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Kapitel 3

Aufbruch zu einer Reise, die ich nie antreten wollte – und die vage Hoffnung auf ein Wunder

Dein Wort ist wie ein Licht in der Nacht, das meinen Weg erleuchtet.

PSALM 119,105 (HFA)

Ich und krank?

Kranksein war für mich nie eine Option. Obwohl ich kaum Sport getrieben habe, fühlte ich mich immer ziemlich fit. Ein Strich in der Landschaft und Jeansgröße 34/32 bis weit in die Dreißiger. Eine Knieverletzung brachte mich mit vierzehn zum ersten Mal ins Krankenhaus. Gott sei Dank kannte ich Kliniken sonst nur als Besucher. Ich war eigentlich gesund, soweit ich mich zurückerinnern kann. Sehr selten krankgeschrieben, allenfalls mal eine kleine Erkältung alle paar Jahre. Was für jemanden, der viele Jahre lang freiberuflich gearbeitet hat, durchaus praktisch war. Nur ein hoher Blutdruck begleitete mich wohl schon eine ganze Weile. Bei jedem Arztbesuch die gleiche Bemerkung: „Ihr Blutdruck ist aber ziemlich hoch!“ Wirklich beunruhigt hat mich das nie. Es gibt Menschen, die leiden am sogenannten „Weißkittelblutdruck“, der immer dann hoch ist, wenn er in einer Arztpraxis gemessen wird. Jedenfalls war das für mich kein Grund, nervös zu werden.

Dass ein hoher Blutdruck auch ein Anzeichen für Nierenprobleme sein kann, sollte ich erst sehr viel später lernen. Weil ich mich fit fühlte, lebte ich nicht wirklich gesund. Kein Sport, zu wenig Schlaf, zu viel Arbeit, dreißig Zigaretten am Tag und ein, zwei, drei Bierchen am Abend war viele Jahre Standard für mich. Den ersten Schuss vor den Bug bekam ich im April 2005. Bei einer Reportage-Reise durch Simbabwe hatte ich plötzlich einen Blackout. Mir war schwindelig und ich konnte kaum noch stehen. Der Schwindel wurde leider bis heute mein ständiger Begleiter.

Zurück in Deutschland wurden meine Nieren gründlich gecheckt – ohne Befund. Die Ärzte gingen davon aus, dass der nach wie vor hohe Blutdruck der Auslöser für den Anfall war. Ich wurde mit Medikamenten eingestellt und bekam Betablocker, die mich in den nächsten Wochen so richtig ausbremsten. Mein Blutdruck war gut eingestellt, aber ich fühlte mich, als hätte mir jemand Gummistiefel angezogen und mich in den Sumpf geschickt. Es war alles so mühsam, ich war ständig müde. Und der massive Schwindel war immer noch da. Langsam kroch eine Depression in mir hoch. Nach einer Reha im Sommer 2006 nahm ich insgesamt fünfundzwanzig Kilo ab, die Medikamente wurden umgestellt und ich begann mit meinem Sportprogramm. Fahrradfahren wurde meine Leidenschaft. 2007 und 2008 habe ich es auf – jeweils – rund sechstausend Kilometer gebracht. Und ich war fit – bis auf den Dauerschwindel. Erst nach einer wahren Arztodyssee stellte sich die Ursache für meinen Schwindel heraus: Mein Gleichgewichtssinn im rechten Ohr war zerstört. Leider irreparabel. Ein Handicap, an das ich mich gewöhnen musste. Damit ich beim Radfahren nicht jedes Mal, wenn ich einen Blick über die Schulter wagte, in den Büschen landete, legte ich mir einen Rückspiegel zu. Sieht seltsam aus, hilft aber.

Die Diagnose

Mein Hausarzt behielt meine Nieren weiter im Blick. Aber weil ich mich nicht krank fühlte, kam ich nicht so regelmäßig wie vereinbart. Im Sommer 2008 machte er erneut einen Ultraschall der Nieren und wurde etwas blass. Er sprach von Nierenzysten oder Zystennieren – beides sagte mir nichts. Er überwies mich an einen Nephrologen, also einen Nierenspezialisten, und der konfrontierte mich dann am 23. Oktober 2008 mit der Diagnose „Zystennieren“. Das hat mich völlig unvorbereitet getroffen.

