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2.2. Kategorien und Konkretisierungen

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Die drei erwähnten, relationenlogisch definierten Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit finden sich nach Peirce sowohl in der Natur als auch im menschlichen Geist. Es sind logische StrukturenUniversalbegriffe. Folglich müssen sie zugleich als Kategorien des Seins aufgefasst werden.1 In seiner prägnanten und vielzitierten Definition der Kategorien lässt Peirce daran auch keinen Zweifel aufkommen:

Firstness is the mode of being of that which is such as it is, positively and without reference to anything else. Secondness is the mode of being of that which is such as it is, with respect to a second but regardless of any third. Thirdness is the mode of being of that which is such as it is, in bringing a second and third into relation to each other.2

Erstheit lässt sich demnach monadisch, Zweitheit dyadisch und Drittheit triadisch bestimmen. Durch die beiden Formulierungen „mode of being“ („Seinsweise“) und „of that which is such as it is“ („dessen, was ist, so wie es ist“) betont Peirce dezidiert den ontologischen Status der Kategorien.3 Darüber hinaus unterstreichen die im Singular stehenden Bezeichnungen „firstness“, „secondness“ und „thirdness“ diesen Gedanken. Die nummerischen Beschreibungen der Verstandesbegriffe bringen ihre notwendige Unbestimmtheit und somit ihre Universalität zum Ausdruck. Sie eignen sich für die Darstellung aller phänomenologischen Erkenntnisprozesse, da sie eine angemessene Balance zwischen Offenheit und Begrenzung herstellen. Diesen Aspekt der Allgemeingültigkeit verdeutlicht Peirce im besagten Brief. Hier erwähnt er zunächst seine bahnbrechende Entdeckung der Triade als Grundstruktur der Phänomenologie, zu der sich der damals noch junge Mann nach jahrelanger, reiflicher Überlegung durchringen konnte, und bezieht sich anschließend auf seine frühe Darstellung – die erwähnte New List von 1867 –, in der er sich erstmals vor Fachpublikum4 eingehend zu seinem Kategorienkonzept äußerte.5 Dann stellt er kurz und bündig fest: „The ideas of Firstness, Secondness, and Thirdness are simple enough. Giving to being the broadest possible sense to include ideas as well as things, and ideas that we fancy we have just as much as ideas as we do have, […].“6 Peirce rechtfertigt zudem die Wahl dieser Zahlbegriffe für die Bestimmung der Universalien, die der Phänomenologie zwar auf den ersten Blick einen abstrakt-operationalen Charakter verleiht, die aber gerade dadurch am besten dafür geeignet ist, den Erkenntnisvorgang in logischer Form darzustellen. Die Terminologie ist sachlich angemessen und überprüfbar, geht sie doch auf Peirces jahrelange Beschäftigung nach logischer Systematisierung zurück, wie er verdeutlicht.7 Zudem macht er klar, dass er eine psychologische Deutung als subjektiv und damit aus seiner Sicht als fehlerbehaftet strikt ablehnt. Ihm liegt an logisch-objektiv, exakt hergeleiteten und somit nachprüfbaren Ergebnissen („However, I abstain from psychology which has nothing to do with ideoscopy“).8

