Читать книгу SKULL 3: Die Würfel fallen - Stefan Burban - Страница 18
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ОглавлениеFalls Lennox während seiner Reise zur Asylum den Eindruck gehabt hatte, sein Zeitgefühl zu verlieren, dann war es nun dabei, sich vollends zu verabschieden.
Seine ganze Welt bestand nur noch aus Schmerz oder dem Warten, dass der Schmerz begann. Die ersten zwei Wochen auf der Asylum, verbrachte er in Einzelhaft. Danach holte man ihn zwei Wochen lang jeden Tag ab, verhörte ihn, verprügelte und folterte ihn. Anschließend brachte man ihn auf die Krankenstation, wo der zuständige Arzt ihn wieder zusammenflickte, damit am nächsten Tag alles von vorn beginnen konnte.
Lennox ging davon aus, dass er nichts verriet, auch wenn er dessen nicht hundertprozentig sicher sein konnte. Bei Verhören unter Folter ging es gerade darum, den Geist des Gefangenen so weit zu brechen, dass dieser nicht mehr klar denken konnte. In diesem Zustand wurden die meisten Informationen preisgegeben.
Allerdings war er noch am Leben. Das war ein gutes Zeichen. Hätte er geredet, hätten sich die Verantwortlichen schnellstmöglich seiner entledigt. Vermutlich wäre er durch die nächste Luftschleuse im All gelandet. Die ganze Zeit über sah und hörte er nichts von Barrera. Lennox machte sich große Sorgen um den Gunny. Während des Verhörs hatte der zuständige Offizier immer wieder betont, dass Barrera geredet hätte und es keinen Sinn hätte, länger den Mund zu halten.
Das war eine Lüge, davon war Lennox fest überzeugt. Hätte Barrera geredet, wären sie ebenfalls beide getötet worden. Wenn Lennox noch lebte, dann war die Wahrscheinlichkeit, dass sein Freund und Unteroffizier auch noch unter den Lebenden weilte, sehr hoch.
In der – soweit er das beurteilen konnte – fünften Woche nach seiner Ankunft auf der Asylum wurde er in den normalen Vollzug überstellt.
Seine Kerkermeister hatten sich wohl entschieden, die Taktik zu ändern. Wenn sie auf diese Weise fortfuhren, ohne dass er redete, dann bestand die reale Gefahr, dass er starb. Sei es durch Kreislaufversagen oder einen schlichten Herzinfarkt, der menschliche Körper konnte derlei Belastungen nicht unbegrenzt ertragen. Lennox stelle für den Zirkel eine wichtige Informationsquelle dar, zumindest falls sie es je schafften, etwas von Wert aus ihm herauszuholen. Lebend war er für diese Menschen bedeutend wertvoller als tot. Höchstwahrscheinlich hatten sie sich deshalb entschieden, die Zügel etwas zu lockern. Zuckerbrot und Peitsche, eine starke Kombination. Lennox wusste das aus Erfahrung. Während des Krieges hatte er diese Taktik selbst das eine oder andere Mal angewendet.
Er hatte damals nie groß darüber nachgedacht. Nun, da er sich auf der anderen Seite des Verhörs befand, bereute er es, dies gefangenen Rebellen damals angetan zu haben. Manche Dinge erstrahlten in einem anderen Licht, wenn man sie selbst zu spüren bekam.
Nun verstand der Marine-Colonel, warum Dexter Blackburn partout nicht mehr auf die Asylum hatte zurückkehren wollen. Dieses Schiff war vielleicht nicht die Hölle, aber auf jeden Fall eine Vorstufe davon. Er knirschte mit den Zähnen und schwor sich, falls es irgendwie in seiner Macht lag, würde er dieses Gefängnisschiff aus der Gleichung herausstreichen. Er wusste nicht, warum die Insassen dieses Gefängnisses hierhergebracht worden waren, aber niemand verdiente diese Art der unmenschlichen Behandlung.
Lennox betrat auf wackligen Beinen den Gemeinschaftsraum. Augenblicklich richteten sich Dutzende von Augenpaaren auf ihn. Einige Häftlinge spielten Karten, andere beschäftigten sich mit Sport oder Gewichtheben. Eine hünenhafte Gestalt bewegte sich auf ihn zu. Als Lennox aufsah, blickte er in die besorgte Miene Alejandro Barreras, der ihn ernst musterte.
Das Gesicht des Gunnys war ebenfalls mit Prellungen übersät. Die meisten machten allerdings den Anschein, bereits am Abheilen zu sein. Der Mann legte Lennox mitfühlend die Hand auf die Schulter. Die Berührung ging äußerst behutsam vonstatten. Dennoch hatte Lennox das Gefühl, er stehe kurz davor zusammenzubrechen.
»Sie sehen nicht gut aus«, meinte der Gunny.