Schließlich sind Zystennieren eigentlich eine Erbkrankheit. In den betroffenen Familien erkrankt etwa die Hälfte aller Familienmitglieder. Früher sind diese Menschen früh gestorben. Wenige sind älter als sechzig geworden. Wirkungsvolle Behandlungsmethoden, wie zum Beispiel die Dialyse, gibt es erst seit Anfang der 1960er-Jahre. Davor war eine Niereninsuffizienz ein Todesurteil.

In meiner Familie aber sind fast alle weit über achtzig geworden, und das ohne irgendwelche Krankheiten. Nur mein Opa mütterlicherseits ist früh gestorben. Aber es half nichts: Es hatte mich erwischt. Mediziner sprechen in dem Fall von einer „Spontanmutation“.

Wie auch immer, ich musste mich mit dieser Diagnose abfinden. Im Internet habe ich mich schlaugemacht, was Zystennieren sind. Dass so etwas jetzt in mir wuchs und langsam immer größer werden würde, wollte ich mir einfach nicht vorstellen. Aber vorerst hatte ich keine Beschwerden, also versuchte ich, die Krankheit – so gut es ging – zu ignorieren.

Ernst

Im Sommer 2013, also fünf Jahre nach der ersten Diagnose, hatte ich nur noch fünfundvierzig Prozent Nierenfunktion.

Ende 2014 / Anfang 2015 spitzte sich das Ganze zu. Ich war immer noch viel mit dem Fahrrad unterwegs, aber ich merkte deutlich, wie meine Kräfte nachließen, und bei jeder Unebenheit auf dem Weg spürte ich meine Nieren. Ob ich wollte oder nicht, ich musste anfangen, mich ernsthaft mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Das hieß: Informationen sammeln über sogenannte Nierenersatztherapien.

An der Dialyse führte kein Weg vorbei. Jedenfalls war das mein Wissensstand7. Und Dialyse bedeutete dann, dass ich für den Rest des Lebens von Maschinen abhängig sein würde, die mein Blut dreimal in der Woche reinigen. Ich würde mich also damit abfinden müssen, dass ich einen guten Teil meiner Zeit damit verbringen würde, in einem Bett neben anderen Kranken zu liegen und zu warten, während eine Maschine mein Blut wäscht. Mein ganzes Leben müsste sich gezwungenermaßen nur darum drehen – und ob ich dann noch würde arbeiten können, war völlig offen. Ich war gerade mal Anfang fünfzig und fühlte mich nicht wirklich alt. Auch, wenn mein Körper mir mittlerweile andere Signale sendete.

So hart damit konfrontiert zu werden, dass meinem Leben in sehr naher Zukunft enge Grenzen gesetzt sein würden, machte mir zu schaffen. Am liebsten hätte ich das alles verdrängt, aber dafür waren die „Fortschritte“, die meine Krankheit machte, zu deutlich. Mit dem Rückgang der Nierenfunktion wurden immer weniger Giftstoffe aus dem Körper geschwemmt. Ich merkte, wie ich schlapper wurde, ich schlief nur noch oberflächlich und hatte eine starke innere Unruhe. Aber vor allem spürte ich es beim Geschmackssinn. Meine Zunge war ständig belegt und ich schmeckte kaum noch etwas. Und das war erst der Anfang! Das waren deutliche Anzeichen, dass etwas nicht stimmte. Dazu kam noch, dass ich meine stark vergrößerten Nieren nun deutlich spürte.

Eine realistische Perspektive?

Im März 2015 fuhr ich mit Sabine für ein paar Tage zu einem Kurzurlaub an die Weser. Hier hatten wir Zeit zum Reden und zum Nachdenken. Via Internet hatte ich einen Kontakt zum Verein PKD e.V. geknüpft. Hier hatte ich die Kontaktdaten des Ansprechpartners für „meine“ Region Wetzlar/Gießen bekommen. Wir hatten uns per Mail für ein Telefongespräch verabredet. Nach dem Abendessen suchte ich mir einen ruhigen Ort zum Telefonieren: die Promenade am Weserufer. Es war dunkel, die Weser plätscherte sanft vor sich hin und es war kaum ein Mensch unterwegs. Hier hatte ich die nötige Zeit und Ruhe für ein Gespräch.

