Читать книгу Vampirmächte - Stefanie Worbs - Страница 6

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Unfähig, die Worte ihrer Freundin zu verarbeiten, stand Lilly da. Jetzt war sie nicht mehr wütend. Nun war sie einfach nur noch verwirrt. Die Hexe schwieg wieder, ebenso wie Memphis. Doch ein Blick zu ihm verriet Lilly, dass er tief in Gedanken versunken war.

Er kannte Hayleys Geschichte natürlich und wusste um die Zusammenhänge, doch Lilly musste einfach noch mal fragen. „Du kennst ihn? Also, ich meine, so richtig?“

Die Hexe warf ihr einen vorsichtigen Blick zu. „Ja“, antwortete sie, etwas kleinlauter als sonst. Sie kannte Raphael. Wirklich gut sogar, wie es schien. Und Memphis wusste offensichtlich auch über diesen Umstand Bescheid.

„Du verarscht mich doch? Ihr beide tut das! Das kann nicht euer Ernst sein!“ Lillys Blick flog ungläubig zwischen den beiden hin und her. Endlich tauchte auch Memphis wieder aus seinen Gedanken auf. Lillys nun wieder zornige Stimme musste der Auslöser gewesen sein. Er sah sie lange an, dann wandte er den Blick ab.

Sie funkelte ihn wütend an. „Ich will alles wissen! Sofort!“ Sie trat auf ihren Freund zu, doch er sah sie nicht an, was Lilly nur noch wütender machte. „Memphis! Ich will das jetzt wissen! Warum habt ihr uns das nicht gesagt?“ Sie war sich sicher, dass auch Denniz keine Ahnung davon gehabt hatte. Denniz, ohne den sie nun leben musste, weil Raphael Rache genommen hatte und ihn hatte verbrennen lassen, vor ihrer aller Augen. Lillys Augen brannten, denn nun stiegen Tränen in ihnen auf. Tränen der Wut.

„Memphis!“, forderte sie erneut, denn er rührte sich nicht. Sie wandte den Blick zur Hexe, die genauso schuldbewusst aussah, wie ihr Freund. „Dann eben du!“ Binnen eines Wimpernschlages stand sie vor Hayley und hielt den Blick starr auf sie gerichtet. „Sprich!“

Hayley hielt ihrem Blick abermals stand, schwieg noch kurz, dann schien sie zu entscheiden und endlich redete sie. „Ich kann und will dir das jetzt nicht alles erklären. Es wäre zu viel und es sind Dinge dabei, die ich einfach nicht erzählen will.“

Lilly öffnete schon den Mund, um zu protestieren, doch Hayley hielt sie auf.

„Ich werde dir alles erzählen, was du wissen musst und ich werde versuchen, dir alle deine Fragen zu beantworten. Aber du musst verstehen, dass es eine wirklich schwere Zeit für mich war. Eigentlich wollte ich nie wieder einen Gedanken daran verschwenden.“

Sie musterte die Hexe kurz, dann nickte sie. „Ist gut“, sagte Lilly knapp und nahm ein Stück Abstand. Mit verschränkten Armen wartete sie darauf, dass ihre Freundin zu erzählen begann.

„Ich kenne Raphael schon sehr lange. Du wolltest mal wissen, wie alt ich bin. Es werden dieses Jahr 248 Jahre.“

Lilly klappte der Mund auf. Sie wusste, dass die Hexe alt war. Aber so alt?

„Es gibt einen Zauber, der unser Leben verlängert. Wir sind nicht unsterblich wie ihr. Außerdem altern wir. Als ich diesen Zauber für mich gewirkt habe, war ich 17.“

Lilly verstand, was sie meinte. Hayley wirkte keinesfalls wie 17. Eher ungefähr so alt wie sie selbst war, also etwas um die 20.

