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Du spielst zu viel GTA!

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Frankfurt am Main, Sachsenhausen

10. April 2018

Arianna

Die letzten Tage waren seltsam gewesen. Zac war viel öfter zu Hause. Entweder machte er früher Feierabend oder hatte etwas vergessen, ohne das er nicht durch den Tag kam. Nicky war seit der Magen-Darm-Grippe zickig. Sie war wohl noch nicht wieder auf dem Damm und es lag daran.

Arianna fragte sich, ob ihr neuer Stammkunde auch heute vorbeikäme. Seit seinem ersten Besuch war Konstantin jeden Tag hier gewesen und hatte Blumen gekauft. Da wurde sie glatt neidisch. Sie selbst hatte schon länger keine mehr bekommen. Niemand hielt es für nötig, dem Blumenmädchen welche zu schenken. Immerhin war Arianna den ganzen Tag von ihnen umgeben. Gedankenverloren drapierte sie ein paar Töpfe im Schaufenster.

Die Türglocke läutete und sie hob den Kopf. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Da war er ja! Konstantin lächelte und begrüßte sie.

Sie freute sich wirklich, ihn zu sehen. Zwar hatte er nie viel Zeit, trotzdem wechselten sie immer ein paar nette Worte miteinander. »Was kann ich heute für dich tun?«

»Machst du auch Blumenschmuck für Autos bei Hochzeiten?«

»Ja, sicher, aber ich dachte, du wärst Single?«

Konstantin lachte leise. »Ich bin nur der Trauzeuge. Es geht um meinen Kumpel. Der ist allerdings fürchterlich pingelig, was den Lack betrifft. Sind seine Sorgen berechtigt?«

Arianna verdrehte die Augen. »Männer und ihre Spielsachen.«

»Da sagst du was.«

»Dem Auto passiert natürlich nichts.«

Konstantin spähte in den hinteren Teil des Ladens und fragte: »Könntest du ihm das vielleicht selbst sagen? Er parkt in der Seiten­straße und wartet da. Dann kannst du ihm gleich zeigen, wo man was befestigt und so. Seine Zukünftige wäre bestimmt erleichtert, wenn sie endlich den Blumenschmuck bestellen könnte.«

Eine Hochzeit war immer eine große Sache, nicht nur für das Brautpaar, sondern auch für die beteiligten Dienstleister. Deshalb freute Arianna sich, wenn sie einen solchen Auftrag an Land zog. Jedoch waren es sonst die Bräute, die mit besonderem Fingerspitzengefühl behandelt werden mussten, nicht deren Männer. »Klar, das ist kein Problem. Ich sage meiner Schwägerin nur noch Bescheid, dass ich kurz draußen bin.«

Konstantin musterte sie zerknirscht. »Wir haben leider echt nicht viel Zeit. Kannst du nicht schnell mitkommen und gucken? In spätestens fünf Minuten bist du wieder da.«

»Das dauert doch keine Minute«, antwortete Arianna verwundert.

»Bitte.« Konstantin sah ihr tief in die Augen.

Seufzend gab sie nach. Irgendetwas hatte er an sich, dass sie ihm vertraute. »Na schön, wenn wir uns beeilen.«

Konstantin strahlte und hielt ihr die Ladentür auf. Arianna schlängelte sich vorsichtig zwischen den Blumentöpfen hindurch und ging an ihm vorbei. Heute war es angenehm warm draußen. Der Frühling meinte es gut mit ihnen und man konnte an manchen Tagen schon auf eine Jacke verzichten.

»Wo ist das Auto?«

»Gleich da vorn um die Ecke.« Konstantin deutete die Straße entlang. Er blieb dicht an ihrer Seite.

»Weißt du, welche Blumen dem Brautpaar vorschweben?« Arianna wollte sich vorab ein Bild machen.

