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Lillien

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Er war fort. Trotz Hayleys Worten, dass es Hoffnung gab und trotz Memphis’ ständigen Versuchen, diese wahr werden zu lassen, war Denniz noch immer fort. In Lillys Brust klaffte ein Loch, genau da, wo ihr bester Freund gewesen war. Ihr fehlten sein Lachen und seine Scherze. Ihr fehlte es, wenn er einfach ins Zimmer gestürmt kam und sie unterbrach, bei was auch immer sie gerade tat. War es nun einfach ein Buch zu lesen oder gerade mit Memphis zusammen zu sein. Ihr fehlten seine Umarmungen und ihr fehlte das Geräusch seines Herzens, das immer im Gleichklang mit ihrem geschlagen hatte, wenn sie zusammen gewesen waren.

Lilly drehte sich auf die Seite, ihr Blick glitt durch die offene Balkontür nach draußen. Die Sonne stand hoch am Himmel und sandte ihre Wärme ins Zimmer. Noch ein paar Minuten und die Strahlen würden ihr Gesicht erreichen. Sie lag auf ihrem Bett und wartete darauf, dass Memphis wiederkam.

Er war, wie sooft in den letzten Tagen aufgebrochen, um nach Denniz zu suchen. Normalerweise begleitete sie ihn dabei, doch diesmal war er allein gegangen, denn Lilly war auf der Jagd gewesen. Ein Zettel auf ihrem Kopfkissen hatte ihr verraten, dass er ohne sie losgezogen war.

Ihre erste Reaktion war Verärgerung gewesen, denn er wusste genau, dass sie ihn mehr als ungern alleine weggehen ließ. Doch dann hatte sie resigniert festgestellt, dass er es wohl mit Absicht getan hatte. Sie war in diesen Tagen keine gute Gesellschaft. Nicht mal für sich selbst. Memphis zeigte das nicht, genau wie Hayley. Ihre Freunde verbargen ihre Gefühle besser, als Lilly es konnte.

Jahrelange Übung, dachte sie und seufzte. Ihre Gedanken glitten zurück zu dem Tag, an dem alles geschehen war. Den Tag, an dem Raphael ihr einen Teil ihres Lebens gestohlen hatte. Als er Memphis sein Kind, besten Freund und Gefährten genommen hatte und Lilly ihren besten Freund und Seelenverwandten. Zu dem Abend, an dem Raphael Denniz getötet hatte. Doch war er wirklich tot?

Hayley hatte in den Vampiren im Haus Hoffnung geschürt. Sie war der Meinung, der Hexer hätte Denniz nicht getötet, hätte ihn stattdessen mitgenommen und würde ihn gefangen halten, wie er es mit Lilly getan hatte. Im ersten Moment hatte Lilly es geglaubt, hatte jeden Funken Hoffnung angenommen, den Hayley ihr geschenkt hatte. Doch diese Hoffnung wurde stetig kleiner. Mit jedem Tag, der verging, erlosch die Flamme etwas mehr und machte Platz für Trübsal und Trauer. Und für Wut.

Lilly war wütend und ihr war selbst schon aufgefallen, wie nah sie am Abgrund stand. Allerdings nicht nur, weil ihr mit Denniz ein Teil ihrer selbst genommen worden war, sondern auch, weil die Situation sie erneut an ihren Zustand erinnert hatte. Vampirsein. Es war anstrengend, gefährlich, frustrierend und mit Denniz’ Verlust nun das erste Mal wirklich schrecklich, qualvoll und traurig. Dabei war sie doch erst ein paar Monate lang Vampir. Wie sollte Lilly die Ewigkeit so überstehen?

Ihre Verzweiflung darüber machte sie ruhelos und dann wurde sie nervös, was sie wiederum wütend machte. Oft waren es dann kleine Belanglosigkeiten, die Lilly in Rage brachten. Ihre Macht entglitt ihr dann und sie hatte Mühe, sie im Griff zu halten. Ihr einziger Trost war Memphis. Er wich auch in diesen Phasen nicht von ihrer Seite.

Im Gegenteil. Wenn er bemerkte, dass sie wieder im Begriff war, die Kontrolle zu verlieren, war er da. Er hielt sie dann einfach fest, sagte nichts. Allein seine Berührung hatte schon eine beruhigende Wirkung. Lilly legte dann all ihre Konzentration auf ihn, auf seine Atmung, seinen Herzschlag und seine Nähe.

