Читать книгу Faylinn - Stefanie Worbs - Страница 20

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Deak saß bereits an unserem Stammtisch und hatte sogar schon alles für ein kleines Frühstück bereitgestellt.

Er lächelte, als Lia und ich den Saal betraten und stand auf, als wir den Tisch erreichten. „Ich hoffe, ich hab alles“, sagte er und prüfte seine Vorbereitungen.

„Ich denke schon“, meinte ich und musterte sein Werk. „Das könnte mir gefallen. Jeden Morgen so ein Service.“ Ich grinste zu ihm auf.

Er erwiderte es und kam zu mir herunter. „Solange du dich benimmst“, feixte er und küsste mich ein Mal sanft. Hinter mir konnte ich mehrere der im Internat lebenden Schüler scharf einatmen hören. Ich dankte allen Göttern, dass Ohara nicht dazuzählte, dann setzte ich mich auf meinen Platz und schenkte dem Getuschel keine Beachtung. Für eine Weile herrschte Stille an unserem Tisch, dann begann Lia ein Gespräch mit Deaken. Ich hörte nur zu, schlürfte meinen Kaffee und genoss das Gefühl von Sorglosigkeit, was die beiden verbreiteten. Doch es hielt nicht lange an, denn May betrat den Saal, schaute sich um und entdeckte uns.

Sie kam herüber, bemühte sich dabei sichtlich normal zu wirken und blieb schließlich vor uns stehen. „Guten Morgen“, begrüßte sie unsere kleine Runde und erstaunt stellte ich fest, wie kleinlaut sie klang.

„Hi“, grüßten Deaken und Lia zeitgleich. Ich schwieg.

„Ich bin froh, dass du nicht gegangen bist, Fay“, meinte sie immer noch recht leise und warf mir einen schnellen Blick zu. Kurz überlegte ich, ob sie vielleicht zwei Persönlichkeiten hatte, diese von jetzt und eine die dieses Internat leitete. Deaken grinste, als er mein Stirnrunzeln sah. Ich senkte meinen Blick zu ihm und zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Ich hab doch gesagt, sie ist nur gestresst“, meinte er.

„Hast du.“ Mein Blick glitt wieder zu seiner Schwester. „Darf ich fragen, mit welcher May ich gerade rede? Mit der, die ich dachte zu kennen? Oder mit der, die denkt, sie wäre die Allmutter?“ Das war hart, doch ein besserer Begriff fiel mir grad nicht ein.

Kurz verfinsterte sich ihr Blick, doch sie sammelte sich schnell wieder. „Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Auch wenn ich immer noch der Meinung bin, dass ich in gewissen Punkten recht habe. Trotzdem hätte ich es dir persönlich sagen können. Oder besser, dich darauf hinweisen. Du hättest es nicht so hören dürfen. Das war falsch.“

„Du denkst also trotzdem noch, ich wäre ein Kind und unreif und was da noch so alles war?“

„Nein. Aber bitte, können wir das in meinem Büro besprechen? Ich möchte in Ruhe mit dir über all das reden.“ Ihr Blick wurde bittend. Worauf ich allerdings gerade am wenigsten Lust hatte, war, in Mays Büro zu hocken und mir abermals anhören zu müssen, was ich war und was nicht. Deakens Hand legte sich auf meine und sein Blick wurde ebenfalls bittend.

Ich gab nach. „Von mir aus“, seufzte ich und erhob mich.

„Darf ich auch mit, bitteee?“, flehte Lia, doch wir schüttelten alle drei die Köpfe.

„Ich erzähle es dir später, versprochen“, sagte ich und verwuschelte ihr Haar. Sie richtete es frustriert wieder und warf uns allen einen grimmigen Blick zu. Dann stand sie ohne ein Wort auf und ging zu einem ihrer Klassenkameraden an den Tisch, wo sie sich absichtlich genervt auf einen Stuhl fallen ließ und uns mit Nichtachtung strafte.

„Mhh. Das liegt wohl in der Familie“, meinte Deaken und musterte meine kleine Schwester.

Ich holte aus und traf ihn mit der Faust am Oberarm. „Klappe, Deak!“, fauchte ich, während er ein stummes Au ausstieß und sich die Stelle hielt. Ich musste lachen, denn es erinnerte mich an unsere erste Trainingseinheit, als ich ihm den Finger vor die Brust gestoßen hatte. Dabei war weder das, noch der Schlag gerade eben mit viel Kraft geschehen.