»Na ja, was man für Hochzeiten so nimmt. Rosen und so was.«

Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch. »Rosen und so was, wirklich?«

Er grinste frech. »Sehe ich so aus, als wüsste ich bei dem Thema Bescheid?«

Arianna betrachtete ihn demonstrativ von oben bis unten. »Zugegeben, du siehst nicht wie jemand aus, der sich für den Blumenschmuck einer Hochzeit interessiert. Bestimmt schenkst du den Kleidern mehr Aufmerksamkeit.«

»Den Kleidern? Warum sollte ich mich denn für die interessieren?«

»Da stellen sich als Trauzeuge schon ein paar Fragen, wenn man ewig neben einem Haufen Brautjungfern steht. Wie bekommt man das Ding auf? Oder: Wie würde das wohl vor meinem Bett aussehen?« Betont unschuldig wartete sie auf den Konter.

»Soll das heißen, du hältst mich für einen Aufreißer?«

»Willst du behaupten, ich irre mich?«, hielt Arianna dagegen.

Konstantin lachte und schob sie um die Ecke. »Glaub mir, ich bin vielschichtiger, als du denkst.«

Sie wollte etwas erwidern, doch brachte sein Verhalten sie zum Stutzen. Hatte er einen Blick über seine Schulter geworfen? Arianna wollte gerade fragen, ob alles in Ordnung war, da blieb Konstantin stehen.

Vor ihnen lehnte ein Mann an der Fahrertür eines silbernen Audi. Sobald sie in Sichtweite kamen, stellte er sich gerade hin und lockerte die verschränkten Arme. Konstantins Freund schenkte ihr ein Zahnpasta-Werbelächeln und streckte die Hand aus. »Es freut mich, dass du Zeit hast. Ich heiße Leon. Du kannst mich Leo nennen.«

Verwundert griff sie zu. Ihr war, als hätte sie ihn schon mal gesehen. »Leo …«, sagte sie langsam.

»Treffend, findest du nicht? Da haben meine Eltern Instinkt bewiesen. Wie heißt du?«

»Arianna. Du machst dir also Sorgen um dein Auto?«

»Ja«, rief er lächelnd aus und wirkte dabei alles andere als besorgt. Er öffnete die Tür hinter dem Fahrersitz und winkte Arianna näher. »Meine Verlobte will unbedingt eine riesige Schleife auf dem Dach, als wäre das Auto ein Geburtstagsgeschenk. Ich hab keine Ahnung, wie man die festmachen soll, ohne den Lack in Mitleidenschaft zu ziehen.«

Arianna ging näher heran. »Das ist eigentlich ganz einfach. Das Band selbst wird innen am Himmel befestigt und auf dem Lack ist nur der weiche Stoff.«

»Aha«, machte Leo skeptisch. »Wo würdest du es denn befestigen?«

Sie steckte den Kopf ins Fahrzeug und tippte auf den Bezug, mit dem der Himmel bespannt war. »Etwa hier.«

Konstantin beugte sich ebenfalls näher zu ihnen. »Wo genau?«

Bereitwillig tippte Arianna ein weiteres Mal an besagte Stelle, auch wenn sie sich von den beiden ein bisschen bedrängt fühlte. Er kam noch näher und schubste sie ohne Vorwarnung ins Auto. Gleichzeitig riss Leo die Fahrertür auf und warf sich auf den Sitz. Konstantin kletterte hinter Arianna auf die Rückbank und zog die Tür zu.

Sie begriff nicht, was hier passierte.

Er brüllte: »Fahr los!«

Mit lautem Röhren erwachte der Motor und das Auto machte einen Satz nach vorn. Aus dem Radio dröhnte Musik.

»Was soll denn das?«, rief Arianna verärgert vom Fahrzeugboden. Sie hatte sich das Knie und den Kopf gestoßen. Durch das Geschaukel des Wagens war es schwierig für sie, sich auf die Rückbank zu ziehen.

»Scheiße, da sind sie schon!«, rief Konstantin. »Gib Gas!«

»Danke, das weiß ich auch ohne deine schlauen Kommentare«, murrte Leo und trat das Gaspedal durch.