Hayley hielt sich sehr im Hintergrund. Zwar war sie der eigentliche Auslöser für alles gewesen, denn sie hatte Lilly statt Denniz gerettet. Aber sie hatte Lilly und Memphis dann die Hoffnung gegeben, dass ihr verlorener Freund noch leben könnte. Nun tat sie jedoch nichts. Sie zauberte nicht, sie suchte nicht, sie tat einfach nichts.

Die Hexe war Schuld, dass die Vampire nun ohne ihren Freund leben mussten. Doch Lillys Wut galt nicht ihr, sondern dem Umstand, dass Raphael sie gezwungen hatte, zu wählen. Sie wusste, dass wenn Hayley sich für Denniz entschieden hätte, jetzt sehr wahrscheinlich er an ihrer Stelle sein würde und die Situation im Haus die Gleiche wäre. Nur das eben sie tot wäre.

Wir haben vielleicht alle etwas Wichtiges übersehen.

Die Worte hatten sich in Lillys Kopf festgesetzt. Immer wenn sie kurz davor war durchzudrehen, erinnerte sie sich daran, denn Hayley hatte recht. Sie hatten etwas übersehen. Sie hatten übersehen, dass sie alle eine Verbindung teilten. Speziell Denniz und Memphis. Sie waren Kind und Erschaffer und konnten sich finden, wo immer der andere auch gerade war. Als Hayley sie daran erinnert hatte, hatten sich Memphis’ Augen geweitet. Durch seine Trauer und Wut hatte er diesen Fakt vollkommen vergessen. Sofort hatte er nach der Verbindung zu Denniz geforscht und festgestellt, dass sie noch da war. Sehr, sehr schwach aber sie war da.

Niemand von ihnen wusste, wie es sich anfühlte, wenn das Kind eines Vampirs starb. Sie wussten nur, wie es sich anfühlte, wenn der eigene Erschaffer getötet wurde, denn dieses Gefühl kannten Lilly und Memphis nur zu gut. Sie hatten überlegt, ob es sich andersherum genauso verhalten sollte, doch Lilly hatte den Einwand gebracht, dass Hendrik damals viele Kinder verloren hatte und er hatte nicht so gewirkt, als ob es ihm viel ausgemacht hatte.

Trotzdem hielt Memphis sich an dem Strang der Hoffnung fest. Lilly bewunderte ihn dafür. So sehr sie sich selbst wünschte, dass Denniz noch am Leben war und zu ihr zurückkommen würde, so wenig konnte sie noch Hoffnung dafür aufbringen. Nicht mehr.

In den ersten Tagen war sie genauso überschwänglich gewesen, hatte mit Euphorie gesucht und war jedem möglichen Hinweis gefolgt. Doch mit jedem Misserfolg war die Euphorie kleiner geworden und mittlerweile, war da fast nichts mehr. Nur noch Frust. Jetzt konnte Lilly sich so viel besser in die Lage der Jungs versetzen, als sie nach ihr gesucht hatten.

Sie schüttelte den Kopf. Denniz hatte nicht aufgegeben. Er hatte weiter gekämpft und versucht, sie zu finden. Zwar hatte er sich ebenfalls aus der aktiven Suche zurückgezogen, doch er hatte die Hoffnung nie aufgeben. Andererseits hatte er sich so gut wie sicher sein können, dass Lilly noch am Leben war.

Sie konnte das nicht, so sehr sie sich dazu zwang. Sie hatte ihn brennen sehen. Hatte sein Gesicht und Körper zerfallen sehen. Hatte die Asche auf der Haut gefühlt. Lilly hatte gesehen, wie sie verweht worden war, als ein Windstoß durch die Fabrik gefegt war. Das konnte sie nicht abschütteln. Sie würde es nie können, bis er wahrhaftig vor ihr stand. Wenn er es denn überhaupt jemals wieder tun würde.

Die Haustür schlug zu und Lilly lauschte den Schritten, die die Treppe hochkamen. Sie hatte ihn sofort erkannt. Mittlerweile konnte sie jeden, den sie kannte, am Herzschlag erkennen. Memphis kam herein und legte sich ohne ein Wort zu ihr. Sein Arm um ihre Taille, das Gesicht in ihrem Haar vergraben, lag er einfach eine Weile da.