»Ich fühle mich wahrscheinlich besser, als ich aussehe«, erwiderte Lennox leichthin, in dem Versuch, unbeschwert zu klingen.
Barrera schnaubte. »Das hoffe ich doch. Würden Sie sich so fühlen, wie Sie aussehen, müsste ich Ihnen einen Priester besorgen.«
Lennox zwang sich zu einem Lächeln. »Witzbold.«
»Am besten, wir besorgen Ihnen erst einmal was zu essen«, erklärte der Gunny. »Danach werden Sie sich bedeutend besser fühlen.«
Lennox nickte erschöpft. Barrera drehte sich um und machte den Anschein, erst jetzt zu bemerken, wie alle Häftlinge sie interessiert musterten. »Habt ihr nichts Besseres zu tun?«, bellte Barrera, woraufhin sich die Häftlinge eilig wieder ihren jeweiligen Beschäftigungen zuwandten.
Lennox war beeindruckt. Barrera hatte sich wohl schon Respekt unter den Gefangenen verschafft. Das war zumindest ein vielversprechender Anfang.
Barrera führte Lennox zu einem der Tische. Kaum hatten sie Platz genommen, da räumten alle anderen ihre Sitzgelegenheiten und mit einem Mal saßen die beiden Söldner allein.
Lennox sah sich aufmerksam um. Er begegnete dem allgegenwärtigen Misstrauen oberflächlich betrachtet mit Gleichmut. Innerlich war er aber in höchstem Maße alarmiert.
»Haben wir Mundgeruch oder haben die Typen Schiss vor uns?«
Barrera schüttelte leicht den Kopf. »Nicht vor uns.« Er nickte in Richtung einer kleinen Gruppe von Männern, die sich alle um einen Glatzkopf mit Vollbart postiert hatten.
»Dimitri Jankovic«, informierte Barrera seinen Vorgesetzten. »Aufseiten der Häftlinge hält er hier alle Fäden in der Hand. Schwarzmarktgeschäfte. Drogen hauptsächlich. Aber man sagt auch, er hält die Häftlinge für Renard auf Linie. Unterdrückt einen Aufruhr bereits im Keim. Wer den Wachen zu viele Probleme bereitet, der erleidet während eines Arbeitseinsatzes einen Unfall und kommt nicht mehr zurück.«
Lennox runzelte die Stirn. »Was hat er davon?«
»Vergünstigungen«, erwiderte Barrera. »Für Jankovic ist das hier wie ein Hotel. Gutes Essen, ein luxuriöses, eigenes Quartier. Man sagt, Renard eröffnet ihm hin und wieder sogar Zugang zum Frauentrakt und er darf sich dort eine aussuchen.«
Lennox spie aus. »In was für einer schönen Zeit wir doch leben.«
Barrera schnaubte abfällig. »Ist doch immer das Gleiche. Renard will möglichst wenige Probleme haben und eine ruhige Kugel schieben. Jankovic ist sein Mann fürs Grobe und der wiederum hat sich eine kleine Privatarmee unter den Gefangenen rekrutiert.« Der Gunny schüttelte fassungslos den Kopf. »Die besitzen sogar Kommlinks, um ständig in Kontakt zu bleiben und ihr Vorgehen koordinieren zu können.«
»Ist ja toll«, kommentierte Lennox. »Wir haben es also nicht nur mit den Wachen zu tun, sondern auch noch mit diesem Abschaum.« Lennox überlegte. »Wie viele Leute hat er?«
»Alles in allem fünfzig oder sechzig. Aber die Anzahl ist nicht das Problem.«
»Sondern?«
»Die Angst, die sie bei den anderen auslösen. Wer sich verweigert oder aus der Reihe tanzt, den machen sie zuerst fertig. Der Rest mutiert zu einer gehorsamen Schafherde. Fügsam und ganz nach Renards Vorstellungen.«
Lennox ließ niedergeschlagen die Schultern sacken. »Hab ich sonst noch was verpasst?«
»Das war es im Prinzip. Ich wurde auch befragt, sogar ziemlich intensiv. Immer die gleichen Fragen: Wo sind die Skulls? Was ist euer Plan? Wie stark seid ihr im Moment?« Er zuckte die Achseln. »Ständig dasselbe Zeug. Aber dann schienen sie fürs Erste das Interesse an mir zu verlieren und ich kam hierher.« Sein Blick glitt in Richtung Jankovics, der ungeniert zu ihnen herüberstarrte. »Bisher haben sich Jankovics Jungs noch nicht an mich herangetraut.«
»Oder sie haben noch kein grünes Licht bekommen«, gab Lennox zu bedenken.
