Читать книгу Blühende Zeiten - 1989 etc. - Stefan Koenig - Страница 8
Hundekacke ist Scheiße
ОглавлениеEmma und ich wollten nicht mit diesem Hundehaufen vor unserer Haustür leben. Fast jeden Morgen und jeden Abend hinterließ ein Hund genau vor unserem Eingangsbereich im Vorgarten einen riesigen Haufen.
„Verdammte Köter!“, fluchte Emma, und auch ich war not amused, schließlich musste ich die stinkende, pampige Hinterlassenschaft sorgsam entsorgen – das hieß: sie so einzuwickeln, dass uns nicht der Gestank noch Tage später aus der schwarzen Tonne entgegenschlug.
„Blöde Hundebesitzer! Es ist aber auch unverfroren, dass sie die Scheiße ihres Hundes einfach liegen lassen!“, empörte auch ich mich.
„Es müsste ein Gesetz geben, dass diese Typen verpflichtet, die Kacke aufzusammeln. Und wer sich nicht dran hält, muss die Kacke seines Hundes fressen“, regte sich Emma auf.
Fast jeden Tag aufs Neue beglückte uns solch ein Haufen Glück. Denn für den Hund war es gewiss ein Glück, seinen einzigartigen Toilettenort gefunden zu haben. Hier endlich konnte er sich glücklich erleichtern. Wir versuchten einen Glückstreffer zu landen und den oder die Hundebesitzer ausfindig zu machen. Aber es gelang uns nicht. Wir riefen in der Saunarunde zur öffentlichen Denunziation auf, doch niemand hatte je etwas gesehen. Wir gaben auf, ärgerten uns aber regelmäßig aufs Neue.
Am Mittwoch, dem 1. März, warf ich mich morgens in Schale. Ein blaugestreifter Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte mussten herhalten. Ich fühlte mich in dieser Verkleidung nicht wohl, es war nicht mein Stil – aber dem Anlass zuliebe sprang ich über meinen Schatten. Am Vorabend, während der Saunarunde, hatte ich meine Nachbarn mit der Frage genervt, ob man als Geschäftsführer zur Eröffnung des Umweltzentrums Rhein-Main unbedingt Anzug tragen musste.
„Selbstverständlich brauchst du einen Anzug!“, hatten sie wie aus einem Mund geantwortet. So war diese widerlich-demokratische Entscheidung über mich hereingebrochen, und ich beugte mich ihr. Auch Emma hatte mich zuvor schon bekniet und nun alles herausgelegt, womit ich ausstaffiert werden sollte.
Die Kinder hatten wir an diesem Tag Oma und Opa überlassen. Gestylt, als ginge es zu einer Modenschau, wollten sich meine Frau und ich gerade auf den Weg zu Frankfurts Zentrum machen. Wir betraten die Straße vor unserem Haus. Und prompt trat ich in den Scheißhaufen. Kommando zurück – zur Haustür, den Schuh vorsichtig ausziehen; es war eine wahre Kunst, sich nicht mit der braunen Masse noch mehr zu versauen, als man schon versaut war. Emma ging voran zur Besenkammer, holte eine Plastiktüte und steckte den verschissenen Schuh hinein. Die Tüte und der sauber gebliebene Schuh mit dem Reinheitsgebot blieben im Vorgarten liegen, wo sie uns nach unserer Rückkehr erneut beglückten. Wir hatten einen Brass auf Hunde. Für mich hieß es jetzt: neue Schuhe, neuer Start, neues Glück.
Wir fuhren los und kamen rechtzeitig an. Frau Wenzel und eine ihrer Sekretariatsmitarbeiterinnen hatten alles bestens vorbereitet. Das Foyer war – wie auch alle anderen Räume – mit Kunstwerken Frankfurter Maler, die einen Umweltbezug mit ihren Bildern hergestellt hatten, geschmückt.
Die Dozenten waren, rein klamottentechnisch, ein Kunstwerk für sich, ebenso wie ich. Jedenfalls fühlte ich mich wie eine Kunstfigur und überhaupt nicht authentisch. Auch die Dozenten hatten sich tatsächlich in Schale geworfen, total unabgesprochen. Die Kursteilnehmer, die allesamt zur Eröffnung eingeladen worden waren, hatten bereits in den Stuhlreihen im Foyer Platz genommen oder standen in den Gängen; es waren vielleicht an die hundert. Ein Streichquartett war neben dem blumengeschmückten Rednerpult platziert, jederzeit bereit, seine musikalischen Streiche zu vollbringen. Bald schon legten die Musiker los, während ich die Ehrengäste und Beiratsmitglieder persönlich begrüßte. Nach ewigen Shake-hands mit Gastrednern und Besuchern aus Behörden und Firmen musste ich den Anfang machen und trat hinter das Rednerpult.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zur Eröffnung des Umweltzentrums Rhein-Main. Ich begrüße Sie im Namen des Vorstandes des Umweltzentrums und im Namen der Geschäftsführungen des Umweltinstituts Offenbach und der Gesellschaft für Technologie und Umweltschutzberatung.“ Uff, wie hatte ich diese formalen Begrüßungen früher immer verabscheut! „Hey Leute!“ wäre damals meine Anrede gewesen.
Dann rasselte ich in lange geprobter Weise, aber mit feierlicher Stimme, die Begrüßungsliste herunter. Als Vertreter des Umweltbundesamtes begrüßte ich Professor Dr. Wicke, als Umweltbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland Professor Dr. Oeser, als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Frau Reetz, als Vertreter des Landesarbeitsamtes Hessen Dr. Hauschild.
