Читать книгу Palmer :Exit 259 - Stephan Lake - Страница 7
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ОглавлениеPalmer legte die Schaufel zur Seite und nahm den Stock und hielt ihn in das Loch und überprüfte die Markierung.
Tief genug.
Er schritt drei Meter ab und nahm die Hacke und begann von vorne. Hacken, schaufeln, die groben Steinbrocken von Hand herausnehmen, hacken, schaufeln. Auf diese Weise hatte er bereits an die neunzig Löcher gegraben, jedes Loch ein Meter tief und ebenso breit für einen Balken von gut zweieinhalb Metern Länge. Balken in die Erde, Steine wieder ins Loch und mit dem Zuschlaghammer fest verkeilt, Erdreich dazu und mit dem Hammer verdichtet. Achtzig Balken hatte er bis jetzt gesetzt, jeder so fest, als wäre er einbetoniert. Immer im selben Rhythmus: zehn Löcher graben, zehn Balken setzen. Eineinhalb Meter ragten die Balken heraus, hoch genug für einen Pferdezaun. Die Balken, Bohlen eigentlich, hatte er von der Santa Fe Railroad Company bekommen, ausgemustert von alten Schienenstrecken, hart wie Stahl und genauso schwer. Das sollte ausreichen gegen die Winterstürme.
Ihm gefiel das Bild, fünfhundert Eisenbahnbohlen aufrecht aus der Erde ragend. Andere würden das als Kunst verkaufen.
Der Boden war fest in den Ortiz Mountains, zum Teil purer Fels, aber das war für ihn okay. Er mochte die Arbeit. Sie gab ihm etwas zu tun und lenkte ihn ab von schlechten Gedanken.
In den vergangenen Wochen hatte er sein Haus gebaut, zusammen mit Handwerkern aus der Umgebung; das Haus ganz aus Holz, die Stämme bereits zugeschnitten angeliefert, vor Ort haben sie dann gemeinsam alles zusammengesetzt. Anschließend Isolierung und Innenausbau mit Bad und Küche, dann noch ein paar Möbel und fertig. Kein Haus mit Keller und Decken aus Stahlbeton und die Mauern ganz aus Stein, wie er sie in seiner Jugend in Deutschland gesehen hatte. In Deutschland bauten sie für die Ewigkeit. Ihm erschien das anmaßend. Warum sollte er etwas bauen, das ihn überdauern würde? Warum der Nachwelt etwas überlassen, was die vielleicht gar nicht wollte?
Der Umzug war schnell gegangen. Seine Habseligkeiten aus dem Trailer auf den Truck werfen und hundert Meter weiter wieder abladen und ins Haus bringen, das dauerte keine zwei Stunden. Dann hatte er sich umgesehen, alleine in diesem großen Haus, und einen Becher Kaffee später war er wieder nach draußen gegangen und hatte mit dem Zaun begonnen.
Er mochte das freie Land lieber, aber er hatte sich entschlossen, Pferde zu kaufen; Pferde, Plural, drei oder vier, obwohl er alleine lebte und daher nie mehr als ein Pferd zur selben Zeit reiten konnte. Aber Pferde waren Herdentiere, die brauchten Gesellschaft. Und Pferde brauchten einen Zaun. Also hatte er die Bohlen gekauft, fünfhundert Stück.
Dreihundert Acre Land gehörten ihm, die musste er auf drei Seiten einzäunen. Unten am Camino, hinten am Highway und auf der anderen Seite an der Ortiz Apache Reservation. Die rückwärtige Seite musste er nicht einzäunen, Buschwerk und dreißig Meter hohe Felsen bildeten eine natürliche Grenze. Pferde konnten klettern, aber so gut dann doch nicht.
Palmer legte die Hacke zur Seite und griff gerade zur Schaufel, als er den Coyote wieder sah. Er hatte ihn in den vergangenen Tagen bereits mehrmals beobachtet, zwischen den Büschen hinter seinem Haus oder gegenüber bei den Nachbarn. Nur ein kurzes Huschen in der Dunkelheit, auf der Jagd nach etwas Essbarem.