Mays Blick flog zwischen ihm und mir hin und her und ein Lächeln zuckte in ihren Mundwinkeln. „Gehen wir“, sagte sie und lief voran.

Sie erzählte mir endlich alles. Von Anfang an. Genau genommen von dem Moment an, als die Suche nach Helmstedts Nachfolger begonnen hatte. Er hatte zu der Zeit sogar noch gelebt und in Erwägung gezogen, seinen Nachfolger in die Lehre zu nehmen. Dann war er gestorben und die Suche war intensiviert worden. Sämtliche Weave Internate auf der ganzen Welt hatten nach Wisterias nächstem Hüter gesucht, nicht wie Deaken erzählt hatte, nur die auf der Insel. Doch die Schotten hatten mich schließlich gefunden. Oder besser, sie hatten meine Eltern gefunden.

Durch einen Zauber hatten sie feststellen können, dass das ungeborene Baby im Bauch meiner Mutter, ich, eine potenzielle neue Hüterin werden würde und sie behielten sie im Auge. Halfen sogar bei meiner Geburt, indem sie Zauber wirkten, die eine Frühgeburt verhinderten. Zauber, die verhinderten, dass ich eventuell mit einem Mangel zur Welt gekommen wäre. Die ausführenden Obersten hatten viele Gegner gehabt, doch am Ende hatte auch der Rest von ihnen zugestimmt, dass man eingreifen musste und man hatte sie gewähren lassen.

Auch war ich nicht die Einzige, die infrage gekommen war. Es gab noch zwei weitere Schüler. Ein indisches Mädchen und einen asiatischen Jungen. Beide waren älter als ich und ebenfalls schon auf einem Weave Internat in ihrem Land und würden Hüter werden. Allerdings kannten sie ihre Welten jetzt. Und keiner der beiden war am Ende von Wisteria gewählt worden.

Ich hätte mit frühestens 10 oder spätestens 16 Jahren Post bekommen sollen, dass es eine Schule gab, die großes Interesse daran hatte, mein Talent im Zeichnen zu fördern. Wegen der beiden anderen potenziellen Hüter und meinen späteren familiären Umständen, hatten die Obersten aber abgewartet. Für meine Eltern wäre dann einiges dabei herausgesprungen, sodass sie nicht hätten absagen können.

Nun war ich hier und meine Ausbildung wurde vorangetrieben, weil es in Wisteria immer schlimmer wurde und ich die letzte Kandidatin war. Ich würde also sowieso schon eher abschließen als meine Mitschüler, doch niemand hatte eingeplant, dass es so schnell sein würde.

Alle hatten an mein drittes oder vielleicht auch viertes Jahr gedacht, doch zu diesem Zeitpunkt war in meiner Anders-Welt noch alles in Ordnung gewesen. May erzählte mir von einem Zeitsprung in Wisteria. Oder besser, zwischen der Menschenwelt und Wisteria. Die Zeit verging dort anders. Mal waren es nur Tage, mal Wochen, die vergingen und manchmal sogar Monate, während auf der Erde nur ein Tag verstrich. Man konnte also nie sicher sein, wie viel Zeit in der einen Welt verging, während man sich in der anderen aufhielt.

Nun hatte es so einen Zeitsprung gegeben. Genau genommen war von gestern auf heute fast ein Jahr dort vergangen und jetzt klopfte der Krieg praktisch schon an Wisterias Tür. May hatte es bemerkt und sofort eine Versammlung der Obersten einberufen - die vom Vortag - und sie hatten beratschlagt, wie es nun weitergehen sollte. Alle waren einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass ich meine Prüfungen ablegen sollte, auch wenn May mehr als widerwillig zugestimmt hatte.

Jetzt würde ich also während der nächsten beiden Wochen alles Wichtige lernen müssen, was ich für meine praktische Prüfung brauchte. Es waren Magieaufgaben, die ich vorführen musste und die ich zusätzlich erklären sollte. Außerdem würde ich den Schwur leisten müssen, den man nur sprechen konnte, wenn man wirklich bereit war. Andernfalls wäre man einfach nicht imstande die Worte zu sagen.