Arianna hatte sich so weit sortiert, dass sie aus dem Fenster sehen konnte. Zac lief über den Fußweg und versuchte sie einzuholen. Dicht hinter ihm waren Nicky und ein weiteres Paar. Diese beiden kannte sie nicht, doch offensichtlich wollten sie Zac helfen, sie zu befreien.

Erst jetzt begriff Arianna wirklich, was los war. Ihr netter neuer Stammkunde war dabei, sie zu entführen. Panisch riss sie an der Tür, um aus dem Auto zu springen. Noch fuhren sie nicht allzu schnell. Sie war verschlossen. Auch der elektrische Fensterheber versagte Arianna den Dienst. Sie war gefangen. Verzweifelt trommelte sie mit den Händen an die Scheibe und rief nach Zac.

»Du solltest dich lieber anschnallen«, riet Konstantin. »Die Fahrt wird holprig.« Nach vorn rief er: »Bia und Kratos sind auch aufgetaucht. Wenn sie uns kriegen, sind wir am Arsch!«

Sie fuhren um eine Kurve und von Zac war nichts mehr zu sehen. Eine ungeahnte Wut ergriff von Arianna Besitz. Anstatt sich anzuschnallen, stürzte sie sich auf Konstantin. Vielleicht ließ sich seine Seite öffnen. Er hielt sie fest. Sie schaffte es nicht, die Tür zu erreichen. Mit aller Kraft riss sie sich los und kratzte und schlug auf ihren Entführer ein. »Lasst mich hier raus, ihr Dreckskerle!« Arianna landete ein paar gute Treffer. Dann gelang es ihm, ihre Oberarme zu packen und nach hinten zu drücken. Jetzt saß sie halb auf seinem Schoß. Er atmete schwer und funkelte sie wütend an. Eine blutende Kratzspur verlief über die rechte Wange.

»Komm runter!«, blaffte er. »Ich hatte nicht vor, dich zu fesseln oder zu knebeln. Wenn du dich nicht beruhigst, werde ich es tun. Das alles hier ist zu deinem Besten.«

Arianna schnaubte und wollte sich befreien – vergeblich. »Erzählst du das allen, die du entführst, dass es zu ihrem Besten wäre? Hat das schon mal eine geglaubt?«

»Das hier ist keine Entführung, sondern eine Rettungsaktion«, gab Konstantin ruhiger zurück. »Du musst aus diesem Einfluss raus, dann wirst du es erkennen.«

»Was für einen Blödsinn redest du da eigentlich?« Arianna wollte mehr sagen,

Leo unterbrach sie.

»Ich störe nur ungern, aber wir bekommen Gesellschaft.«

Konstantin sah über die Schulter und fluchte. Er schob Arianna zur Seite. »Jetzt schnall dich endlich an und versuch, nichts Blödes anzustellen.«

Die Panik in ihr wurde immer größer. Seit wann hatte sie eine so schlechte Menschenkenntnis? Wieso war sie so leichtgläubig mit einem Entführer mitgegangen? Immerhin war sie keine sieben Jahre alt!

Sie schossen durch die Straßen von Sachsenhausen und wurden immer schneller. Arianna sah ebenfalls nach hinten. Durch den dichten Verkehr schlängelte sich ein schwarzer Wagen, den sie nur zu gut kannte. Zac hatte die Verfolgung aufgenommen. Er würde sie einholen und retten, ganz bestimmt!

Leo lenkte heftig nach rechts und Arianna wurde gegen die Tür gedrückt. Hinter ihnen ertönte ein wütendes Hupen.

»Kannst du das Radio ausmachen? Es nervt!«, rief Konstantin über die laute Hip-Hop-Musik hinweg.

»Weißt du, wer noch nervt?«, gab Leo zurück und drehte am Lautstärkeregler.

»Ich kapier nicht, wie du dich bei diesem Lärm auf die Straße konzentrieren kannst. Gibt dir das einen Kick? Ist die Aktion hier für dich wie ’ne Runde GTA? Gleich fängst du an, Polizeiwagen zu rammen, Prostituierte zu prellen und Passanten zu überfahren? Vielleicht finden wir noch einen Mafiaboss, den du abknallen kannst!«

»Sehr witzig!« Leo scherte aus und überholte das Auto vor ihnen. Durch den Gegenverkehr war er gezwungen, knapp einzuscheren, und fast wäre es zur Kollision gekommen.