Jetzt sah er das Tier zum ersten Mal bei Tageslicht und zum ersten Mal so nahe, dass er es erkennen konnte. Und er sah, dass er sich geirrt hatte. Das war kein Coyote. Graues Fell und stark abgemagert stand das Tier fünfzig Meter entfernt neben einer Hecke und schien ihn zu beobachten. Es war deutlich größer als ein Coyote und sah mit seinen langen Beinen und dem länglichen Kopf eher aus wie ein Wolf, trug aber ein schweres Lederband um seinen Hals. Ein Hund also, der wohl jemandem weggelaufen war.
Dann drehte der Hund den Kopf zum Camino.
Palmer guckte ebenfalls hin und hörte einen Moment später das tiefe Tuckern eines Diesels den Camino hoch kommen – Camino Cerro Chato, keine wirkliche Straße, sondern nur ein ausgetrocknetes Flussbett, das ihm und den wenigen Nachbarn als Weg diente und in der einen Richtung nach drei Meilen auf den Highway Vierzehn führte und in die andere Richtung fünfzehn Meilen Luftlinie weit in die Ortiz Mountains hinein, bis zum Cerro Chato, siebentausend Fuß hoch und von dort weiter bis zur Interstate. Das Flussbett war so belassen, wie die Natur es in Jahrhunderten geschaffen hatte, steinig und uneben, mit vorstehenden Felsstücken und Senken und engen Biegungen. Nur Trucks mit hohem Radstand und Allradantrieb und einem geübten Fahrer am Steuer hatten hier eine Chance.
Der Verursacher des Tuckerns war ein Chevy Tahoe. Weiß, mit dicker Staubschicht und mit Lichterleiste und Antennen auf dem Dach und dem blaugelben Schriftzug der BIA Police an der Beifahrertür. Bureau of Indian Affairs Police. Die Stammespolizei.
Der Truck kam näher. Er wackelte und schwankte und quietschte in den Federn.
Palmer drehte sich wieder um und guckte nach dem Hund, wie der auf die Geräusche reagierte. Sie gefielen ihm nicht, denn er war verschwunden.
Palmer kannte den Tahoe, er sah ihn ständig gegenüber bei seinem Nachbarn halten, dann zurück auf den Highway fahren oder den Camino hinunter ins Reservat. Noch nie hatte der Tahoe bei ihm gehalten. Jetzt tat er es, direkt neben ihm, so dicht, dass Palmer zum ersten Mal auch den dünnen Schriftzug auf dem Kotflügel lesen konnte. The Honor is to Serve.
Sein Nachbar saß in dem Truck und hinter dem Steuer ein anderer Cop, ebenfalls in Uniform und ebenfalls mit dunkler Sonnenbrille.
Er kannte seinen Nachbar kaum, gerade so, dass er ihn erkannte. Ein Mal waren sie sich begegnet, ein paar Wochen zuvor, der Kerl hatte genickt und gesagt, „Mark New Holy. Ich bin Navajo und Special Agent bei der BIA Police im Ortiz Apache Reservat, und das hier ist meine Frau“, und das war alles. Seine Frau hatte gelächelt, verlegen, hatte Palmer den Eindruck gehabt, und ihm die Hand gereicht, „Ruth“, und nach ein paar netten Worten gerungen, und sie hatten herausgefunden, dass Ruths Ur-Ur-Großvater aus Deutschland stammte. Dieser Mark New Holy, Indianer und Cop, hatte ihn dann nur noch angestarrt. Ob etwas wäre, hatte Palmer ihn gefragt, aber der Cop hatte nur den Kopf geschüttelt.
Jetzt hatte er die Brille ausgezogen und starrte schon wieder. Und stieg aus.
„Nachbar.“
Palmer nickte; gerade so viel, dass man es sah. „Mark.“
Mark nickte in Richtung des Tahoe und sagte, „Special Agent Yazzie.“
Palmer sah durch die offene Tür und sagte, „Agent.“
Der Indianer drehte den Kopf und hob zwei Finger, die Hand blieb auf dem Lenkrad, sein dunkles Gesicht hinter der Brille ohne eine Regung.
Palmer sah Mark an und wartete.
Mark sagte, „Schwer bei der Arbeit, huh?“
Palmer nickte; nicht mehr als zuvor.
Mark zog seinen Hut aus und warf ihn in den Tahoe und kam näher.
