Читать книгу Die Rache der Mondgöttin - Stefanie Kullick - Страница 9

Оглавление

Prolog

Frankfurt am Main, Goethe Universität

12. März 2018 etwa 23:40 Uhr

Konstantin

Die Musik dröhnte aus den Boxen in den Ecken und die kleine Lichtorgel ließ fast so etwas wie Discoatmosphäre aufkommen. Gut, nicht wirklich, die sinkende Luftqualität sorgte eher für dieses Gefühl. In dem Kellerraum wurde es immer voller und stickiger.

Konstantin nippte an seinem Bier und beobachtete die Gäste. Heute war Montag, woran sich niemand störte. Die meisten von ihnen schwänzten morgen früh einfach die erste Vorlesung und schliefen aus. Die Leute ließen sich kaum noch zählen und sie alle waren wegen seiner Party gekommen. Nur mit Ellbogeneinsatz bahnte man sich einen Weg durch den Raum. Garantiert verstieß das gegen irgendwelche Brandschutzvorschriften. Andererseits hatte Konstantin beim Hausmeister des Studentenwohnheims einen Stein im Brett, sonst hätte er den Raum gar nicht erst nutzen dürfen.

Dieses Privileg gestattete Herr Schulz, der mit Argusaugen über den ihm zugewiesenen Gebäudekomplex wachte, nur wenigen. Konstantin wusste, wie man sich Freunde machte, und hatte direkt am Tag des Einzugs ins Wohnheim damit begonnen. Das Ergebnis der fast zweijährigen Bemühungen fand sich heute geballt auf knapp fünfzig Quadratmetern.

Von der Seite wurde er umschlungen und Julia drückte ihm einen Kuss auf den Hals. »Hallo, Geburtstagskind«, säuselte sie ihm beschwipst ins Ohr. »Genießt du die Party?«

Konstantin wollte sich zu seiner Freundin umdrehen, doch wurde er durch den Klammergriff daran gehindert. Daher rief er über die Schulter: »Noch habe ich nicht Geburtstag, aber ja, es ist nicht schlecht geworden.«

»Diese fünfzehn Minuten zählen doch nicht.« Julia verdrehte übertrieben die Augen. »Freust du dich auch schon aufs Geschenkeaus­packen?« Sie drückte sich fester an ihn und presste die Brüste gegen seinen Arm. Dadurch gewährte sie Konstantin einen ausgezeichneten Blick in ihr Dekolleté. Unter dem tief ausgeschnittenen Top lugte ein roter Spitzen-BH hervor, den er ganz sicher noch nicht kannte. Anlässlich seines Geburtstags hatte sie sich in Schale geschmissen.

Sie waren seit dem Abi ein Paar, folglich kannte er sich mit Julias Unterwäsche bestens aus. »Auf dieses Geschenk freue ich mich ganz besonders«, beantwortete er die Frage grinsend. Konstantin, der einen Kopf größer war, beugte sich zu ihr und küsste sie.

Daraufhin lockerte Julia den Griff und gab ihm die Möglichkeit, sich in ihren Armen zu drehen. Kichernd öffnete sie die Lippen und neckte ihn mit der Zunge, dasselbe zu tun. Julia wusste, welche Wirkung sie auf ihn hatte, und nutzte das oftmals schamlos aus.

»Nehmt euch ein Zimmer!«, rief einer seiner Kumpel.

Jemand haute ihm kräftig auf die Schulter und beendete abrupt den Kuss. Sie schlugen mit den Zähnen aneinander und Konstantin drehte sich fluchend um.

»Das ist Erregung öffentlichen Ärgernisses!« Lukas sah ihn mit leuchtenden Augen an. Ganz offensichtlich hatte sein bester Freund schon tief ins Glas geschaut – oder eher in den Pappbecher.

»Sag mal, geht’s noch?!«, echauffierte sich Julia, wobei sie sich eine Hand auf den Mund drückte.

Lukas ignorierte sie komplett. Das Grinsen wurde immer breiter. »Kon, dafür könnte ich dich anzeigen.«

»Als ob, und selbst wenn, hättest du keine Chance. Meine Kreuzverhöre sind besser als deine. Das weißt du ganz genau.«

Bevor sein Kumpel etwas hätte erwidern können, kam Julia ihm zuvor: »Wenn das wieder ausartet, haue ich ab! Die Einzigen, die es lustig finden, sich Paragrafen und Gesetzestexte um die Ohren zu hauen, seid ihr selbst.« Ihr Schnauben war durch den Lärm nicht zu hören. Konstantin erkannte es daran, wie sich Julias Nasenflügel blähten.