Am gleichen Abend der Prüfungen - zur Sonnenwende - würde man mir feierlich meinen Schlüssel für Wisterias Tür überreichen, den ich entweder würde halten können oder der einfach wieder in dessen Hand auftauchen würde, der ihn mir übergab. In diesem Fall, Ava. Denn wenn Wisteria mich ablehnte, wäre ich zwar eine Hüterin, doch eben nicht Wisterias.

Dieser Punkt bereitete mir am meisten Sorgen, denn auf ihn hatte ich keinen Einfluss. Deaken beruhigte mich, indem er sagte, dass es wirklich sehr selten vorkam, dass ein Schlüssel seinen Hüter ablehnte. Die Obersten hatten Zauber entwickelt, mit denen man potenzielle Hüter sozusagen testen konnte. So stellten sie fest, zu welcher Welt sie gehören konnten. Da die Inderin und der Asiate älter waren als ich und ihre Welten schon kannten, blieb nur ich für Wisteria. Also konnte rein theoretisch nichts schiefgehen.

Ich hatte gefragt, wie sie herausgefunden hatten, dass Wisteria wirklich nicht zu einem von ihnen gehörte und May hatte gemeint, dass es sich im Laufe ihrer Ausbildung gezeigt hatte. Beide waren hier und da mit Fakten über sie gefüttert worden. Unwissend, dass es ihre Welt sein konnte. Keiner hatte sich für sie interessiert. Nicht mal dann, als sie ihnen richtig vorgestellt worden war.

Ich erinnerte mich an mein erstes Mal, als ich Wisteria sehen durfte. Als Ava sie mir verbotenerweise gezeigt hatte. Ich war sofort fasziniert von ihr gewesen. Wie hätte man das nicht sein können, bei der Schönheit, die mir entgegengestrahlt war?

Ein Wald von Blauregen, von Wisteria.

May erklärte: „Ava hat uns später von deiner Reaktion erzählt. Und es bestärkte uns in dem Glauben, du seist die Richtige. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir sind uns sicher, dass der Schlüssel dich akzeptieren wird.“ Doch beruhigt hatte mich das nicht. Ich wollte wirklich die Hüterin dieser Welt werden und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, wenn es nicht so kam.

Zwischen all den Infos, die auf mich einprasselten, hatte Deaken sich kurzzeitig abgeseilt, um uns etwas zu Essen zu holen. Mir war gar nicht aufgefallen, wie die Zeit verflogen war. Als er mit zwei Tabletts ins Zimmer zurückkam, hatte ich das erste Mal auf die Uhr geschaut und erstaunt festgestellt, dass es fast 2 Uhr nachmittags war. May hatte weiter erzählt, während sie immer wieder ein wenig von ihrem Salat gegessen hatte und ihr Bruder schwieg, wie fast die ganze Zeit schon. Einige Dinge mussten auch für ihn vollkommen neu gewesen sein, denn ab und zu hatte er zischend die Luft ausgestoßen oder May böse angefunkelt, weil sie ihm erst jetzt davon berichtete.

Ich aß nichts. Zwar hatte er auch für mich einen Salat mitgebracht, doch ich schob die Blätter nur hin und her, während ich May zuhörte und ab und zu Fragen stellte. Zum Schluss hatte sie noch die Sache mit dem Wächter erklärt. Die Obersten suchten angestrengt nach einem geeigneten Kandidaten, doch bis jetzt hatte sich einfach keiner gefunden. An dieser Stelle war Deaken seltsam still geworden. Zwar war er die meiste Zeit still gewesen, aber ich hatte förmlich spüren können, wie sich Frust in ihm aufgebaut hatte. Gegen 4 Uhr verstummte May und wir schwiegen eine ganze Weile.

Mir fielen keine Fragen mehr ein und sie schien alles losgeworden zu sein, was ihr auf der Seele gebrannt hatte. Jetzt verstand ich wirklich, was Deaken gemeint hatte, denn nun konnte ich May verstehen. Schuldgefühle stiegen in mir auf, weil ich so unfreundlich zu ihr gewesen war. Doch sie wurden gedämpft durch das Wissen, dass ich eben nichts gewusst hatte. Ich hätte sie nie so angefahren, wenn mir jemand all das schon eher erzählt hätte.

