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5.1. Text und Kontext

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Die Geschichte Jesu als offenbarungstheologisch-schöpfungstheologisch geprägte Erzählung über den Sohn Gottes (vgl. Mk 1,1) wird in der Tauf- und Versuchungsepisode mit der Geschichte des wirkenden Geistes parallelisiert. Somit begründet die pneumatologische Bestimmung das apokalyptisch-eschatologische wie soteriologisch-christologische Deutungskonzept. Die Perikope präsentiert sich im Hinblick auf die Geistthematik in ihrer narrativen Struktur als Diptychon, das mit der Erzählung von Taufe – vgl. Mk 1,9–11 – und Versuchung – vgl. Mk 1,12–13 – die Begabung Jesu mit dem Geist und seine Bewährung im Geist schildert.1 In beiden Szenen ist also Jesus der Protagonist, dessen Erwählung zum Sohn Gottes in einer bildgewaltigen und symbolträchtigen (das heißt apokalyptisch-eschatologischen)2 Darstellung ausgeführt wird (vgl. den folgenden Haupttext).

Das den beiden Geschichten gemeinsame Moment des Geistes3 begründet in der Forschungsliteratur die These von der Einheitlichkeit beider Erzählstücke. Entweder lag die Zusammenfügung bereits ursprünglich vor, oder sie wurde spätestens durch Markus hergestellt.4 Der Verweis auf den Aspekt des Geistes ist in der Tat das ausschlaggebende Argument: Die Geistthematik stellt gerade die Pointe des Textstückes dar, so dass meines Erachtens von einer schon vormarkinischen Einheitlichkeit der vermeintlich eigenständigen Szenen auszugehen ist.5 Dafür spricht in formaler Hinsicht auch die sprachliche Gestaltung durch die Wiederholung der markanten Wendung καὶ εὐθύς6 jeweils am Anfang von Mk 1,10 und Mk 1,12, die sich auf die Erscheinung (Taufszene) bzw. die Wirkung (Versuchungsszene) des Geistes bezieht.7 Ferner sind die Tauf- und die Versuchungsgeschichte mit je einer Schilderung sowie einer Deutung der Situation parallel aufgebaut.8 Diese Beobachtung lässt sich auch in semiotischer Hinsicht bestätigen, denn die Erzählweise repräsentiert gerade frappierend die triadische Systematik des Ding-, Zeichen- und Bedeutungsaspektes (siehe unten). Ergänzend können als Argumente für die Einheitlichkeit einerseits der mehrmalige Gebrauch des Personalpronomens αὐτός (in Mk 1,10. 12. 13), das auf Jesus rekurriert, dessen Name aber allein im V. 9 vorkommt, sowie andererseits der ebenfalls logisch aufeinander folgende Wechsel des Schauplatzes der Handlung vom Jordan (vgl. Mk 1,9) in die Wüste (vgl. Mk 1,12. 13) angeführt werden.9 Zudem spiegeln sich in beiden Szenen die haggadische Gestaltung und die christologische Deutung wider.10 Aufgrund der festen Struktur dieses Traditionsstückes ist die redaktionelle Arbeit des Evangelisten wohl gering zu veranschlagen.11 Die somit insgesamt inhaltlich abgeschlossen wirkende Perikope lässt eine vom voraufgehenden Text gesonderte Überlieferung12 vermuten. Darauf verweisen zum einen die schon genannte feierliche Eröffnungsformel und zum zweiten die nochmalige Erwähnung der Tauftätigkeit des Johannes.13

