Читать книгу Blühende Zeiten - 1989 etc. - Stefan Koenig - Страница 10
Brillanten-Mia
ОглавлениеZur gleichen Zeit in München. „Viel Geld will hergezeigt sein!“, lässt sich Brillanten-Mia in einem auf altmodische Vornehmheit und äußerste Zurückhaltung bedachten Juweliergeschäft in der Nähe des Viktualienmarktes ziemlich laut vernehmen. Der Geschäftsinhaber, der sie bei der Auswahl hochkarätiger Klunker berät, hebt nur ein wenig die Augenbrauen, was respektvolle Bewunderung, behutsame Zweifel oder auch leisen Ekel ausdrücken mochte.
Ich hatte es gerade in einer Boulevardzeitschrift gelesen und berichtete darüber in der Saunarunde.
„Wer ist Brillanten-Mia?“, fragte Tobias. Niemand wusste dazu etwas zu sagen, auch ich nicht. Es ging in diesem Artikel um die beiden Seiten der High Society: Einmal um jene, die ihren Reichtum heraushängen lassen, auf dass der Neid anderer ihr feeling beflügele. Und um jene, die sich wie scheue Rehe verhalten und möglichst unerkannt bleiben wollen.
Jedenfalls hatte Brillanten-Mia probeweise noch ein dreipfündiges Smaragd-Collier um ihren schlanken, sonnengebräunten Nacken geschlungen. Nach eingehender Bewunderung ihres Spiegelbildes erklärte sie die Bestückung für nunmehr ausreichend und erläuterte, während sie nebenbei einen Scheck ausstellte, ihre Maxime: „Erst wenn die anderen vor Neid platzen, weiß man endlich, wofür die Millionen gut sind, nicht wahr?“ Darauf schwang sie mit sportlichem Elan ihr Chinchilla-Mäntelchen um die Schultern und verließ goldklirrend und festen Schrittes das Juweliergeschäft.
In der Zeitschrift hatte gestanden, dass die Dame ihr ausgeprägtes Selbstvertrauen auf einen umfangreichen Häuserblockbesitz und auf gewaltige Aktienpakete gründete. Diese Aura umgab sie wie ein Panzer. Das Vermögen war ererbt, aber nicht erworben. Man spürte förmlich, wie gut es ihr tat, ihren Reichtum spazieren zu führen.
„Kommt, lasst uns wieder einen Gang machen!“, rief Tobias seinem Nachbar Gunnar und mir zu. Stefan, der uns Älteren von Jahr zu Jahr altersmäßig immer näher kam, rief uns zu, er wolle gerne mitkommen. Ob wir einen Aufguss wünschten, er habe Orangenöl mit. Es rieche absolut lecker. Aber wir wollten uns unterhalten, und die Aufguss-Hitze würde jedes Gespräch ersticken.
„Ähnlich wie diese Brillanten-Mia halten es viele sehr reiche Leute“, sagte Tobias.
„Viele sprechen es nur nicht so direkt aus und gehen damit eine Spur dezenter um“, antwortete Gunnar.
„Ihre Millionen zur Schau zu stellen, bereitet ihnen offensichtlich unbeschreibliches Vergnügen“, sagte ich.
Stefan sprang von der Sitzbank auf und stellte sein schauspielerisches Talent zur Schau: „Bringen Sie mir den Lachsschinken bitte zum Wagen, zu dem himmelblauen Iso Rivolta, gleich links auf dem Bürgersteig! Leider ist unser Chauffeur mit dem Silver Shadow zur Inspektion …“
Wir applaudierten. Vor dem glühend heißen Saunaofen zog er den unsichtbaren Vorhang hoch, verneigte sich und setzte sich wieder auf seinen Platz. Dann fragte er, ob wir jetzt endlich zum Aufguss bereit seien. Wir waren es, nachdem Gunnar noch eine abschließende Bemerkung in die 85-Grad-Hitze hinein sagte: „Und je mehr tief beeindrucktes Publikum, je mehr schwer atmende Neider und je grellere Publicity sie finden, desto größer ist ihr Lustgewinn.“
Stefan löffelte jetzt die zweite Kelle des hocharomatischen Orangenöl-Wassergemischs auf die heißen Steine des Saunaofens.