»Lass dich nicht ärgern, Schatz. Lukas ist einfach neidisch und erträgt den Zustand als Dauersingle mit steigendem Pegel immer schlechter.« Er griff seine Freundin um die Taille und zog sie an sich. Ein kleiner Kuss auf die Wange würde die Wogen ausreichend glätten.

Julia wurde wieder locker und ließ die verschränkten Arme sinken. Jedoch ließ sie es sich nicht nehmen, Lukas einen finsteren Blick zuzuwerfen. Nüchtern waren sie ein Herz und eine Seele, besoffen gingen sie einander regelmäßig auf den Geist. Lukas wurde nervig und Julia zickig. Dann war es an Konstantin, zu vermitteln und zu verhindern, dass einer von beiden etwas sagte, was ihm mit klarem Kopf leidtäte.

Schlagartig verstummte die Musik und jemand rief laut: »Zehn!« Weitere Gäste stimmten ein. Bei »Acht!« hatte es auch der letzte begriffen und zählte den Countdown mit. Sobald sie bei null an­­kamen, wurden alle möglichen Glückwünsche durcheinandergebrüllt.

»Happy birthday!« Julia umfasste sein Gesicht und küsste ihn.

Konstantin war davon etwas überrumpelt und erwiderte den Kuss mit offenen Augen. Julia löste sich schnell von ihm. Offenbar wollte sie den anderen auch die Chance geben, ihm persönlich zu gratulieren. Seine Freunde hatten ihn umringt und warteten darauf, an die Reihe zu kommen.

»Alles Gute zur zweiten Null, Alter!«, rief Lukas hinter ihm und war der Meinung, ihm schon wieder auf die Schulter hauen zu müssen.

In ihrer Mitte leuchtete ein orangenes Licht auf und blendete ihn. Schützend hob er die Hand und schirmte die Augen ab. Konstantin befürchtete, etwas hätte Feuer gefangen. Das Licht wurde blasser und schrumpfte in sich zusammen, bis es einen Radius von etwa zehn Zentimetern hatte. Trudelnd schwebte es in der Luft.

»Hast du einen Geist gesehen?«, fragte Julia irritiert.

Konstantin konnte kaum den Blick abwenden. Trotzdem zwang er sich, seiner Freundin ins Gesicht zu sehen. »Woher soll ich denn wissen, ob das ein Geist oder was auch immer ist?« Nervös fuchtelte er in Richtung des Lichts, das gar nicht einsah, wieder zu verschwinden.

Julias Blick huschte in die Richtung, in die er deutete. Ihr Stirnrunzeln verstärkte sich. »Was siehst du denn da? Ist mit dir alles in Ordnung, Kon? Hast du zu viel getrunken?«

Gerade wollte Konstantin sie fragen, wie man diese Beinahe­explosion hätte übersehen können. Er klappte den Mund wieder zu. Stattdessen starrte er in die Gesichter seiner Freunde. Keiner von ihnen sah zum Licht. Sie alle blickten ihn an. Und die Blicke sprachen Bände. Von spöttisch über zweifelnd bis mitleidig war alles dabei.

Erlaubten sie sich einen Scherz mit ihm? War es ein Test? Nein, dann hätte spätestens jetzt einer von ihnen gelacht oder zu dem Licht gesehen, doch das tat niemand. Sie wollten ihn weder verarschen noch hielt irgendjemand das Handy hoch für eines dieser dämlichen Prank-Videos.

Außer ihm selbst sah niemand den fliegenden Lichtball. Aus dem erklang ein leises Kichern und Konstantin gingen fast die Augen über. Das Licht setzte sich in Bewegung und schwebte auf ihn zu. Er wich einen Schritt zurück und rempelte jemanden an.

»Kon, jetzt lass den Scheiß! Langsam machst du mir Angst.« Julias Stimmung schwankte zwischen wütend und besorgt.

Unbeeindruckt hielt das Licht auf ihn zu. Am liebsten wäre Konstantin weiter zurückgewichen. Spätestens dann hätten seine Freunde ihn für komplett irre erklärt. Jetzt schwebte es direkt vor seinem Gesicht. Es strahlte eine leichte Wärme aus. Konstantins Augen tränten, weil er den Blick nicht von dem Leuchten abwenden konnte. Das Licht stupste gegen seine Stirn. Wo es ihn berührte, prickelte die Haut.

Und dann geschah es.

»Antares«, hauchte Konstantin fassungslos.

Alle sahen ihn verwirrt an, aber das bekam er gar nicht mit. Bilder durchfluteten seinen Kopf in einem Tempo, das ihn schwindeln ließ. Konstantin fasste sich an die Stirn und stöhnte. Es war zu schnell, zu viel. Er vergaß, wo und wer er war. Was ging hier vor sich?

