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Und wo geht’s hier nach Hause?

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Taunus, ein verdammtes Gefängnis

11. April 2018

Arianna

»Wie bitte?«, entfuhr es Arianna. Wieso war dieser Kerl nur so dreist?

Jetzt grinste er auch noch frech. Weil sie nichts Besseres fand, griff sie nach einem Kissen und schleuderte es in Konstantins Richtung. Ehe es sein Gesicht traf, fing er es ab.

»Soll das die Einladung zu einer morgendlichen Kissenschlacht sein?«, fragte er süffisant.

Die bissige Antwort, die Arianna hatte geben wollen, blieb ihr im Hals stecken. Das war unmöglich! »Deine Hand …«

Konstantin ließ das Kissen aufs Bett fallen. »Was ist damit? Ich habe dir doch versprochen, dass ich ab heute für dich kochen werde. Auf Fast Food stehe ich auch nicht gerade.«

Arianna konnte nicht fassen, was sie sah. Konstantins gebrochene, wenn nicht gar zertrümmerte Hand sah vollkommen unversehrt aus. Selbst die tiefen Kratzer auf der Wange, die sie ihm verpasst hatte, waren nicht mehr zu sehen. Sie brachte kein vernünftiges Wort heraus. Ihr Hirn befand sich noch im Ruhemodus.

»Komm schon, du wirst es nicht bereuen. In ein paar Tagen wirst du auch das verstehen.« Sein Ton war einladend und Arianna musste sich daran erinnern, dass es ihr Entführer war, der hier vor ihr stand.

»Du wirst mir nicht dabei zusehen, wie ich mich umziehe!« Auch wenn Konstantin wirklich gut aussah, veranstaltete sie garantiert keinen Striptease für ihn! Eine Neuauflage des Stockholm-Syndroms würde es in dieser Hütte nicht geben.

»Danke, kein Bedarf. Nimm deine Klamotten mit ins Bad. Ich werde davor warten.«

Arianna schnaubte. Moment, war sie allen Ernstes gekränkt, weil er sie nicht nackt sehen wollte? Irgendetwas stimmte mit ihr in letzter Zeit wirklich nicht, wenn ihr schon solche Gedanken kamen. Manche Dinge ergaben in ihrem Kopf keinen richtigen Sinn. Jedoch war Arianna nicht in der Lage, den Finger daraufzulegen und den Ursprung für das Chaos zu finden. Es war ja wohl so was von egal, was Konstantin von ihr hielt! Sie liebte Zac und er sie ebenfalls. Oder etwa nicht? Schon wieder wurde sie von Zweifeln gequält.

Entschlossen stand Arianna auf und wühlte in der Reisetasche nach frischen Klamotten. Die Männer hatten an alles gedacht und sie musste nicht verwahrlosen. Nicht nur diverse Outfits, sondern auch eine Jacke und allerhand Hygieneprodukte waren dabei. Das war fast schon aufmerksam von ihnen. Nur wozu bräuchte sie für wenige Tage drei Packungen Tampons? Männer! Geduscht hatte sie gestern Abend, daher würde eine kurze Wäsche reichen.

Mit verschränkten Armen lehnte Konstantin im Türrahmen und wartete auf sie. Als sie alles beisammenhatte, fasste Arianna einen Entschluss. Erstens: Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Zweitens: Sobald sich eine Gelegenheit bot, floh sie von hier. Im Wald gab es jede Menge Möglichkeiten, sich zu verstecken.

Erhobenen Hauptes stapfte sie an Konstantin vorbei und steuerte das Bad an. Sobald sie drin war, knallte Arianna ihm die Tür vor der Nase zu. Diese kurze Zeit, in der sie niemand beobachtete, würde sie genießen und auskosten, solange es ging.

Im gestrigen Dämmerlicht hatte sie nicht mehr allzu viel erkannt, daher untersuchte sie das Dachfenster noch einmal. Blöderweise war es außerhalb ihrer Reichweite. Man öffnete es mit einer Griffverlängerung und selbst damit konnte es nur angekippt werden. Flucht durchs Fenster fiel aus.

»Arianna?«

Sie gab keine Antwort.