So ergibt sich eine mit der semiotischen Matrix zu entwickelnde triadische Struktur des Textabschnittes Mk 1,9–13. Jeder Vers repräsentiert dabei jeweils eine der für die Peirce’sche Ausprägung der Semiotik charakteristischen Kategorien von „Ding“, „Zeichen“ und „Bedeutung“. Eine Ausnahme findet sich nur im V. 13, in dem der Zeichen- und der Bedeutungsaspekt zusammengefasst sind, wie der nachstehende Aufriss veranschaulichen wird: Der Vers 9 leitet die Taufszene, der Historizität nicht abzusprechen ist,14 ein. Der Erzähler blickt darin auf die Darstellung der Tauftätigkeit durch Johannes im Jordan zurück, von der in der vorausgegangenen Episode gleich dreimal die Rede ist – nämlich in Mk 1,4. 5. 8. Im V. 8 verknüpft sich die Wasserhandlung mit der Geisttaufe und weist voraus auf den schon in Mk 1,7b angekündigten „Stärkeren“. „Jesus von Nazaret in Galiläa“ als dieser „Stärkere“ wird nun im V. 9 eingeführt15; er unterzieht sich wie alle anderen zu Johannes geströmten Menschen der Taufe, indem er in den Fluss steigt und dort von Johannes untergetaucht wird. Der Taufakt repräsentiert in semiotischer Hinsicht den Dingaspekt. Im V. 10 berichtet der Erzähler von der Vision, die Jesus in dem Moment widerfährt, als er den Jordan verlässt: Er sieht den Himmel geöffnet und den Geist Gottes daraus hervorkommen, der sich nun „wie eine Taube“ auf ihm niederlässt und in ihn eindringt. Aus der markinischen Formulierung – der Analogie ὡς περιστεράν – geht klar hervor, dass die dargestellte Begebenheit symbolisch zu verstehen ist. Sie ist ein Zeichen für Gottes Gegenwart. Somit lässt sich in dieser göttlichen Intervention, die Initiationscharakter hat, der Zeichenaspekt der semiotischen Triade wiedererkennen. Dieses visionäre Ereignis deutet die „Stimme aus dem Himmel“ im Vers 11: Zur Vision tritt nun noch eine Audition. Es ist die Stimme Gottes, die Jesus mit der soeben geschehenen Geistverleihung zum „geliebten Sohn“ annimmt. Jesus wird zum „Sohn Gottes“ proklamiert und als solcher adoptiert. Darin kommt die Verheißung Gottes auf den Anbruch seiner Königsherrschaft zum Ausdruck, der mit der Sendung des Menschensohnes zur Erfüllung gelangt. Diese Aussage spiegelt das Bedeutungsmoment in der semiotischen Hermeneutik wider. Damit endet die Taufszene – der erste Teil der Doppelperikope.

Die in den VV. 9–11 geschilderte bildhafte Vermittlung des göttlichen Geistes stellt die Voraussetzung für die nun folgende Versuchungsperikope dar: Der Heilige Geist „treibt“ Jesus vom Jordan jetzt „hinein in die Wüste“ (vgl. V. 12). Es geht um eine Aussage über das Wesen des Geistes: Er ist eine vorwärtsdrängende Kraft, ist δύναμις. Damit ist – semiotisch gesehen – der Dingaspekt angesprochen. Nach diesem Ortswechsel beschreibt der Erzähler im Vers 13 die sich anschließende Handlung. Jesus hält sich „vierzig Tage“ in der Einöde auf, während er vom „Satan“ „versucht“ wird; zugleich lebt er inmitten „wilder Tiere“ und empfängt den Dienst der Engel. Die Darstellung der Versuchung hat wohl einen historischen Kern,16 zeigt aber zugleich eine bewusste Gestaltung. Die Prüfung durch den Widersacher Gottes ist analog der Geistbegabung im Vers 10 gehalten. Auch der V. 13 handelt vom zeichenhaften Moment: Wie Jesus der Geist in der Gestalt einer Taube begegnet, so wird der nun mit göttlicher Kraft Ausgestattete von der widergöttlichen Macht in Gestalt des Teufels in Versuchung geführt (vgl. V. 13a). Der Tierfrieden und der Engelsdienst (vgl. V. 13b. c) dagegen belegen, dass Jesus die Bewährungsprobe bestanden hat. Diese beiden Motive stellen die Interpretamente der Versuchungsszene dar, präsentieren sie doch den Bedeutungsaspekt in einer protologisch-eschatologisch geprägten Szene und markieren somit bereits am Anfang des Evangeliums die Erfüllung der mit der Geisttaufe Jesu angestoßenen messianischen Hoffnung. Aus semiotischem Fokus betrachtet, enthält also der Vers 13 den Zeichen- wie den Bedeutungsaspekt (vgl. Tabelle 1 am Ende des Kapitels).

