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4.3. Geist und Zeichen
ОглавлениеDer Ding-, der Zeichen- und der Bedeutungsaspekt finden sich somit in der Struktur des Gesamttextes wieder, der die Freudenbotschaft der kommenden Königsherrschaft Gottes deutet. Dieses neue Heilsangebot muss aber von zwei Seiten betrachtet werden – von göttlicher wie von menschlicher Ebene. Es gilt also die Zuordnung von Offenbarung und Bekenntnis: Gott offenbart sich in Jesu Leben; diese Offenbarung muss jedoch auch vom Menschen im Bekenntnis angenommen werden. Das Offenbarungsgeschehen ist also ein notwendig dyadisch strukturiertes Kommunikationsereignis zwischen Offenbarungsträger (Gott, Geist Gottes, Jesus: Sender) und Offenbarungsempfänger (Mensch: Empfänger). Die theologischen Aspekte von „Vollmacht“ – also „Geist“ – und „Offenbarung“ – also „Zeichen“ – können miteinander verknüpft werden: Vollmacht muss sich in der irdischen Erfahrungswelt manifestieren; Vollmacht zeigt sich daher im Zeichen. Die δυνάμεις Jesu und seine διδαχή repräsentieren die vollmächtigen Zeichen der βασιλεία τοῦ θεοῦ. Deswegen sind sie Offenbarungszeichen für die neue Heilswirklichkeit, die Gott in seinem Sohn eröffnet hat. Sie stehen für die neue Schöpfungswirklichkeit.
Mit der durch den Vollmachts- bzw. Geistaspekt geprägten triadischen Matrix, die die semiotischen Kategorien repräsentiert, ist daher zugleich das Moment von „Offenbarung und Bekenntnis“ gegeben. Im Rahmen einer Erzählung wird dieser Aspekt durch die Figuren verwirklicht, die – im Zusammenhang mit dem Offenbarungscharakter eines Evangeliums – die unterschiedlichen Rollen des Offenbarungsträgers und Offenbarungsempfängers annehmen. Die Personen einer Erzählung sind Handlungsträger. Deswegen erscheint es zweckmäßig, die nach dem Moment „Geist“ bzw. „Vollmacht“ gegliederten Szenen und Perikopen mit den passiven wie aktiven Figuren der Erzählhandlung des Markusevangeliums in Verbindung zu bringen.1 Dieses Vorgehen stellt neben der Profilierung des Geist- und Vollmachtsbegriffs zudem ein sinnvolles Gliederungsprinzip dar, das dem Episodenstil2 des Markusevangeliums entgegenkommt, der sich gegen Systematisierungsentwürfe sperrt.3 Für die Personen eines Erzähltextes gelten zwei Momente: Zum einen sind die Personen einer Erzählung – wie gerade erläutert – im Hinblick auf den Text Handlungsträger, zum anderen stellen sie im Hinblick auf den Leser Identitätsträger dar.
Was den Aspekt „Handlungsträger“ betrifft, so kann man sagen: Die in der jeweiligen Erzähleinheit auftretenden Charaktere tun etwas selbst oder erdulden etwas durch andere – treiben also die Handlung in aktiver oder passiver Weise voran. Das Markusevangelium schildert ein – im metaphorischen Sinne gesprochen – „kosmisches Drama“. Darin verbinden sich Himmel und Erde unter dem Aspekt der Offenbarung miteinander. Die Handlung geht vom Himmel aus (vgl. Mk 1,1–13), entwickelt sich auf der Erde zum Höhepunkt der Verurteilung und der Hinrichtung Jesu und führt am Ende zurück in den Himmel, indem durch das erneute Eingreifen Gottes in der Auferweckung Jesu die in Mk 1,1. 11b proklamierte Gottessohnschaft des Nazareners ihre Bestätigung findet (vgl. Mk 15,33–39; 16,1–8). Diese kompositorische, zirkuläre Struktur „Himmel – Erde – Himmel“ korrespondiert mit der Bewegung der Relecture. Wie sich aus dem Aufriss der Szenen ergibt, spielt sich das Drama um die Vollmacht – und damit um den Geistbesitz – Jesu auf der Erde ab. Es geht um Zustimmung oder Ablehnung, Bekenntnis oder Verleugnung auf das Angebot der Offenbarung der Königsherrschaft Gottes in Jesu vollmächtigem Wirken in Wort und Tat. Handlungsträger – die Figuren – und die durch sie erzeugte Handlung – die erzählte Begebenheit – „spielen“ daher im wahrsten Sinne des Wortes „die entscheidende Rolle“ in den