Ein junger Mann mit Sommersprossen und wirrem roten Haar setzte sich ungefragt zu ihnen an den Tisch und grinste die beiden Marines über das ganze Gesicht an, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Lennox runzelte die Stirn und warf Barrera einen fragenden Blick zu. Dieser winkte lediglich ab. »Verschwinde, Maus.«
Der Mann mit dem Spitznamen Maus grinste, machte aber keine Anstalten, der Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen nickte er in einer knappen Geste in Lennox’ Richtung. »Dein Freund sieht ziemlich fertig aus.« Maus hob sein T-Shirt und darunter kamen, mit Klebeband an seinem Bauch befestigt, allerhand Döschen zum Vorschein. In jeder davon befanden sich Pillen in unterschiedlichen Farben und Größen. »Vielleicht braucht er eine Kleinigkeit, um wieder hochzukommen.«
Lennox sah sich hektisch nach den Wachen um. »Verdammt, nimm das T-Shirt wieder runter! Willst du uns alle ins Loch bringen?«
Zu seiner Verblüffung zeigte weder Maus noch Barrera irgendwelche Anzeichen von Besorgnis. Der Gunny schnaubte lediglich. »Ist schon in Ordnung. Maus ist einer von Jankovics lizenzierten Kleindealern. Die Wachen sehen weg, weil sie ihren Anteil daran bekommen. Allen voran der miese Leuteschinder Walsh.«
Lennox verzog die Miene. »Hübsches, kleines System, das die sich hier aufgebaut haben.«
»Allerdings«, stimmte Barrera zu. Er warf erneut einen warnenden Blick in Richtung des Dealers. »Verschwinde, Maus. Ich sag es dir nicht noch einmal. Bring deine Waren woanders an den Mann.«
»Schon gut, schon gut«, erklärte Maus und zog etwas beleidigt sein T-Shirt wieder herunter. Ein Schatten fiel auf die drei Gefangenen. Sie alle blickten auf. Über ihnen stand Walsh, der Chef der Wachmannschaft, und sah sie mit bösartigem Lächeln an.
»Hast du nicht gehört, Maus? Die zwei wollen nichts von dir kaufen. Mach dich vom Acker!«
Maus zog kleinlaut den Kopf zwischen die Schultern. »Ja, Boss«, hauchte er verschüchtert und schlich sich davon wie ein geprügelter Hund.
Walsh musterte die beiden Marines einen unendlich scheinenden Moment lang. Schließlich nickte er in Jankovics Richtung. »Wenn ihr dachtet, es wäre bisher schlimm, dann wartet mal ab, was euch ab jetzt erwartet. Jankovic hat gerade die Freigabe von Renard bekommen. Ab jetzt werdet ihr jeden Tag kämpfen. Euer Aufenthalt hier wird zum Spießrutenlauf und zum ständigen Kampf ums Überleben. Und zwar so lange, bis ihr vernünftig seid und ein paar Fragen beantwortet.«
Lennox lag eigentlich schon eine passende Antwort auf der Zunge. Er hätte dem Kerl nur zu gern seine Drohungen in eine seiner Körperöffnungen gerammt. Aber er hielt sich zurück. Er war noch schwach und er würde seine Kraft wohl noch dringend brauchen.
Der Terror seiner Gegenspieler hatte Methode, das musste er ihnen zugestehen. Folter war eine Sache, doch ein ständiger Überlebenskampf mit der Ungewissheit, dem Adrenalin und dem andauernden Über-die-Schulter-Sehen, das besaß eine ganz andere Qualität. Damit wollten sie die Marines also nun kleinkriegen.
Walsh schlenderte davon, aber nicht, ohne vorher noch Jankovic einen kurzen Wink zu geben. Dieser wiederum nickte. Ein Dutzend seiner Schergen standen drohend auf und kamen zu ihnen herüber. Barrera erhob sich. Ein Muskelberg, der – einmal von der Leine gelassen – nicht mehr zu stoppen war. Die zwölf Schläger zögerten. Dann bellte ihr Anführer sie auf Russisch an und sie beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. In vorsichtiger Kampfhaltung gingen sie auf Barrera los. Lennox erhob sich ebenfalls, obwohl er wusste, er würde keine große Hilfe sein. Die beiden Marines wehrten sich nach Leibeskräften. Vor allem Barrera teilte kräftig aus und drei Angreifer gingen unter seinen linken Haken zu Boden. Barrera kämpfte nicht gerade fair. Einen packte er am Genitalbereich und drückte so lange zu, bis dieser nur noch ein winselndes Bündel am Boden war. Ein anderer kassierte zwei üble Schläge in die Niere. Lennox wäre nicht überrascht, wenn der Kerl in absehbarer Zeit nur noch Blut pisste. Dennoch konnte auch ein Hüne wie Barrera eine solche Meute nicht ewig alleine zurückhalten. Bereits nach wenigen Augenblicken gingen die beiden zu Boden und wurden mit Schlägen und Tritten traktiert.