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Zur selben Zeit in Albuquerque tippte Jeremy White – Chef des Southeast Command des Albuquerque Police Departments Jeremy Calvin White mit vierzehn Jahren als United States Marine in seinem Lebenslauf – mit dem Kugelschreiber auf die weißlackierte Oberfläche seines Schreibtischs.

Tack, tack–tack; tack, tack–tack.

„Setzen Sie sich, Sergeant. Seit wann?“

White guckte auf den Kugelschreiber in seiner Hand, blau mit schwarzem Schriftzug der Isotopes, und er fragte sich, wann er zuletzt bei einem ihrer Spiele war. Und warum sie dort billige Kugelschreiber verteilt hatten. Und was schon wieder mit diesem gottverdammten Mitchell war.

„Seit gestern Abend, Sir“, sagte Peña und setzte sich auf den Stuhl aus Plastik und Stahlrohr vor Whites Schreibtisch. „Officer Mitchell hatte um neun Dienstschluss, aber dann kam noch ein DIP rein, und weil er am nächsten dran war, hat er das noch bekommen. Um halb elf war er zurück und hat sich abgemeldet.“

„Ein DIP? Hm. Wie viele?“ White guckte Peña an.

„Zwei.“

„Und die beiden sind jetzt noch in der Ausnüchterung?“ Er wartete auf eine Antwort. „Sergeant?“

Peña schüttelte den Kopf.

„Sie wurden bereits rausgelassen?“

Peña schüttelte wieder den Kopf. „Officer Mitchell hat keinen Arrest gemacht, Sir.“

Whites Stirn legte sich in Falten. „Und warum nicht?“

„Ich weiß es nicht, Sir. Ich hatte keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Und seinen Bericht hat er noch nicht geschrieben.“

White atmete hörbar aus. „Gestern also.“

„Ja, gerade gestern. Ob das ein Zufall ist?“

„Zufall ... Keine Ahnung. Was meinen Sie, Sergeant?“

Peña guckte an White vorbei gegen die Wand. „Ich würde gerne an einen Zufall glauben, Sir.“

White nickte. „Ich auch. Verdammt. Gerade gestern. Mitch the Bi- ... Ah, das haben Sie jetzt nicht gehört, Sergeant.“

Peña nickte.

White lehnte sich zurück.

Gestern.

Fuck, das war nicht gut. Gar nicht gut.

„Wir müssen hier schnell reagieren“, sagte White.

Peña nickte.

„Weil, wir reagieren nicht schnell, und andere übernehmen das Kommando. Suchen Mitchell. Finden ihn und ... und dann ...“

Peña nickte.

„Wie viele Kollegen sind hier, Sergeant?“

„Alle der ersten Schicht, die Hälfte der zweiten, Sir. Ich habe sie schon zusammengerufen. Sie warten auf Sie.“

„Gut.“ White sagte, „Was denken Sie, Sergeant? Wenns kein Zufall ist?“

Peña zog ein Gesicht. „Mehrere Möglichkeiten, Sir. Keine, die uns gefallen könnte.“

„Ja, eine schlimmer als die andere.“ White drehte den Kugelschreiber in der Hand.

Peña wartete und sagte dann, „Sir?“

„Ja?“

„Officer Mitchell hatte offensichtlich ... Nun, er ist ja verheiratet und hat Kinder und alles. Aber er hatte wohl eine Sache laufen.“

White wartete. „Sprechen Sie, Sergeant. Mitchell hatte eine kleine Lady on the side?“

„Nun, so weit würde ich nicht gehen, Sir. Er hat eine Dana kennen gelernt, in Benson Trail. Das hat er Sergeant Morales erzählt. Dana oder Ana.“

„Dana oder Ana?“

„Officer Mitchell war sich nicht sicher.“

„Der hat was mit einer laufen und weiß ihren Namen nicht?“

„Tja.“

„Und die Morales hat sich mit Mitchell darüber unterhalten?“

„Weniger unterhalten, Sir. Es war nur kurz, kein Gespräch, Sergeant Morales meint, Officer Mitchell wollte ihr gegenüber nur angeben. Was ich denke, Sir, Benson Trail, wenn Mitchell nach Santa Fe fährt, ich könnte mir vorstellen, dass er auf der Rückfahrt einen Abstecher nach Benson Trail macht zu dieser Dana oder Ana. Ist ja nicht so weit.“

„Er könnte also gestern dort gewesen sein.“

„War mein Gedanke, Sir.“

„Dann könnte es doch ein Zufall sein."