„Ich gehörte schon immer zu der stärkeren Sorte Hexen, weil ich in eine Magierfamilie geboren wurde. Meine Eltern und Geschwister waren Magier und so habe ich schon im Kleinkindalter das Zaubern gelernt.“

Lilly nickte abermals nur, um sie nicht unnötig zu unterbrechen.

Hayley fuhr fort. „Als ich alt genug war, musste ich mir einen Zirkel suchen. Damals galt es als unrein und abtrünnig, wenn man keinem angehörte. Ich war naiv, dumm und überheblich und habe mich für einen entschieden, den meine Familie nicht guthieß.

Sie verstießen mich daraufhin, aber es war mir egal. Ich hatte meinen Zirkel gefunden und Raphael gehörte dazu. Er war ein normales Mitglied wie ich und wir haben uns wirklich gut verstanden. Bis der damalige Älteste starb. Seine Nachfolgerin stellte alles auf den Kopf und verwarf die alten Regeln. Sie schuf neue, zu denen unter anderem der Zauber der Langlebigkeit gehörte. Ich fand das nicht schlecht und habe ihn studiert, bis ich herausfand, dass man ein Menschenopfer dafür bringen muss. Es ist dunkle Magie und was sonst schenkt einem das Leben, wenn nicht das Blut eines anderen?“

Lilly ließ die Arme sinken und starrte die Hexe mit offenem Mund an. „Du hast jemanden umgebracht?“

„Ja“, kam die kurze Antwort. „Und ich bin nicht stolz darauf. Ich war es nie und werde es nie sein. Aber bitte lass mich weiter erzählen, dann kannst du Fragen stellen.“ Hayley warf ihr einen fragenden Blick zu und Lilly nickte wieder.

Dann sprach die Hexe weiter. „Ich habe mich lange gewehrt, den Zauber zu wirken. Doch unsere Älteste hatte ihre Methoden, um uns unterwürfig zu machen, also haben wir ihn schlussendlich alle gewirkt. Neun Opfer gab es damals. Zwei davon gehörten zu Raphael und mir. Wir veränderten uns. Nicht wegen des Zaubers, sondern wegen des Opfers. Während ich eine lange Phase der Depression durchgemacht habe, wurde Raphael fast ein wenig größenwahnsinnig. Er strebte den Nachfolgeposten der Ältesten an. Du kannst dir vorstellen, wie sie reagiert hat, als sie es herausfand.

Auch sie hatte den Zauber gewirkt und nur ein Mord an ihr, hätte die Stelle für ihn freigemacht. Da fing das Chaos an. Raphael wandte sich vom Zirkel ab und der Rest von uns sollte von nun an für den Schutz der Ältesten sorgen, denn er trachtete ihr offen nach dem Leben. Sie band uns magisch an sich und verlangte die dunkelsten Zauber von uns. Schwarze Magie ist das unreinste Mittel, um zu schützen, aber leider auch das effektivste. Ich konnte das nicht. Ich wollte es nicht und versuchte ebenfalls auszusteigen, doch sie ließ es nicht zu.“ An dieser Stelle brach Hayleys Stimme.

In Lilly stiegen Schuldgefühle auf. Sie wusste, die Hexe hatte eine schwere Vergangenheit, doch es schien, als würde die Last noch heute auf ihren Schultern liegen.

Memphis schaltete sich ein. „Ich fand Hayley.“

Lillys Blick glitt zu ihm.

Er schaute sie ebenfalls an und setzte dann die Geschichte fort. „Es war in meiner Rüpelphase.“ Die Hexe lachte nun doch kurz und Memphis lächelte. „Ich hatte nichts gegen Magier. Immerhin wäre ich selbst einer geworden und so dachte ich mir, ich könnte sie aufheitern, indem ich sie ein wenig mit auf Reisen nehme, doch sie wollte nicht. Ihr Zirkel und die damit einhergehenden Verpflichtungen ließen es nicht zu, sagte sie.

