Читать книгу Palmer :Exit 259 - Stephan Lake - Страница 12
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ОглавлениеPalmer setzte sich an den einzigen freien Tisch und streckte die Beine. Für heute war Schluss mit der Arbeit an seinem Zaun, und der kleine Garten von Erins Kitchen and Café – fünf Tische, jeder mit seinem eigenen Apfelbaum als Schattenspender, jetzt aber ohne Früchte – war, wie so oft in den vergangenen Wochen, seine erste Wahl. Nicht lange und die Sonne würde hinter den Bergen verschwinden und mit ihr die Touristen, die jetzt noch die Hauptstraße hin und her schlenderten in ihren kurzen Hosen und bunten Hemden. Dann würde wieder Ruhe einkehren in Benson Trail, New Mexico.
Erin kam – die Erin aus Erins Kitchen and Café – ein leeres Tablett in der Hand, „Hi Palmer“, und setzte sich neben ihn.
„Hi Erin.“ Sie war still und er sagte, „Hast ja richtig zu tun heute.“
„Der Garten ist voll. Drinnen auch. Ja, so langsam läufts. Wenn du mal einen Job brauchst, du kannst sofort anfangen.“
„Als was?“
Sie lächelte. „Mann für alles.“
Für alles? sollte er jetzt wohl sagen, sagte es aber nicht. Erin flirtete gerne mit ihm, aber er wusste, dass daraus nichts werden konnte und wollte sie nicht ermuntern, nur um sie dann zu enttäuschen.
Sie schien seine Gedanken zu erahnen, ihr Lächeln verschwunden, und sie sagte, „Was soll ich dir bringen?“
„Ist noch von dem Auflauf da? Von gestern?“
„Und Kaffee?“
Palmer nickte.
Erin ging und kam zurück mit einem Becher Kaffee, ohne Milch, ohne Zucker, und einem Schokoladenbrownie auf einem kleinen Teller.
„Wie findest du eigentlich all die kurzen Hosen, die hier herumlaufen?“, sagte Palmer leise.
„Solange sie Geld bringen, guck ich nicht hin. Solltest du auch nicht.“
„Ich hab noch nicht ein einziges Bein ohne Krampfadern gesehen. Gestern auch nicht.“
„Ah, Gott, Palmer, Krampfadern, hör auf.“ Sie deutete auf den Teller. „Der Brownie ist frisch und geht aufs Haus. Der Auflauf braucht noch, der war im Kühlschrank.“
„Du meinst es gut mit mir.“
„Wenn du das doch endlich kapieren würdest, Mister.“
Palmer sah ihr hinterher. Erin war nett und hübsch und lebte zudem hier in Benson Trail, was alles einfacher machen würde. Was also hielt ihn ab? Die Sache mit Liz war Monate her, und es war nicht einmal eine Sache gewesen.
Nur vierundzwanzig Stunden hatten sie sich gekannt.
Dann war sie tot.
Aufgeschlitzt von einem Kerl, der glaubte, damit seine Geschäfte schützen zu können.
Die Halsschlagader.
Sie war verblutet, innerhalb einer Minute, auf dem heißen, schmutzigen Asphalt einer kleinen Straße in Shanghai.
Palmer trank vom Kaffee.
Nicht seine Schuld, er wusste das. Er hatte nichts tun können.
Und doch.
Er trank wieder, zwei große Schlucke; wie ein Alkoholiker von seinem ersten Drink des Tages. Und wie ein Alkoholiker von seinem Drink wusste er, es würde nicht der letzte Kaffee für heute sein.
Liz hätte die Eine sein können.
Und Erin – Palmer sah sie zurückkommen – nett und hübsch, wie sie war, war es nicht.
„Hey, wo bist du mit deinen Gedanken?“, sagte sie und stellte ein Glas mit Wasser neben den Becher.
Nicht, dass er je nach der Einen gesucht hätte. Ein paar Tage oder Wochen, länger hatte es nie angedauert, und das war okay für ihn. Er war gerne allein.
Aber Liz?
Sie hatte da etwas in ihm angestoßen.
„Palmer? Noch da?“
Er trank noch einen Schluck. „Ich frage mich ...“
„Ja?“ Erin setzte sich auf den Stuhl neben ihm, schlug ein Bein über das andere und schaute ihn an. Erwartungsvoll. Ihre Augen flirteten schon wieder.
