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Lillien

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Ein Reh und ein Hase waren ihre Beute gewesen. Ein altes Reh, mit altem Blut und ein winziger Hase. Lilly wäre gern noch weitergelaufen, doch es wurde ungemütlich kalt. Zwar war noch immer Frühling, doch die Sonne hatte schon länger und wärmer geschienen als normal. Das hatte Lilly hoffen lassen, es würde so bleiben. Leider war dem nicht so. Es regnete jetzt wieder häufiger und die Kälte hielt abermals Einzug.

Solange mein Geburtstag nicht ins Wasser fällt, dachte sie und im selben Augenblick wurde ihr klar, dass er es so oder so tun würde. Dieses Jahr würde sie nichts mehr feiern. Ihr war eh nicht danach. Denniz’ Geburtstag, war die letzte große Feier gewesen. Das war im Februar gewesen und die Erinnerung daran zauberte ein winziges Lächeln auf ihre Lippen. Er hatte seine Macht zu dem Zeitpunkt schon sehr gut im Griff gehabt und den Garten hinter dem Haus in ein wahres Wunderland verwandelt. Es hatte nicht lange gehalten, denn der nächste Frost hatte die Blumen und Ranken eingehen lassen. Doch für ein paar Tage war der Garten nicht wiederzuerkennen gewesen.

Statt der üblichen Rasenfläche hatte sich eine kleine, verschnörkelte Halle erhoben, deren Wände aus Ranken bestanden hatten. Die Decke hatte viele kleine Öffnungen gehabt, durch die man die Sterne hatte beobachten können. An allen möglichen und unmöglichen Stellen waren Blumen gewachsen. Selbst solche die für East Sussex untypisch waren. Aus dem Boden hatte Denniz ebenso starke Ranken wachsen lassen, deren Oberflächen so eben gewesen waren, dass man sie als Tische hatte nutzen können. Nur Stühle hatte er nicht hinbekommen. Sie hatten in seinen Geburtstag reingefeiert und auch den ganzen Tag durch bis zum nächsten Morgen.

Einige Freunde der Jungs waren aus London und der Umgebung gekommen und hatten mitgemacht. Sie hatten Lilly herzlich in den Freundeskreis aufgenommen, doch es gab keinen weiteren Kontakt. Wie Memphis mal gesagt hatte, lebten die Jungs eher zurückgezogen. Lillys eigener Geburtstag dieses Jahr, würde also ein Tag wie jeder andere werden. Jedoch ohne Denniz.

Die Rasenfläche lag nun vor ihr, dann kam das Haus. Lilly blieb stehen und betrachtete das Gebäude. Von dieser Seite her gesehen, sah es gemütlicher aus, weil hier die Balkone waren und mehr Fenster. Außerdem war die Terrasse unter den Balkonen mit Möbeln bestückt, die es heimischer aussehen ließen. Zwei Balkontüren standen offen, ihre eigene und die von Memphis. In Denniz’ Zimmer war alles geschlossen und die Vorhänge zugezogen. Ihr Herz wurde schwer, dann ging sie weiter. Musik drang aus Memphis’ Räumen. Lilly blieb abermals stehen, als sie die Stufen zur Veranda erreichte.

Sie erkannte das Lied sofort. „A thousand years“, allerdings als Violinenspiel. Sie musste grinsen. Ihr Freund ging zwar mit der Mode, doch irgendwie blieb er in manchen Dingen einfach in der Zeit hängen. Die poppige und basslastige Musik, die sie selbst gern hörte, war nicht ganz sein Geschmack. Er suchte dann immer Versionen wie die, die gerade lief. Die mochten sie beide.

Sie durchquerte den Wintergarten, das erste Mal seit Langem, und stieg die große Treppe in der Halle nach oben. Memphis’ Zimmer lag im Ostflügel des Hauses. Seine Tür stand offen und ließ die sanften Klänge der Violine in die Halle hinausgleiten, sodass sie von den Wänden angenehm widerhallte.

Langsam ging Lilly auf die Tür zu. Ihr wurde bewusst, dass sie noch nie in seinen Räumen gewesen war. Die beiden hatten sich immer nur bei ihr aufgehalten. Lilly erreichte die Tür und spähte hinein. Ihr klappte der Mund auf, doch sie beherrschte sich schnell wieder. Memphis stand im Raum, den Rücken zu ihr gewandt, doch was sie für eine Aufnahme gehalten hatte, war gar keine. Er spielte das Lied selbst. Ihr Freund spielte die Violine. Lilly hielt den Atem an und lehnte sich an den Türrahmen. Es klang wunderbar. Sie mochte diese Art Instrument, vor allem bei solch langsamen, getragenen Liedern. Dass Memphis es spielen konnte, war eine Überraschung für sie. Obwohl es eigentlich keine sein sollte.