„Vielleicht."

„Gut. Checken Sie das. Am besten sofort.“ White war still.

„Sollten wir hinüber gehen? Die Kollegen warten. Sir?“

„Sind Sie ein Fan der Isotopes, Sergeant?“

„Uh ... ich ... uh ...“

„Schon gut, Sergeant, ich auch nicht. Miserable Mannschaft. Und verteilen miserable Kugelschreiber. Ich frage mich wirklich, was dieser Mitchell ... Egal jetzt. Gehen Sie schon mal vor. Sorgen Sie dafür, dass sich niemand aus dem Staub macht. Rufen Sie Morales dazu. Und informieren Sie Vazquez, der sollte auch davon wissen. Aber leise.“

„Yes, Sir.“

„Ich mache ein paar Anrufe, dann komme ich nach. Schließen Sie die Tür beim Rausgehen.“

Tack, tack–tack; tack, tack–tack.

White sah Peña hinterher, wie der die Tür der Glaskabine schloss, die White als Büro diente, und an den anderen Schreibtischen vorbei und durch die Tür zu seinen Kollegen in den War Room ging.

Guter Cop, dieser Peña. Acht Jahre Soldat, nur Army, aber immerhin. Yes, Sir und Officer Mitchell hat keinen Arrest gemacht, Sir. Peña hätte die Betrunkenen in die Zelle gesteckt und seinen Bericht geschrieben, hätte die Lieferung gemacht und wäre am nächsten Tag zu seinem verdammten Dienst erschienen. Aber dieser Mitchell? Dass sie Typen wie den aufnehmen mussten, hatte nur mit dem Ruf des Police Departments zu tun und mit den Budgetkürzungen der Stadt. Fünfzehn Prozent weniger Gehalt für alle, vom Police Officer bis zum Lieutenant, einfach so. Und dann die Auseinandersetzungen mit Bürgern, die glaubten, in ihren von der Verfassung garantierten Rechten verletzt worden zu sein. Manchmal ging das sogar bis vors Gericht, wenn sich das Department nicht vorher mit denen einigen konnte. Was immer schwieriger wurde, es war ja kaum noch Geld dafür da.

Schießwütig wären sie, hieß es.

Wie sollten die Commander dann noch ihre Leute motivieren? Er schüttelte den Kopf. Das kam dabei heraus, wenn man Zivilisten das Kommando übertrug.

Und jetzt warteten fünfzig seiner Leute auf ihn und wollten sehen, wie ihr Commander auf das spurlose Verschwinden eines ihrer Kollegen reagierte. Dass dieser Mitchell nur ein durchschnittlicher Polizist war und bei seinen Kollegen so bliebt, dass sie ihn Mitch the Bitch nannten, bedeutete jetzt nichts mehr. Ein Kollege war verschwunden. Das würden sie nicht einfach hinnehmen.

White schlug mit der Hand auf den Tisch.

Er würde seinen Leuten und allen da draußen in Albuquerque und Bernalillo County zeigen, dass ein Marine und Commander des ABQPD seine Leute zu beschützen wusste.

Zugleich musste er die Zügel in den Händen halten. Niemand durfte Mitchell finden, ohne dass er dabei war. Oder Peña oder Vazquez. Niemand durfte sehen, was er nicht sehen durfte. Uh, niemand. Besser nicht.

White nahm den Telefonhörer und überlegte. Der Bürgermeister zuerst, denn von ihm kam das Geld. Dann Chief Osborne, der fühlte sich sonst übergangen. Der Chief würde dann die anderen Commander informieren. Und Sheriff Tipps? Hm, hm, Sheriff Tipps ... Sheriff ... tack, tack, tack ... Sheriff Tipps musste warten.

„Was ist los?“ Vazquez hatte sich zu dem Sitz neben ihm durchgezwängt und sich darauf fallen lassen, Plastik mit Stahlrohr, genau wie in Whites Büro. Jetzt hielt er Peña die Schachtel hin.