„Wo warst du?“, brach sie die Stille.

„In London.“

„Hast du was gefunden?“, wollte Lilly wissen, obwohl sie die Antwort kannte.

„Nein.“

Sie schloss die Augen und schwieg.

„Er ist da draußen. Ich weiß es. Ich finde ihn“, fügte Memphis an.

Er gibt nicht auf. Er ist so viel stärker als ich, dachte Lilly. Denniz hätte auch nicht aufgegeben. Ich darf es auch nicht. „Was können wir tun? Außer suchen, meine ich. Es muss doch noch mehr geben“, fragte sie leise.

„Solange wir keine neuen Hinweise bekommen, können wir nur das tun. Hayley ...“

Lilly öffnete die Augen wieder und nun blendete die Sonne sie, doch sie blinzelte nicht und ertrug den Schmerz, den die Helligkeit ihr bescherte. „Hayley tut nichts!“, unterbrach sie ihn. „Sie tut nichts! Sie hockt in ihrem Keller und tut gar nichts!“

Er zog sie enger an sich und legte seine Lippen an ihr Ohr. Sanft küsste er sie und erst jetzt bemerkte Lilly die Kälte im Raum. Wiedermal hatte sie ihre Macht unbewusst genutzt. Das musste aufhören. Es war eine Gefahr für sie alle, wenn es nach hinten losging. Abermals schloss Lilly die Augen und atmete tief durch. Die Kälte verschwand und wurde durch die Wärme der Sonne ersetzt, die nun sie beide erfasste.

„Tut mir leid. Ich krieg das in den Griff. Ich muss nur ...“

Doch diesmal unterbrach Memphis sie mit einem Kopfschütteln und meinte: „Ist schon okay. Ich weiß, wie nervenaufreibend das ist. Immerhin hatten wir vor nicht allzu langer Zeit schon mal so eine Situation.“

Sie spürte, wie sich seine Lippen für den Bruchteil einer Sekunde zu einem Grinsen verzogen. „Ja. Aber ihr wusstet, dass ich noch lebe. Ihr konntet euch daran festhalten. Woran soll ich mich festhalten? Ich verstehe nicht, wie du das schaffst.“

Er zwang sie sanft, sich umzudrehen und sah ihr fest in die Augen.

Sie erwiderte seinen Blick stumm und abwartend.

„Ich weiß, dass er noch lebt!“, sagte er mit Nachdruck und hielt den Blickkontakt. „Ich kann ihn fühlen.“

„Du sagst selbst, es ist nicht mehr so stark wie früher. Und du kannst ihn nicht finden. Was wenn das einfach nur noch so ein Nachklingen ist?“

Seine Augen verengten sich.

Sofort ruderte Lilly zurück. „Es ist nicht so, dass ich es nicht glauben will. Ich kann nur irgendwie nichts mehr finden, an dem ich mich festhalten kann. Wir suchen und suchen und finden nichts. Ich kann jetzt verstehen, wie ihr euch gefühlt habt, als ich weg war. So machtlos zu sein ist schrecklich. Ich würde gern mehr tun, aber ich weiß einfach nicht was.“

Memphis’ Gesicht entspannte sich wieder und abermals küsste er sie sanft, diesmal auf den Mund. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass Hayley sich noch etwas aktiver beteiligt. Entgegen deiner Meinung tut sie nämlich schon was.“

„Ach. Und was bitte?“

„Sie sucht auch, nach Zaubern.“

„Aha. Wie immer also.“

Memphis lachte auf. „Ja, stell dir vor.“

Lilly sah ihn nur skeptisch an.

„Komm mit. Wir gehen sie besuchen. Es ist wohl an der Zeit, dass sie dir einige Antworten gibt.“ Er stand auf und zog sie mit sich. Seine Hand in ihrer, ließ Lilly sich nach unten und in Hayleys Keller ziehen. Erstaunlicherweise stand die Tür offen, was untypisch für die Hexe war.

„Seit wann lässt sie die Tür auf?“, wollte Lilly wissen und runzelte die Stirn.