Ich wollte natürlich wissen, welche genau sie damit meinte und konnte nicht verstehen, dass ein Hexenzirkel so einnehmend sein konnte. Vor allem wo sie noch so jung war und lernen sollte, statt zu dienen. Sie erzählte mir von ihrem Problem und ich beschloss, ihr zu helfen. Der einzige Weg war, die Älteste zu töten. Nur so kann ein Zirkel aufgelöst werden. Zumindest solange kein Nachfolger ernannt wurde.“

„Moment“, unterbrach Lilly ihn. „Das verstehe ich nicht. Solange es keinen Nachfolger gibt? Aber Raphael wäre es doch gewesen? Oder wollte er nur gern?“

„Er wollte nur gern“, antwortete Hayley. „Ein Zirkel hat eine Rangfolge. Einen Ältesten, seinen Nachfolger und die Mitglieder. Der Älteste muss einen Nachfolger bestimmen, noch während er den Zirkel führt. Ein spezielles Ritual hält die Wahl dann fest. Sie kann nicht geändert werden. Unser erster Ältester, Deneyr, hatte seine Nachfolgerin, Svea, schon früh bestimmt. Sie war in ihren jungen Jahren ganz anders gewesen. Er selbst hatte seine Wahl noch kurz vor seinem Tod bereut. Svea hatte jedoch niemanden zu ihrem Nachfolger ernannt. Sie wollte ewig leben, da braucht man so was nicht.“

„Und wenn es keinen Nachfolger gibt, löst sich der Zirkel mit dem Tod des Ältesten automatisch auf“, wiederholte Memphis.

„Wie wollte Raphael dann Nachfolger werden, wenn der doch bestimmt werden musste?“, hakte Lilly nach.

„Schwarze Magie. Er hätte uns ebenfalls mit Zaubern an sich gebunden, wenn wir ihm nicht freiwillig hätten folgen wollen“, antwortete Hayley.

„Aha.“ Mehr wusste Lilly nicht dazu zu sagen. Sie schaute von einem zum anderen und bedeutete ihnen, dass sie weitererzählen konnten.

Memphis nahm den Faden wieder auf. „Da Svea also keinen Nachfolger hatte, bot ich mich an, sie zu töten. Ich weiß, das klingt überheblich. War es auch, aber zu der Zeit war ich eben etwas, na ja, eben überheblicher. Jedenfalls startete ich, nach Hayleys Einwilligung, einen Versuch und scheiterte grandios. Zum Glück war sie aber nicht die Einzige, die aus dem Zirkel raus wollte. Zwei andere schlossen sich uns an und am Ende haben wir es geschafft und konnten Svea erledigen.“

„Danach musste ich verschwinden“, sprach nun Hayley weiter. „Weil ich wusste, dass Raphael auch mich suchen würde. Er wollte mich für seinen Zirkel, das hatte er schon vor seinem Verlassen klargemacht. Also dankte ich Memphis, indem ich ihm eine, und es war überhaupt die einzige, Möglichkeit gab, mich zu finden. Ich wollte es ihm ausgleichen, wenn er mal meine Hilfe brauchen würde. Von da an blieb ich nie lange an einem Ort. Raphael verfolgte jeden von uns. Ich weiß, dass keiner zu ihm gehören wollte und er strafte alle mit dem Tod. Wie ich ihm so lange entkommen konnte, ist mir selbst ein Rätsel.“

„Deine Schutzzauber waren es“, warf Memphis ein.

„Vielleicht“, gab die Hexe zu. „Jedenfalls hielt ich mich von ihm fern, bis Memphis’ Ruf mich erreichte. Wir schlossen uns zusammen und kamen hierher. Den Rest kennst du.“

„Also kennst du Raphael schon von der Zeit an, als er noch sterblich war?“, hakte Lilly nach.