In seiner frühen Auseinandersetzung mit der elementaren Bestimmung des Seins in der New List von 1867 ist der ontologische Aspekt akzentuiert. Die Universalbegriffe erhalten hier den Namen „Kategorien“ („categories“)9 und werden als vermittelnde „Akzidentien“ („accidents“)10 zwischen „Substanz („substance“)11 und „Sein“ („Being“)12 (oder „Es“ – „it“)13 angeordnet. Zwar weichen die gewählten Bezeichnungen von den späteren phänomenologisch orientierten Begriffen der „Erstheit“, „Zweitheit“, „Drittheit“ ab – sie heißen hier noch „Qualität“ („Quality“)14, „Relation“ („Relation“)15 und „Darstellung“ („Representation“)16 –, sie beschreiben aber denselben erkenntnistheoretischen Zusammenhang. Außerdem fällt bereits der Begriff „Interpretant“ („interpretant“)17 bzw. „ein Drittes“ („a third“)18. Peirces frühes Kategoriensystem führt von der „Mannigfaltigkeit der Substanz“ („manifold of the substance“)19 zur Einheit des Seins.20 Gleichzeitig ist die phänomenologische Perspektive in den Ausführungen der New List bereits deutlich vorgeprägt.21 Mit dem klassischen philosophischen Begriff der „Substanz“ verweist Peirce auf das „Phaneron“ bzw. den Objektcharakter des Seins. Wenn er als Kennzeichen der Substanz22 die Gegenwärtigkeit („the present“)23 herausstellt und diese näher als bloßes „Erfassen überhaupt von dem in der Aufmerksamkeit Enthaltenen“24 („the general recognition of what is contained in attention“)25 ohne analytisch-intellektuelle Bestimmung definiert, dann ist darin deutlich auf den späteren Begriff „Phaneron“ angespielt. Dessen Bestandteile müssen konkretisiert und abstrahiert werden (im Sinne der New List als Proposition). Eine vollständige, wahre Aussage ist mit der Kopula „ist“ („Sein“!) gegeben, die die Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat vornimmt.26 Hier wird der Interpretantencharakter greifbar: Subjekt und Prädikat werden durch eine deutende Bezeichnung in ein Verhältnis gebracht, „verbunden“ („Kopula“). Die Termini „Substanz“ und „Sein“ können später wegfallen, weil die Triade beide Entitäten vollständig enthält. Die Kategorien sind somit ontologische Begriffe; die Ontologie ist damit im frühen Peirce’schen Denken angelegt. Die vorgenannten Definitionen der drei Kategorien zeigen, dass es sich um Verstandesbegriffe handelt, die universal wie exklusiv menschliches Wahrnehmen und Deuten erfassen sollen. Der phänomenologische Erkenntnisvorgang, wie ihn Peirce versteht, ist also durch eine triadische Struktur gekennzeichnet. Den Anstoß für seine Lehre von den Kategorien empfängt Peirce aus der Kategorientafel Kants. Schon als Jugendlicher beginnt er mit der Lektüre der Kritik der reinen Vernunft und kann daraus bald Teile aus dem Kopf zitieren. Peirce setzt sich intensiv mit den Thesen Kants auseinander; Kant wird zu seinem philosophischen Leitstern.27