Wer weiß, was er noch alles kann. Sie schloss die Augen und lauschte den sanften Klängen. Als er das Lied ausklingen ließ, öffnete sie sie wieder und betrachtete ihn, wie er den Bogen ein letztes Mal über die Saiten gleiten ließ. Er wandte sich zu ihr und lächelte. Dann legte er das Instrument und den Bogen aufs Bett und kam zu ihr. Lilly stieß sich vom Türrahmen ab und hob die Arme um seine Schultern, während er seine Hände auf ihre Hüften legte.

„Ich wusste nicht, dass du das kannst“, sagte sie leise. „Warum hast du bis jetzt nie vor mir gespielt?“

Er grinste. „Es gab keine Gelegenheit und ich gehöre nicht zu den Angebern, die unbedingt zeigen müssen, was sie können.“

„Das war aber echt schön.“ Sie legte ihre Stirn an seine Brust und atmete seinen Geruch ein.

„Danke.“ Er küsste sie aufs Haar.

„Spiel noch was“, bat sie und sah ihn wieder an.

„Was möchtest du hören?“

„Was kannst du denn?“, fragte sie grinsend.

„Was immer du willst“, lächelte er.

„Memo?“ Das war eines ihrer aktuellen Lieblingslieder und sie glaubte, es würde auf der Violine gut klingen. „Kannst du das?“

„Sicher. Das ist leicht.“ Er trat zurück und nahm das Instrument wieder auf. Kurz schloss er die Augen, um sich zu sammeln, dann begann er zu spielen. Lilly hatte sich getäuscht. Es klang nicht einfach nur gut, es klang himmlisch. Langsam ging sie zu seinem Bett und setzte sich im Schneidersitz darauf. Memphis drehte sich mit ihr und folgte lächelnd ihren Bewegungen.

Mitten im Lied ließ sie sich nach hinten fallen und schloss die Augen. Normalerweise hätte sie im Kopf den Text mitgesungen, doch sein Spiel war so einnehmend, dass sie nur darauf hörte. Es entführte sie für ein paar wunderbare Minuten aus der Realität. Doch viel zu schnell beendete Memphis das Stück und Stille trat ein. Wenig später spürte Lilly, wie sich das Bett etwas senkte und sah dann sein Gesicht direkt über ihrem, als sie die Augen aufschlug.

„Ich liebe dich“, flüsterte er und küsste sie, bevor sie es erwidern konnte.

Ein Tapsen ließ sie beide innehalten und sie schauten zeitgleich zur Tür. Zane stand auf dem Flur draußen und grinste ins Zimmer. Memphis’ Blick wurde finster, was den Wolf nur noch mehr zu amüsieren schien. Zane schüttelte sich und machte Anstalten in den Raum zu kommen, doch Lilly warf ihm einen bösen Blick zu.

Der Wolf hielt inne und schaute abschätzend zu ihr herüber. Er versuchte einen weiteren Schritt, doch Lilly packte eines von Memphis’ Kissen und warf es nach ihm. Sie traf und der Wolf wich zurück. Bevor er etwas anderes tun konnte, schnellte Memphis hoch und zur Tür. Er packte das Kissen und schlug dem Wolf die Tür vor der Nase zu, dann schaute er zu ihr. Lilly lachte.

„Keine Manieren“, meinte Memphis kopfschüttelnd.

„Nein“, lachte sie weiter und schon war er wieder bei ihr.

Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, dass es 1:57 Uhr morgens war. Memphis schlief neben ihr, die Decke nur bis zur Hüfte hochgezogen, sein Arm um ihre Taille. Lilly lag wach, auf dem Rücken und starrte den Betthimmel an. An Schlaf war nicht zu denken. Sie überlegte, was Quentin wollte. Warum er sich mit ihr treffen wollte und warum gerade jetzt. Es gab keine Pläne. Die drei verbliebenen Bewohner von Green Manor hatten keine Pläne gemacht für den Fall ...

Sie schüttelte den Kopf. Es gab einen Plan. Einen, den keiner von ihnen angesprochen hatte, für den aber alle, alles tun würden. Raphael ausschalten. Sie hatten diesen Plan natürlich schon vorher gefasst. Doch da waren sie noch einer mehr gewesen und hatten die Unterstützung der Sorokins gehabt. Jetzt waren sie zwei Vampire und eine Hexe, gegen einen Zirkel von sechs. Von denen wiederum drei Magier und drei Vampire waren, wobei Letztere noch dazu die Elemente beherrschten.

