Читать книгу Palmer :Exit 259 - Stephan Lake - Страница 11
9
ОглавлениеWhite hatte es nicht verhindern können, also saßen sie jetzt im Besprechungsraum des Bürgermeisters im One Civic Plaza. Ihm wäre lieber gewesen, Ford und die anderen wären zu ihm gekommen, in seinen War Room, dann wäre er der Hausherr gewesen. Was immer ein Vorteil war. Er musste die Kontrolle hier behalten, verdammt. Aber Lester Ford, Politiker seit zwanzig Jahren und Bürgermeister seit sechs, hatte natürlich denselben Gedanken gehabt.
Der Besprechungsraum war hell und heruntergekühlt, der weißlackierte Tisch rund, leer – keine Papiere, kein Kaffee und vor allem keine Aschenbecher – und groß genug für die zehn Teilnehmer: White und die anderen fünf Area Commander, Chief Osborne, Sheriff Tipps, Ford. Und einen jungen, dünnen Menschen neben Ford, irgendeine Art Assistent – White sah noch einmal hin – vielleicht aber auch Fotomodell mit dem Gel im langen Haar und seiner sonnengebräunten Haut und die Ärmel seines weißen Hemdes nur zwei Mal hochgekrempelt, wie alte Männer das tun und Modepüppchen. Vor sich auf dem Tisch ein Notepad, silberfarben und mit irgendeiner Verzierung aus Gold, das er mit – uh, no way – das er mit manikürten Fingern festhielt.
White schloss die Augen und wischte sich mit der Hand durchs Gesicht.
Und der jetzt auch noch anfing zu sprechen.
„Willkommen zu dieser eilig einberufenen Runde, meine Herren. Für diejenigen unter Ihnen, die mich noch nicht kennen, mein Name ist Steven Anderson, ich bin der neue persönliche Assistent und Pressesprecher von Bürgermeister Ford. Bitten nennen Sie mich Steven.“ Einige der Area Commander und Sheriff Tipps nickten, Osborne warf ihm einen kurzen Blick zu. White suchte sich einen Punkt auf der Tischplatte. „Der Bürgermeister weiß es zu schätzen, dass Sie sich alle hierher bemüht haben. Sein Terminkalender ist so dichtgedrängt, gleich kommt der Gouverneur, dann noch der Senator, direkt aus dem Weißen Haus mit ... ja, mit Nachrichten vom Präsidenten.“ Anderson blickte in die Runde, als würde er Applaus erwarten. Niemand reagierte. „Es ging leider nicht anders.“ Dann drehte er sich zu Osborne. „Chief Osborne, was wissen wir über den Verbleib dieses Mitchell?“
„Vielleicht darf ich, Chief“, sagte White zu seinem Vorgesetzten, und Osborne nickte. „Danke, Sir.“ White sah an Anderson vorbei auf Ford; Ford, breit und stämmig, die gestreifte Krawatte eingeklemmt zwischen Tischkante und vorgewölbtem Bauch und im Gesicht jenen Ausdruck, den er vom Bürgermeister kannte: Als gäbe es gerade irgendwo etwas Wichtigeres, wo er eigentlich sein müsste.
White sagte, „Officer Everett Mitchell ist seit gestern Abend verschwunden, Bürgermeister. Er hat sich zum Ende seiner Schicht abgemeldet. Alles ordnungsgemäß, keine Probleme. Aber seitdem gibt es keine Spur von ihm. Nicht bei uns, nicht bei seiner Frau. Nirgends.“
Ford sagte, „Gestern Abend?“
„Gegen halb elf.“
Ford warf einen Blick auf die schwere Uhr an seinem Handgelenk, die, fand White, gut zu ihm passte. Ford sagte, „Das sind noch keine fünfzehn Stunden. Warum die Eile, Commander?“
„Wir sind besorgt um einen unserer Leute, Bürgermeister. Einen Police Officer.“
White beobachtete Ford, der den Kopf schüttelte, Zweifel im Gesicht.
