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3. Darstellung und Offenbarung 3.1. Semiotik und Theologie 3.1.1. Zeichen und Offenbarung

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Religiöse Rede – das Sprechen über Gott – ist stets symbolische Rede, Rede im übertragenen Sinn.1 Symbole sollen die Paradoxie auflösen, mit dem Begrenzten der menschlichen Sprache das Unbegrenzte des göttlichen Seins vorstellbar zu machen. Es ist das Unaussprechliche, das ausgesprochen wird. Das kann nur in „Symbolen“ geschehen,2 die aus der menschlichen Erfahrungswelt entnommen werden und in einer Beziehung zu einer Wesenseigenschaft Gottes stehen. Irdische und himmlische Welt berühren sich in der Verwendung dieser Symbole. Etymologisch gesehen fügen sich im „Symbol“ buchstäblich beide Welten zu einer Sinnwelt zusammen (συμβάλλειν – wörtlich: „zusammenwerfen“).3 Der Begriff „Symbol“ kann zudem in dem allgemeineren Begriff des „Zeichens“ aufgehen (verbunden mit dem Begriff συμβάλλεσθαι).4 Zeichen sind – wie die semiotische Konzeption von Peirce veranschaulicht – stellvertretende und bedeutungstragende Größen, die auf einen Gegenstand der Wirklichkeit verweisen und ihn inhaltlich eingrenzen. Religiöse Symbole sind Zeichen.

Die Bibel bietet eine Fülle von sprachlichen Zeichen – von Metaphern und Vergleichen –, um Wesen und Handeln Gottes ins Wort zu bringen.5 Mit ihrer Hilfe sprechen Menschen in erinnerten Geschichten über Gott und wenden sich im Gebet und Lobpreis an ihn. Die menschliche Seite bildet aber nur die Antwort auf den göttlichen Ruf, denn nach dem biblischen Gottesbild zeigt sich Gott als ein sprechender und somit zugleich ansprechbarer Gott.6 Die biblischen Geschichten über den Gott JHWH und sein Volk konstituieren die Geschichte Israels: JHWH erwählt sein Volk, führt, richtet und rettet es. Er spricht sein Volk an. Der Weg Israels durch die Zeiten ist der Weg Gottes mit Israel. Den Wesenskern Gottes bilden sein Schöpfersein und sein Schöpferhandeln. Es ist Gottes Wunsch, schöpferisch zu wirken, um sich dadurch selbst mitzuteilen. Die Erwählung Israels als Gottesvolk ist als ein solch schöpferischer Akt zu verstehen. Diese Schöpferkraft wird in der Berufung des Gottessohnes neu wirksam, der „sich selbst entäußerte“ (vgl. Phil 2,7) – das heißt die himmlische Welt verlässt, um in die irdische einzugehen, so dass dadurch beide Sphären miteinander verbunden werden. Sprechendes Zeugnis für das Schöpfersein Gottes ist der Gottesname „JHWH“. Seine Deutung wird bekanntermaßen in Ex 3,14a berichtet. Auch hier ist es Gott selbst, der für Mose im brennenden Dornbusch sichtbar wird und sich ihm anschließend mit seinem Namen hörbar zu erkennen gibt. JHWH macht sich mit den beiden wichtigsten Sinnen des Menschen sinnenhaft wahrnehmbar und damit sinnhaft erfahrbar. „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘“ bzw. besser die futurische Form: „Ich werde sein, der ich sein werde“7 (vgl. Ex 3,14a) lautet die paradoxe Formulierung des Gottesnamens, die Gott dem Mose gegenüber ausspricht. Die Bezeichnung referiert auf die hebräische Wurzel היה / „hjh“ („sein“, „werden“, „sich erweisen“).8 Gott offenbart sich damit einerseits als der Da-Seiende – der Urgrund des Lebens und des Lebendigen – sowie als der Mit-Seiende für sein erwähltes Volk, was auch zukünftiges Heilshandeln umfasst, und andererseits zugleich als der Anders-Seiende, der sich dem menschlichen Begreifen und Denken entzieht.9 Es bleibt in diesem Offenbarungsgeschehen bei einem gleichzeitigen Ineinander von Offenbaren und Verhüllen, von Immanenz und Transzendenz. Gottes „Gottsein“ besteht in seinem geheimnisvollen Sein. Gott teilt sich mit und verbirgt sich gleichzeitig, da nur er allein sich selbst kennt.10 Der Begriff des Lebendigen verweist auf die Schöpfermacht Gottes, denn „Schöpfen“ heißt: „etwas ins Leben rufen“. In diesem Schöpfersein Gottes manifestiert sich ein dynamischer, evolutiver Aspekt: Gott begründet immer neu das Sein der Welt – das Leben –, weil er selbst der Inbegriff des Seins ist.11 „Ins Leben rufen“ bedeutet aber zugleich, sich mitzuteilen. Die schöpferische Fähigkeit steht allein JHWH zu. Sein Name reflektiert seinen Wesenskern. Darin gibt er sich den Menschen zu erkennen. Er teilt sich selbst den Menschen in Zeichen mit. Die biblischen Geschichten sind Offenbarungsgeschichte.12 Treffend formuliert Gesche Linde diesen Zusammenhang: „Zeichen sind darum nicht so sehr Erkenntnishilfe als vielmehr Teil einer dynamischen Realität, in der der Mensch eingebettet ist: Sie bilden gewissermaßen diejenigen Koordinaten, an denen die Welt für Gott durchlässig wird oder Gott die Welt für sich durchlässig macht.“13