„Ich trinke ziemlich viel Kaffee“, sagte er. „Mindestens zwei Becher bei dir, vorher schon einen oder zwei bei mir, anschließend vielleicht noch einen. Ich fange nie vor Mittag an, trotzdem ... Meinst du, das ist zu viel?“
Sie stand mit einem Ruck auf, „Palmer, du ... Ja, ich habe den Eindruck, das ist zu viel. Koffein greift in die chemischen Prozesse des Gehirns ein, hab ich mal gelesen. Bei dir ist das offensichtlich bereits der Fall. Fortgeschritten. Lass dir den Brownie schmecken.“
„Was ist mit dem Auflauf?“
„Der braucht noch“, sagte sie über ihre Schulter hinweg. „Drei, vier Stunden. Mal sehen, vielleicht länger.“
„Erin!“
My Godness, was hatte er denn gesagt?
Es war mitten in der Nacht, als Palmer von einem Geräusch aufwachte.
Er stand auf und ging zum Fenster und sah hinaus.
Das Geräusch war von draußen gekommen. Kein Tier. Tiere stießen nicht an Gegenstände, auch nicht in der dunkelsten Nacht. Das taten nur Menschen mit ihren verloren gegangenen Sinnen. Sogar gegen einen so großen Gegenstand wie seinen alten Trailer.
Denn von daher war das Geräusch gekommen.
Der Mond schien hell, dazu die Sterne, die Luft war klar und frisch; er konnte deutlich den Trailer sehen, hundert Meter entfernt.
Genau wie die Gestalt neben dem Trailer.
Ein erwachsener Mann, kein Jugendlicher, dafür bewegte sie sich zu behäbig. Erst recht keine Frau, dafür war sie zu groß und zu schwer und der Oberkörper zu wuchtig.
Palmer zog Jeans und Boots an und ging nach unten. Aus dem Schrank neben der Tür nahm er sein Gewehr und eine Taschenlampe und ging hinaus.
Er schlug einen Bogen, um von der anderen Seite an den Trailer zu kommen. Er kannte jeden Busch und jeden Stein auf seinem Land und erreichte den Trailer nach Minuten, ohne ein Geräusch verursacht zu haben.
Die Gestalt war weg.
Palmer lauschte. Er hörte ein Schnaufen, einige Meter entfernt. Vielleicht zehn Meter, nicht mehr als fünfzehn. Und ein Knirschen, wie es die meisten Menschen beim Gehen auf steinigem Untergrund verursachten.
Er ging den Geräuschen hinterher, leichtfüßig, vorsichtig, und hatte doch den Verursacher kaum eine Minute später eingeholt.
Ein erwachsener Mann, genau wie er gedacht hatte.
Mit dem Daumen der linken Hand ließ Palmer den Hahn einrasten, ein Laut, den in dieser Gegend jeder sofort erkannte. Mit der rechten drückte er zugleich den Schalter an der Taschenlampe und richtete den Lichtstrahl auf die schwere Gestalt, die im selben Moment einen fetten Schatten vor sich produzierte.
„Dreh dich um, Nachbar“, sagte Palmer. „Langsam. Und ich will deine Hände sehen.“
Mark New Holy drehte sich um, die Augen zusammengekniffen, beide Hände vor sich haltend. Sie waren leer. Seine Stirn glänzte vor Schweiß. Sein dicker Bauch bewegte sich schnell auf und ab im Bestreben, Sauerstoff in die Lungen zu pumpen.