„Ich habe da ein Anliegen“, sagte er, und Palmer sah zu, wie sein Nachbar den Bauch noch weiter vorschob und die fleischigen Daumen rechts und links in den Gürtel hing und wie daraufhin das Hemd an allen Seiten spannte. An mehreren Stellen war der beige Stoff dunkel von Schweiß.
„Herrlicher Tag heute, nicht?“, sagte Mark. Und als Palmer still war und nicht einmal mehr nickte, „Sehe schon, Ihr Haus steht, Palmer. Sie waren fleißig, kann man gar nicht anders sagen. Aber so seid Ihr Deutschen ja.“ Er sagte, „Ihr alter Trailer, was haben Sie jetzt damit vor? Verkaufen?“
So seid Ihr Deutschen ja.
Palmer wartete einen Atemzug bevor er sagte, „Vielleicht. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht.“
Mark musterte den Trailer aus der Entfernung.
„Der sieht noch gut aus. Für den könnten Sie fünfzehnhundert bekommen, zweitausend vielleicht, wenns nicht schnell gehen muss.“
„Warum fragen Sie? Brauchen Sie eine neue Bleibe?“ Und bevor Mark antworten konnte, „Wie gesagt, ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Sie haben ein Anliegen, Mark?“
„Mein Anliegen, tja. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, also sage ich es gerade heraus: Was halten Sie davon, bei der Arbeit ein Shirt anzuziehen. Huh?“ Mark legte die Hand über die Augen zum Schutz gegen die Sonne. „So halbnackt, da könnten Sie die Leute verschrecken. Öffentliches Ärgernis, Sie verstehen?“
Palmer hätte fast gelächelt. Er hatte erwartet, sein Nachbar würde nach dem Hund fragen, er wäre ihm weggelaufen, ob Palmer ihn gesehen hätte; stattdessen das. Halbnackt, öffentliches Ärgernis. Hinter dem Steuer sah Palmer diesen Yazzie den Kopf schütteln, als hätte er auch noch nie so etwas Blödes gehört, und sagte, „Nein, verstehe ich nicht“, und lächelte dann doch, „und Ihr Kollege auch nicht“, und gab Mark Zeit, einen Blick in den Tahoe zu werfen. „Hier gibt es keine Öffentlichkeit, Nachbar“, sagte Palmer dann. „Außer Ihnen und Ihrer Frau lebe nur ich hier. Die nächsten Ranches sind Meilen entfernt, und unser Camino hier ist nicht gerade eine Durchgangsstraße. Es kommt niemand her, der nicht hier wohnt. Oder jemanden besuchen will, der hier wohnt. Und das kommt ziemlich selten vor, wie wir wissen. Keine Touristen, keine Kinder, keine Durchfahrenden. Keine Öffentlichkeit. Niemand, der Anstoß nehmen könnte an jemandem, der bei der Arbeit in der Hitze das Shirt auszieht.“
Der Cop war sein Nachbar und hatte daher vielleicht diese ausführliche Antwort verdient, ausführlicher, als Palmer sie normalerweise gegeben hätte. Das ganze Konzept von Nachbarschaft war neu für ihn. Aber damit musste es dann auch genug sein.
„Ruth nimmt Anstoß, Palmer, und wenn meine Frau an etwas Anstoß nimmt, dann genügt mir das.“ Mark hob beide wulstigen Hände. „Nur ein freundlich gemeinter Rat. Sie leben auf Tribal Land, und wir“ – mit einem Daumen deutete er auf sich – „sind hier das Gesetz. Und Sie und ich wollen doch gute Nachbarn bleiben, oder?“ Und als Palmer nicht antwortete, sagte er, „Ja, und das war auch schon alles.“
„Sagen Sie, Mark“, sagte Palmer, „haben Sie eigentlich einen Hund?“
„Einen Hund?“ Mark schüttelte den Kopf und lachte kurz, „Was soll ich mit einem Hund?“, drehte sich um und stieg ein. „Schönen Tag noch, Nachbar.“
Palmer sah dem Tahoe nach, der hinauf Richtung Highway wackelte und quietschte und dabei dicke Staubwolken hinter sich her zog.
Dann schaute er hinüber zu dem Haus seiner Nachbarn. Ein Ranchhaus, eingeschossig, in der Form eines Hufeisens und rundherum Fenster.
Und an einem der Fenster, genau wie vorhin, stand Marks Frau und sah wieder zu ihm herüber.