Offenbarungsszenen des Markusevangeliums. Markus bietet seinem Leser ein großes Tableau an Personen. Dabei lassen sich aktive und passive Personen unterscheiden. Unter die aktiven Figuren sind zu zählen: Gott, Geist, Jesus von Nazaret, Johannes der Täufer, Satan, Engel, Verwandte Jesu, Jünger Jesu (vor allem Simon Petrus), Volk, Herrscher (Herodes, Pilatus), Schriftgelehrte, Pharisäer, Hohepriester (Hoher Rat), fremder Wundertäter, römischer Hauptmann. Alle anderen Personen – Menschen und Dämonen – verhalten sich passiv, denn an ihnen erweist Jesus als Offenbarungsträger in den Wunderheilungen, Totenerweckungen und Dämonenaustreibungen seine göttliche Vollmacht. Dennoch bestätigen gerade sie explizit durch Furcht (Dämonen) und Vertrauen bzw. Glauben (Geheilte) den Vollmachtsanspruch Jesu und enthüllen – „offenbaren“ – somit seine wahre Identität. Die positiven oder negativen Reaktionen der Erzählfiguren, die die potentiellen Offenbarungsempfänger sind, belegen somit die Vollmacht Jesu. „Freund“ und „Feind“ trennen sich an dieser Frage. Jesus führt in die Entscheidung – in die „Scheidung der Geister“.4
Hinsichtlich des Momentes „Identitätsträger“ gilt Folgendes: Die Figuren eines Textes sprechen nicht nur mit- und übereinander, sondern wenden sich durch ihre Gestaltung über den Text hinaus an den Leser.5 Fiktive Figuren bieten reale Identifikationsmöglichkeiten für den tatsächlichen Leser. Daher gibt es eine Leserlenkung (eine „Erzählstrategie“ bzw. einen „impliziten Leser“),6 die der Intention des Autors bzw. des Erzählers entspricht. Im Falle des Markusevangeliums soll neben den Figuren des Textes auch der Leser oder Hörer des Textes zur Stellungnahme über die Frage der Vollmacht Jesu – sprich der Gottessohnschaft oder Messianität Jesu – herausgefordert werden.7 Der Rezipient selbst wird daher implizit aufgefordert, das Bekenntnis zu Jesus als dem „Christus“ abzugeben. Dies wird ihm einerseits durch die Komposition in der erwähnten zyklischen Struktur von „Himmel – Erde – Himmel“ erleichtert und geschieht andererseits durch das Verhalten der Figuren. Die Figurenperspektive verknüpft sich so mit der Leserperspektive. Handlung (und damit Figuren) und Deutung werden verbunden. Die Schrift erzählt gedeutetes Geschehen. Somit bedient sich das Markusevangelium einer evident persuasiven Strategie. Es handelt sich sozusagen um eine „doppelte Offenbarung“, die auf die fiktiven Figuren wie auf die realen Leser gleichermaßen zielt.
Auf die narrativen Eigenheiten des Markusevangeliums wird auch die vorliegende Studie eingehen und die aus Peirces Semiotik entnommenen hermeneutisch-semiotischen Aspekte („Ding“ und „Dynamik“, „Zeichen“ und „Relationalität“, „Bedeutung“ und „Ontologie“) mit theologischen Deutungen in Verbindung bringen, denn die triadische Struktur der semiotischen Konzeption von Peirce muss man inhaltlich auswerten. Die von Peirce beschriebenen semiotischen Kategorien des „Ersten“ – des „Objektes“–, „des „Zweiten“ – des „Zeichens“ – und des „Dritten“ – des „Interpretanten“ – beruhen nämlich selbst auf einem bedeutungsgebenden Erkenntnisvorgang. Sie sind seine Ergebnisse: Peirces semiotische Kategorien stellen nämlich Abstraktionen dar, in denen sich die erkenntnisbildenden Funktionen der „Dynamik“ (des „Dynamischen“), der „Relationalität“ (des „Relationalen“) sowie der „Ontologie“ (des „Ontologischen“) widerspiegeln. Diese den semiotischen Kategorien inhärenten, funktionalen Aspekte kann man abweichend von der durch Peirce festgelegten Terminologie als „semiotische Funktionen“ bezeichnen. Bei der Adaption des Peirce‘ schen hermeneutisch-semiotischen Konzeptes auf den theologischen Sinnzusammenhang müssen ebenso die den semiotischen Funktionen und damit auch den semiotischen Kategorien korrespondierenden „theologischen Interpretationen“ gefunden