Eine entspannte und freundliche Stimme meldete sich am anderen Ende: „Stephan, hallo“. Er wirkte sehr sympathisch und nahm sich viel Zeit für das Gespräch. Während wir redeten, lief ich auf und ab, eine ganze Stunde, und je länger das Gespräch dauerte, desto mehr Hoffnung bekam ich.

Stephan ist nicht nur selbst betroffen, sondern er arbeitet auch als Krankenpfleger im Gießener Uniklinikum. Er kannte also die medizinische Seite der Krankheit sehr gut. Ich fragte ihn nach der Dialyse und er erklärte mir in Ruhe, was mich erwarten würde. Ich fragte ihn nach seinen eigenen Erfahrungen und er erzählte, dass er eine besondere Art von Dialyse gemacht hatte: eine Bauchfelldialyse. Die hatte ihn wesentlich weniger eingeschränkt, weil er dafür nicht in ein Dialysezentrum fahren musste. Es ist eine besondere Form der Heimdialyse, bei der das Bauchfell als Filter dient.8

Nachdem ich alle meine Fragen in Bezug auf die Dialyse losgeworden war, erzählte Stephan, wie es bei ihm nach der Dialyse weitergegangen war: Seine Frau hatte ihm eine Niere gespendet. Davon hatte ich noch nie gehört. Ich wusste, dass es so etwas wie eine Lebendspende gab. Aber nach meinem Kenntnisstand war das nur zwischen blutsverwandten Familienmitgliedern möglich. Meine Eltern waren zu alt und ich hatte keine Geschwister, deshalb hatte ich nie weiter über dieses Thema nachgedacht. Stephan erklärte, dass Lebendspenden unter Ehepartnern oder nahen Verwandten auch dann möglich sind, wenn die Blutgruppen nicht übereinstimmen. Seit 2004 wäre das medizinisch möglich, erfuhr ich, und dass er selbst Menschen kannte, die das schon sehr erfolgreich gemacht hatten, unter anderem der Vorsitzende des Vereins PKD e.V., Uwe Korst, der ebenfalls eine Niere von seiner Frau bekommen hatte.

Nach dem Telefonat bin ich noch eine Weile still an der Weser entlanggegangen und habe über das nachgedacht, was ich eben gehört hatte. Zurück im Hotel habe ich Sabine von dem Gespräch berichtet, und auf einmal stand ein ganz neues Thema im Raum: Könnte meine Frau mir eine ihrer Nieren spenden? Wollte sie das überhaupt? Auf jeden Fall war das eine ganz neue Perspektive – und eine Herausforderung für uns beide.9

Bei der herkömmlichen Transplantation, der sogenannten Totspende, wäre die Wartezeit für mich ungefähr acht bis zehn Jahre gewesen. Diese Zeit würde ich mit Dialyse überbrücken müssen. Eine Lebendspende stünde sofort zur Verfügung. Könnte das auch für uns eine Alternative sein? Was für eine Perspektive! Aber natürlich waren vorher immer noch viele andere Fragen zu klären. Zum Beispiel die Frage nach der „Kompatibilität“ – also danach, ob wir auch medizinisch zusammenpassen und ob eine Transplantation tatsächlich möglich wäre. Wir wussten nur, dass wir unterschiedliche Blutgruppen hatten.

Aus unserem Kurzurlaub an der Weser kamen wir mit ganz neuen Gedanken nach Hause zurück. Wir vereinbarten für den Mai 2015 einen Termin in der Nierenklinik in Heidelberg, um in einem ersten Gespräch abchecken zu lassen, ob eine Lebendspende für uns überhaupt infrage kommen würde.

Währenddessen machten mir die Nieren zunehmend zu schaffen. Die Werte wurden jetzt rapide schlechter und parallel zu den Schmerzen nahm auch meine Verzweiflung zu.

Auf Herz und Nieren

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