Peña suchte und wählte einen Donut mit bunten Streuseln und sagte, „So viele unterbezahlte Gesetzeshüter auf einen Haufen hat unser ehrwürdiger War Room noch nicht gesehen“, und biss hinein.

„Nicht, solange ich hier bin. Das sind“ – Vazquez drehte den Kopf – „fast zwei ganze Schichten. Jemand sollte mal die Anlage ... Hey, du, Officer Godzilla.“ An die Wand gelehnt, warf ein großer Officer in Uniform einen langsamen Blick auf Vazquez. „Ja, du, dreh mal die Klimaanlage höher.“ Vazquez machte eine drehende Bewegung mit seiner Hand. „Come on, Amigo, andale.“

Der Große lächelte und sagte, „Warum? Wässerst du schon wieder deinen Stuhl, du ausgespuckte Zwergpygmäe?“, und schob den Kopf nach vorne und atmete zweimal hintereinander hörbar durch die Nase aus und ein, „Uh–huh, Angstschweiß aus allen Poren.“

Einige der Umstehenden lachten. Vazquez lachte ebenfalls, nahm einen Schokoladendonut aus der Schachtel und warf ihn dem Großen zu. Der fing mit einer Hand und bedankte sich bei Vazquez mit einer angedeuteten Verneigung und drehte den Schalter der Klimaanlage.

„Was hat er denn gesagt? Whitee?“ Vazquez nahm einen zweiten Donut mit Schokolade. „Um was gehts?“

Peña sah sich um. Rechts und links, hinter ihnen und vor ihnen. Zu viele Leute. „Mitchell ist verschwunden“, sagte er daher nur, zog aber leicht die Augenbraue hoch.

Vazquez pfiff leise und nickte. Er hatte verstanden.

„Mitchell, ehrlich?“, sagte er in einem Ton, wie jeder seiner Kollegen es von ihm erwartete. „Everett Mitch the fucking Bitch? Dann schmeißt der Commander jetzt eine Party, oder was? Als Entschuldigung dafür“, Vazquez grinste, „als Entschuldigung dafür, dass wir uns zwei Jahre lang mit dem größten weißhäutigen Arbeitsverweigerer nördlich des Rio Grande rumschlagen mussten? Dem besten Kollegen aller Zeiten, der ... ja, der überhaupt nichts, aber auch wirklich gar nichts gegen mexikanische Taco Jockeys hat?“

„Pool Diggers“, sagte Peña.

„Tire Huggers“, sagte Vazquez.

„River Niggers“, sagte Peña und grinste ebenfalls, weil Partner das nun mal so tun.

„Mitchell ist seit gestern Abend verschwunden“, sagte Peña dann.

„Gestern? Ehrlich? Oh Mann.“

„Um halb elf ist er hier raus, aber nie zuhause angekommen. Oder wo auch immer angekommen. Doris hat heute Morgen angerufen, das erste Mal um acht und seitdem ein Dutzend Mal und jeden verrückt gemacht. Hast du zusammen mit diesen Dingern auch Servietten bekommen?“

„Doris? Nachdem sie die ganze Nacht die Bars abgeklappert hat, oder was?“

„Und bei Dienstbeginn auch keine Spur von ihm, aber haben wir dann auch nicht mehr wirklich erwartet. Ob du Servietten hast.“

Vazquez leckte sich Daumen und Finger und nahm den dritten Donut, diesen mit Zuckerguss. „Wie du siehst, habe ich meine Serviette immer dabei. Ich kann sie dir leihen, wenn du willst.“

„Jeesus.“

Vazquez sagte, „Seit gestern Abend also, huh? Und wir müssen nach ihm suchen?“

Peña nahm ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich damit die Hand und sagte für die anderen, „Hör zu, Raul. Hier geht es nicht um Mitchell, okay? Hier gehts um einen Kollegen. Wenn du verschwindest, dann fragt auch keiner danach, ob du ein guter Cop bist und ein guter Partner oder eine Null wie Mitchell. Und keiner wird fragen, ob du schon vierundzwanzig Stunden verschwunden bist, sondern sie machen sich auf die Suche nach dir. Deine Kollegen werden jeden einzelnen Stein nach dir umdrehen. Und weißt du warum? Weil sie die nächsten sein könnten. Weil jeder von ihnen der nächste sein könnte. In der Army haben wir gesagt, Niemand wird zurückgelassen. Und hier werden wir auch-“

Peña sah den Commander hereinkommen und war still.