„Hey, Palmer, was halten Sie davon, die Lampe auszumachen, huh? Das Licht blendet.“
„Das ist der Grund, weshalb ich die Lampe mitgebracht habe. Was machen Sie hier?“
„Ist das typisch deutsche Gastfreundlichkeit, seinen Nachbarn mit der Waffe in der Hand zu empfangen? Oder ist das nur typisch für Sie?“
„Von Gastfreundlichkeit kann hier keine Rede sein, oder? Dafür hätten Sie zum Haus kommen und klopfen müssen. Dann hätte ich die Chance gehabt, zu entscheiden, ob ich Sie als Gast bei mir haben möchte oder nicht. Stattdessen stampfen Sie hier herum. Uneingeladen. Illegal. Also, was machen Sie auf meinem Land?“
„Ich bin Cop, Palmer. Ich darf hier herumlaufen, Tag oder Nacht, ganz, wie ich das will.“
„Nicht auf meinem Land.“
Mark New Holy seufzte. „Also gut, weil wir Nachbarn sind. Ich bin aufgewacht und habe Licht an Ihrem Trailer gesehen. Ich weiß, dass Sie da nicht mehr wohnen, also in dem Trailer, da habe ich mir gedacht, vielleicht ein paar Jugendliche. Jugendliche mit einer Menge Unsinn im Kopf. Sie wissen ja, wie die jungen Leute heute so drauf sind – Party, Alkohol, Drogen, huh? Ich dachte, vielleicht stecken die den Trailer in Brand oder machen Kleinholz daraus, sobald sie bekifft oder betrunken genug dazu sind. Und da ich bei Ihnen im Haus kein Licht gesehen habe und ich nicht wusste, ob Sie überhaupt zu Hause waren oder in einer Bar oder einem Etablissement in Albuquerque oder Santa Fe – Sie leben schließlich alleine, nicht? Weil ich das nicht wusste, bin ich selbst gucken gegangen. Ich kam hierher, da waren sie weg, die Jungs und Mädels. Ich hab mich dann ein wenig umgeschaut, scheint aber alles in Ordnung.“ Er sagte, „Also, jetzt können Sie den Lauf runternehmen, meinen Sie nicht? Und das Licht da ausmachen. Sie können sich auch bei mir bedanken, wenn Sie wollen, für die Nachbarschaftshilfe.“
Jugendliche auf seinem Land? Unfug. Die Jugendlichen hätte er lange gehört, bevor Mark seine einhundertdreißig Kilos von seinem Haus bis zu dem Trailer bewegt hätte.
Palmer sagte, „Sie werden jetzt von hier verschwinden, Nachbar. Und ich werde Sie begleiten. Gehen wir.“
Mark grummelte etwas, marschierte dann aber los.
Am Camino angekommen, drehte sich Mark um. „Sie haben ja immer noch den Lauf auf mich gerichtet. Und die Lampe. Und kein Danke?“
Palmer schüttelte den Kopf. Der Kerl kapierte es nicht.
„Hören Sie gut zu, Mark“, sagte er. „Vielleicht war es so, wie Sie gesagt haben, vielleicht nicht. Sollte ich Sie aber noch einmal auf meinem Land erwischen und Sie haben keine Einladung von mir bekommen – und wir beide wissen, das wird nicht passieren – dann mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch und, ganz im Ernst, ziehe Ihnen die Ohren lang.“
Seine Mutter hatte das manchmal gesagt, zu ihm und seinen Freunden, damals in Frankfurt, als er noch ein Kind war. Treibts nicht zu wild oder ich ziehe euch die Ohren lang. Es hatte immer funktioniert.
„Ich bin Cop, Palmer. Sie sollten mir nicht drohen.“ Sein Nachbar nahm die Arme herunter, die Palmer in dem engen Shirt noch dicker vorkamen als zuvor in der Uniform. Der Kerl war wirklich massig. „Ich komme auf Ihr Land, wann immer ich das will. Und wenn ich will, dann nehme ich Sie mit. Vielleicht schon morgen, wenn Sie an Ihren Löchern weitergraben. Öffentliches Ärgernis, Sie erinnern sich?“ Mark nickte, „Ja, Sie erinnern sich, Sie laufen jetzt ja auch schon wieder ohne Shirt herum.“
„Und sogar ohne Unterwäsche“, sagte Palmer.
„Sie wollen witzig sein? Kann ich auch“, sagte Mark. „Vielleicht überlege ich mir noch was anderes. Title 18 bietet mir eine ganze Menge Möglichkeiten, Section 111 zum Beispiel, da fahren Sie für acht Jahre ein. Und wenn Sie dieses Ding da wieder in der Hand haben, Palmer, und ich meine nicht die verdammte Taschenlampe, dann sinds zwanzig.“
Er zögerte, als wollte er noch etwas sagen, drehte sich dann aber ohne ein weiteres Wort um und ging.
Palmer sah ihm hinterher, bis Mark im Dunkel verschwunden war. Erst dann ließ er den Hahn einrasten und warf das Gewehr über die Schulter und ging zurück zum Trailer. Es musste einen Grund für seinen Nachbarn gegeben haben, dort herumzuschleichen.
Palmer suchte alles ab, fand aber nichts, was ihm auffällig vorkam.
Er würde am Morgen noch einmal herkommen.
Und dann auch seinen Spruch überdenken.