„So ist es“, sagte ich. „Und unser Lustgewinn scheint umso größer zu sein, je heißer es hier drinnen wird.“ Ich dachte noch einmal über unsere Ansichten nach und fand, dass uns bei der Betrachtung der High Society zweierlei entgangen war. Es war ein weitverbreiteter Irrtum, wenn man annahm, dass nur neureiche, eben erst vom Hinterhof in ein feudales Palais umgezogene Parvenüs solchen Protz liebten. Es gab genug Aristokraten von uraltem Reichtum und vornehmster Erziehung, deren sehnlichster Wunsch es war, anderen zu imponieren und für noch vermögender gehalten zu werden, als sie es ohnehin schon waren. Am liebsten sollte man sie für die Allerreichsten der Welt halten.
Sie standen zu diesem Zweck mit aufwendigstem und lässig zur Schau getragenem Konsum hinter keinem Lottokönig zurück. Wenn sich gar die Regenbogenpresse ihrer annahm, erreichten sie den Gipfel der Wonne.
Aber da war noch die andere Seite der Reichtums-Gesichter – jene Gesichter, die sich bestens versteckten. Multimillionäre, die das Rampenlicht scheuten; die das understatement so weit trieben, dass sie als nahezu mittellos gelten sollten. Ich musste an meinen damaligen Berliner Vermieter, Herrn Brat, denken. Er hatte bis zu seinem Tod Häuserblocks in der Londoner City, in Berlin-Neukölln und in Charlottenburg besessen. Er war wie ein Bettler dahergekommen und hatte ein spartanisches Leben geführt, als müsse er am Hungertuch nagen. Und er war auch wie ein Hungertuch durch die Landschaft geschlichen – mager, mit schrecklichen Hochwasserhosen und fleckigen Hemden.
Als wir nach der eiskalten Schwalldusche beisammen saßen, schnitt ich noch einmal das Thema an. „Diese Art Reichtums-Verstecker verstecken ihren Reichtum manchmal sogar vor ihren engsten Freunden und Bekannten oder gar vor ihren Verwandten. Bescheidene Wünsche, auch und gerade der eigenen Familie, etwa nach einer neuen Gartenliege oder einem Kostüm für den Opernball, weisen sie mit Entrüstung zurück.“
Stefan sprang von der Ruheliege auf und stellte es uns theatralisch dar: „Also, bitt‘ schön, bin ich vielleicht der Aga Khan? Ich versage mir jeden Wunsch. Seit vierzig Jahren träume ich von einer echten Havanna zu meinem Sechzigsten! Aber leider …“
Wir klatschten. Stefan zog den immer noch unsichtbaren Vorhang auf, trat einen Schritt nach vorne, was jetzt ohne Saunaofen im Rücken möglich war, verneigte sich tief und mit Schwung, um sich dann wieder brav auf die Liege zu legen.
Gunnar kratzte sich am Kinn, wie er es immer tat, wenn er um Aufmerksamkeit bat. „Und schließlich gibt es die wohl interessanteste Spielart der Gattung der Superreichen, nämlich jene, denen weder an Protz noch an Verniedlichung ihres ungeheuren Wohlstands etwas gelegen ist und die es vorziehen, überhaupt nichts darüber an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Sie betrachten ihr neun- bis elfstelliges DM-Vermögen als geeignetes Instrument der Herrschaft, das es ebenso rationell wie diskret einzusetzen gilt.“
Tobias schaute ihn fragend an. „Instrument der Herrschaft? Zu welchem Zweck, wie stellst du dir das vor?“
„Zu keinem anderen Ziel als der Festigung und Vermehrung ihrer wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Macht. Dass dabei immer mehr Geld auf ihr Konto fließt, ist für diese Leute ein natürlicher, unvermeidlicher Vorgang, dessen Erwähnung ihnen ebenso überflüssig wie unschicklich dünkt. Für Publicity haben sie etwa so viel übrig wie für die Steuer oder die Cholera. Die Offenlegung ihrer Bilanzen und die Bekanntmachung ihrer Konzernbeteiligungen empfinden sie als höchst unziemliche Entblößung vor drittklassigem Publikum. Als eine Art Strip-tease wider Willen.“
„Und wenn sie – an Bord ihrer vor den Bermudas kreuzenden Hochseeyacht in der azurblauen Badewanne liegend – mit einem kurzen Telefongespräch via Norddeich-Radio ihre Sperrminorität am Brauereikonzern gegen eine Schachtelbeteiligung an der Holding des Chemiefaser-Trust eintauschen und damit sämtliche Börsen in heillose Verwirrung stürzen, so meinen sie, dass auch dieser Akt durchaus in den gesetzlich geschützten Bereich ihrer Intimsphäre gehört und niemanden als sie selbst etwas angeht“, ergänzte ich, weil ich vor einigen Wochen gerade dazu etwas gelesen hatte.