Arianna kreischte erschrocken. Wenn das so weiterging, würde die Fahrt bald an einem Baum enden. Das Auto wurde immer schneller, obwohl die nächste Ampel eindeutig auf Rot stand.

»Halt an!«, schrie Arianna. Niemand hörte auf sie.

Der Wagen preschte über die Kreuzung und es gelang Leo gerade so, einem Kleintransporter auszuweichen. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Arianna wollte nur hier raus und zurück in ihren Laden und zu Zac.

Etwas traf das Auto. Von der Erschütterung beunruhigt, hob Arianna den Kopf. Zacs schwarzer SUV war direkt hinter ihnen. Hatte er sie etwa gerammt? Mit grimmigem Gesicht steuerte ihr Verlobter den Wagen und gab Gas. Auf dem Beifahrersitz saß Nicky, die ebenso wütend wirkte. Der SUV rammte sie noch einmal und Arianna wurde kräftig durchgeschüttelt. Die Heckscheibe splitterte. Er sah sie doch! Wieso rammte er das Auto, in dem sie saß?

»Scheiße!« Leo wechselte die Spur. Zac folgte ihnen.

»Wir müssen sie loswerden! Sie dürfen nicht wissen, wohin wir wollen, sonst war die ganze Aktion umsonst.« Konstantin sah nervös nach hinten. Der Abstand zwischen den beiden Autos war schon wieder geschrumpft.

»Was glaubst du, was ich hier versuche?« Leo scherte in eine Lücke auf der Nebenspur ein.

Anstatt ihnen zu folgen, fuhr Zac schneller, bis sie auf einer Höhe waren. Dieses Mal rammte er sie von der Seite. Metall kreischte und Glas splitterte. Arianna fürchtete um ihr Leben. Sie war glücklich, dass Zac versuchte, sie zu retten. Nur wäre es schön, wenn sie die Rettung überlebte.

Eine der hinteren verdunkelten Scheiben des SUV fuhr herunter. Dort saßen die beiden, die hinter Zac gelaufen waren. Bei voller Fahrt kletterte die Brünette heraus und zog sich aufs Dach des SUV. Arianna fiel die Kinnlade herunter. Was hatte diese Irre vor? Wurde hier gerade ein Actionfilm gedreht und man hatte vergessen, ihr – der Hauptdarstellerin – vorher Bescheid zu sagen?

»Bia sitzt auf dem Dach!«, warnte Konstantin.

Leo wollte Abstand zwischen die beiden Autos bringen. Zac folgte beharrlich.

Mit offenem Mund sah Arianna dabei zu, wie die Frau, die offenbar Bia hieß, vom SUV sprang und auf dem Audi landete. Das Dach dellte sich.

»Häng sie ab!«

Leo fuhr wilde Schlangenlinien und Arianna könnte ihr Essen bald nicht länger bei sich behalten, wenn das so weiterging. Es knallte und sie war überzeugt, ihre Fahrt hätte ein jähes Ende genommen, doch dieses Mal hatten sie nichts gerammt. Arianna glaubte nicht, was sie sah. Sie musste sich täuschen! Im Himmel des Autos steckten ein paar manikürte Finger. Die rot lackierten Nägel gruben sich durch Stoff und Metall. Knirschend gab das Material nach.

Bia riss ein Loch ins Dach. Kaum hatte sie genug Platz für ihre zweite Hand, schob sie diese hinterher und vergrößerte den Spalt so weit, bis ein Mensch hindurchpasste. Dann streckte sie die Hand nach Arianna aus. Konstantin schlug sie weg.

Wieso war ein Mensch in der Lage, die Karosserie eines Autos mit bloßen Händen aufzureißen? Die Hoffnung, nur zu träumen, überkam sie. Etwas so Verrücktes konnte gar nicht passieren.