„Schon eine ganze Weile. Es ist dir nur nicht aufgefallen.“

Sie überlegte kurz, warum sie es nicht bemerkt hatte. Dann fiel ihr auf, dass sie in letzter Zeit überhaupt sehr unaufmerksam war. Außerdem hatte sie sich selten im Wintergarten oder hinter dem Haus aufgehalten. Es waren Denniz’ Lieblingsorte gewesen und Lilly hatte es gewollt vermieden, ihnen zu nahezukommen. Da der Kellereingang im Wintergarten lag, hatte sie es also nicht sehen können.

Nun folgte Lilly Memphis die Treppe hinunter. Wie immer wurde der große Raum nur von Kerzen erhellt. Hayley saß an dem großen Tisch in seiner Mitte und war in ein Buch vertieft.

Sie schaute erst auf, als die beiden am Tisch ankamen. „Hey ihr zwei. Was verschafft mir die Ehre?“, fragte sie und senkte den Blick sofort wieder auf die Seiten vor sich.

„Wir wollten sehen, was du so treibst“, antwortete Memphis gelassen.

Die Hexe schaute wieder auf. „Das weißt du doch.“

„Ich schon. Lilly hat allerdings einen anderen Eindruck.“

„Aja. Und welchen?“

„Dass du nichts tust“, erwiderte Lilly knapp und schaute Hayley direkt an.

„Aber ich tue nicht nichts.“

„Und was genau machst du dann?“

„Ich suche nach Zaubern, die uns helfen, Denniz zu finden.“

„Und? Bist du erfolgreich?“ Die Worte kamen barscher, als Lilly es beabsichtigt hatte, doch sie entschuldigte sich nicht dafür.

Die Hexe sah sie mit verengten Augen an. „Noch nicht“, antwortete sie und schien abzuwägen, wie tief Lillys Laune gerade war.

„Ich kann dir auch sagen, warum“, giftete Lilly weiter. „Weil es keinen solchen verdammten Zauber gibt! Hast du nicht schon nach so was gesucht, als ich verschwunden war? Wie lange willst du noch so tun, als würde in deinen paar Büchern hier, was zu finden sein? Du kannst mir nicht erzählen, dass du sie noch nicht alle durch hast.“

Hayleys Augen wurden groß und ihr Blick glitt zu Memphis. Er zuckte nur mit den Schultern.

Lilly sah es und fühlte sich bestätigt. „Also habe ich recht. Du vergräbst dich hier unten, weil du keine Ahnung hast, was du tun sollst. Und statt zu überlegen, was uns helfen könnte, tust du so, als würdest du was suchen, was es gar nicht gibt.“ Sie warf der Hexe einen wütenden Blick zu.

Hayley hielt ihm stand und schwieg kurz, dann fasste sie sich und holte Luft. „Jetzt pass mal auf, Lillien. Ich weiß vielleicht nicht, was wir im Moment noch tun können und ich habe vielleicht auch noch keinen Zauber gefunden, der uns hilft. Aber behaupte nicht, ich würde hier nur Däumchen drehen! Raven fliegt schon seit Tagen über das Land und sammelt Informationen für uns. Und vielleicht hast du recht, dass ich diese Bücher alle schon kenne. Trotzdem heißt das nicht, dass ich vielleicht doch etwas übersehen haben könnte! Deswegen lese ich sie immer und immer wieder! Damit nicht so ein unwissender Vampir wie du daherkommt und mir sagt, ich hätte was übersehen!“ Sie fauchte ihre Worte mehr, als dass sie sie laut sagte, doch die Botschaft war unmissverständlich.

Lilly richtete sich auf, hielt den Blick aber auf die Hexe geheftet. „Gut. Dann erzähl mir was.“

Jetzt sah Hayley verwirrt aus. „Was soll ich dir denn erzählen?“

„Memphis meinte, es wäre an der Zeit, dass du mir ein paar Antworten gibst.“

„Ach so?“ Die Hexe schaute nun von ihr zu ihm und zurück.

„Ja. Dann schieß mal los.“

Wieder schwieg Hayley kurz. Sie schien zu überlegen, was Memphis von ihr erwartete zu sagen, doch dann seufzte sie und meinte: „Ich kenne Raphael, besser als du denkst. Wir waren lange in einem Zirkel.“

Vampirmächte

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