Den GTU-Beiratsvorsitzenden, zugleich Vertreter des Zentralinstitutes für Curriculumforschung der Freien Universität Berlin, meinen guten Freund Jan Hoffer, und meinen Studienkollegen aus alten OSI-Zeiten, den Politologen Dietrich Holtmann stellte ich als nächste Redner vor. Dietrich war als SPD-Kandidat inzwischen zum Bürgermeister einer Stadt in der Pfalz gewählt worden. Eigentlich sprach er nun stellvertretend für viele andere umweltbewusste Gemeindevertreter, denn er hatte es vermocht, weitere 60 Bürgermeister rund um die Verbandsgemeinde Eisenberg zu einer »Initiative gegen den Tieffluglärm« der US-Airforce zu veranlassen.
Doch bevor ich ihm den Stafetten-Stab als Gastredner übergab, holte ich etwas Luft, sah in die zweite Reihe der vor mir sitzenden Gäste, wo meine mir besonders lieb gewordenen Kooperationspartner vom Amt saßen, und fuhr in der Begrüßung fort: „Vom Arbeitsamt Frankfurt begrüße ich ganz herzlich die Herren Lewin und Scherwarth!“
Herr Lewin hatte mit mir gemeinsam die Kurse gegen allerlei amtsinterne Widerstände ins Rollen gebracht. Noch immer – nach zweieinhalb erfolgreichen Vermittlungsjahren – arbeiteten einige Leute im arbeitsamtlichen Hintergrund aus unerfindlichen Gründen gegen unsere Maßnahmen. Sein Kollege Scherwarth hatte die Erfolgsquoten unserer Kurse stets verfolgt, und so war auch er einer unserer besten Stützen in den Bewilligungsverfahren.
Hoffnungsvoll war ich wegen der Teilnahme des Vertreters aus der Chefetage des Landesarbeitsamtes Hessen, Dr. Hauschild, den ich nach dem Bürgermeister nach vorne bat. In seiner Rede ging er äußerst sachkundig auf die neu entstehenden Arbeitsplätze ein. Er verstand es, anschaulich und in verständlichem Amtsdeutsch die Arbeitsmarktsituation und den Zusammenhang zwischen notwendigen innovativen Arbeitsplätzen und sich entwickelnder Umwelttechnologie, bedingt durch zunehmende Umweltproblematiken, darzulegen. Zudem gab er bereits einen entscheidenden Hinweis auf die Zukunft, indem er auf die Exportchancen von Umwelttechnologien verwies. Damit griff er genau meine Argumentation auf, die ich damals, zu Beginn meines Start-ups im Oktober 1986, zur Begründung im GTU-Förderantrag angeführt hatte. Im Offenbacher Amt hatte man mich dafür noch prächtig ausgelacht. Dr. Hauschild aber hatte die Zeichen der Zeit verstanden. Dass sich in seinem Hause der Wind je drehen könnte, war an diesem Tag noch nicht zu erkennen.
Natürlich war die Stadt Frankfurt mit einem Grußwort des Oberbürgermeisters und dem Leiter des Umweltschutz-Referates, Herrn Tesar, vertreten. Eine Vertreterin des Hessischen Umweltministeriums gratulierte uns und wünschte uns Erfolg in unserem Vorhaben. Zwei Wochen später übersandte sie uns einen Förderbescheid für Laborinvestitionen in Höhe von 50.000 Mark. Es war eine handfeste Überraschung. Zwischen den Reden wurden wir von unserem Streichquartett »Belle Epoque« mit modern interpretierter klassischer Musik unterhalten. Fünfzehn Jahre früher hätte ich nur die Stones hören wollen.
Professor Wicke vom Umweltbundesamt plädierte in seinem Vortrag für ein offensives Umweltmanagement: „Umweltschutzmaßnahmen werden – selbst bei Einsicht in die ökologische Notwendigkeit – oft als volks- und betriebswirtschaftlich höchst unrentable Investitionen angesehen, die viel Geld kosten, aber keinen ökonomischen Nutzen stiften. Aufgrund neuerer Forschungen kann im Gegenteil nachgewiesen werden, dass verstärkte sinnvolle und durchdachte Umweltschutzmaßnahmen volkswirtschaftlich hochrentierliche Zukunftsinvestitionen sind: Für jede Million, die in diesem Sinne in Umweltschutzmaßnahmen investiert wird, erhält man einen volkswirtschaftlichen »Erlös« von drei Millionen in Form von ersparten Umweltschäden.“
Nach pausenreichen zweieinhalb Stunden war der Redenmarathon abgeschlossen, und endlich konnte ich das Buffet eröffnen. Emma und ich hatten die gesamte Programmabfolge so geplant, dass man den Vormittag entspannt genießen konnte. Nur in meinem einsamen Inneren ging es aufgeregt wie in einem Hühnerstall zu, in den gerade Reineke Fuchs hineinschaute. Emma, die neben mir saß, spürte dies und ließ mich gelegentlich ihre beruhigende Hand auf meinem Arm spüren. Während des Buffets und danach führte uns der Künstler Philipp Heckmann durch seine Gemäldeausstellung. Kursleiter Lutz stellte unsere über 2000 Umweltbände umfassende Bibliothek vor, und gegen fünfzehn Uhr beschlossen wir die Feierlichkeit erschöpft, aber glücklich und zukunftsfroh.