Wer einen der dreißig Stühle ergattert hatte, der setzte sich. Die anderen standen in zwei Reihen rechts und links und hinten an den Wänden. Keiner sprach mehr ein Wort.

Alle sahen zu, wie sich ihr Commander zwischen Pinnwand und Tisch hinstellte, seinen drahtigen Körper streckte, mit den Handflächen über die kahlgeschorenen Seiten seines Kopfes strich, und wie sich dann mit einem Schlag seine Miene verfinsterte.

Schauspieler, dachte Peña.

White räusperte sich. „Also, einige von euch werden es bereits wissen, für die anderen sage ich es jetzt. Ein Kollege ist verschwunden. Officer Mitchell. Seit gestern Abend halb elf. Er hat sich bei Sergeant Peña abgemeldet und ist raus, seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Seine Frau hat uns heute Morgen informiert ...“ – er schaute Peña an, und Peña sagte, „Doris“ – „Doris. Sie hat die ganze Nacht auf ihn gewartet. Dienstbeginn für Mitchell war heute um neun, aber er ist nicht erschienen. Die von euch mit ihm in der ersten Schicht sind, wissen das. Ihr musstet für ihn einspringen.“

„Mal wieder“, sagte einer.

„Was machen wir jetzt, Boss?“, sagte ein anderer.

„Dazu komme ich gleich. Selbstverständlich werden wir nicht tatenlos bleiben, wenn einer von uns verschwindet. Vielleicht liegt er verletzt in seinem Auto in irgendeinem Graben, nach einem Unfall. Kommt jeden Tag vor. Kann also sein. Vielleicht liegt er aber auch mit einer Kugel im Kopf in einem Kanal; getötet, vielleicht hingerichtet, aus Rache oder weil er einen Deal beobachtet und seinen Job als Police Officer gemacht hat. Oder weil es einem dieser Kerle da draußen langweilig war oder ihm die Hitze in den Blödkopf gestiegen ist und er unbedingt noch vor dem Frühstück einen Cop erschießen wollte. Wer eine Erinnerung daran braucht ... das wäre nicht das erste Mal, dass das passiert, wer also eine Erinnerung braucht, der sollte sich noch einmal die Fotos unserer Kollegen draußen auf dem Flur ansehen.“ White ließ das einen Moment wirken. „Wie auch immer es ist, was auch immer mit ihm ist, Mitchell, wir werden es herausfinden. Wir werden Mitchell finden. Unseren Kollegen. Und wenn er getötet wurde, dann werden wir die Schuldigen finden. Und wenn wir dafür jeden Stein umdrehen müssen.“ Er sagte, „Unser Department hat bei den Menschen dieser Stadt nicht den besten Ruf. Zu einem kleinen Teil vielleicht sogar zu Recht, will ich ja gar nicht abstreiten. Zum größten Teil aber, zum größten Teil zu Unrecht. Und wir werden denen da draußen zeigen, dass mit euch und mit mir nicht zu spaßen ist. Nicht, wenn es um einen von uns geht.“

Ein paar murmelten Zustimmung, eine Handvoll nickte, Peña und seine Kollegin Morales klatschten.

Wenn es um einen anderen Officer gegangen wäre, hätte White jetzt mit der Faust auf den Tisch geschlagen und sie angeschrien und von Moral gesprochen und von Feuer bei der Suche nach ihrem Kollegen oder vielleicht sogar seinen Mördern. Aber dann wiederum, wenn es um einen anderen Kollegen ginge, würden sie jetzt auch dieses Feuer zeigen. Im Grunde konnte er damit zufrieden sein, dass keiner seiner Leute gegen die frühe Suche nach Mitchell rebellierte.

