicht dazu entschieden, ihre blonde Mähne zu einem Dutt am Hinterkopf zu frisieren. Auf diese Weise wirkte sie wie ein strenger Zuchtmeister. Auf manchen hätte das vielleicht anziehend gewirkt, nicht jedoch auf Dexter.
»Necheyev, was zur Hölle machen Sie da?«
»Meinen Job«, erwiderte die Frau schlicht und kappte die Verbindung ohne weiteres Wort.
»Die Stolz feuert erneut«, gab Dombrowski bekannt. Überraschenderweise fehlte dem Tonfall des Flagglieutenants der Anflug von Genugtuung, den Dexter eigentlich erwartet hatte.
Das condorianische Flaggschiff feuerte drei weitere Salven ab, die brutal auf die königliche Vorhut einhämmerten. Diese bestand aus einigen Eskortfregatten sowie einem Angriffs- und zwei Kampfkreuzern.
Die royalen Schiffe fuhren ihre Schilde hoch, um den Beschuss auszusitzen. Gleichzeitig schloss die übrigen TOG zügig auf, um ihre Einheiten unter Beschuss zu unterstützen. Es war jedoch zu spät. Necheyev konzentrierte ihr Bombardement auf die schwächsten feindlichen Schiffe. Die Schilde hielten zunächst stand, hatten aber der Feuerkraft eines Großschlachtschiffes kaum etwas entgegenzusetzen.
Mit der vierten Salve knackte die condorianische Admiralin die Schilde von drei Eskortfregatten. Drei weitere Salven reichten und zwei der Schiffe vergingen in grellen Explosionen, unter denen sie sich regelrecht auflösten. Das dritte Schiff entkam gerade noch rechtzeitig unter den Schutz des Angriffskreuzers, zog dabei aber einen Schwanz aus entweichender Atmosphäre und geborstener Panzerung hinter sich her.
Bevor Dexter auf den Verlust der Schiffe und den Tod so vieler königlicher Soldaten reagieren konnte, sah sein Flagglieutenant auf. »Wir haben L5 erreicht«, meldete er. »Bereit zum Sprung.«
Dexter schluckte. Sein Hals fühlte sich staubtrocken an. »Ausführen!«
Die Flaggbrücke und darüber hinaus das Universum verschwammen zu einem Sammelsurium an Farben, als die Normandy und ihre Begleitflotte durch den Lagrange-Punkt L5 sprangen – unsicher, was sie auf der anderen Seite erwarten würde.