»Sag etwas oder ich komme rein«, drohte Konstantin.

Wütend schnaubte Arianna. »Ich sitze auf der Toilette! Zufrieden? Kannst du nicht wenigstens ein paar Schritte den Flur runter warten? Das ist echt peinlich, zu wissen, dass du direkt vor der Tür stehst.«

»Glaub mir, ich bin auch nicht scharf darauf, dir bei so was Gesellschaft zu leisten, geschweige denn dir dabei zuzuhören. Wir kommen beide nicht drum herum«, erwiderte er trocken.

Hatte er gerade wirklich zuhören gesagt?! Die Tage in Gefangenschaft würden zu einer schlimmeren Folter, als Arianna es bislang für möglich gehalten hatte! Mit knallrotem Kopf beendete sie die Morgen­toilette und kam wieder auf den Flur.

Konstantin machte bei ihrem Anblick eine auffordernde Geste Richtung Treppe. »Ladys first.«

Als ob! Er wollte sie doch bloß nicht aus den Augen lassen. Garantiert fürchtete er, sie stieß ihn runter, sobald er ihr den Rücken zukehrte. Artig tat Arianna ihm den Gefallen und ging langsam die Treppe hinunter. Wenn die Flucht gelingen sollte, musste sie ihre Entführer zunächst in Sicherheit wiegen.

Sie wurde von Konstantin in die Küche geschoben. Dort steckte er den Kopf in den Kühlschrank. Die einzelnen Fächer quollen über vor lauter Lebensmitteln. Sie waren tatsächlich für eine Woche versorgt.

»Spiegel- oder Rühreier?«, fragte er über die Schulter.

»Rühreier«, gab sie knapp zurück.

Konstantin zog die Schachtel mit den Eiern hervor und stellte sie auf die Kochinsel. Arianna schwang sich auf einen der Barhocker und sah ihm zu. Das könnte interessant werden.

»Okay, Veganerin bist du schon mal nicht«, stellte er fest. »Vegetarierin?«

»Auch nicht.«

Nachdenklich kratzte Konstantin sich am Ohr. Er hielt eine Packung Speck in der Hand und machte keine Anstalten, sie zu den Eiern zu legen.

»Stimmt was nicht?«

»Ich habe das Gefühl, egal was ich sage, es wird falsch sein.«

Arianna kicherte unwillkürlich. »Falls du mich gerade möglichst taktvoll fragen willst, ob ich auch Speck möchte, dann ja, bitte. Ich liebe Speck!«

»Das wäre geklärt. Wie steht es mit Gluten oder Lactose? Hast du Allergien?«, wollte Konstantin als Nächstes wissen.

»Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?« Arianna zog verwundert die Augenbrauen hoch.

»Hey, ich versuche hier möglichst rücksichtsvoll zu sein, weil ich für uns kochen werde. Ich fände es einfach schade, wenn du, aus welchen Gründen auch immer, nicht mitessen könntest, und will dem vorbeugen.«

Das war überraschend aufmerksam von ihm. »Ich vertrage keine Haselnüsse.«

»Okay, mehr Nutella für mich«, stellte er mit frechem Grinsen fest.

Arianna grinste zurück. Das süße Teufelszeug durfte er gern behalten, wäre sowieso schlecht für die Figur.

Als Nächstes durchwühlte er die Küchenschränke, bis er zwei Pfannen zutage gefördert hatte. In der einen drapierte er die rohen Speckstreifen, in die andere schlug er die Eier, verquirlte und würzte sie. Das machte er definitiv nicht zum ersten Mal. Nebenbei fütterte er den Toaster mit Brot und schnitt Obst auf.

Ein köstlicher Geruch breitete sich in der Küche aus und Arianna sog ihn gierig ein. Sie wurde wehmütig. Das letzte Mal, dass ihr jemand Frühstück gemacht hatte, war mindestens zehn Jahre her. Damals war sie noch zur Grundschule gegangen und es war ihre Mutter gewesen. So was taten Mütter eben. Warum hatte Zac ihr eigentlich nie Frühstück gemacht? Wenigstens am Valentinstag. Wenn sie so darüber nachdachte, ließ ihr Verlobter sich ganz schön von ihr bedienen.