Vielleicht würde Vincent, wenn er denn noch lebte, nicht in der Lage sein, zu kämpfen. Dann wären es wenigstens nur noch zwei starke Vampire. Lilly dachte an Zane und dass er ihnen helfen könnte. Doch würde der Werwolf sich auf ihre Seite schlagen? Mit Vampiren kämpfen und sich gegen Quentin stellen?

Sie ging eher davon aus, dass er sich raushalten und ein stiller Beobachter sein würde.

Aber er hat mir schon mal geholfen. Er hat Raven geholfen. Und er hat mit Quentin zusammengearbeitet, als er uns das letzte Mal sprechen wollte. Vielleicht konnte sie den Wolf überreden, ihr auch diesmal zu helfen. Sie konnten Quentin, wie beim letzten Mal, ja außen vor lassen. Es sagte immerhin keiner, dass er mitkämpfen musste. Wobei Memphis es sich nicht nehmen lassen und dem Magier eine gehörige Tracht Prügel verpassen würde. Mindestens.

Lillys Dämonen meldeten sich, sie seufzte leise und blinzelte die ungeweinten Tränen weg. Sie wollte nicht mehr kämpfen. Sie wollte das alles nicht mehr. Sie hatte einfach keine Kraft mehr dafür. Doch jemand musste Raphael ein Ende setzen. Der Hexer hatte eine Strafe verdient und er würde sie bekommen. Und Lilly würde ihren Anteil daran haben.

Wie schwer ihr Weg bis dahin auch sein würde, Lilly würde ihn gehen und wenn das alles vorbei war, würde sie sich um ihren Abgrund kümmern. Um ihre Verlustängste und die Panik. Um den Kampf in ihrem Inneren, der jetzt nach Denniz’ Tod, immer mehr in den Vordergrund drängte. Lilly atmete tief durch und schob die negativen Gedanken, so wie sie es sich angewöhnt hatte, mit aller Macht zurück, dann drehte sie den Kopf und betrachtete ihren Freund.

Memphis sah friedlich aus, wie er da lag und schlief. Seine Züge zeigten keine Anzeichen der Sorge, die in den letzten Tagen und Wochen darin gestanden hatte. Sie hob eine Hand und fuhr sachte mit dem Zeigefinger seine Wange entlang. Er zuckte kurz und sie lächelte. Dann griff sie vorsichtig seinen Arm und hob ihn an, um sich darunter hervorzuschlängeln.

Im Dämmerlicht fand sie sein Hemd und zog es sich über, dann ging sie zur großen Fensterfront, die zum Garten hinaus zeigte. Schulter und Kopf an die kühle Scheibe gelehnt, ließ sie den Blick schweifen. Sie sah den Garten jetzt aus einer etwas anderen Perspektive. Es reichte schon, um ihr einen neuen Eindruck zu geben. Nach einer Weile wandte sie den Blick ab und schaute sich stattdessen im Zimmer um.

Im Großen und Ganzen glich die Einrichtung der in ihrem. Alles war im Barockstil gehalten, allerdings waren die Brauntöne der Möbel heller. Nicht so ein dunkles Schwarzbraun wie bei ihr. Hier waren es eher nussfarben. Der Aufbau war ebenfalls ähnlich, nur seitenverkehrt. Links neben dem Bett und auf der Fensterseite ging eine Tür ab. Lilly erkannte das Badezimmer, denn die Tür stand offen. Rechts führte eine Tür in ein kleines Ankleidezimmer. Gegenüber dem Bett war ein Kamin. In Lillys Zimmer gab es noch eine weitere Tür zu einem Arbeitszimmer. Memphis hatte keines. Es gab außerdem weit weniger Dekoteilchen hier und somit wirkte alles insgesamt aufgeräumter. Eben ein Männerzimmer.

Ein paar der wenigen Dekoteile waren zwei Landschaftsbilder an den Wänden, zwei Fotos, eines auf dem Nachttisch mit ihr und ihm darauf, eines auf dem Kamin, mit den vier Bewohnern des Hauses und ein Schwert an der Wand über der Feuerstelle. Lillys Aufmerksamkeit blieb daran hängen. Sie ging rüber und betrachtete es. Ihr kamen die Visionen in den Sinn.

Die Waffen im Zelt. Bogen, Dolche und ein Schwert. In ihren Visionen hatte sie den kleinen Memphis mit einem Schwert auf einen Baum einschlagen sehen. Ihr Blick glitt über das Heft und sie versuchte, sich zu erinnern, wie das aus den Visionen ausgesehen hatte. Sie streckte den Arm aus, um es zu berühren, schreckte aber zurück, als Memphis sich regte. Sie wandte sich um und sah, dass er wach war.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er mit halb geschlossenen Augen, behielt sie aber im Blick.