„John“, sagte Ford und meinte damit Chief Osborne, „unsere Bürger suchen wir erst nach vierundzwanzig Stunden, manche erst nach achtundvierzig. Ehemänner, Ehefrauen. Söhne, die ihre dementen Väter suchen. Mütter, die sich um ihre verschwundenen Kinder sorgen. Alle schicken wir nach Hause, Hey, kommt morgen wieder. Und unsere eigenen Leute – die suchen wir nach fünfzehn Stunden? Cops?“ Wieder schüttelte Ford den Kopf. „Sie müssen mir zustimmen, John, das ist schwer zu verkaufen.“
„Normalerweise warten wir einen Tag, bevor wir etwas unternehmen, Lester, das stimmt“, sagte Osborne, und White hatte den Eindruck, der Chief war stolz darauf, dass der Bürgermeister ihn beim Vornamen nannte; wie Osborne sich aufrecht hinsetzte und grinste und wie er dann sagte, „Aber hier geht es um einen Polizeibeamten, Lester. Nicht um einen der normalen Fälle, wie sie jeden Tag zu Dutzenden auf unseren Schreibtischen landen.“
„Und haben wir Grund zu glauben, dass Officer Mitchell nicht zu diesen normalen Fällen gehört? Abgesehen davon, dass er einer eurer Beamten ist? Dass Officer Mitchell also einen Unfall hatte oder womöglich Opfer eines Verbrechens wurde? Haben wir Grund, das zu glauben?“
„Nicht direkt, Bürgermeister“, sagte White, bevor der Chief antworten konnte. „Aber wir haben eben auch keinerlei Hinweise darauf, dass es ihm gut geht. Seine Frau hat jeden angerufen, bei dem er sich aufhalten könnte, sie ist sogar losgegangen – mit ihren Kindern an der Hand losgegangen und hat in Bars in der Umgebung gefragt. Nichts.“
„Vielleicht hat er irgendwo eine kleine Abwechslung gefunden, Ihr Officer Mitchell? Von der seine Lady zuhause nichts weiß?“ Ford grinste und zeigte seine überkronten Zähnte. „Eine der Titty–Bars oder eine andere Lady? Er wäre nicht der erste.“
„Nicht Officer Mitchell, Bürgermeister“, sagte White, weil er etwas sagen musste.
„Sie kennen ihn so gut, huh? Okay, Commander, was also ist Ihr Plan?“
Whites Miene verfinsterte sich. „Doppelschichten für jeden meiner Leute. Ohne Ausnahme. Damit haben wir genügend Manpower für Straßensperren an Interstate und Highways und den großen Ausfallstraßen der Stadt. Wir kontrollieren jeden Wagen und jeden Truck in den nächsten vier Stunden. Verschärfte Kontrollen von Verdächtigen auch im Stadtgebiet, besonders unter den-“
„Jeez, Commander, sind Sie verrückt geworden? Wer soll das denn bezahlen?“ Der Blick des Bürgermeisters schwenkte wieder zum Chief, und White hörte genau hin. Jetzt kam der spannende Teil. Letztlich drehte sich immer alles ums Geld. „Doppelschichten“, sagte der Bürgermeister. „Wir haben elfhundert Polizeibeamte in Albuquerque, das kostet ein Vermögen. Wie soll ich denn vom Council das Geld dafür bekommen? Völlig ausgeschlossen. John?“
„Doppelschichten, das kostet“, sagte der Chief, „da stimme ich zu, Lester. Aber vielleicht sollten wir Commander White trotzdem aushören?“
Doppelschichten, das kostet? Vielleicht sollten wir Commander White trotzdem aushören?
White sah Osborne an. Er hatte Unterstützung von seinem Chief erwartet, uneingeschränkte Unterstützung. Das wars doch, was Chefs taten, sie setzten sich für ihre Leute ein. Oder nicht?
Osborne sah ihn zurück an und sagte, „Jeremy?“
White sagte, „Mir ist klar, dass das eine hohe Belastung für die Stadt ist, aber dies ist auch eine besondere Situation, Bürgermeister ... Chief. Diese Doppelschichten sind eine Investition in unsere Reputation, und die hat es nötig, nicht? Sie werden sich auszahlen, da bin ich mir sicher. Wenn das hier vorbei ist, wird jeder wissen, dass wir es ernst meinen mit dem Schutz unserer Polizisten und unserer Community.“
„Straßensperren?“, sagte Ford und sah wieder Osborne an. „John?“
White beobachtete die beiden.
Ford hatte eine Art, andere auf seine Seite zu ziehen. Er lächelte, guckte ihnen direkt in die Augen, als wäre er wirklich interessiert, sprach sie mit Vornamen an, obwohl er sie nicht besser kannte als die Leute auf der Straße, denen er bei Wahlveranstaltungen die Hände schüttelte. Wie ein richtiger Politiker eben. Und es gab immer Leute, die darauf hereinfielen.
