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WENN ES SO EINFACH WÄRE …

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Alle Eltern wünschen sich natürlich, dass sie ihr Kind vom allerersten Tag an von Herzen lieb haben und dass sich dann alles andere irgendwie von alleine ergibt. Sie wünschen sich, dass ihr Kind zu einem glücklichen und beziehungsfähigen Erwachsenen heranwächst. Und tatsächlich ist die Fähigkeit der Eltern, ihr Kind so anzunehmen und lieb zu haben, wie es ist, eine Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder ihre ureigene Persönlichkeit entwickeln, innerlich stark und zufrieden werden. Leider stellt sich das in der Theorie einfache »Wir haben uns lieb« in der Praxis so manches Mal als große Herausforderung dar. Ohne es zu wollen, folgen wir häufig in der Erziehung nicht unseren eigenen Vorstellungen, sondern geben wie fremdgesteuert die Erfahrung weiter, die wir selbst als Kinder gemacht haben.

Fast jeder von uns kennt das: Man wollte nie so sein wie die eigenen Eltern. Doch plötzlich steht man im Flur oder im Wohnzimmer und schreit die gleichen Worte heraus wie einst der Vater oder die Mutter.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Susanne sitzt mit ihrer achtjährigen Tochter Marie am Küchentisch und übt mit ihr das kleine Einmaleins. Die Mutter ist unterschwellig unruhig, weil sie noch ein wichtiges berufliches Telefonat führen müsste. Und als Marie zum fünften Mal hintereinander nicht weiß, dass sieben mal acht sechsundfünfzig ergibt, sagt Susanne genervt zu ihrem Kind: »Du bist zu dumm, um ein Loch in den Schnee zu pinkeln.« Kaum hat sie das gesagt, erschreckt sie sich sehr. Genau mit diesem Spruch hatte ihr Vater sie immer wieder verletzt.

Wie kann es dazu kommen, dass wir, wie auf Autopilot gestellt, genau die gleichen Sätze sagen wie früher der Vater oder die Mutter? Was hier wirkt, sind »transgenerationale Übertragungsphänomene« oder alltagssprachlich: Wir sind in einem alten Film gefangen. Wir machen das Verhalten unserer Eltern nach. Sie waren unser Vorbild für Elternschaft, und das hat uns so tief geprägt, dass wir – obwohl wir uns fest vorgenommen hatten, nie so zu werden wie sie – in Abwandlung genau das Gleiche tun. Vielfach haben wir uns sogar ein Gegenideal entworfen und achten akribisch darauf, alles richtig zu machen. Doch vor allem, wenn es stressig wird, schnappt die Prägungsfalle zu und wir behandeln unsere Kinder so, wie wir es nie wollten. Wir torpedieren unser Erziehungsideal und schreien beispielsweise die Kinder an, obwohl wir sie keinesfalls anschreien wollten. Es scheint so zu sein, als wäre unser Wille, anders zu handeln, nicht ausreichend. Und mit diesem Gefühl liegen wir auch richtig. Ein gutes Modell, um die Begrenztheit des Willens zu verstehen, ist der Elefantenreiter. Der Reiter, unser Wille, sitzt zwar oben und hat auch die Zügel in der Hand. Aber wenn der fünftausend Kilo schwere Elefant nicht will, hat der Reiter keine Chance, sich durchzusetzen. Der Elefant steht für unsere emotionalen und teilweise unbewussten inneren Vorgänge, welche ihrerseits stark durch die Erfahrungen beeinflusst sind, die wir in der Kindheit gemacht haben.

Nestwärme, die Flügel verleiht

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