»Alles okay?« Konstantin beobachtete sie mit gerunzelter Stirn. Bei diesem Blick könnte man echt schwach werden. Dazu ein selbst gemachtes Frühstück in Kombination …

Vergiss. Nicht. Wer. Er. Ist!

Ja, war sie denn vollkommen verrückt und so leicht zu kaufen? Er wartete auf eine Antwort.

»Soll ich schon mal den Tisch decken?« Natürlich wich sie der Frage aus. Er konnte sie nicht zum Antworten zwingen. Obwohl, genau genommen könnte Konstantin das doch. Andererseits hatte er versprochen, ihr nichts anzutun, sie gut zu behandeln und nach ein paar Tagen sogar wieder gehen zu lassen. Es war verrückt, ein Teil von ihr glaubte ihm.

»Das wäre nett«, sagte Konstantin schließlich, als er einsah, keine andere Antwort von ihr zu erhalten.

Eifrig suchte Arianna nach Geschirr und Besteck sowie Untersetzer für die Pfannen und stellte alles auf den Wohnzimmertisch. Dann schaltete sie den Fernseher an. So musste sie nicht allzu viel mit Konstantin reden und war von ihren widersprüchlichen Gedanken abgelenkt.

Es lief ein Morgenmagazin. Auch heute war die gestrige Verfolgungsjagd das Tagesthema. Kraftlos sank Arianna auf einen Stuhl und lauschte dem Moderatorenpaar und einem Reporter. Die dramatisch in Szene gesetzten Ereignisse unterschieden sich kaum vom Bericht des vergangenen Abends. Es war nichts von Zac zu sehen oder zu hören, wie er darum bat, seine Verlobte schnellstmöglich zu finden.

»Warum sucht er mich denn nicht?«, flüsterte Arianna zu sich selbst und kämpfte mit den Tränen.

Konstantin stellte die Pfannen auf den Tisch und sie fuhr erschrocken zusammen. Sie wartete. Er sagte nichts.

»Was denn? Dieses Mal gibst du keinen spöttischen Kommentar ab?«

Konstantin schnaubte. »Wenn du nichts Nettes sagen kannst, sag besser gar nichts. Manchmal habe selbst ich so was wie Taktgefühl.«

Schweigend aßen sie und jeder hing den eigenen Gedanken nach. Es war lecker, nur hatte Arianna keinen großen Appetit mehr. Nach einer Weile stocherte sie lustlos in den Eiern herum.

Letztendlich war es Konstantin, der das Schweigen brach. »Es wird bald besser werden. Ich würde dir so gern alles erklären, aber das darf ich nicht.« Entweder meinte er es ernst oder er war ein guter Schauspieler.

»Was hindert dich denn daran?«, fragte Arianna müde.

»Es würde dir nicht helfen, sondern genau das Gegenteil bewirken.«

»Weil ich in Ruhe entgiften soll?« Skepsis schwang in ihrer Stimme mit.

Konstantins Gesicht hellte sich auf. »Ganz genau.«

Frustriert stöhnte Arianna. »Im Kryptische-Andeutungen-Machen bist du ein ganz Großer.«

Hatte er entgegen aller logischer Erklärungen wirklich den Schlüssel zu dem Chaos in ihren Gedanken, könnte er ihn Arianna doch einfach überlassen. Was war so schlimm daran?

Nachdem sie sich ein paar Minuten angeschwiegen hatten, räusperte Konstantin sich. »Bist du satt?«

Arianna nickte und sah ihm dabei zu, wie er aufstand und den Tisch abräumte.

Als alles wieder aufgeräumt war, fragte er: »Wollen wir das Wohnzimmer ein bisschen auf den Kopf stellen? Vielleicht finden wir irgendwo ein Kartenspiel oder ein Mensch ärgere Dich nicht oder wenigstens ein paar gute Bücher?«

Gekonnt zog Arianna eine Augenbraue hoch. »Ernsthaft?«

»Wir können auch den ganzen Tag schweigend herumsitzen und aus dem Fenster starren. Dann vergeht die Zeit erst recht nicht.«

Damit brachte er Arianna auf eine Idee. Forschend sah sie aus den bodentiefen Fenstern. Es wartete ein schöner Frühlingstag auf sie wie schon die ganze Woche über.