Osborne hatte keine Zweifel daran gelassen, dass er einer von ihnen war.
„Sind Straßensperren wirklich notwendig, Jeremy?“, sagte der Chief.
Fuck you, John. „Vier Stunden, das ist alles, was wir brauchen, Chief“, sagte White. „Ich denke, meine Kollegen Commander stimmen mir zu.“
„Es wird die Community wachrütteln“, sagte der Valley Area Commander. „Meiner Meinung nach könnten wir so etwas einmal im Monat gebrauchen.“ Und der Foothills Area Commander sagte, „Wir setzen damit ein klares Zeichen, Bürgermeister. Also, ich bin ganz auf der Seite von Chief Osborne und Commander White, Sir.“
Die anderen Commander klopften auf den Tisch. Alle.
White nickte. Echte Kollegen.
Aber der Bürgermeister schüttelte wieder den Kopf. „Ich weiß nicht. Das ist verrückt.“
Sheriff Tipps sagte, „Ich halte das für keine gute Idee, Bürgermeister. Sogar für eine ausgesprochen hirnrissige und beschissene Idee, halte ich das. Unser Job ist es, die Leute da draußen zu beschützen.“ Tipps guckte White an. „Nicht ihnen unsere Macht zu demonstrieren.“
White hatte es gewusst, dieser verdammte Tipps. Er räusperte sich und sagte, „Wir, das Albuquerque Police Department, wollen eine sichere Community, in der die Rechte, die Geschichte und die Kultur eines jeden einzelnen Bürgers geachtet und geschätzt werden. Wir erreichen dies, indem wir in Zusammenarbeit mit der Community Probleme bezüglich der öffentlichen Sicherheit identifizieren und lösen. Bürgermeister, Chief, so steht es in unserem Leitbild, das wir gemeinsam mit dem Stadtrat geschrieben haben. Und ich frage Sie: Kann es ein größeres Problem bezüglich der öffentlichen Sicherheit geben als einen verschwundenen Police Officer? Spurlos verschwundenen Police Officer?“
„Sie hören sich an, als ob Sie der nächste Bürgermeister werden wollen“, sagte Ford.
„Oder der nächste Chief“, sagte Osborne.
White schüttelte den Kopf. Nein, wollte er nicht, weder das eine noch das andere. Obwohl, die beiden hatten recht, er hatte sich verdammt gut angehört.
Der Bürgermeister sah seinen Assistenten an. „Sagen Sie, Steven, haben Sie eigentlich nichts zu trinken besorgt? Oder bin ich der einzige hier, der Durst hat?“
Anderson sprang auf, „Sofort“, und lief hinaus und kam zurück mit einem Servierwagen, darauf ein Dutzend Wasserflaschen. Eine Flasche stellte er vor Ford und murmelte ein „Sorry“, die anderen stellte er auf den Tisch. Zwei der Area Commander bedienten sich.
Der Bürgermeister drehte den Verschluss auf und legte den Kopf in den Nacken und trank.
„Und Ihre Leute stehen hinter Ihnen? Alle? Wenn wir das tun, dann können wir keine Ausreißer gebrauchen.“ Er trank erneut und drehte den Verschluss zu und sah White an. „Commander?“
White war auf die Frage vorbereitet. Er sagte, „Wenn Sie vorhin meine Leute gesehen hätten, das Adrenalin, die Motivation, die zu spüren waren, Bürgermeister, dann würden Sie das jetzt nicht fragen.“
„Wenn er vorhin Ihre Leute gesehen hätte, dann hätte der Bürgermeister jetzt nicht gefragt, Commander White“, sagte Anderson.
Und grinste dabei auch noch.
„Schon gut, Steven“, sagte Ford. „Commander, Sie sagen also, dass Ihre Leute hinter Ihrem Plan stehen. Schön. Trotzdem – wir können keine Doppelschichten bezahlen.“
White sah Osborne an, aber der Chief starrte geradeaus, obwohl es da nichts gab als eine weiße Wand.
White sagte, „Unser Ziel sollte sein, dass wir alle hinterher besser dastehen. Und dazu brauchen wir die Unterstützung unserer Einsatzkräfte. Ohne sie geht es nicht. Und meine Leute – unsere Leute, Chief, Commander – sind motiviert. Sie brennen darauf, ihren vermissten Kollegen zu suchen und dafür ihre freie Zeit zu geben, bis zur Erschöpfung. Wie schon mehrfach in der Vergangenheit. Freie Zeit, die sie eigentlich mit ihren Familien verbringen wollten. Genau wie Officer Mitchell. Aber unsere Leute wollen auch ehrlich für ihren Einsatz bezahlt werden. Und sie verdienen es. Das ist meine feste Überzeugung.“
Alle Commander klopften auf den Tisch.