und erläutert werden: Die Bestimmung dieser theologischen Begriffe parallel zum semiotischen, triadischen Erkenntnisprozess erfolgt durch die Analyse der göttlichen Offenbarungsereignisse, die eine der Kommunikationssituation unter Menschen vergleichbare Offenbarungssituation zwischen Gott und Mensch darstellen, wie bereits festgestellt wurde. Die göttliche Offenbarungssituation korrespondiert mit der menschlichen Kommunikationssituation. Die Kommunikation zwischen Menschen wird aber – wie an früherer Stelle erwähnt wurde – vom semiotischen Modell ebenso erfasst: Ein semiotischer Bedeutungsbildungsprozess braucht nämlich nicht auf das Verhältnis zwischen dem Menschen als erkennendem Subjekt und dem Ding – dem zu erkennenden Objekt – als unmittelbarem Erschließungsprozess beschränkt bleiben, sondern kann auch durch einen Kommunikationsprozess ersetzt sein. In diesem Fall läuft der Bedeutungsbildungsprozess mittelbar – eben durch einen Sprecher vermittelt – ab. Ein Mensch als erkennendes Subjekt präsentiert einem anderen Menschen als erkennendem Subjekt ein in einem Sprachzeichen repräsentiertes Ding als zu erkennendes Objekt. Dieses vom Sprecher (oder Sender) im Zeichen gegebene Objekt muss vom Hörer (oder Empfänger) entschlüsselt werden. Auf diese Weise kann auch die Offenbarung Gottes im beschriebenen Offenbarungsgeschehen als ein Kommunikationsgeschehen verstanden, untersucht und gedeutet werden. Als den semiotischen Funktionen und Kategorien analoge „theologische Interpretationen“ eignen sich meines Erachtens Dichotomien bzw. Begriffspaare oder binäre Formulierungen am besten, da sie den jeweiligen semiotisch-triadisch strukturierten, theologischen Zusammenhang des Offenbarungsgeschehens vollumfänglich erfassen können. Sie fungieren als Vergleichspunkte. Die Bestimmung dieser Begriffe erfolgt durch die Beantwortung der Leitfrage: „Was bedeuten der semiotische Ding-, der Zeichen- und der Bedeutungsaspekt im Rahmen des Markusevangeliums in theologischer Hinsicht – das heißt im Hinblick auf das christliche Evangelium von der Auferstehung?“ Auf diese grundsätzliche Frage lässt sich antworten: Jesus von Nazaret – der Messias-Christos – ist der Protagonist der markinischen Erzählung, der als Geistträger zum Offenbarungsträger Gottes wird. Der Offenbarungsprozess erscheint also zweifach vermittelt – zum einen durch Gott und zum zweiten durch Jesus; in beiden Fällen jedoch agieren beide Offenbarungsträger im Geist. Es erfolgt also eine pneumatologische Legitimierung der jesuanischen Sendung. Dass Jesus Offenbarungsträger ist, lässt sich bereits aus dem ersten Vers des Evangeliums unzweifelhaft ablesen (vgl. Mk 1,1). Das ist evident. Der im Evangelium des Markus erzählte Jesus tritt – wie dargestellt wurde – im Text mit den Menschen seiner Zeit – den Erzählfiguren – und über den Text hinaus mit den Menschen aller Zeiten – den Hörern und Lesern – in Kontakt. Jesus ist – wie jede Erzählfigur – Handlungs- und (zumindest potentieller) Identitätsträger, wie schon gezeigt werden konnte. Man könnte auch sagen: Es geht um die Person Jesu und um die Personen der jeweiligen Zeit, um die einmalige Geschichte über Jesus von Nazaret und um die bleibende Geschichte über Jesus Christus – das heißt um menschliche und göttliche Geschichte oder um Weltgeschichte und Heilsgeschichte. Narratives und Theologisches verbinden sich. So ergibt sich daraus die folgende, dem semiotischen, kategorial-triadischen Konzept von Peirce korrespondierende Terminologie: „Tod und Leben“, „Verheißung und Erfüllung“, „Vollmacht und Glaube“. Diese Momente verweisen jeweils auf den Ding- oder Wesensaspekt, den Zeichen- bzw. Erscheinungsaspekt und den Bedeutungs- oder Wirkungsaspekt: „Tod und Leben“ entsprechen dem Ding- oder Wesensaspekt, „Verheißung und Erfüllung“ dem Zeichen- oder