»Gib mir deine Hand, dann ziehe ich dich raus«, rief Bia über das Rauschen des Fahrtwindes und streckte die Hand ins Wageninnere.

Arianna zögerte. Ja, sie wollte gerettet werden, aber doch nicht, indem sie durch ein Loch, dessen Ränder aus scharfkantigem Metall bestanden, gezogen wurde. Sie sah jetzt schon Blut und Gedärm vom Rand tropfen.

Während Arianna mit sich rang, packte Konstantin Bias Unterarm. Mit bösem Lächeln sagte er: »Das hättest du nicht tun sollen.«

Er sah konzentriert aus. Zumindest so lange, bis Bia ebenfalls sein Handgelenk mit den langen Fingern umschloss. Über den Lärm hinweg hörte Arianna ein lautes Knacken. Konstantins Gesicht verzog sich und er schrie vor Schmerz auf. Trotzdem hielt er ihren Unterarm weiterhin umschlossen.

Leo warf nervöse Blicke durch den Rückspiegel. Durch seine geteilte Aufmerksamkeit geriet das Auto ins Schlingern. Bia war dabei, den Halt zu verlieren. Konstantin ließ ihren Arm los und stieß sie zurück. Zusätzlich vollführte Leo ein waghalsiges Lenkmanöver. Bia rutschte vom Dach ab, rollte über die Heckscheibe und fiel bei voller Fahrt auf die Straße.

Arianna sah erschrocken dabei zu, wie das nachkommende Auto auswich. Bia rappelte sich auf. Das nächste Auto bemerkte die Frau auf der Straße zu spät. Arianna war fassungslos, gleich würde sie überfahren werden. Ohne darauf zu achten, streckte Bia die Hand aus. Das Auto krachte gegen sie. Bia geriet nicht mal ins Straucheln. Stattdessen wurde der Wagen abrupt gebremst und dellte sich um das Hindernis herum.

Jetzt war Arianna sicher, dass sie träumte.

»Wie geht’s dir?«, fragte Leo von vorn.

»Sie hat mich erwischt. Ich werd’s überleben«, brummte Konstantin.

»Wenn du es sa…« Leo wurde vom Kreischen des Metalls unterbrochen. Sie alle wurden in die Sitze gepresst. Arianna schrie panisch, davon überzeugt, den heutigen Abend nicht mehr zu erleben.

Zac hatte sie von rechts gerammt. Leo blieb keine andere Möglich­keit, als auf den breiten Bordstein auszuweichen. Fußgänger sprangen panisch beiseite. Sie rauschten durch die Sitzgruppen eines kleinen Cafés und es grenzte an ein Wunder, dass sie neben Stühlen und Tischen keine Menschen erwischten.

Leo versuchte wieder auf die Straße einzuscheren, was Zac nicht zuließ und ihn abdrängte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie jemanden überfuhren. Schon bauten sich die nächsten Hindernisse vor ihnen auf. Eines davon musste den Wagen doch ausreichend beschädigen und zum Stillstand bringen.

Sie krachten gegen die Auslagen eines kleinen Geschäftes. Von ihrem Platz aus erkannte Arianna nicht, was sie dieses Mal gerammt hatten. Etwas Grünes flog durch die Luft und zerplatzte an der Windschutzscheibe. Sofort sprangen die Scheibenwischer an und wollten die Bescherung beseitigen. War das eine Wassermelone gewesen? Und klebten da am Rand Salatblätter?

»Ein Gemüsehändler, ernsthaft?«, schnaubte Konstantin. »Fehlt unserer Verfolgungsjagd noch ein Klischee, oder haben wir endlich alle?«

»Wenn du nichts Hilfreiches beizutragen hast, dann tu uns allen einen Gefallen und halt die Klappe!«, schnauzte Leo. Es gelang ihm, den Wagen auf die Straße zu lenken. Der Audi schoss quer über mehrere Fahrspuren. Ruckartig riss Leo am Lenkrad und steuerte auf die Alte Brücke zu. Zac war schon wieder an ihrer Seite und wollte sie erneut abdrängen.