»Ich möchte hier nicht rumsitzen. Können wir vielleicht ein bisschen spazieren gehen und frische Luft schnappen?«

Jetzt war es an Konstantin, skeptisch dreinzuschauen.

»Sag bloß, du gehörst zur Fraktion Spaziermuffel?«, stichelte Arianna. Er sollte ihr die Bitte nicht allzu schnell abschlagen.

»Wir gehen ein Stück. Lass uns die Jacken holen. Morgens ist es zu kühl ohne.«

Mit neuem Elan rutschte Arianna vom Stuhl und flitzte möglichst lautlos die Treppe hoch. Leo sollte auf jeden Fall noch ein bisschen länger schlafen. Es wäre schon schwierig genug, Konstantin loszuwerden.

Fünf Minuten später standen sie vor der Hütte und gingen los. Schweigend liefen sie den Waldweg entlang. Arianna sah sich aufmerksam um und kundschaftete die Gegend aus. Wie gestern bereits befürchtet, waren sie im tiefsten Wald gelandet. Die Besorgnis, die deshalb in ihr aufstieg, schob sie rigoros beiseite. Arianna brauchte einen Plan, und zwar schnell.

Sobald sie Konstantin entwischte, konnte sie sich immer noch orientieren. Irgendwann käme sie dann schon zu einer Straße. Wenn sie erst mal wieder unter anderen Menschen war, half man ihr garantiert.

»Suchst du was?«, fragte Konstantin.

Ja, einen Fluchtweg … »Wieso fragst du?« Arianna gab sich möglichst unschuldig.

»Du siehst dich nach allen Seiten um, und das schon die ganze Zeit.«

Nervös biss sie in ihre Unterlippe. »Ich sehe mir nur die Blumen an«, antwortete sie schließlich. Es stimmte, der Waldboden war bedeckt von bunten Frühjahrsblühern. Auch wenn Arianna sie bis eben nicht beachtet hatte, so waren sie unleugbar schön. Ostern lag gerade erst hinter ihnen und der Frühling zeigte sich in seiner ganzen Pracht.

Jetzt sah auch Konstantin sich interessiert um. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Was ihm wohl durch den Kopf ging? Andererseits konnte Arianna das herzlich egal sein. Sie witterte ihre Chance und nutzte sie.

»Die da hinten waren besonders hübsch«, sagte sie leichthin und deutete zurück.

Konstantin fiel tatsächlich darauf rein und drehte sich um. Entweder er war naiv oder sich seiner Sache zu sicher. Sofort rannte Arianna los. All ihre Kraft legte sie in diesen Sprint. Wenn sie es schaffte, aus seinem Blickfeld zu verschwinden, konnte sie ein Versteck finden und entkommen.

»Scheiße!«, fluchte Konstantin, sobald er den Fluchtversuch bemerkte, und stürmte ihr hinterher.

Zwar rannte Arianna so schnell wie sie konnte, trotzdem kamen Konstantins stapfende Schritte näher. »Bleib stehen!«, rief er atemlos. »Wenn du jetzt zurückgehst, wird es gefährlich für dich.«

Arianna hörte nicht auf ihn. An seiner Stelle würde sie sonst was erfinden, um ihr Opfer einzuwickeln. Sie tauchte unter einen tief hängenden Ast und sprang durch ein Gebüsch. An dessen stacheligen Zweigen blieb ihre Jacke hängen und Arianna hörte den Stoff reißen.

Sie hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Hinter dem Strauch fiel der schmale Weg steil ab. Panisch versuchte Arianna, einen Haken zu schlagen. Sie war zu schnell. Ihre Füße schlitterten durch den Matsch und sie knickte um. Gleich würde sie in den Abgrund stürzen. Panisch kniff sie die Augen zu. Sie wollte nicht sehen, was unter ihr lag.

Arianna verlor das Gleichgewicht und fiel. Konstantin erreichte sie und griff nach ihrem Arm. Er konnte sie auf dem abschüssigen Gelände nicht halten und wurde mit in die Tiefe gerissen.

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