Читать книгу Auf Herz und Nieren - Stefan Loß - Страница 15
Frieden mit sich selbst. Und Vergebung.
ОглавлениеTief beeindruckt hat mich auch Josephine. Sie arbeitete im Grenzgebiet zwischen Ruanda und Kongo, in einem Lager der UN, wo sich Ärzte um Frauen kümmern, die von Kindersoldaten im Kongo vergewaltigt und verstümmelt worden sind. Als wir mit unserem Geländewagen ins Lager kamen, fielen uns erst die typischen UN-Container auf. Weiß und mit gut sichtbaren UN-Symbolen. Hier waren die Büros und Behandlungsräume untergebracht. Dahinter standen große weiße Zelte. Wir durften einen Blick hineinwerfen, aber nicht filmen. Der Geruch war schier unerträglich. Es stank nach Kot und Urin. Auf den Betten lagen Hunderte Frauen. Die meisten blickten apathisch an die Decke oder schliefen. Es war eine unheimliche Stille in diesem Zelt.
Josephine, unsere Begleiterin, wies uns auf eine Frau hin, die blind war. Die Kindersoldaten hatten sie erst vergewaltigt, dann verstümmelt und am Ende mit glühenden Klingen geblendet. Das Entsetzen der Frauen war fast mit Händen zu greifen. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit lagen in der Luft. Später haben die Ärzte uns erklärt, mit welchen Operationsmethoden sie die Frauen chirurgisch wiederherstellen. Ein Eingriff, der nicht nur ihrem Körper hilft. Er gibt den verstümmelten und stigmatisierten Frauen vor allem auch ihre Würde zurück.
Josephine hatte uns auf unserem Rundgang die ganze Zeit begleitet. Jetzt war es Zeit für ein Interview. Wir suchten uns einen Platz am Ufer des Lake Kiwu, eine Bank auf einem erkalteten Lavastrom in Sichtweite der Zelte. Hier erzählte sie mir von ihrer Arbeit. Sie war ausgebildete Psychotherapeutin und Seelsorgerin. Ihre Aufgabe war es, den Frauen dabei zu helfen, ihr Trauma zu überwinden, damit sie wieder leben konnten. Josephine war überzeugt: Um gesund zu werden, mussten die Frauen lernen, Frieden mit sich selbst zu machen, und lernen, den Tätern zu vergeben. Sie mussten lernen, den Menschen zu vergeben, die sie so grausam misshandelt und gefoltert hatten.
Ich fragte sie, warum das nötig war. Josephine sagte, dass die Frauen anders nicht überleben konnten. Der Hass und die Wut würden sie zerfressen. Sie mussten vergeben lernen, nicht wegen der Täter, sondern wegen sich selbst. Um überhaupt wieder leben zu können. Tag für Tag war Josephine in den Zelten unterwegs, hielt den Frauen die Hände, hörte sich ihre Geschichten an, trocknete die Tränen, brachte ihnen Hoffnung und sprach ihnen Mut zu.