Als es vorbei war, wusste er nicht mehr, wie lange es gedauert hatte. Seine Gäste standen alle noch am selben Fleck. Es waren höchstens Minuten vergangen, falls überhaupt. Doch es hatte ausgereicht, ihn maßgeblich zu verändern.

Konstantin war nicht länger der Jurastudent aus gutem Haus, Bester seines Jahrgangs, in einer festen Beziehung mit dem hübschesten Mädchen der Sozialwissenschaftsstudenten. Alles, was er während der letzten zwanzig Jahre gewesen war oder hatte sein wollen, war nicht mehr wichtig. Dafür wog die Last der Erinnerungen von Jahrtausenden zu schwer.

»Immer wieder lustig zu sehen, was für ein blödes Gesicht du in diesem Moment machst, Scorpio«, begrüßte ihn das Licht spöttisch.

Sein Begleitstern hatte ihn pünktlich zum zwanzigsten Geburtstag geweckt. Konstantin zählte nicht mehr, wie oft sie sich schon in dieser Situation befunden hatten. Die Menschen, die ihn umringten, verloren jegliche Bedeutung. Er spürte nur einen schwachen Widerhall seiner Gefühle für sie, und auch dieser würde allzu bald verblassen.

»Es ist lange her. Lass uns gehen.« Mit einem letzten Blick in die Runde setzte Konstantin sich in Bewegung. Antares schwebte über seiner Schulter und begleitete ihn.

Weit kamen sie nicht. Jemand hielt ihn am Arm fest. Es war Julia. »Mit wem redest du?« Sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Konstantin seufzte. Wenigstens ein paar letzte Worte schuldete er ihr. »Es tut mir leid, ich kann nicht länger mit dir zusammen sein. Ich mach Schluss.«

Ihre Hand zitterte auf seiner Haut. Sie käme über ihn hinweg und fände schon bald einen anderen. Verehrer hatte Julia mehr als genug. Konstantin löste sich von ihr und steuerte die Tür an.

»Was soll das denn jetzt?!«, rief Lukas ihm hinterher.

»Am besten ihr vergesst alle, dass es mich jemals gegeben hat«, sagte Konstantin, ohne sich umzudrehen. Er verließ den stickigen Kellerraum und ging zur Treppe.

»Kon? Hey, Kon, ich rede mit dir!« Lukas steckte den Kopf durch den Türrahmen.

Konstantin ignorierte ihn und setzte seinen Weg fort.

Endlich war er aus dem Wohnheim draußen. Die kühle Nachtluft tat ihm gut. Er atmete tief ein und ordnete die endlosen Erinnerungen im Kopf.

»Das Dream-Team ist wieder vereint«, summte Antares fröhlich und das orangene Leuchten pulsierte leicht. Wie immer, wenn der Stern besonders guter Laune war.

Konstantin lächelte schief. »Das sind wir. Bring mich zu den anderen.« Das Bedürfnis, zu Selene zu eilen, wurde mit jeder Minute drängender. Nur wenn der Pakt erneuert wurde, ließ das Ziehen in der Brust nach. Die Magie der Mondgöttin band ihn schon jetzt. Gemeinsam verschwanden sie in der Nacht.

Scorpio war erwacht und mit ihm zehn weitere seiner Gefährten. Doch was war mit dem zwölften geschehen?

Zur selben Zeit in einer Höhle auf dem Berg Latmos

Selene

Die abnehmende Mondsichel war noch nicht aufgegangen, doch das war nicht von Belang. Sobald die Nacht anbrach, übernahm Selene die Herrschaft über den Himmel. Nur dann war es ihr möglich, hier zu sein. Sie saß am Lager ihres geliebten Endymion und betrachtete das vom Sternenlicht erleuchtete Antlitz. Zärtlich strich sie mit den Fingerspitzen über die schwarzen Locken.

Er hatte die Augen geschlossen und es fiel Selene schwer, sich an deren Farbe zu erinnern. Viel zu lange schon hatten sich diese wunder­schönen Augen nicht mehr geöffnet. Nur das leichte Heben und Senken der Brust und der sanfte Herzschlag zeugten von Leben.

Mit bebenden Lippen küsste Selene ihn. Es war ein kurzer und einseitiger Kuss, der nicht erwidert wurde – noch nicht.

»Dieses Mal gelingt es. Das muss es einfach. Ich werde endlich den Bann brechen.« Langsam erhob sich Selene und verließ die Höhle. Sie sah über die Schulter und prägte sich das Bild ihres Geliebten gut ein. Bis zum Sommer bliebe sie diesem Ort fern. Man würde sie erwarten und ihr auflauern, nun, da ihre Getreuen erwacht waren.

Zeit für Besuche hatte sie ohnehin nicht. Es gab jede Menge zu tun und die Frist betrug lediglich vier Monate.

Die Rache der Mondgöttin

Подняться наверх