»Jetzt habe ich die Schnauze voll!« Leo ließ die Scheibe des Beifahrerfensters herunter, wühlte in seiner Hosentasche und zog ein Benzin­feuerzeug hervor, das er sogleich aufklappte und entzündete. Eine Stichflamme schoss direkt auf die Fahrerseite des SUV. Das Feuer wurde immer größer und kroch gezielt über das andere Auto. Es handelte sich weder um einen Zufall noch konnte etwas daran natürlich sein.

Nach allem, was Arianna heute schon gesehen hatte, dürfte sie ein menschlicher Flammenwerfer nicht mehr überraschen, aber das tat er. Ganz eindeutig! Verängstigt schlang sie die Arme um den Kopf und hoffte, sich auf diese Weise zu schützen. Hinter dem Beifahrersitz wurde es schrecklich heiß.

»Pass auf, dass du uns nicht ebenfalls abfackelst.« Konstantin klang nervös. Das war sicher kein gutes Zeichen.

Arianna schielte aus dem Fenster und sah dabei zu, wie die Flamme Zacs Fahrertür traf. Das Feuer brannte, heißer als es normal war, denn augenblicklich warf der Lack Blasen und der Reifen entzündete sich. Wie es den Insassen erging, war durch die Feuersbrunst nicht zu erkennen.

Ihr selbst wurde immer heißer und Arianna wusste nicht, wie lange sie das noch ertrug. »Bitte hör auf«, flehte sie erstickt. Die glühende Luft brannte in der Lunge und schmerzte regelrecht.

»Leo, es reicht!«, rief jetzt auch Konstantin.

Durch den Ruf seines Freundes besann Leo sich und die Flamme verlosch abrupt. Das Feuerzeug schnappte zu und er schob es zurück in die Tasche. Sein Atem ging schwer und er sah mit grimmiger Genugtuung dabei zu, wie Zacs Auto weiter brannte und ins Schlingern geriet. Sie hatten die Brücke schon fast überquert.

Dieses Mal war es Leo, der ruckartig am Lenkrad drehte und das andere Fahrzeug rammte. Hilflos sah Arianna dabei zu, wie Zac die Kontrolle vollends verlor. War er durch das Feuer verletzt worden? Lebte er überhaupt noch?

Der SUV schoss über die Fahrbahn bis zum Bordstein des Fußweges. Dort durchschlug das große Auto das Brückengeländer und stürzte in den darunterliegenden Fluss.

»Endlich ist Ruhe«, sagte Leo zufrieden.

Arianna kreischte entsetzt. Entgegen aller Vernunft und wider besseres Wissen zerrte sie am Türgriff. Natürlich entriegelte er sich noch immer nicht. Sie fuhren an der Unfallstelle vorbei und Arianna sah zurück. »Wir müssen anhalten und ihnen helfen!«, rief sie. »Sonst werden sie ertrinken!«

Die beiden Männer, die sie in ihrer Gewalt hatten, kümmerte das Schicksal ihrer Widersacher nicht. Stattdessen wirkten sie erleichtert.

»Leider wird das nicht passieren.« Konstantin klang tatsächlich bedauernd.

Fassungslos drehte Arianna sich zu ihm um. Dass ihr die Tränen hemmungslos über die Wangen liefen, bemerkte sie kaum. »Wie kannst du so was sagen?«

»Eine solche Kleinigkeit bringt weder deinen Verlobten noch seine Geschwister um. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.«

Ihr gefiel weder, was er sagte, noch wie er es sagte. »Sag mal, hast du sie noch alle? Die Chancen, bei einem solchen Unfall nicht zu ertrinken, sind unter normalen Umständen schon gering, auch ohne dass das halbe Auto brennt.«

»Für Menschen vielleicht«, sagte Leo von vorn. Die Brücke lag hinter ihnen und sie fuhren durch die Innenstadt. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch nicht von zahlreichen Streifenwagen verfolgt wurden. Wo war die Polizei, wenn man sie mal brauchte? Seit er Zac abgehängt hatte, fuhr Leo deutlich entspannter, obwohl das Auto reif für den Schrottplatz war.