Für den biblischen Gebrauch von Zeichen gilt nun allgemein, dass sich die Ebene der formal-sensuellen Erfahrung von Zeichen mit der Ebene der material-kognitiven Erkenntnis durch Zeichen verbindet.14 Im Einzelnen bestimmen drei Merkmale das Verhältnis beider Funktionsebenen:15 Erstens kommen Zeichen in den biblischen Texten immer dann vor, wenn göttliches Handeln dem Menschen als einsichtig vermittelt werden soll. Dann kann man sogar so weit gehen, die repräsentative wie die hermeneutische Funktion von Zeichen als austauschbare Größen zu sehen. Zweitens machen Zeichen offenbarungstheologische Zusammenhänge im wörtlichen und dann im übertragenen Sinne „begreiflich“. Die Bibel wählt optische wie akustische Zeichen als Zeichenkörper. Sinnlich zugängliche Zeichen haben den Vorteil, dass sie universell wirken und zudem kommunikativ zu vermitteln sind. Somit lassen sich Zeichen drittens auch tradieren, da in ihnen überzeitlich gültige, unmittelbare Gotteserfahrungen präsent sind. Diese Aussagen über Gott stellen aber erinnerte Zeichen des Kollektivs der Glaubenden dar und erschließen sich für das Individuum im Tradierungsprozess daher nur mittelbar. Zeichen in der Bibel sind also speziell zu fassen; sie sind als „Offenbarungszeichen“16 zu werten: Sie erschließen Gottes Sein und Tun. Den biblischen Kontext zeichnen zwei Momente aus, die die göttliche und die menschliche Perspektive widerspiegeln.17 Zum ersten handelt es sich um eine Vielzahl an zeichenhaften Elementen, die für den einen Gott stehen, so dass im Gottesbild die lebendige Schöpferkraft wie die unergründliche Tiefe JHWHs anschaulich wird – Gott lässt sich nicht vollständig erfassen –, und zum zweiten unterliegt die verwendete Bildsprache – wie bereits angedeutet – selbst wieder einem Tradierungsprozess, der den Anspruch an die nachfolgenden Generationen erhebt, den in den Sprachzeichen aufbewahrten Gotteserfahrungen Glauben zu schenken, auch wenn sie ihnen nicht selbst widerfahren sind.

Somit ist religiöses Sprechen essentiell von Zeichenvermittlung abhängig. Daher kann auch das Zeichen zu Recht als Fundamentalbegriff der Theologie gelten. Es bietet sich für die Beschäftigung mit biblischen Texten grundsätzlich an, den Zeichenbegriff auch ins Zentrum einer exegetischen Untersuchung zu stellen. Ein semiotischer Zugang kann als neue Hermeneutik dienen, um den Blick zu schärfen, das schöpferische Offenbarungsgeschehen neu zu betrachten. Dabei ist die semiotische Konzeption von Charles Sanders („Santiago“) Peirce im Besonderen dafür geeignet. Die Erschließungsfunktion der Peirce’ schen Semiotik korrespondiert nämlich in wesentlichen Aspekten mit der Offenbarungsvorstellung des jüdisch-christlichen Gottesbildes.18 Der erwähnte dynamische Aspekt des Schöpfungs- und Offenbarungshandelns Gottes kann man gewinnbringend mit der Zeichenlehre in Verbindung bringen. Das Thema des dynamischen Momentes ist von zwei Seiten näher einzugrenzen – von Seiten Gottes und von Seiten des Menschen.19 Aus göttlicher Perspektive lässt sich sagen: Wenn man die semiotische Deutung als universale Erkenntnislehre akzeptiert, dann kann man Offenbarung als Prozess der Begriffs- und Bedeutungsbildung definieren. Folglich kann das Offenbarend-Schöpferische Gottes zeichentheoretisch in der triadischen Struktur angemessen abgebildet werden.20 Das offenbarende und schöpferische Handeln Gottes kommt darin in elementarer Weise zur Sprache. Konkret heißt das: Gott setzt also ein Offenbarungszeichen und gibt ihm eine Bedeutung bei, die ein Erschließen Gottes möglich macht.21 Die triadische, dynamisch-relationale Deutung des Offenbarungshandelns Gottes in der Semiotik findet ihre Analogie und Begründung zuletzt auch in der trinitarischen Vorstellung Gottes. Aus menschlicher Perspektive besteht folgender Zusammenhang: Im dreistelligen Zeichenereignis – der Semiose – als Erkenntnisvorgang drückt sich das Bestreben des Menschen aus, seinerseits die göttliche Sphäre in menschlich nachvollziehbarer Weise zu erfassen. Dies geschieht im Erkennen des Offenbarungszeichens als „Darstellungsmittel“. Gott wird dadurch dezidiert als „Objekt“ der Erkenntnis des Menschen bestimmt. Das Zeichen verweist zum einen auf den Gegenstand und löst zum anderen ein Netz von Interpretationen aus, die sich gegenseitig bestätigen oder ablehnen, ergänzen und verändern können. Die Theologie nimmt also die philosophische Fundamentalwissenschaft Semiotik auf; Theologie wird dadurch als „Theosemiotik“ definiert, um die gelungene Wortprägung von Michael L. Raposa zu verwenden.22 Die relational interpretierte Dynamik JHWHs in seiner Offenbarungs- und damit Schöpfungstätigkeit korrespondiert so mit der relational strukturierten Dynamik des Erschließungsprozesses im semiotischen Konzept von Peirce.23 In der folgenden Darstellung soll der semiotisch-exegetische Ansatz der vorliegenden Studie vertiefend ausgeführt werden.

Zeichen und Geist

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