Читать книгу Schein der Scheine - Steffi Scheinemann - Страница 6
DIE ERSTEN ERLEBNISSE, DIE MAN HERAUSHEBEN SOLLTE
ОглавлениеImmer noch vom anfänglichen Enthusiasmus begleitet, nahm ich Fahrstunde um Fahrstunde. Als mein Fahrlehrer irgendwann mal im Urlaub war, war das wie Entzug. Jede Stunde hatte ich eine neue Herausforderung zu bewältigen. Immer neue Eindrücke aus dem Leben eines Autofahrers stürzten auf mich ein und wurden anfänglich nur sehr schwer verdaut. Aber es machte riesigen Spaß, die Stadt bzw. Kreuzberg und Neukölln aus dieser ganz besonderen Perspektive kennen zu lernen. Es gibt halt einen Unterschied zwischen Beifahrer- und Fahrersitz. Dies erkannte ich schon zu dieser Zeit sehr deutlich. Die Aufregung vergaß ich ebenfalls ganz schnell. Voller Konzentration tauchte ich in die Welt der roten Ampeln, Sackgassen, verkehrsberuhigten Bereiche und „Verkehrsrowdies“ ein.
Das erste lutzige Erlebnis hatte ich bei meiner sechsten Fahrstunde: Mein Fahrlehrer und ich hielten uns gerade in der Straße auf, wo ich das Anfahren gelernt hatte. Wir beschäftigten uns mit den Eigenheiten des Abbiegens. Was ich damit meine? Na ja, kleine Kinder, die man erst kurz vor dem Zusammenprall erblickt oder Fußgänger, die sich nicht entscheiden können, ob sie Straße überqueren wollen oder nicht oder „Verkehrsrowdies“, die die gesamte Straße für sich beanspruchen oder Autos, die an der ungünstigsten Stelle der ganzen Umgebung in zweiter Spur stehen oder, oder, oder. Stundenlang könnte ich die Liste noch fortsetzen. Für den Anfang reicht das, oder? Ich komme später an passender Stelle darauf zurück. Nun, während mein Fahrlehrer mich in die Geheimnisse oder auch Tücken des Abbiegens einweihte, wobei wir in zweiter Spur standen, kam ein junger Mann auf uns zu fragte mich, ob ich gerade Prüfung hätte. Meiner Menschenkenntnis nach zu urteilen, schien es wirklich ernst gemeint zu sein und ohne jegliche Hintergedanken. Ich verneinte so freundlich wie er gefragt hatte. Daraufhin entschuldigte er sich für die Störung und wünschte mir mit einem angenehmen Lächeln viel Erfolg auf meinem Weg. Er war von meinem Können durchaus überzeugt. Trotzdem war er absolut nicht mein Typ. Hinterher wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Heute kann ich darüber herzhaft lachen. Wir beendeten die Fahrstunde ohne weitere eigenartige Vorkommnisse.
Nachdem ich nun nach etlichen Abbiege- Vorgängen weitere Lektionen des Autofahrens gemeistert hatte, wurde es meinem Fahrlehrer, allen Anschein nach, zu langweilig nur vorwärts zu fahren. Folglich quälte er mich dreimal je 40 Minuten in einer Sackgasse mit Rückwärtsfahren. Hätte uns jemand gesehen, hätte er wahrscheinlich die Polizei geholt oder eine Polizeistreife in der Nähe angehalten, um den betrunkenen Fahrer unseres Fahrzeugs aus den Verkehr ziehen zu lassen. Trotz größter Anstrengung ist es mir schlichtweg nicht gelungen, auch nur 20 Meter gerade rückwärts zu fahren. Außer, dass ich mir schrecklich den Hals verrenkte brachte ich nichts zustande. Mein Kopf flog regelrecht von links nach rechts, damit ich bloß nicht den Überblick verliere. Die Anweisungen und Tipps meines Fahrlehrers halfen mir entweder nur geringfügig oder gar nicht Das kam noch erschwerend für mich hinzu. Ständig waren meine Bemühungen von einem Zick- zack- Kurs gekennzeichnet. Ich halte sonst nicht viel von Pauschalisierung. Aber an das Gerücht, dass Männer besser rückwärts fahren können, schließe ich mich ohne „wenn und aber“ an. Diese Sackgasse existiert zu meinem eigenen Schutz heute nicht mehr im Stadtplan. Ansonsten hätte ich schon hier die Flinte ins Korn geworfen. Gott sei Dank ist niemand zu Schaden gekommen. Aber auch diese Fahrstunde ging irgendwann vorbei. Wir beließen es bei einem bescheidenem Erfolg. Rückwärtsfahren war einfach nicht mein Fall. Ich wollte geradeaus weiterkommen.