„Ja.“

„Und er hat dich verfolgt, wie er auch Memphis verfolgt?“

„Ja. Nur eben aus anderen Gründen. Ich denke, er würde auch heute noch nach mir suchen, wenn wir uns in der Fabrik nicht begegnet wären.“

„Ihr habt beide jemanden getötet, um diesen Lebenszauber zu wirken?“

„Ja. Bei ihm scheint es etwas geändert zu haben. Vielleicht fand er Gefallen an der schwarzen Magie. Ich weiß nicht, warum er sich so verändert hat. Er war der Einzige, der so geworden ist.“

„Warum hast du dich ihm nicht einfach angeschlossen?“

Jetzt war es an Hayley, Lilly ungläubig anzuschauen. „Du weißt doch, wie er ist. Denkst du, ich wollte von einem Übel zum nächsten wechseln?“

„Er hat seltsame Methoden, Leute auf seine Seite zu ziehen. Aber ich glaube nicht, dass er so extrem ist, wie diese Svea.“

„Lilly. Er hat dich gefoltert“, erinnerte Memphis sie und bekam dafür einen bösen Blick.

„Danke, daran musst du mich nicht erinnern. Ich meine auch eher die Tatsache, dass die Leute, die jetzt in seinem Zirkel sind, offensichtlich nichts auszustehen haben.“ Lilly dachte an Quentin. „Klar, es ist vielleicht nicht perfekt, aber wenn du dich ihm freiwillig angeschlossen hättest, hätte er dich sicher nicht gefoltert wie mich.“ Sie warf Memphis einen vielsagenden Blick zu, wandte sich dann aber gleich wieder an die Hexe. „Und du hättest dir jahrhundertelanges Fliehen erspart“, schloss sie.

„Ich wollte aber nicht. Du hast keine Ahnung, wie es ist, in einem Zirkel festzuhängen. Das ist nicht wie eine Clique, bei der man einfach geht, wenn es einem nicht mehr passt. Raphael war auch noch Teil von Sveas Zirkel, auch wenn er sich von uns ferngehalten hat. Ich habe den Lebenszauber gewirkt. Wäre ich seinem Zirkel beigetreten, wäre ich heute auch noch da. Ob ich noch will oder nicht. Vielleicht bindest du dich gern für die Ewigkeit. Ich halte mir meine Zukunft lieber offen.“

„Was soll das denn heißen?“ Wollte die Hexe auf ihre Beziehung zu Memphis anspielen?

Die konnte durchaus eine Ewigkeit dauern, immerhin waren Lilly und er Vampire und damit unsterblich.

„Gar nichts. Ich mein ja nur.“

„Verkneif dir deine Meinung über meine Zukunft“, giftete Lilly nun wieder. Die Hexe dachte wirklich, sie könne sich ein Urteil erlauben! Die Wut darüber, dass Hayley nichts über den Hexer gesagt hatte, wurmte Lilly auch noch immer. Sofort war Memphis bei ihr und legte seine Hände auf ihre Schultern. Seine Berührung beruhigte sie etwas.

„Wir sollten nicht streiten“, sagte er ruhig und sah dabei auch Hayley an.

Die Hexe wandte den Blick von ihm zum Tisch und schloss dann die Augen.

Lilly atmete tief durch. Er hat recht. Ich muss ruhiger werden. Hayley hat keine Ahnung, was in mir vorgeht. Sie muss es auch nicht wissen. Es hilft sowieso keinem, dachte sie traurig und sagte laut: „Du hast recht. Tut mir leid, Hayley.“

„Schon gut. Ich kann mir vorstellen, dass das etwas viel ist.“

„Es ist nicht viel. Es ist unerwartet. Zumal das wirklich was ist, was wir hätten wissen sollen.“

„Was hätte es denn geändert?“ Jetzt schaute die Hexe ihr wieder direkt ins Gesicht.