Und der Chief sagte, „Das sehe ich auch so.“
Na also. Der Chief hatte die Situation eingeschätzt und schlug sich auf die Seite der Mehrheit.
„Straßensperren“, sagte der Bürgermeister wieder. „Erläutern Sie mir, was Sie noch vorhaben. Dann reden wir über bezahlte Doppelschichten.“
„Wir beginnen mit dem persönlichen Umfeld von Officer Mitchell. Seine Frau, seine Freunde, seine Bekannte. Gab es Streit, Probleme, plötzlich aufgekündigte Freundschaften, all das. Dann werden wir versuchen, die Stunden vor seinem Dienst zu rekonstruieren, und die Stunden im Dienst natürlich auch, besonders sein letzter Einsatz vor Dienstschluss. Ein DIP, gar nicht weit von hier. Wir werden versuchen, sie zu finden. Natürlich sind bereits zwei BOLOs rausgegangen-“
Und dieser Anderson sagte tatsächlich, „Commander, bitte in verständlicher Sprache.“
White sah den Pressesprecher an. „Ja, stimmt, Mister Anderson, Polizeiarbeit ist ja ein neues Feld für Sie. Ich kann Ihnen nur raten, beackern Sie es. Intensiv. Allerdings werden Sie dann nicht mehr so viel Zeit haben“, und White lächelte, „an Ihrem Teint zu arbeiten.“
„Bitte, Commander“, sagte Ford. „Warum zwei BOLOs?“
„Einen für die Betrunkenen von gestern, einen für Officer Mitchell selbst.“
„Für die beiden Betrunkenen? Mitchell hat die beiden also nicht zum Ausnüchtern reingeholt? Und auch keinen Bericht geschrieben? Wieso das?“
„Vermutlich gab es für beides keinen Grund“, sagte White ohne zu zögern. „Aber wir werden trotzdem nach ihnen suchen. Wer weiß, vielleicht wissen sie ja etwas.“
„Hm, ja, vielleicht. Was sonst?“
White sagte, „Befragungen unter der Bevölkerung. Meine Leute werden direkt auf die Straße gehen und die Bürger fragen, ob sie Hinweise auf den Verbleib von Officer Mitchell haben. Wir werden eine erdrückende Präsenz zeigen. Jeder in der Stadt wird wissen, dass das Police Department das Verschwinden eines seiner Officer nicht einfach so hinnimmt. Das wird Vertrauen in unsere Arbeit schaffen, darauf würde ich meine Pension verwetten, Bürgermeister. Hinzu kommen, wie ich vorhin bereits sagte, verschärfte Kontrollen von Verdächtigen im Stadtgebiet.“
„Verschärfte Kontrollen welcher Verdächtiger, Commander?“
„Wir haben dabei besonders die indianische Bevölkerung im Blick, Sir.“
Sheriff Tipps stützte laut die Arme auf den Tisch. „Haben Ihre Ausbilder bei den Marines Ihnen den Verstand rausgedrillt, White?“
Der Bürgermeister hob die Hand in Tipps Richtung. „Wenn Sie hauptsächlich die Indianer ins Visier nehmen, Commander, und das kommt raus, dann gibt es nur wieder Ärger. Sie kennen die Vorwürfe. Davon hatten wir hier schon genug. Chief?“
Osborne sagte, „Jeremy, haben wir denn einen Grund, zuerst bei den Natives nach Mitchell zu suchen? Hat er sich bei denen Feinde gemacht?“
„Chief, wir alle wissen doch, wie viele Indianer in der Stadt leben und wie viele aus den Reservaten zumindest gelegentlich in die Stadt kommen. Und wir alle wissen, mit denen gibt es die meisten Probleme. Stehlen Alkohol und betrinken sich, pöbeln, fangen Schlägereien an-“
„Sagen Sie das da draußen nicht zu laut, Commander.“
„Erfahrungswerte, Bürgermeister, sonst nichts“, sagte White und hörte, wie Tipps mit seiner knochigen Hand auf den Tisch schlug und dann sagte, „Du meine Güte, White, Sie sind tatsächlich verrückt geworden. Fahren Sie nach Washington zu dem anderen Verrückten, da passen Sie hin.“
White ignorierte ihn.
