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ALLER ANFANG IST BINDUNG

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Wann fängt die Bindung zwischen Eltern und Kind an? Mit dem Tag der Zeugung? Während der Schwangerschaft? Mit dem Tag der Geburt? Zumindest werden wir mit der Geburt unseres ersten Kindes definitiv als Eltern angesehen und von der Gesellschaft als Vater und Mutter definiert. Von außen betrachtet, beginnt hier die Eltern-Kind-Beziehung. Faktisch sind wir schon vom ersten Tag an ein Teil der Eltern-Kind-Beziehung – und damit Teil einer Verbindung, die im Regelfall ein Leben lang bestehen bleibt.

Doch Beziehung ist nicht gleich Bindung. Lieben wir unser Kind automatisch? Sind wir an unser Kind gebunden? Nein. Wir können zwar die biologische Beziehung zu unserem Kind nicht abbrechen, aber es kann durchaus passieren, dass Eltern keine emotionale Bindung zu ihrem Kind aufbauen. Bindung ist ein aktiver Prozess auf beiden Seiten: auf der Seite des Kindes wie auf der Seite der Eltern. Der Säugling ist ganz auf Bindung ausgerichtet. So wendet er zum Beispiel seinen Kopf spontan dahin, wo es nach Mama riecht.1 Die Mutter ist durch ihre Schwangerschaft, die Geburt und das Stillen, ebenso wie das Kind, biologisch auf Bindung vorbereitet. Sie erkennt zum Beispiel ebenfalls treffsicher den Strampler ihres Kindes am Geruch. Man könnte es auch so ausdrücken: Mütter haben gegenüber Vätern einen Bindungsvorsprung. Trotzdem müssen sich beide erst einmal an die Elternschaft gewöhnen. Damit sich eine echte Bindung zwischen Eltern und Kind aufbaut, braucht es eine Entscheidung. Die Entscheidung: »Ja, ich will Mutter sein« beziehungsweise »Ja, ich will Vater sein«. Dies bedeutet, dass die Eltern sich voll und ganz dazu bereit erklären, Verantwortung für den kleinen Menschen zu übernehmen und innerlich zu sagen: »Du gehörst zu mir. Ich nehme dich an, so wie du bist.«

Durch die stärkere körperliche Nähe zum Kind haben Mütter es meist etwas leichter, die Bindung anzunehmen.

Der Vater bleibt dann manchmal außen vor. Er muss sich unter Umständen mehr anstrengen, um das Kind innerlich anzunehmen. »Ich habe darauf gewartet, dass die große Vaterliebe über mich kommt«, berichtet uns ein Vater und resümiert etwas enttäuscht: »aber vergebens.« Manche schämen sich auch, weil sie sich eben (noch) nicht an das Kind gebunden haben und nicht die gleiche Vernarrtheit spüren, die die Mutter erfasst zu haben scheint. Und manchmal werden Väter sogar von Neid und Eifersucht geplagt. Sie neiden der Mutter (und dem Kind) den innigen Kontakt miteinander. Die Väter, die sich ihre Gefühle eingestehen, können sich oft besser dem Kind zuwenden, weil sie dann niemandem etwas vormachen müssen, weder sich selbst noch der Partnerin. Sie bleiben authentisch, wodurch auch eine echte Vater-Kind-Begegnung möglich wird. Denn auf der Basis von Heuchelei kann sich keine tiefe Liebe zum Kind entwickeln. Die Ehrlichkeit mit sich selbst gibt dem Vater die Möglichkeit, seine eigene Art von Bindung aufzubauen. Vielleicht ist sie am Ende wirklich etwas lockerer als die mütterliche. Doch das Kind wird spüren, dass es angenommen und geliebt ist.

Väter, die grundsätzlich die Entscheidung getroffen haben, ihr Kind anzunehmen, entwickeln hingegen schnell eine innige Bindung zu ihm. Zum einen ist es gerade beim Säugling die körperliche Nähe, die Bindung vermittelt. Zum anderen zeigen Studien: Wenn Väter ihr Kind ganz selbstverständlich versorgen – es herumtragen, mit ihm schmusen, es anziehen und windeln –, dann wird bei ihnen das gleiche Bindungshormon freigesetzt wie bei den Müttern.

Zugewandte, liebende Väter haben genauso gute Chancen, eine sehr enge Beziehung zu ihrem Kind zu entwickeln wie liebende Mütter (siehe auch Exkurs: Mütter und Väter – die Stärken der beiden Elternteile ab >).

Du siehst: Bindung ist die Basis für jede Beziehungsfähigkeit. Sie ist das Fundament unserer Psyche. Doch sie ergibt sich nicht von allein. Sie entsteht immer im Wechselspiel zwischen Säugling oder Kind mit seiner Mutter und seinem Vater.

Nestwärme, die Flügel verleiht

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