„Ich weiß nicht. Vielleicht hätten wir anders reagiert.“

„Nein, hättet ihr nicht. Raphael wusste bis zu diesem Tag ja auch nichts von mir. Wenn er es gewusst hätte, hätte er meine Schutzzauber sofort brechen können. Er kennt mich zu gut.“

Lilly runzelte die Stirn. „Soll das heißen, er kann es jetzt tun? Er weiß jetzt, dass du uns schützt.“

„Sehr wahrscheinlich hätte er es schon getan.“

„Hätte?“

„Ich habe sie gelöst.“

„Was?! Warum denn?“, fuhr Lilly erschrocken auf.

„Weil sie nichts mehr nützen.“

„Aber ... was? Wir sind doch noch hier!“

„Und er hat, was er wollte“, warf Memphis ein. „Bis auf dich.“

Lilly erstarrte. Bis auf sie?

Dann erinnerte sie sich. Er hatte ja gedroht, Memphis alles zu nehmen, was er liebte. Dazu gehörte auch sie.

Memphis fing ihren ängstlichen Blick auf und fuhr ihr beruhigend mit den Fingerknöcheln über die Wange, dann sagte er: „Keine Sorge. Du hast noch Schutz.“

„Stimmt. Ich habe alle Schutzmaßnahmen, die das Haus geschützt haben, auf dich übertragen und dir angepasst. Er sollte nicht so schnell an dich rankommen.“

„Aber hast du nicht gesagt, er kennt dich und deine Zauber?“

„Ja, das tut er. Allerdings habe auch ich mich weiterentwickelt und verändert. Er wird meine Zauber brechen, so viel ist sicher. Doch bis dahin haben wir etwas Zeit. Und da du, mhh, kleiner bist als das Grundstück, sind die Zauber konzentrierter und damit stärker.“

„Oh. Ehm, also, danke.“

„Kein Ding.“

„Erklär ihr auch die Sache mit dem Sammeln“, forderte Memphis die Hexe auf, dann sah er Lilly an. „Wir hatten uns vorhin darüber unterhalten, als du jagen warst.“ Er versuchte offenbar, einem erneuten Ausbruch vorzubeugen.

Hayley stieg sofort ein, bevor Lilly protestieren konnte. „Na ja. Also wir wissen, dass Raphael mächtige Magier und Vampire rekrutiert.“

Lilly nickte zustimmend.

„Denniz wäre mächtiger gewesen, als alle im Zirkel zusammen. Er hatte zwei Elemente unter seiner Kontrolle und war dazu noch ein Unsterblicher.“

Wieder konnte Lilly nur nicken und wusste, dass es Memphis genauso sehr weh tat, an ihren Freund zu denken. Seine Hände lagen nun um ihre Taille, während sein Kopf an ihrem lag.

„Ihr kennt meine Meinung zu Denniz’ Tod. Ich kann mir wirklich gut vorstellen, dass Raphael ihn nicht getötet hat. Ich meine, die Wahrscheinlichkeit, dass er noch lebt, ist wirklich groß. Dass Raphael ihn mitgenommen hat.“

„Aber Hayley. Er ist ...“ Lilly konnte es nicht sagen. „Ich habe ... Hayley, da war ... Asche.“

„Ja.“ Die Hexe klang traurig und sprach sehr leise, dann hob sie den Blick abermals zu den beiden. „Aber Denniz war mächtig. Und ich glaube einfach nicht, dass Raphael ihn einfach so auslöschen würde.“

„Er hat gesagt, so viel wäre er auch nicht wert, um sein Leben dafür zu riskieren“, meinte Memphis leise.

Trotz all seiner Hoffnung konnte Lilly hören, dass auch er Zweifel hegte. „Für uns war er alles“, flüsterte sie erstickt und er zog sie enger an sich.

„Trotzdem. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er ihn vernichtet hat.“ Hayley klang zuversichtlich und Lilly beneidete ihre Freundin dafür. Sie wünschte es sich ebenfalls. Sie wollte Denniz wiederhaben und ihr Herz tat verflucht weh bei der Erinnerung, an das Gefühl seiner Asche auf ihrer Haut und an seine letzten Worte. Sein Ich hab dich lieb und das sanfte Lächeln, bis er zerfallen war, wie eine Statue aus Sand im Wind.