Obwohl ich lange nicht mehr so intensiv politisch dachte wie noch vor einigen Jahren, kam doch gelegentlich trotz aller beruflichen Anspannung mein politisches, insbesondere mein wirtschaftspolitisches Interesse hoch. Was die scheuen Kapital-Rehe anbelangte, nahm ich mir vor, mich für die nächste Saunarunde mit einem Beispiel vorzubereiten, das ich schon lange recherchieren wollte. Ich dachte dabei an eine typische deutsche Kapitalkarriere – an die der Familie Quandt.
*
Am 24. März läuft im Prinz-William-Sund vor der Südküste Alaskas der mit 206.000 Tonnen Rohöl beladene Tanker »Exxon Valdez« auf ein Riff und schlägt leck. Es kommt zur bis dahin größten Ölpest in der amerikanischen Geschichte. Hören diese Umweltkatastrophen denn nie auf, fragte ich mich und fuhr ins Umweltzentrum, wo der Besuch von Herrn Braun, des Abteilungsleiters und Vorgesetzten der störrischen Frau Söhnlein vom Frankfurter Arbeitsamt, angekündigt war. Was der wohl will?
Etwa zur gleichen Zeit in einem verwilderten Garten in Potsdam: Hier trifft sich jeden Freitag eine kleine verschworene Gruppe von DDR-treuen Wissenschaftlern und Bürgerrechtlern, die sich mit Haut und Haaren der Gorbatschow-Linie verschrieben haben. Sie sind der Überzeugung, dass sich die SED, in der einige von ihnen Funktionäre sind, erneuern muss und dass sie ihre strikte Anti-Gorbatschow-Haltung nicht wird durchhalten können.
„Wenn unser Land überleben will, geht das nur mit genau jenen Erneuerungen, die die Sowjetunion eingeschlagen hat“, sagt der Physiker Gerd Gebhardt, auf dessen Grundstück die GUG, die „Gorbatschow-Unterstützungs-Gruppe“, wie sie sich manchmal scherzhaft nennen, tagt. Aber in ihren ernsthaften Strategiepapieren und Protokollen nennen sie sich „Freie Forschungsgemeinschaft Selbstorganisation“.
Dr. Wolfgang Ullmann, er ist der einzige Kirchenfunktionär in der Gruppe und parteilos, meldet sich zu Wort: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Situation in der Sowjetunion unter Gorbatschow ruhig bleiben wird. Die ökonomische Schwindsucht nimmt keine Rücksicht auf den guten Willen eines Staatsmannes.“
„Und die Amerikaner werden weiter an der Aufrüstungsspirale drehen, um Moskau totzurüsten. Es braucht nicht mehr viel, damit die Genossen im Kreml in die Knie gehen.“ Der das sagt, ist der Chef des DDR-Verbandes der Genossenschaftsbanken, Hans-Jürgen Blüher.
„Dann wird es dort zum Aufstand und zu einem Gemetzel kommen, etwas, was wir hier ganz und gar nicht gebrauchen können“, meint Rainer Schönfelder, Software-Entwickler beim führenden DDR-Computerhersteller Robotron. Die Gruppe ist besorgt, dass die Volksrepubliken Polen, Ungarn oder die Tschechoslowakei aus dem sozialistischen Staatenbund austreten könnten.
„Wenn das den Zerfall der Sowjetunion krönen sollte, ist Schluss mit lustig. Es wäre der Tod des Sozialismus!“, lässt sich ein Mann vernehmen, der als Chemiker tätig ist. Er kennt sich aus mit dem Zerfall von Elementen.
„Es geht um einen neuen Sozialismus, einen menschlichen Sozialismus – und der sollte als Ergebnis einer sozialistischen Wiedergeburt auf die Tagesordnung kommen“, sagt der Kirchenmann.
„Ich glaube aber, dass es unseren Landsleuten eher um einen höheren Lebensstandard und um die Verwirklichung von Reiseträumen geht“, kontert der Chemiker.
Nur einhundert Meter von ihrer Gartenlaube entfernt sitzt eine zweiköpfige Abhörmannschaft und lässt das Tonband mitlaufen. Hin und wieder notiert sich einer von ihnen ein Stichwort und schreibt die genaue Uhrzeit und Laufbandanzeige des Tonbandes dazu. Unter 18:47:02/LbN 560039 notiert er: „Sorge, dass VR Pol, Ung, Tschech Problemfälle werden.“
Sein Kollege schaut ihm über die Schulter, schaut auf die Notiz, nickt zustimmend und murmelt ihm zu: „Könnte sein.“ Dann konzentrieren sie sich wieder auf die Sätze, die drüben in der Nachbarhütte fallen.