Die nächste Lektion war eine ganz besondere. Denn eines schönen Tages kündigte mir mein „Autofahr-Gelehrter“ an, dass wir erstmalig in fremdes Gebiet unterwegs sein werden. In dieser Fahrschule war es nämlich so üblich, die Schüler erst damit zu langweilen die Straßen, Häuser, Verkehrsschilder von Kreuzberg auswendig lernen zu lassen, bevor man sich mit ihnen in den Nachbarbezirk traute. Offensichtlich war man hier der Meinung die Straßen des Berliner Bezirkes „Kreuzberg“ seien schwierig genug, um vor Ort das Führen eines Automobils zu trainieren. Wie schon erwähnt, sollte ich nun von dieser Langeweile befreit werden. Vielleicht hatte ich genug überzeugt.
An dieser Stelle muss man sagen, dass mein Fahrlehrer den östlichen gelegenen Teil unserer wunderschönen Stadt dem Westlichen vorzog. Er kam aus Sachsen. Dazu später mehr. Nun gut, ich war für alles offen. Auf „Los“ ging es los. Es dauerte nicht lange, bis ich realisierte, warum ich dort einmal fahren sollte: Die Straßen waren nämlich zum Teil doppelt so breit, hatten unheimlich verwirrend viele Spuren und die Ampelschaltungen schienen ihren eigenen Gesetzen zu folgen. Diese Überbauungen, an denen gleich eine ganze Palette von „dreifarbigen Leuchtlampen“ montiert waren, waren für mich genauso neu wie der grüne Pfeil, der auf der rechten Seite befestigt war. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes im „Wilden Osten“ gelandet. Kurz zur Erläuterung: Wenn man ein Verkehrsschild mit einem grünen Pfeil vor sich hat, in dessen Richtung man abbiegen möchte, dann kann man unter Beachtung der Vorfahrt auch bei „Rot“ über die Ampel fahren. Also, ganz schön verwirrend und gefährlich, wenn man mich fragt. Ich dachte und denke mir, wer dieses Verkehrszeichen erfunden hat, muss entweder ein verkehrsteilnehmender Optimist, mitmenschlicher Idealist oder einfach nur ein Träumer in Eile gewesen sein. Aber was soll es, es ist einfach da und musste von mir als Fahrschülerin irgendwie beachtet und gemeistert werden. Ob ich nun wollte oder nicht, stand hier nicht zur Debatte.
Die breiten Straßen waren zum Üben des Fahrstreifenwechsels geradezu prädestiniert. Wenn da nur die anderen Fahrer abwesend gewesen wären. Bald hatte ich mich eingelebt und bin hinter das ein oder andere Geheimnis der sehr kreativ montierten Hinweisschilder gekommen. An der Stelle hatte sich die eine Aufmerksamkeit in meiner allerersten Theoriestunde ausgezahlt. Normalerweise stehen doch die Vorfahrtsgewährenschilder auf der rechten Seite? So war ich zumindest gewohnt. Im Gegensatz zu den 30er-Zonen-Schilder und ihren Pedanten. Bei aller Unübersichtlichkeit, die im „Wilden Osten“ zu Tage kam, klebten meine Blicke rechts bei jeder noch so kleinen Kreuzung oder Straßeneinmündung, um mir den Hauch einer Chance zu bewahren, die Vorfahrtsregelung zu klären. Das tat ich sowohl hochkonzentriert, als auch sehr gewissenhaft. Durch Blicke in Rück- und Seitenspiegel entging mir nichts. Bis mein Beifahrer bat, ich solle meinen Blick kurz nach links schwenken. Da überfiel es mich. Einfach so mitten auf dem Mittelstreifen stand es da. Es kam total unverofft: Ein Vorfahrtsgewährenschild. Dieses verdammte Ding hat mich damals ganz schön aus der Fassung gebracht. Warum nur?