„Ja.“ Sie warf dem Schwert noch einen Blick zu. „Ich habe nur was überlegt.“ Sie drehte sich zurück und ging wieder ins Bett. „Ist nicht so wichtig.“ Den Kopf auf seine Brust gelegt, lauschte sie seinem Herzschlag. „Memphis?“

„Mhh.“ Er raunte es nur, vor Müdigkeit.

„Das Schwert, ist es das von damals? Das aus deiner Kindheit?“, fragte sie nun doch.

Seine Brust hob sich, als er tief einatmete, um wacher zu werden, sie hob den Blick zu ihm. Er hatte seinen auf die Waffe gerichtet, dann schaute er zu ihr. „Ja. Allerdings ist es nicht mehr ganz original. Ich habe es überarbeiten lassen und die Scheide ist neu. Die Originale ging im Laufe der Jahre zu sehr kaputt.“

„Du hast es 500 Jahre lang aufgehoben?“

„Habe ich.“

„Warum?“

„Weil es das Einzige ist, was ich noch aus meinem menschlichen Leben habe. Alles andere ist verloren.“

Sie schwieg und betrachtete die Waffe wieder, dann fragte sie: „Hast du es jemals richtig benutzt?“

Er kicherte leise. „Meinst du, ob ich jemanden damit den Kopf abgeschlagen habe?“

Sie musste ebenfalls lachen. „Vielleicht nicht gerade den Kopf abgeschlagen, aber so was in der Art.“

„Nein, habe ich nicht. Ich weiß nicht, wer es vor mir geführt hat. Ich jedenfalls, habe kein Blut damit vergossen.“ Wieder folgte kurz Stille. „Beruhigt dich das?“, wollte er dann wissen.

Sie lachte wieder. „Etwas.“

„Da bin ich aber froh.“ Er küsste ihr Haar.

„Ich weiß so vieles nicht über dich. Du hast 500 Jahre mehr Erfahrung in allem. In deinen Augen muss ich wirken wie ein Neugeborenes.“

Jetzt lachte er richtig. „Siehst du das so?“

Sie drehte sich auf den Bauch und stützte sich auf die Ellenbogen. „Ist doch so. Du bist echt alt. Du hast Kriege und alles so was mitgemacht. Was weiß ich schon von der Welt, im Gegensatz zu dir?“

Auch Memphis stemmte sich nun ein Stück hoch und sah sie offen an. „Ich bin vielleicht schon länger auf der Welt, aber sieh es so. Ich kann dir Dinge zeigen, von denen die Jungs heute keinen mehr Schimmer haben. Bei mir dreht sich nicht alles um Hip Hop und Rap oder um die neusten Turnschuhe. Und auch wenn ich mich mit der Technik auskenne, brauche ich nicht den neusten Laptop oder das beste Smartphone. Ich kann dir eben die Dinge zeigen und beibringen, von denen die meisten Jungs heute nicht mal mehr was wissen.“

„Zum Beispiel den Schwertkampf oder Violine spielen?“, feixte sie.

Er blieb ernst, bis auf ein winziges Zucken in den Mundwinkeln. „Zum Beispiel.“ Ein schneller Kuss und er lag wieder auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

„Violine spielen will ich nicht können. Für so was habe ich keine Begabung.“

„Aber für den Schwertkampf?“, feixte nun er.

„Ich weiß nicht. Ich kann mir denken, dass ich das kann. Du kannst nicht zufällig auch Bogenschießen?“

Er warf ihr einen kurzen, skeptischen Blick zu. „Willst du das etwa lernen?“

„Warum nicht? Es wäre ein tollte Abwechselung zum Alltag. Vielleicht könnte es mein neues Hobby werden.“ Oder einfach eine Ablenkung von allem, fügte Lilly in Gedanken an.

„Mhh, dazu muss ich sagen, dass ich es zufällig kann, aber schon eine Ewigkeit nicht mehr gemacht habe. Ich habe nicht mal die Ausrüstung dafür.“

„Dann sollten wir uns welche besorgen. Der Platz im Garten müsste reichen, oder?“

„Definitiv. Willst du das wirklich?“

„Klar. Glaubst du mir etwa nicht?“

„Nein.“

Lilly konnte ihn grinsen hören. „Warum denn nicht?“, fragte sie lachend.

„Ich weiß nicht, du wirkst nicht so, als hättest du Interesse für so was.“

„Tja, mein Liebster, dann würde ich sagen, musst auch du mich noch etwas besser kennenlernen.“ Sie beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.

Er lächelte. „Zum Glück haben wir die Ewigkeit auf unserer Seite.“ Dann nahm er sie in die Arme und zog sie enger an sich.

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