Wisteria stand praktisch kurz vor dem Untergang und mit ihm irgendeine Katastrophe im Weave, die eine oder sogar mehrere Welten bedrohte. Und May hatte die Verantwortung für die einzige potenzielle Hüterin, mich. Sie durfte mich nicht verärgern und mir nicht zu viele Informationen geben. Sie musste mich ausbilden, ohne mir sagen zu können, warum alles so furchtbar schnell gehen musste. Denn, wie sie richtigerweise festgestellt hatte, wäre ich zu ungeduldig gewesen und hätte sofort handeln wollen.

Also trug auch ich schuld daran, dass sie so gestresst war. Weil ich eben so war wie ich war. Es war am Ende egal, wie sie handelte. Es wäre, egal wie, auf einen Konflikt hinausgelaufen. Sie hatte ihn nur verschoben. Und neben alle dem hatte sie ein Auge auf meine Anders-Welt werfen müssen. Hatte sie für mich aus der Ferne bewacht und sogar ab und zu kleine Zauber gewirkt, die die Ereignisse verlangsamten. Das war alles, was sie tun durfte und konnte und natürlich war es zu wenig, denn jetzt zählte quasi jeder Tag.

„Es tut mir leid, May“, sagte ich in die Stille und schaute auf.

„Ist schon gut. Ich kann dich verstehen. Ich hoffe nur, du verstehst jetzt auch mich.“

„Ja. Es war sicher nicht leicht, das alles. Und na ja, ich war ja nicht ganz unschuldig.“

„Du trägst überhaupt keine Schuld“, mischte Deaken sich ein.

Ich schaute zu ihm. „Doch, irgendwie schon. Wäre ich nicht ... ich, hätte May mir schon früher davon erzählen können und wir hätten gemeinsam daraufhin arbeiten können, dass meine Ausbildung schneller ans Ziel kommt.“

Jetzt lehnte sie sich vor und streckte symbolisch eine Hand auf dem Tisch nach mir aus. „Es ist gut, dass du so bist, wie du bist. Lass dir von niemandem etwas anderes sagen.“

„Aber das hat’s für dich schwerer gemacht.“

„Mag sein. Trotzdem. Versprich mir, dich niemals zu ändern, nur weil es für andere einfacher wäre.“ Sie sah mich eindringlich an und ich nickte leicht.

„Richtig. Wenn du anders wärst, würde ich dich vielleicht nicht mehr wollen“, meinte ihr Bruder scherzhaft und lehnte sich selbstgefällig in seinem Stuhl zurück.

Ich richtete meinen Blick auf ihn und verzog verächtlich fragend das Gesicht. „Bitte was?“

„Du hast schon richtig gehört“, gab er mir zurück, grinste und wandte sich mir zu. „Du bist perfekt, so wie du bist.“

Ich war mir sicher, rot angelaufen zu sein, denn sein Grinsen wurde zu einem Lächeln.

„Mit Komplimenten musst du noch umgehen lernen“, meinte er dann, beugte sich zu mir und gab mir einen schnellen Kuss.

Mein verlegener Blick ging zu May, die sich ein Grinsen verkniff. „Ich glaube, wir sollten für heute Schluss machen, das Wetter ist herrlich und wir haben den halben Tag drinnen verbracht. Wenn dir noch irgendetwas einfällt, zögere nicht, jemanden zu fragen. Alle Professoren wissen Bescheid, du kannst also zu jedem gehen, wenn etwas ist. Wir werden morgen mit den Vorbereitungen für deine Prüfungen anfangen. Genieße also deinen letzten freien Tag.“ Sie lächelte amüsiert, denn mein Gesicht hatte sich nun leicht verfinstert. Ferien ade. Deaken stand auf und hielt mir eine Hand hin. Ich ergriff sie und ließ mich von ihm hochziehen. Einen Moment schwankte ich und blieb nur stehen, weil er mich festhielt.

„Alles klar?“, fragte er besorgt und hielt mich mit beiden Händen.

„Ja. Ich hab nur zu lange gesessen, glaube ich.“

„Na dann würde ich sagen, tut dir eine Runde schwimmen vielleicht ganz gut.“ Sein Lächeln steckte mich an und ich ließ mich von ihm nach draußen ziehen.

Faylinn

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