White sagte, „Also, was machen wir konkret? Zunächst werde ich dem Chief, den anderen Area Commandern und dem Bürgermeister vorschlagen, Straßensperren aufzubauen und jeden Wagen zu kontrollieren. Jeden. Vier Stunden lang. Wir werden ihn damit nicht finden, aber wir werden in der Bevölkerung ein Zeichen setzen. Was wir jetzt schon tun können: zwei Mann fahren zu Mitchells Frau. Zu Doris. Wir müssen wissen, wo sich Mitchell in seiner Freizeit herumtreibt, in welche Bars er geht, in welche Casinos, in welche Sportclubs, wer seine Freunde sind-“

Die Liste ist kurz“, sagte Vazquez. Einer in der Reihe hinter ihm lachte.

„-und wer seine Feinde. Mit wem hat er schon mal Ärger gehabt? Nachbarn, Typen von der Straße, der Besitzer des Ladens, wo er jeden Morgen seine Zeitung kauft. Doris wird euch Namen nennen können.“

„Und die Liste ist lang“, sagte Vazquez jetzt und bekam dafür von Peña einen Blick.

„Schon gut, Vazquez, schon gut. Wir alle wissen, dass Sie und Officer Mitchell Probleme miteinander haben. Und andere auch. Aber diese Probleme haben jetzt eine Pause, verstanden?“ White wartete, bis Vazquez nickte und sagte dann, „Vor allem aber werden wir auf die Straße gehen. Jeder Verdächtige wird befragt, und wenn ihr das Gefühl habt, er oder sie hält etwas zurück, bringt sie her. Außerdem werdet ihr eure Kontakte anzapfen. Versprecht ihnen was ihr wollt, um an Informationen zu kommen. Damit fangen wir an.“

„Was ist mit den Indianern, Sir?“, sagte Peña.

„Was ist mit denen?“

„Nun ja, wir alle haben fast täglich mit denen zu tun, und das geht selten reibungslos. Vor ein paar Tagen erst musste sich Sergeant Morales wieder Bemerkungen anhören, von wegen eine Frau kann man nicht ernst nehmen, die kann uns doch nicht beschützen, Sir.“

„Stimmt das, Sergeant?“

„Ich kann damit umgehen, Sir“, sagte Morales.

White nickte. Er hatte von ihr keine andere Antwort erwartet.

Peña sagte, „Die Wahrscheinlichkeit ist daher groß, dass Officer Mitchell ... Ich meine, jeder von uns kann aus dem Stand ein Dutzend Namen nennen, Sir, ein Dutzend Indianer, die ihn gerne skalpieren würden.“

White sagte, „Wen? Mitchell?“

„Nein, Sir, ich meinte ... Jeder von uns kann Namen nennen von Indianern, die jeden von uns ... Also, jeder einzelne hier kann einzelne Namen nennen von Indianern, die jeden einzelnen von uns ... Also nicht nur Mitchell, sondern jeder einzelne-“

„Schon gut, schon gut, ich verstehe“, sagte White. „Ich habe auch bereits daran gedacht. Wir werden daher die Indianer wieder ganz besonders ins Visier nehmen.“

Morales sagte, „Wie verhalten wir uns dann gegenüber den BIA-Leuten, Sir? Die wollen uns nicht in den Reservaten haben.“

„Wir fangen in der Stadt an, Sergeant. Die Stadt ist unser Territorium. Jeder Indianer, der hier lebt oder den wir hier erwischen, gehört uns und wird zu Mitchell befragt. Bis wir hier durch sind und zu den Reservaten kommen, habe ich das mit SAC Yazzie geklärt.“

„Das FBI?"

„Halten wir raus, solange es geht. Das ist unsere Sache, unser Kollege."

Morales nickte.

„Ladies, Gentlemen“ – White ließ den Blick über seine Leute schweifen – „Southeast Area Command hat die Federführung. Das heißt, wir sind die Spitze des Speers oder meinethalben die Spitze der Pfeile. Wir koordinieren, wir sind verantwortlich. Die übrigen Commander, Highway Patrol, Sheriff’s Department – alle berichten an uns. Das heißt aber auch, dass wir uns keine Schnitzer erlauben können. Wir stehen in dieser Sache unter Beobachtung. Alle Cops im Umkreis von zweihundert Meilen gucken darauf, wie wir das Verschwinden eines unserer Kollegen handhaben. Unsere Reputation wird heute, jetzt, mit diesem Fall, für lange Zeit geprägt. Wie also werden wir aus dieser Sache rauskommen?“ White machte eine Pause. „Als eine Horde von Schwächlingen, denen man, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, einen Kollegen nehmen kann?“

Wieder machte White eine Pause und registrierte zufrieden, wie die meisten die Köpfe schüttelten, ein paar sogar Nein riefen.