Natürlich fragte ich sofort, wozu dieses Teil dort dienlich sei. Mein Fahrlehrer klärte mich darüber auf, dass sich auf dem Mittelstreifen Straßenbahngleise befänden und dieses Teil der Tram, auch passenderweise Straßenbahn genannt, den Vorrang einräumte. Würde das Ding dort nicht stehen, hätten die anderen Verkehrsteilnehmer, die aus unserer Richtung kämen Vorfahrt, weil die Straßenbahn an dieser Stelle einem dem Fahrstreifenwechsel ähnelndem Vorgang vollzog. Und bekanntermaßen besitzt der Verkehr, der die Spur bereits benutzt den Vorrang. Plötzlich entsinnte ich mich wieder daran, was ich gelernt hatte: Die Straßenbahn genießt nicht von vornherein überall die Vorfahrt. Diese Erkenntnis war mir jedoch ehrlich gesagt neu. So gesehen war die Existenz des dreieckigen Schildes an dieser Stelle gerechtfertigt. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, mich mit diesem Faktum anzufreunden.
Als ob die Fußgänger, die mich mit ihrer Unentschlossenheit meinen Weg zu kreuzen im Ungewissen ließen; die Fahrradfahrer, die mir mit ihrem Fortbewegen auf der Straße das Leben nicht schon schwer genug machten; die dicken Brummis, die mir regelmäßíg die Sicht wegnahmen; und die Taxis, die immer hupten, weil ich nur mit 50 km\ h durch die Stadt raste, nicht genug schon Stress darstellten, musste ich nun zusätzlich auf Straßenbahnen achten. Diesen Umstand empfand ich als recht unfair. Also, eigentlich fahre ich ganz gerne mit der Straßenbahn, die mir eben nur aus dem Ostteil meiner Heimatstadt bekannt war. Ich finde diese Art der Fortbewegung gemütlich. Das rührt wahrscheinlich daher, weil ich selten die Gelegenheit habe, diese ganz spezielle Bahn zu benutzen. Es bereitete mir Freude, die Leute beim fahren anzuschauen, die sich total abgehetzt durch das Gewühl des Alltags schlängeln. Jedoch als Autofahrer sah die Welt schon etwas anders aus, weil diese recht nett aussehenden Dinger für mich einen weiteren Streßfaktor darstellten. Die Straßenbahn stellt für mich eine Mischung aus Bus und Bahn dar, wobei ich sie wie einen ganz normalen Verkehrsteilnehmer zu behandeln hatte, wie ich bei meiner ersten Begegnung als Fahrschülerin mit diesem öffentlichen Verkehrsmittel gelernt habe. Das Gefährliche bei ihr ist, dass sie bei Gefahr in keinster Weise ausweichen kann. Ihr bzw. ihrer Anwesenheit muss also höchste Aufmerksamkeit entgegengebracht werden, so wahr meine Sicht dieses Faktes. Wie ich bei der heutigen Fahrstunde feststellte, war sie ein vollwertiger Teilnehmer im Straßenverkehr. Dies war eine durchaus neue und faszinierende Erkenntnis.
Als wichtiges Fazit dieser Geschichte zog ich, dass Vorfahrtsgewährenschilder nicht nur auf der rechten Seite zu suchen sind, sondern im Prinzip überall. Dann kann man wenigstens nichts falsch machen. Eigenartiger Weise kam ich nie wieder in eine ähnliche Situation. Der Trick des Autofahrens liegt also darin, seine Augen überall dort zu haben, wo es gerade von Nöten ist. Gar nicht so einfach als Fahranfängerin. Es blieb kein einmaliger Ausflug. Ich gab mein Bestes, damit nichts und niemand zu Schaden kommt, mit Erfolg.