Wo war sie bloß hineingeraten? In ihrem Kopf schwirrten zahllose Fragen. »Wieso sagst du Geschwister? Zac hat nur eine Schwester.«

»Wieder etwas, bei dem er dich belogen hat. Die anderen beiden gehören auch dazu. Sie sind zu viert. Bedauerlicherweise sind sie immer zu viert.«

Gern hätte sie Konstantin gesagt, dass sie ihm nicht glaubte, aber er sprach mit einer Gewissheit, die ihr Angst machte. Zweifel überkamen sie ein weiteres Mal. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Stattdessen meinte sie: »Zac liebt mich. Warum sollte er mich belügen?«

Konstantin verzog das Gesicht. »Kann ich dir nicht sagen. Noch nicht.«

»Noch nicht, aha. Und wann kannst du mir das sagen?«, bohrte sie weiter. Als er lediglich weiterhin schwieg und Leo ebenfalls gewissenhaft den Blick auf die Straße richtete, gab Arianna sich die Antwort selbst. »Lass mich raten, das kannst du mir auch nicht sagen.«

Wieder dachte sie daran, dass Zacs Auto mittlerweile auf dem Grund des Mains lag und er aller Wahrscheinlichkeit nach darin festsaß. Arianna kämpfte mit den Tränen und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

»Was hast du? Wurdest du verletzt?«, wollte Konstantin wissen.

»Können wir wenigstens den Rettungsdienst alarmieren?«, fragte Arianna verzweifelt.

Noch während sie sprach, fiel ihr etwas ein. Sie griff in die Hosentasche und zog ihr Handy heraus. Schon drückte sie die Kurzwahl für den Notruf, da versuchte Konstantin, sich das Telefon zu schnappen. Arianna hatte alle Hände voll damit zu tun, es aus seiner Reichweite zu halten. Aus dem Lautsprecher kam eine leise Stimme, die fragte, welche Art Notfall gemeldet werden sollte.

»Ich werde entführt!«, rief Arianna so laut sie konnte. »Außerdem ist ein Auto von der Alten Brücke gestürzt. Die brauchen dringend Hilfe!«

»Es geht ihnen gut, man muss sie nicht retten. Gib mir dein Handy«, forderte Konstantin.

»Warum sollte ich?«, fragte sie giftig zurück.

»Falls du es mir freiwillig gibst, schalte ich es nur aus und verwahre es ein paar Tage. Falls nicht, nehme ich es dir notfalls gewaltsam ab und schmeiße es aus dem Fenster.«

Arianna musterte ihn finster. Fast war sie versucht herauszu­finden, ob Konstantin diesen Worten Taten folgen ließ. Ihr Blick blieb an seiner verletzten Hand hängen. Dunkelblaue und violette Flecken breiteten sich rund um das Gelenk aus. Auch der kleine Finger stand seltsam ab. Konstantin hatte die Hand in einer Schonhaltung auf den Oberschenkel gelegt.

Die Knochen waren gebrochen. Das hatte Arianna selbst gehört. Nach wie vor war ihr unbegreiflich, wie ein Mensch mit bloßen Händen Knochen brechen konnte. Andererseits hatte Bia mit den­selben Händen Löcher ins Autodach gerissen. Nicht nur sie war übermenschlich, mindestens für Leo galt dasselbe. Zwischen wessen Fronten befand sie sich bloß?

Die Stimme am Telefon bat um weitere Details.

»Bist du fertig mit deinem inneren Monolog?« Konstantin riss sie aus ihren Gedanken.

»Du bist verletzt«, stellte sie das Offensichtliche fest. »Wie willst du dir so mein Handy holen?«

Er lächelte spöttisch. »Glaub mir, dich schaffe ich schon noch. Selbst wenn nicht, ist Leo auch noch da.«

Recht hatte er. Konstantin war groß und muskulös. Er könnte sie mit einer Hand besiegen. Leo war von ähnlicher Statur. Irgendwo hatte Arianna mal gelesen, dass man seine Überlebenschancen erhöhte, wenn man bei einem Überfall, Amoklauf oder sonst einem Verbrechen kooperierte. Sie wollte noch nicht sterben und ihr Handy verlöre sie so oder so in den nächsten Minuten. Dann konnte sie es auch freiwillig hergeben. Hoffentlich hatte der Notruf sie in der Zwischen­zeit geortet. So was taten die doch, oder nicht?