Die Perikope fügt sich sinnvoll in den Kontext des Anfangs des Markusevangeliums ein. Die Stelle im Evangelium, an der die Szene jetzt steht, lässt sich nämlich gut begründen: Die Doppelperikope Mk 1,9–13 repräsentiert eine Legitimationserzählung für den Vollmachtsanspruch Jesu. Seine Identität als endzeitlicher, mit dem Geist Gottes ausgerüsteter Übermittler der Königsherrschaft Gottes wird darin anschaulich. Man könnte die Tauf- wie die Versuchungsepisode, die eine Sinneinheit bilden, in einer gemeinsamen Textgattung zusammenfassen und diese sachlich angemessen als eine „Berufungsgeschichte sui generis“ bezeichnen. Der Zusatz „sui generis“ erscheint nötig, da die Vollmacht Jesu zwar einerseits auf das Erwählungshandeln Gottes zurückgeführt wird,17 aber andererseits das für die Prophetenbeauftragung konstitutive, göttliche Sendungswort fehlt.18

Die in Mk 1,9–13 geschilderte Handlung von Taufe und Versuchung ist gedeutetes Geschehen: Die neue Existenz Jesu bleibt den ihn umgebenden Menschen allerdings verborgen; selbst der Täufer, der dem Ereignis buchstäblich noch am nächsten steht, ist bloße „Staffage“. Es gibt keine Augen- und Ohrenzeugen für die Vision und Audition Jesu in der Taufszene (vgl. Mk 1,10: εἶδεν; vgl. Mk 1,11: ἐγένετο: Der Konnex mit dem vorausgehenden Lexem εἶδεν zeigt deutlich, dass Jesus der ausschließliche Empfänger der Vision ist), und beim Wüstenaufenthalt ist es evident, dass Jesus allein ist, als der Satan an ihn herantritt und die wilden Tiere und die Engel bei ihm sind. Geteilt wird die Offenlegung der Gottessohnschaft Jesu ausschließlich mit dem Leser des Buches; für die Menschen in der Szene bleibt Jesu messianische Identität weiterhin zweifelhaft. Sie kann nur – wie der weitere Weg Jesu zeigen wird – im Glauben, im Bekenntnis erfasst werden. Das Moment des sogenannten „Messiasgeheimnisses“ scheint damit gleich mit dem ersten Auftreten Jesu im Evangelium auf. Enthüllung und Verhüllung sind also die Aspekte, die das Wesen Jesu als den „Christos“ oder „Christus“ (den „Gesalbten“, den „Messias“) auszeichnen, und die mit Gottes unergründlichem Sein, das durch die Verbundenheit von Immanenz und Transzendenz charakterisiert ist, korrespondieren. Hierin kommt das wahre Wesen Jesu als Sohn Gottes zum Ausdruck. Wie JHWH ist auch Jesus Christus geheimnisvoll. Ganz offenbar wird seine wahre Identität jedoch erst in Kreuz (vgl. Mk 15,33–47) und Auferstehung (vgl. Mk 16,1–8). Allerdings ist diese Offenbarung auch dort zunächst nur auf einen kleinen Kreis Eingeweihter beschränkt – nämlich auf die Frauen und vor allem auf die Jünger. Anfang und Ende des Evangeliums verbinden sich auf diese Weise.