Erscheinungsaspekt und „Vollmacht und Glaube“ dem Bedeutungs- bzw. Wirkungsmoment. Die aufgezählten Begriffspaare lassen sich wiederum den geläufigen Motiven „Verwandlung“ und „Umkehr“ („Scheidung der Geister“) zuweisen. Im Einzelnen stehen hinter der Definition der Dichotomien folgende Überlegungen: Das Ding umfasst die Substanz, die ausgesagt werden will und soll. Die Substanz drängt auf Selbstmitteilung. Es ist daher ersichtlich, dass dem semiotischen Dingaspekt aus theologischer Perspektive die grundlegende, Gott offenbarende Botschaft der Erneuerung des Lebens in der Überwindung des Todes und in der Zueignung des ewigen Lebens entspricht. Diese Botschaft ist zugleich die „gute Nachricht“ – das „Evangelium“ – von der Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes und stellt ihrerseits Gott als Inbegriff des Lebendigen und als Schöpfer des Lebendigen, wie es in seinem Namen zum Ausdruck kommt, dar. Der Zeichenaspekt reflektiert das verbindende Element – das In-Verbindung-Treten des Substanzhaften mit der Welt. Dies muss in der Form einer Äußerung – einer „Darstellung“ („representation“) – geschehen, die in theologischer Hinsicht angemessen in das Deutungsmuster von „Verheißung und Erfüllung“ gefasst werden kann: Es geht hierbei um heilsgeschichtliche, in Worten und Taten zeichenhaft erkennbare Ankündigungen und ihre ebenso in Worten und Taten zeichenhaft vermittelte Einlösungen. Das Moment der Bedeutung schließlich umschreibt die entscheidende Komponente des semiotischen Erschließungsprozesses – die Bedeutungsbildung. Das Bezeichnete und das Bezeichnende werden aufeinander bezogen, das heißt das bezeichnete Ding wird dem Verstand zur Anschauung gebracht. Die Aspekte der „Deutung“ und „Bedeutung“ fließen ineinander: Was gedeutet ist, ist zugleich bedeutend. Theologisch gesehen muss die Selbstentäußerung Gottes, die sein Sohn überbringt, zu den Menschen als erkennende Subjekte gelangen, um den semiotischen Prozess abzuschließen. Damit sind die Begriffe „Vollmacht“ des Boten Jesus sowie „Glaube“ des bzw. der Menschen gegeben: Ob die Menschen Jesus Glauben schenken, hängt davon ab, ob sie die in den Wort- und Tatzeichen Christi sich darstellende Vollmacht, die die messianische Identität Jesu – des Sohnes Gottes – bezeichnet, als solche erkennen. Da die jesuanische Vollmacht der göttlichen Allmacht (oder Vollmacht) entspringt, trifft damit auch der Glaube oder Unglaube der Mitmenschen Jesu – und der Leser oder Hörer des Evangeliums – Gott selbst in seiner Machtfülle. Die theologische Zuordnung von „Vollmacht“ und „Glaube“ bezieht sich somit mittelbar auf das offenbarende Handeln Gottes. In den drei Dichotomien „Tod und Leben“, „Verheißung und Erfüllung“ sowie „Vollmacht und Glaube“ dokumentiert sich also die Offenbarung des lebendigen und lebensspendenden Gottes. Die den drei semiotischen Kategorien wie Funktionen zugeordneten drei theologischen Dichotomien, die im Kern offenbarungstheologisch-schöpfungstheologisch orientiert und pneumatologisch-soteriologisch strukturiert sind, deuten die Jesusgeschichte als Heilsgeschichte, indem sie auf das irdische Schicksal des Jesus von Nazaret ausgerichtet sind. Das heißt, sie beziehen sich auf Person und Lehre Jesu – auf den Messias sowie seine Ankündigung des Gottesreiches und auf die Auferstehung Jesu, die den Menschen seiner Zeit und aller Zeiten das ewige Leben schenkt. Im endzeitlichen Gottesboten und zugleich in seiner damit untrennbar verbundenen Botschaft konvergieren die drei theologischen Begriffspaare, die die Bedeutung Jesu in semiotischer Perspektive ermitteln und vermitteln. Daher stellt die methodische Fokussierung auf die Aktion Jesu und die Reaktion seiner Zeitgenossen – also auf die Figuren der Erzählung – eine sinnvolle Strukturierung des episodenhaft gestalteten Markusevangeliums dar.