Einige Fahrstunden später war ich dann wieder in heimischen Gefilden, wo ich mich fühlbar wohler fühlte, was sich immer wieder auf meinen Fahrstil niederschlug. Dies entging auch meinem Fahrlehrer nicht.
Aber da war noch etwas, was mich nachdenklich stimmte: In unmittelbarer Umgebung der Fahrschule gibt es unheimlich viele 30er-Zonen mit Ampeln versehen. Ich näherte mich einmal einer roten Ampel im Schneckentempo. Bei der Geschwindigkeit, die ich „draufhatte“, war ein Umspringen der Ampelfarbe vorauszusehen. Gedacht und schon passiert. Aufgrund der km\ h- Anzahl, die mir auferlegt war, dauerte es noch ein wenig bis in den Genuß der störungsfreien Weiterfahrt kommen sollte. Just in diesem Moment rauschte ein schwarzer Porsche mit einer Geschwindigkeit von mindestens 60km\h von links nach rechts über die Kreuzung. Der hatte auf jeden Fall schon „dunkelrot“ gehabt. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn ich ein klitzekleines Bisschen mehr Gas gegeben hätte. Ein Zusammenprall wäre unvermeidbar gewesen. Darf ich vorstellen- das war „mein“ erster waschechter Verkehrsrowdy.
Das war der erste Streich und zweite folgt sogleich.
Für das Verständnis der nächsten heiklen Situation ist es erforderlich einige Worte über die unmittelbaren Umgebung der Fahrschule zu verlieren. Sie liegt nämlich in einem verkehrsberuhigten Bereich. Bekanntlich bedeutet das: In den ersten Gang zu gehen, den Fuß vom Gaspedal nehmen und mit Schritttempo Ausschau nach auf der Straße spielenden Kindern oder anderen Menschen halten, indem man den Kopf unentwegt in alle Richtungen bewegt. Da gab es nur einen Haken. Es hielt sich keiner, außer den Fahrschüler natürlich, an diese Vorschriften des „Dahintuckerns“.
Schon beim ersten Mal wurde ich mir meiner Position als „dahintropfendes Etwas“ am Ende einer jeden Fahrstunde bewusst. Trotzdem ließ ich mich von Anfang an nicht beeindrucken und behielt beharrlich mein atemberaubendes Tempo bei. Alles andere wäre auch falsch gewesen. Idioten gibt es schließlich überall.
Jedoch einmal übertrieb es einer mächtig, der es verdammt eilig hatte. Er setzte sich hinter uns, hupte unentwegt und versuchte uns zu überholen. Dabei hatte er übersehen, dass es wenige Meter vor uns zu einem städtebaulichen Engpass kam, worauf er mit einer weiteren Tempoerhöhung reagierte und uns dadurch bei einem Überholvorgang um Haaresbreite in den Kotflügel „gerauscht“ wäre. Durch eine Vollbremsung meinerseits konnte ich das Schlimmste verhindern.
Das war also ein Exemplar von Persönlichkeiten mit denen ich mich zukünftig herumschlagen musste. Wirklich prickelnd schöne Aussichten. Ich verstehe bis heute nicht, was sich für die Leute verändert, wenn sie ca. zwei bis fünf Minuten eher zu Hause sind, sofern sie überhaupt dort angekommen.
Wie oft fragte ich mich seit diesem Zeitpunkt, wie die wohl an ihre Fahrerlaubnis gekommen sind? Entweder war der Prüfer blind bzw. taub oder wir haben es hier mit an Schizophrenie erkrankten Leuten zu tun. Vielleicht haben sie sich nur einfach schrecklich zusammengerissen. Oder sie haben ihren „Lappen“ bei Neckermann gewonnen. Ich weiß es nicht.
Allerdings weiß ich aus meinem Bekanntenkreis, dass solche Leute in der Lage sind, sich sogar zweimal zusammenzureißen.