„Oder wie die Helden, die wir auch sind? Helden, die sich jeden Tag da draußen“ – White zeigte zum Fenster – „da draußen der Gefahr aussetzen und jetzt, in dieser besonderen Situation, noch einmal alles geben und das Leben riskieren für ihren Kollegen?“

Beifall, Kopfnicken, laute Rufe.

„Ich wusste es. Ihr seid die beste Truppe in ABQ und darüber hinaus. Merkt euch das. Wir werden ihnen zeigen, dass wir es ernst meinen.“ White wartete einen Atemzug und sagte, „Aber das kommt mit einem Preis, Leute. Doppelschichten für jeden, ohne Ausnahme. Kein Krankfeiern, keine Geschichten von dem Kleinen, der mit Fieber im Bett liegt, keine Großmutter in Tijuana, die Hundert wird. Verstanden?“

Der Raum wurde stiller, einige verschränkten die Arme vor der Brust, einige tuschelten.

White sagte, „Ich weiß, was ihr denkt. Ich habe vorhin mit Bürgermeister Ford telefoniert und ihm das Thema angekündigt. Er hat noch nichts dazu gesagt, aber ich werde mich dafür einsetzen, dass die Stadt jedem von euch die Überstunden bezahlt. Wir haben nachher unser erstes Treffen, Bürgermeister Ford, alle Area Commander, der Chief natürlich, Sheriff Tipps vermutlich ... Geht wohl nicht ohne ihn. Eure Bezahlung steht auf der Agenda und ist meine Priorität, und ich verspreche euch, die Runde wird nicht auseinandergehen, ohne dieses Thema zu eurer und meiner Zufriedenheit gelöst zu haben.“

„Danke, Commander“, sagte Morales.

„Gut“, sagte White. „Für die Einteilung wendet euch an Sergeant Peña und Sergeant Morales. Solltet ihr Mitchell finden, niemand rührt den Fundort an außer Sergeant Peña und Officer Vazquez. Ich muss hier sehr strikt sein. Verstanden?“ Da White nicht zufrieden war mit der Reaktion, rief er, „Verstanden?“

„Yes, Sir.“

„Okay dann, das wars. Ruft eure Frauen und Männer an und sagt ihnen, dass ihr nicht eher nach Hause kommt, bis ihr euren Kollegen gefunden habt. Viel Glück.“

Als White gegangen war, sagte Vazquez, „Sag mal, Partner, wen hat der Commander gemeint? Wem werden wir es zeigen? Und welche Verdächtigen befragen wir?“

„Wir werden es allen zeigen, Raul. Und verdächtig ist jeder, der uns da draußen über den Weg läuft, Weiß, Schwarz, Hispanic“, sagte Peña. „Oder Injuns. Vor allem die Injuns.“

Wie vorher Peña, sah jetzt auch Vazquez sich um. Niemand saß mehr in ihrer Nähe, trotzdem flüsterte er. „Was glaubst du, was ist mit dem passiert? Hat sich Mitch the Bitch ... Hat er sich mitsamt der Ladung aus dem Staub gemacht? Glaubst du?“

Peña zuckte mit der Schulter. „Wir werden es herausfinden. Darauf kannst du dich verlassen.“

„Aber Whitee glaubt doch nicht wirklich, dass die Indianer damit was zu tun haben?“

„Whitee? Keine Ahnung. Glaub eher nicht. Er ist halt ein guter Schauspieler.“

„Mein Großvater war auch Indianer“, sagte Vazquez und nahm den letzten Donut.

„Du meinst zuhause?“

Vazquez kaute und nickte.

„Das ist etwas anderes, Raul. Du bist kein Indianer. Du bist Amerikaner.“ Peña stand auf. „Und das nächste Mal bring verdammt nochmal Servietten mit.“

Vazquez legte den angebissenen Donut zurück in die Schachtel und salutierte. „Si, Señor.“


Palmer :Exit 259

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