„Muss das sein, Sheriff, in dieser Runde?“, sagte der Bürgermeister. „Lassen wir doch den Präsidenten hier aus dem Spiel.“ Dann guckte er seinen Pressesprecher an. „Steven?“
„Ich finde auch, der Präsident-“
„Steven, zu dem, was Commander White sagt.“
Anderson zuckte zusammen. „Ach so.“ Er klappte sein Pad zu und sagte, „Aus meiner Sicht gibt es gute Ansätze und zumindest einen schlechten.“
„Nämlich?“
White konnte jetzt die Verzierung auf dem Pad genau erkennen: ‚Steven‘ in Schreibschrift. Wie man es von Mädchen kannte, die ihre Namen mit Goldstift auf ihre pinkfarbenen Handtäschchen malten und von ihren Eltern in Rüschekleidchen und Blumen im Haar auf die baufällige Bühne der Gemeindehalle geschickt wurden, damit sie den Little Princess Wettbewerb gewinnen.
„Mobilisierung der Polizeikräfte, Präsenz auf der Straße zeigen, enge Zusammenarbeit von Stadtführung und Police Department, Sheriff’s Department, Highway Patrol“, Anderson nickte, „das wird gut ankommen. Die Bevölkerung sieht eine entschlossene Verwaltung und einen fähigen Polizeiapparat. Das schafft Vertrauen.“
„Die Kosten für die Doppelschichten?“
„Werden verwendet zum Wohle der Community, Bürgermeister. Da sehe ich keine Probleme. Die Pressekollegen wagen sich da nicht dran.“
„Wo sehen Sie Probleme?“, sagte Osborne.
„Der Bürgermeister hat es eben gesagt. Der Fokus auf die indianische Bevölkerung. Der erste Bericht darüber in der Presse oder im Internet wird eine Lawine in der Stadt lostreten. Liberale Gruppen werden uns rassistische Motivation vorwerfen und alle anderen werden das gleiche Lied zwitschern. Wörtlich, Twitter und Co., das wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Die Pfadfinder, die Werdenden Mütter von Albuquerque, die Freunde der Sandia Mountains, die Beschützer vernachlässigter Klapperschlangen. Und alle werden sich von den Zeitungen zitieren lassen und in jedes Mikrofon plappern, das man ihnen vors Gesicht hält.“
„Es sind Erfahrungswerte“, sagte White.
„Erfahrungswerte my ass“, sagte Tipps. „Was Sie vorhaben, ist unverantwortlich, White. Sie wollen die Stadt aufmischen und die Indianer bluten lassen für-“
„Wir wollen niemanden bluten lassen, Sheriff, und niemanden aufmischen. Und es geht uns nicht darum, Macht zu demonstrieren. Es geht darum, Stärke zu zeigen. Stärke, die wir zum Wohl der Bevölkerung einsetzen, zu ihrem Schutz. Und wenn Sie schon von den Leuten da draußen sprechen, Sheriff Tipps. Was sollen diese Leute denn denken, wenn wir es einfach hinnehmen, dass einer von uns verschwindet? Ein Cop? Ein United States Police Officer? Wie sollen wir ihnen dann noch glaubhaft machen, dass wir sie beschützen können, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, uns selbst zu beschützen? Und wenn da draußen niemand mehr an uns glaubt“ – jetzt sah er den Bürgermeister an und wartete einen langen Atemzug – „Bürgermeister, wenn da draußen niemand mehr an uns glaubt, dann bricht auf der Straße das Chaos aus.“
Die Runde war still.
Alle sahen den Bürgermeister an.
„Na gut“, sagte Ford schließlich und guckte zum Chief. „Sie haben mich noch nicht vollständig überzeugt, aber Sie bekommen von mir Rückendeckung, John.“ Dann zu White. „Und ich werde versuchen, den Stadtrat zu überzeugen. Wir werden die Gelder bekommen, Commander.“ Dann sah Ford in die Runde. „Weitere Fragen? Dinge, die angesprochen werden sollten? Jetzt ist die Gelegenheit. Sheriff Tipps? ... Nein? Gut, dann sehen wir uns morgen wieder. Selber Ort, selbe Zeit. In der Zwischenzeit bleiben wir in Kontakt. Danke, meine Herren.“
Als alle gegangen waren, sagte der Bürgermeister, „Beschützer vernachlässigter Klapperschlangen? Haben wir hier so etwas?“
„Vermutlich.“ Anderson zuckte mit den Schultern. „Wollen wir das wirklich so kommunizieren?“
„Wir fangen mit dem Verschwinden dieses Mitchell an“, sagte der Bürgermeister und ging los. „Officer Mitchell natürlich. Wir erwähnen die Frau und die beiden Söhne. Dann der Einsatz aller Kräfte, ihn zu finden. Wir betonen meine Rolle dabei. Schreiben Sie was von Führung. Zum Schluss die Doppelschichten, mit einer starken Begründung. Kein Verweis auf die Kosten. Wenn schon, dann soll die Meute selber darauf kommen.“
Anderson neben ihm hatte Mühe zu tippen.
