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ALLEINERZIEHEND – EINE MAMMUTAUFGABE

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Im vorherigen Abschnitt sind wir zwar schon darauf eingegangen, was eine Trennung für ein Kind bedeutet, aber wir haben die Situation von Alleinerziehenden noch nicht genug gewürdigt. Sie ist nämlich alles andere als einfach. Nicht selten ist es so, dass der andere Elternteil nicht präsent ist oder extrem unzuverlässig. Oft gibt es auch erhebliche Probleme in der Kommunikation oder in der Kooperation mit dem Ex-Partner oder der Ex-Partnerin. Häufig haben die beiden auch unterschiedliche Erziehungsvorstellungen. Machtkämpfe, wer wie viel Zeit mit dem Kind verbringt und wer welche Aufgaben übernimmt, sind eher die Regel als die Ausnahme. Hinzu kommen häufig noch wirtschaftliche Sorgen und eine Unzufriedenheit mit der Familiensituation.

Für viele alleinerziehende Mütter (es gibt im Verhältnis dazu relativ wenige alleinerziehende Väter) ist die Familienkonstellation »allein mit Kind oder mehreren Kindern« nicht das, was sie sich ursprünglich gewünscht haben. Sie hätten lieber einen Partner an ihrer Seite.3

Selbstverständlich ist das nicht bei allen Alleinerziehenden der Fall. Manche alleinerziehenden Eltern sind bestimmt erleichtert, dass sie vom Partner oder von der Partnerin getrennt sind. Andere sind finanziell gut abgesichert und wiederum andere finden mit ihrem Ex-Partner oder ihrer Ex-Partnerin nach der Trennung eine gute freundschaftliche Ebene.

Doch fast alle alleinerziehenden Väter und Mütter haben eine sehr enge Beziehung zu ihren Kindern. Die kleine Familie rückt, bildlich gesprochen, im Nest noch enger zusammen. Für das Kind ist der Elternteil, mit dem es überwiegend zusammenlebt, die Hauptbindungsperson und damit der wichtigste Mensch – der hellste Stern am Himmel. Das Kind ist dadurch ganz besonders darauf angewiesen, dass die Mama oder der Papa einfühlsam und ausgeglichen ist. Eine mit uns befreundete alleinerziehende Mutter hat es einmal so formuliert: »Meine Stimmung schwappt immer auf die Kinder über. Wenn ich morgens fröhlich aufstehe, stehen sie auch fröhlich auf. – If mama ain’t happy nobody ain’t happy.« Damit liegt auf den Schultern des alleinerziehenden Elternteils eine besonders große Verantwortung für die Gestaltung der Beziehung.

Die Fragen »Kann ich meinem Kind die Nestwärme geben, die es braucht?« und »Kann ich mein Kind zum richtigen Zeitpunkt loslassen?« muss die oder der Alleinerziehende oft alleine beantworten.

Viele Alleinerziehende berichten, dass sie sich müde und erschöpft fühlen. Kein Wunder. Auf ihnen lastet durchgängig der Druck, immer funktionieren zu müssen, ob Tag oder Nacht, im Job oder am Wochenende. Zu schwächeln ist nicht vorgesehen. Sogar wenn sie krank sind, müssen sie ihr Kind versorgen. Alleinerziehende sind »Mädchen für alles«. Die Wohnung putzen, zum Elternabend gehen, an den Kinderarzttermin denken – alles muss der oder die Alleinerziehende in der Regel alleine managen. Es fehlt die Zeit, die Seele baumeln zu lassen und einfach einmal abzuschalten. In solchen Belastungssituationen sind wir anfällig dafür, dass wir gestresst reagieren und in »alte« Prägungen und Muster verfallen. Wir sagen womöglich Dinge zu unseren Kindern, die wir hinterher bereuen.

Ines, eine alleinerziehende Mutter und Teilnehmerin eines unserer Seminare, hat uns erzählt, wie sie in einem stressigen Moment zu ihrer Tochter Luisa sagte: »Deinetwegen habe ich jetzt Kopfweh.« Dabei wollte sie sich derlei Bemerkungen um jeden Preis verkneifen. Sie hat nämlich selbst als Kind sehr unter den Schuldgefühlen gelitten, die ihre kränkliche Mutter ihr mit ähnlichen Bemerkungen eingeimpft hatte. In Stresssituationen sind wir dünnhäutiger und anfällig dafür, dass wir wie auf Autopilot alte Muster wiederholen. Die Prägungsfalle schnappt dann schneller zu. Damit das nicht passiert, müssen Alleinerziehende besonders gut für sich sorgen.

Jetzt wirst du als alleinerziehende Mutter oder als alleinerziehender Vater bestimmt denken: »Das geht bei mir nicht. Die haben ja keine Ahnung, wie durchgetaktet mein Alltag ist.« Sich trotz dieser Belastung Zeit für sich zu nehmen ist sicherlich alles andere als einfach. Die alleinerziehende Mutter und Autorin Alexandra Widmer weist in ihrem Buch Stark und alleinerziehend4 darauf hin, dass es wichtig ist, nicht sofort das ganze Leben umkrempeln zu wollen, sondern mit kleinen Schritten anzufangen. Frage dich: »Was könnte ich noch in dieser Woche für mich tun? Was könnte das ganz konkret sein?« Formuliere dein Ziel so klein, dass du es auch umsetzen kannst. Vielleicht könntest du eine Freundin anrufen, die du schon länger nicht gesprochen hast? Dir dein Lieblingsessen kochen, obwohl die Kinder vielleicht meckern? Oder morgens etwas früher aufstehen und dich fünf Minuten in Ruhe mit der Zeitung hinsetzen? Das sind nur ein paar Ideen, in welche Richtung so ein kleines Selbstfürsorge-Projekt gehen könnte.

Weitere Tipps findest du im Abschnitt Selbstfürsorge ist Fürsorge ab >.

Alleinerziehend zu sein hat noch viele weitere Aspekte. Zum Beispiel leiden deine Kinder sehr wahrscheinlich unter der Trennung und du musst sie durch ihre Trauer um die alten Zeiten begleiten. Vielleicht gibt es Auseinandersetzungen mit dem oder der Ex wegen des Umgangs oder des Unterhalts. Es würde den Rahmen sprengen, wenn wir hier auf alles eingingen. Aber gerade weil ihr, du und dein Kind, sehr aufeinander bezogen seid, sind wir davon überzeugt, dass du von der Klärung deiner Mutter-Kind- beziehungsweise Vater-Kind-Beziehung profitieren kannst, die wir dir in diesem Buch nahebringen wollen.

Die direkte Beziehung zwischen dir und deinem Kind ist die Basis für eine gute Elternschaft. Deshalb stehen hier ab jetzt zwei Menschen im Mittelpunkt: du und dein Kind. Alle weiteren Kapitel sind so geschrieben, dass du dich mit dir selbst als Mutter oder Vater auseinandersetzen kannst – wenn du möchtest. Das bedeutet, dass jeder Elternteil sich zunächst um seine eigenen Anteile kümmert. Solltest du in der Folge für dich zu Aha-Erlebnissen kommen oder dein Verhalten ändern, fließt dies ins Familiensystem zurück.

Nestwärme, die Flügel verleiht

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