Die kurze Tauf- und Versuchungsszene Mk 1,9–13 gehört deswegen zu den eindrucksvollsten Beispielen für das im Markusevangelium häufig verwendete Stilmittel der Intratextualität, das die hermeneutische Beziehung zwischen den Einzeltexten und dem Gesamttext stiftet und so die markinische „Relecture“ begründet. Die Episode Mk 1,9–13 weist damit voraus auf das letzte Kapitel der Schrift. Sie geht aber gleichermaßen zurück auf den eröffnenden Vers des ersten Kapitels, der mit dem Begriff „Evangelium“ einerseits und der christologischen Titulatur „Sohn Gottes“19 andererseits die Botschaft Gottes mit dem Botschafter Gottes verbindet und dadurch Jesu „wahres Ich“ deutet: Der dort von der Stimme des Erzählers benannte „Gottessohn“ (vgl. υἱός θεοῦ) wird in Mk 1,11 von der Himmelsstimme als „geliebter Sohn“ (ὁ υἱός […] ὁ ἀγαπητός) bezeichnet. Sprachlich unterstreicht der die Taufszene rahmende feierlich-hoheitliche Terminus ἐγένετο in Mk 1,9 und Mk 1,11 die göttliche, geistgewirkte Bevollmächtigung und damit die rechtmäßige Vollmacht Jesu. Darüber hinaus nimmt das Motiv des „Evangeliums“ das Summarium der Gottesreichspredigt Jesu in Mk 1,14–15 vorweg.

Die Szene Mk 1,2–8 bezieht die Personen und ihre Handlung auf die unmittelbar folgende Tauf- und Versuchungserzählung: Zum einen wird Johannes der Täufer (vgl. Mk 1,4. 6. 9) mit Jesus von Nazaret (vgl. Mk 1,9) verbunden, die vergangene (vgl. den Aorist ἐβάπτισα – vgl. Mk 1,8a) Taufe „mit Wasser“ (ὕδατι – vgl. Mk 1,8a; vgl. das Heraussteigen Jesu aus dem Wasser in Mk 1,10) durch Johannes und die zukünftige (vgl. die Futurform βαπτίσει – vgl. Mk 1,8b; ὀπίσω μου – vgl. Mk 1,7b) Taufe „mit dem Heiligen Geist“ (ἐν πνεύματι ἁγιῳ – vgl. Mk 1,8b; vgl. die Herabkunft des Geistes in Mk 1,10) durch Jesus werden einander gegenübergestellt. Zum zweiten ist es hier in Mk 1,2–8 die Himmelsstimme, die den Täufer zum letzten „Boten“ (ἄγγελος – vgl. Mk 1,2b)20 in der Zeit – im alten Äon – und damit zum Vorläufer des κύριος – des „Herrn“ – bestimmt, während dort in Mk 1,9–11 durch die gleiche himmlische Stimme Jesus zum „Sohn Gottes“ in der Endzeit – im neuen Äon – ausgerufen wird. Die Perikopen Mk 1,2–8 und Mk 1,9–13 zeigen somit den Aufbau einer Klimax: In ihrer Aussage stehen sie im Verhältnis von Verheißung (Johannes der Täufer, Bote / Prophet, Wassertaufe) und Erfüllung (Jesus von Nazaret, Herr / Messias, Geisttaufe), von menschlich-prophetischem Handeln und göttlich-messianischem Tun (vgl. Mk 1,7b: „der stärker ist als ich“ – ὁ ἰσχυρότερός μου; vgl. Mk 1,7c: οὗ οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς κύψας λῦσαι τὸν ἱμάντα τῶν ὑποδημάτων αὐτοῦ). Die Abschnitte Mk 1,1 – der Titel des Markusevangeliums –, Mk 1,2–8 – die „Täuferperikope“ – und Mk 1,14–15 – die „Predigtperikope“ – bilden somit den erzählerischen Rahmen für die Stelle Mk 1,9–13. Alle genannten Textstücke repräsentieren die größere Erzähleinheit Mk 1,1–1521 – den „großen Markusprolog“ –, der die ἀρχή der Geschichte Jesu in ihrem dargestellten zweifachen Bedeutungsspektrum schildert. So enthält dieser semantisch komplexe Textabschnitt die Stichwortverbindung: „Gott“, „Sohn Gottes“, „Bote“, „Verkündigung“, „Johannes der Täufer“, „Jesus von Nazaret“, „Geist Gottes“, „Evangelium Gottes“ und „Königsherrschaft Gottes“, die die offenbarungs- und schöpfungstheologischen sowie pneumatologisch-christologischen Aussagen des gesamten Markusevangeliums in nuce anklingen lässt.

Zeichen und Geist

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