Peirce ist zwar Kantianer, er ist aber ein kritischer Kantschüler. So erkennt er, dass sich Kants zwölfteilige Kategorientafel stark vereinfachen lässt, da die einzelnen Grundformen in einer Beziehung der Über- und Unterordnung zueinander stehen. Es ist deshalb möglich, ein nur dreigliedriges Kategoriensystem zu entwerfen, das nach Peirces Auffassung ausreichend ist, die gesamte menschliche Verstandestätigkeit im Sinne der Begriffs- und Bedeutungskonstitution abzubilden.28 Peirce entdeckt diesen Zusammenhang nach eigener Auskunft im Kern bereits als knapp Zwanzigjähriger,29 und er verteidigt die Ausschließlichkeit der Triade30 noch in seinem späteren Leben. Die resümierende Begründung dafür erscheint einfach wie einleuchtend: „The point is that triads evidently cannot be so reduced since the very relation of a whole to two parts is a triadic relation.“31 Was genau er unter der Terminologie von „firstness“, „secondness“ sowie „thirdness“ versteht, erklärt Peirce ausführlich und anschaulich in dem schon angesprochenen längeren Schreiben an Victoria Lady Welby vom 12.10.1904.32 Peirce kommt, nachdem er die Definitionen der Universalbegriffe vorausgeschickt hat, auf die drei Arten von Kategorien der Reihe nach näher zu sprechen.33 „Firstness“ deutet er als „qualities of feeling“ bzw. „appearances“34 oder noch präziser als „simple positive possibility of appearance“.35 Es geht also um die reine Möglichkeit der Verwirklichung einer Eigenschaft. Sie ist noch nicht begrifflich erfasst („The unanalyzed total impression […]“).36 Erstheit stellt die abstrakteste Größe im Kategoriensystem dar und lässt sich daher nur schwer vorstellen.37 Peirce selbst untersucht sie im erwähnten Schreiben in Verbindung mit der Zweitheit, um ihre Bedeutung zu erläutern. Gegenüber der bloßen Möglichkeit, aus der der Aspekt der Erstheit besteht, umschreibt der Begriff „secondness“ die tatsächliche Ausprägung der Erstheit oder der Qualität. Sie wird bestimmt als die Erfahrung der „Anstrengung“ („the experience of effort“)38 oder als die Erfahrung des Widerstandes („the experience of resistence“)39 sowie als „gewaltsame Handlung“ („brute action“),40 die nicht zweckgerichtet ist („prescinded from the idea of a purpose“).41 Zweitheit ist Erfahrbarkeit, Wahrnehmbarkeit. Sie ist Wirklichkeit: „Note that I speak of the experience, not of the feeling, of effort.“42 Um das Verhältnis zwischen den Abstrakta der Erst- und Zweitheit zu klären, gibt Peirce das aufschlussreiche Beispiel einer Fesselballonfahrt über einer stillen Landschaft bei Nacht,43 bei der die Ruhe durch die schrille Signalpfeife einer Dampflokomotive jäh unterbrochen wird. Sowohl die vorherige Stille wie der scharfe Ton der Dampfpfeife seien dabei Ausprägungen der Erstheit, während der Moment, in dem der Laut die Ruhe zerstört, für die beobachtende Person im Korb des Ballons ihr Erleben in zwei Teile trennt – in Ruhe und in Lärm. Der Beobachter („an ego“ – „ein Ich“)44 empfände die Widerständigkeit der anderen, neuen Situation („a non-ego“ – „ein Nicht-Ich“),45 und diese Erfahrung sei nichts anderes als Zweitheit. Wie bei der Erstheit als reiner Einfachheit handele es sich hier um das Wahrnehmen einer reinen Widerständigkeit ohne Bezug zu einer mentalen Beurteilung, wie es die Definition der Zweitheit ausdrückt („regardless of any third“).46 Nach Peirce ist es die schlichte „Erfahrung“ des „Erleidens“ („experience“, „suffer“)47 dieser Widerständigkeit, die sich aus dem Aufeinandertreffen des „ego“ mit dem „non-ego“ ergebe.48 Mit der Drittheit schließlich wird eine Verbindung zwischen Erst- und Zweitheit erzeugt, die eine Deutung vornimmt. Synonyme für die Drittheit oder das Dritte sind „Gesetz“ („law“)49 und „Vernunft“ („reason“).50 Auch hierzu fügt Peirce ein gutes Beispiel51 an – diesmal aus dem Rechtswesen: Das Ablegen des Gegenstandes „B“ durch die Person „A“ und das Aufnehmen von „B“ durch die Person „C“ könne nur dann als Eigentumsübergang durch Schenkung verstanden werden, wenn der Vorgang so gedeutet werde, wie es im Gesetzestext zur Schenkung festgesetzt sei. „Thirdness“ bedeutet als „mediation“ – „Vermittlung“52 – die geistige Tätigkeit der Begriffs- und Bedeutungszuschreibung (Begrifflichkeit). Sinnenhaft Erfahrbares wird somit zu sinnhaft Gedeutetem. Um mit den Worten der New List zu sprechen: „Sinn-loses“ – „Vielfältiges“ oder „Mannigfaltiges“ – wird „Sinn-volles“ – „Vereinheitlichtes“. Aus Konkretem wird also Abstraktes, Konkretes wird sprichwörtlich „auf den Begriff gebracht“. Einer Wahrnehmung, die sich auf die Qualität – die Erstheit – bezieht, wird Bedeutung zugewiesen (vgl. die Hypothese der Externalität der Bedeutung): „Brute action is secondness, any mentality involves thirdness.“53

Die geschilderte Triade oder triadische Struktur54 bildet – wie gesehen – eine stabile Form. Das Beziehungsgeflecht ist formal-logisch begründet und gestaltet. Die Komplementarität der drei Kategorien manifestiert sich in der Terminologie, denn sie legt eine Reihenfolge fest: Mit der Erstheit beginnt der Erkenntnisprozess. Erstheit wird durch Zweitheit repräsentiert, denn Zweitheit macht das Objekt als solches kenntlich. Zugleich bildet Zweitheit die Voraussetzung für das deutende, dritte Element. Erstheit und Zweitheit bedürfen der Drittheit für die Bedeutungskonstitution.55 So ist also der phänomenologisch interpretierte Erkenntnisvorgang relationenlogisch strukturiert. Diese Relationalität ist die Folge der Bestimmung der drei Kategorien als wissensvermittelnde Entitäten: Erkenntnis heißt, etwas in Beziehung zu setzen. Damit erfassen die drei erwähnten Definitionen in komprimierter Form die wesentlichen Momente des Peirce’ schen Denkens im Hinblick auf sein Kategorienmodell – ontologische Bestimmung, phänomenologisch-logische – also triadische – Gestalt und relationale Ausprägung.56

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