»Na schön«, murrte sie und senkte die erhobene Hand. Schweren Herzens hielt sie Konstantin das kleine Gerät hin.

»So ist es brav.« Er legte auf, schaltete es wie angekündigt aus und ließ es in seiner Jackentasche verschwinden.

Kurz darauf hatten sie Frankfurt verlassen und fuhren auf der Autobahn. »Wohin bringt ihr mich? Oder darf ich das auch nicht wissen und gleich werden mir die Augen verbunden?«

»Dir wird nichts verbunden. Das habe ich schon gesagt. Solange du mitspielst, musst du dir keine Sorgen machen.«

Arianna blieb skeptisch. »Das heißt wohl eher, ich werde nicht zurückkehren und somit niemandem erzählen können, wo ich festgehalten wurde.«

»Du wirst es nicht erzählen wollen. Das ist ein Unterschied.« Konstantins selbstgefällige Art ging ihr zusehends auf die Nerven. Jetzt grinste er auch noch frech.

»Schon klar!«, rief Arianna wütend. »Bringt ihr mich zu einer Sekte, die mir eine Gehirnwäsche verpassen wird, und dann lebe ich fröhlich bis zum Rest meiner Tage in der Pampa? Dort bestelle ich das Feld oder erledige andere Arbeiten einer Leibeigenen, wenn ich nicht gerade einem durchgeknallten Guru huldige?«

Leo lachte herzlich. »Sie ist echt kreativ. Das habe ich schon vermisst.«

»Wenn du es sagst«, murmelte Konstantin.

Leo übernahm das Gespräch. »Ich habe uns für eine Woche ein kleines Ferienhaus mitten im Taunus gemietet. Es liegt tief im Wald. Dort ist es ruhig und es kommt keine Menschenseele vorbei.«

Arianna wurde blass und sah von einem zum anderen. Beide waren stattliche junge Männer, die sich bestimmt auch gern amüsierten. »Keine Sekte, sondern eine Orgie?!« Mist, ihre Stimme war eine Oktave zu hoch und hörte sich an wie das Quieken einer verängstigten Maus.

Konstantin verdrehte die Augen. »Garantiert nicht.«

Schnell versuchte Leo eine andere Erklärung. »Wir werden dir nichts tun, versprochen. Es geht nur darum, dass du dich ausruhen und den Kopf frei bekommen sollst.«

»So klingt es wie eine Kur.« Das war unmöglich. Niemand wurde entführt, damit er Urlaub machte. Für einen winzigen Augenblick glaubte Arianna, Zac spiele ihr einen Streich. Manchmal war er unberechenbar, und es war nicht abwegig, dass er die beiden dazu engagiert hatte, sie zu entführen, und als Überraschung mit ihr in den Urlaub fuhr. Das würde erklären, warum Konstantin sich so sicher war, dass es ihnen gut ging, obwohl Zacs SUV im Main versunken war.

Das war Blödsinn! Dazu war es zu echt. Autos waren zerstört und Menschen verletzt worden. Für einen Streich war das zu viel des Guten. Nein, diese Hoffnung begrub sie direkt. Sie wurde gerade wirklich entführt.

»Eine Entziehungskur, wenn du so willst. Du musst ausnüchtern.«

Sie hatte mit gar keiner Antwort gerechnet und war überrascht, doch eine zu bekommen. Jetzt klang Konstantin wieder freundlicher. Auch der Blick aus seinen grünen Augen wirkte sanft.

Was wurde hier gespielt? Arianna wurde einfach nicht schlau aus ihm. Doch wie es aussah, hätte sie von jetzt an ein paar Tage Zeit dazu – ob sie wollte oder nicht.

Die Rache der Mondgöttin

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