Читать книгу Texten fürs Web: Planen, schreiben, multimedial erzählen - Stefan Heijnk - Страница 15
Die Ladephase am Desktop
ОглавлениеFür stationär abgerufene Webseiten ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten hinreichend erforscht worden, worauf es im Detail ankommt. Auch wenn in jeder Phase dieses Kontakts zahlreiche, individuelle Variablen in den tatsächlichen Blickverlauf eingreifen, so lassen sich dennoch typische Verhaltensmuster feststellen. In der Ladephase der Desktop-Webnutzung sehen die Nutzer zuerst, wie sich die abgerufene Seite auf dem Bildschirm aufbaut. Innerhalb von Sekundenbruchteilen entsteht dabei ein erster Eindruck, buchstäblich ein ästhetisches Vor-Urteil. Bereits nach 50 Millisekunden ist eine erste Hypothese darüber aufgestellt, ob das Gesehene den individuellen Erwartungen entspricht – oder nicht. Dieses Vor-Urteil wird dann blitzschnell mit weiteren Eindrücken angereichert und ist am Ende der ersten Halbsekunde des Blickkontakts bereits abschließend formuliert. Zu beachten ist: Dieses Vor-Urteil prägt maßgeblich, wie die weitere Wahrnehmung der betrachteten Site verläuft. Ist der erste Eindruck positiv, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für einen weiterhin positiv verlaufenden Website-Nutzer-Kontakt. Wenn nicht, wird’s sofort schwierig, denn es gibt tatsächlich keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck.
Wahrgenommen werden in diesem extrem kurzen Zeitfenster grafisch markante Hinweise auf »visuelle Komplexität« und »Prototypikalität«. Visuelle Komplexität wird in den entsprechenden Studien als Faktor verstanden, der in drei Stufungen bewertet wird: hoch, niedrig und mittel. Für mehr ist einfach keine Zeit. Zeichenmengen, Farben, Fluchtlinien, Positionen und Proportionen spielen eine wesentliche Rolle. Wird die Komplexität vom Probanden als hoch eingeordnet, dann ist der erste Eindruck negativ. Besser ist es deshalb, die erste Bildschirmportion nicht zu überfrachten.
Prototypikalität wiederum bezeichnet den Grad, »in dem ein Objekt repräsentativ ist für seine Objektklasse«. Das Objekt »Website« braucht deshalb typische Komponenten an bestimmten Positionen, um als Website erkannt werden zu können. Für unterschiedliche Website-Typen, also für News-Websites oder Online-Shops oder Corporate Websites, sind dabei je eigene Komponenten-Sets zu unterstellen.
Weicht das Aussehen einer Website vom gängigen Muster ab, dann ist die Site minderprototypisch, und der erste Eindruck kann schon negativ geprägt sein. Hochgradig prototypische Websites werden tendenziell positiv bewertet. Die Forschung empfiehlt deshalb eine Kombination aus niedriger beziehungsweise mittlerer visueller Komplexität und hoher Prototypikalität. Einfacher formuliert: Eine Website sollte durch eine überschaubare Zahl markanter Elemente mitteilen, welche Art Website sie ist. Es gilt deshalb, die gegebene Fläche klar zu gliedern und die Standard-Komponenten erwartungskonform zu positionieren. Wer ein Gesicht zeichnen will, braucht ja schließlich auch nicht viel: Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht.
In mehreren, meist älteren Studien wurde untersucht, wie viel Geduld die Nutzer aufbringen, bis eine Seite geladen sein muss. Die Usability-Forscher Nina Bhatti, Anna Bouch und Allan Kuchinsky beispielsweise konstruierten dazu in 2001 in einer Untersuchung mit dem Titel »Integrating User-Perceived Quality into Web Server Design« eine ebenso simple wie effiziente Versuchsanordnung. Um herauszufinden, wann sich die Geduld der Nutzer erschöpft, platzierten sie auf einer fiktiven Startseite einen Button mit der Aufschrift »Laden der Seite beschleunigen« und maßen über die Server-Logs dann die Zeit, die verstrich, bis die Testpersonen den Button anklickten. Ergebnis: Im Durchschnitt geschah dies nach exakt 8,67 Sekunden. Acht Jahre später haben der Webtechnologie-Anbieter Akamai und Forrester Research in punkto Geduld bei den Nutzern nachgefragt. Das Ergebnis: 47 Prozent erwarteten, dass eine abgerufene Webseite nach spätestens zwei Sekunden auf dem Desktop-Bildschirm sein muss. Es darf sicher angenommen werden, dass die Nutzergruppe mit dieser Ladezeit-Erwartung bis heute nicht kleiner geworden ist. Praktisch bedeutet das: Geben Sie Gas. Jede Sekunde zählt.
Usability-Guru Jakob Nielsen hat zum gleichen Thema immer wieder auf nutzerseitige innere Zeitschranken hingewiesen (1993, 1997, 2009, 2010). Danach werden die Webnutzer grundsätzlich schon nach einer Sekunde ungeduldig und registrieren bewusst, dass sie warten müssen. Je länger sie warten müssen, desto stärker wird die Ungeduld. Die nächste Zeitschranke wird dann nach etwa zehn Sekunden erreicht – das ist das durchschnittliche Maximum für die zeitliche Länge des Geduldsfadens. Innerhalb dieser Zeitspanne von bis zu zehn Sekunden fangen die Benutzer an abzuschweifen und sind schon nicht mehr richtig bei der Sache. Dauert also das Laden länger als zehn Sekunden, dann bricht der Flow ab. In diesen Fällen verlassen die Benutzer oft die Website und nehmen den Kontakt später auch nicht wieder auf.
Hinzu kommt, dass in der Ladephase nicht nur über den ersten Eindruck beim Nutzer vorentschieden wird, sondern auch die Sichtbarkeit in den Suchergebnislisten beeinflusst ist: Google bewertet Ladezeiten kürzer als 1,5 Sekunden als schnell – und berücksichtigt ein solches Ergebnis auch fürs Ranking. Wenn eine aufgerufene Seite nach 1,5 Sekunden nicht vollständig auf dem Bildschirm ist, gibt es bereits Strafpunkte.