„Was macht dich so sicher?“, wollte sie von der Hexe wissen.

„Allein die Tatsache, dass Raphael ein Sammler ist. Er will Macht und wäre echt dumm, solch eine Macht wie Denniz sie hatte, zu zerstören.“

„Und wie hat er es gemacht? Ich meine, wir haben alle gesehen, was passiert ist.“ Lillys Stimme klang belegt.

„Ich weiß nicht. Wenn es ein Zauber war, dann habe ich so einen noch nie gesehen. Aber was sollte es anderes gewesen sein? Vielleicht war es eine Illusion? Vielleicht war Denniz schon gar nicht mehr da?“

„Er war es.“ Jetzt brach Lillys Stimme endgültig. Sie war sich sicher, dass er es gewesen war. Sie wusste es einfach.

„Dann hat er einen Zauber über ihn gelegt. Irgendwas, was uns hat denken lassen, er wäre verbrannt.“

„Und wenn es so wäre? Was glaubt ihr, wo er hin ist?“ Lilly sah abwechselnd zur Hexe und über die Schulter zu Memphis. Dann fiel ihr eine Antwort ein und sie stieß sich mental selbst vor den Kopf, nicht schon früher auf diese Idee gekommen zu sein. Wobei es auch mehr als unwahrscheinlich war. Der Zirkel wusste, dass Lilly wusste, wo sie lebten. Würden sie überhaupt noch da sein?

Sie glaubte selbst nicht daran, was wahrscheinlich auch der Grund war, warum sie bisher nicht daran gedacht hatte. „In der Kirche“, sagte Lilly schlicht.

„Kirche?“, fragte Memphis und schaute sie stirnrunzelnd an.

„Die Kirche, wo ich auch war.“ Wenn Hayley recht hatte und Raphael ihn nicht getötet, sondern entführt hatte, dann konnte er dort sein. „Quentin hat gesagt, die Schutzzauber bestehen nicht mehr. Ich weiß, wo die Kirche ist. Ich kann euch hinbringen und Hayley, du kannst vielleicht was rausfinden.“ Hoffnung keimte in ihr auf.

„Denkst du wirklich, Raphael hat Denniz dort hingebracht?“ Memphis klang zwar hoffnungsvoll, doch auch argwöhnisch. „Ich meine, ich hatte die Idee auch, aber ich glaube nicht ...“

„Ich weiß nicht, was ich denken soll“, unterbrach Lilly ihn. „Aber was Hayley sagt, klingt logisch. Raphael wollte die ganze Zeit Denniz haben, weil er Erde ist. Er wollte über mich an ihn herankommen“, erinnerte sie sich laut. „Er meinte, er hat schon einen Wasservampir, deswegen brauchte er mich nicht.“

Hayley richtete sich auf und meinte: „Mit Denniz hat er die Elemente jetzt komplett. Und da Denniz allein sogar zwei beherrscht, hat er auch noch einen mächtigen Elementarier. Memphis, lass uns zu der Kirche fahren. Vielleicht kann ich was ausmachen.“

Memphis schaute von einer Freundin zur anderen.

Lilly konnte die Zweifel in seinen Augen lesen, doch auch er wollte seinen Freund wiederhaben.

Er würde auch diesen Strohhalm greifen. „In Ordnung. Lasst uns gehen.“

Der neue kleine Funke von Hoffnung brannte in Lilly und sie nährte ihn weiter. So schnell würde sie nicht aufgeben. Wenn es auch nur die geringste Hoffnung gab, dass Denniz noch lebte, dann würde sie alles daran setzen, ihn zu finden und zurückzuholen. Und vielleicht würde ihr eigener Abgrund, dann in weitere Ferne rücken.

Vampirmächte

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