„Ach ja, und nennen Sie die Meute nicht Ihre Kollegen, Anderson. Sie sind hier bei mir. Die Meute ist da drüben. Verstehen Sie den Unterschied?“
Anderson nickte. „Natürlich, Bürgermeister. Was ist mit den Natives, Sir?“
„Von uns kommt nichts über das genaue Vorgehen des Police Departments, Steven, niemals. Das ist deren Sache. Und sollte es – Sagen Sie, können Sie beim Gehen überhaupt dieses Ding da bedienen? Es sieht nicht so aus. Besorgen Sie sich einen ordinären Schreibblock und eines dieser altmodischen Schreibgeräte, die man Kugelschreiber nennt, okay? Sie werden noch öfters neben mir gehen und zugleich schreiben müssen.“
„Block und Kugelschreiber, ja. Sie wollten sagen?“
„Huh?“
„Sie haben begonnen Und sollte es ...“
„Ja, habe ich ... Ja, sollte es irgendwann Fragen bezüglich der Indianer geben, dann wussten wir davon nichts.“
„Natürlich. Und was ist mit dem Einwand von Sheriff Tipps?“
„Ein Einwand, nichts weiter. Bei jeder Entscheidung, die ich zu treffen habe, gibt es jemanden, der dagegen redet. Und der Sheriff redet häufig dagegen, das sollten wir nicht zu ernst nehmen. Zeigen Sie mir Ihren Entwurf, bevor sie ihn rausschicken.“ Er kramte in seiner Hosentasche.
„Natürlich, Bürgermeister.“
„Und wenn die Fernsehteams kommen, machen Sie das. Ich will erst sehen, wie sich diese Sache entwickelt, bevor mein Gesicht in den Abendnachrichten erscheint.“
„Das wäre auch mein Vorschlag gewesen, Bürgermeister.“
Ford drehte sich zu ihm, ohne langsamer zu gehen. „Und noch zwei Dinge, Steven. Halten Sie sich nicht so oft in der Sonne auf. White hat recht, Sie sehen aus, als hätten Sie nichts zu tun. Und zweitens, lassen Sie sich verdammt nochmal eine Liste der Polizeicodes geben und lernen Sie das auswendig. Ihr Chef hat das auch gemacht.“
Ford sah Unverständnis im Gesicht seines Sprechers.
„Ich, Steven, ich habe das auch gemacht.“
„Natürlich, Bürgermeister.“
„Typen wie dieser White nehmen unsereins ohnehin nicht ernst. Zivilisten, meine ich. Da können wir uns so etwas wie vorhin nicht erlauben.“ Der Bürgermeister kramte in der anderen Hosentasche. „Ist das klar?“
„Völlig, Bürgermeister. Wohin gehen wir?“
„Nach draußen natürlich.“
„Draußen? Draußen ist es aber sehr heiß.“
„Ja“, sagte Ford und zog eine Schachtel hervor, Lucky Strike, ohne Filter, die Schachtel heute Morgen frisch aufgemacht und bereits halb leer, „das ist es. Und solange Sie keine gute Idee für eine PR-Kampagne haben, die es armen Schweinen wie mir wieder erlaubt, in städtischen Gebäuden zu rauchen, werde ich jeden Tag ein Dutzend Mal vor die Tür gehen und rauchen. Und Sie mit.“
„Ich rauche aber nicht, Bürger-“
„Was?“ Ford sah seinen Pressesprecher an.
„Ich habe noch nie geraucht, Bürgermei-“
„Sie gehen mit vor die Tür, Steven, damit uns meine Sucht nicht eine Stunde pro Tag kostet. Ich habe nicht gesagt, dass Sie da draußen rauchen sollen“, sagte Ford, „good gracious.“ Und nicht zum ersten Mal an diesem Tag kam dem Bürgermeister der Gedanke, den falschen Kandidaten ausgewählt zu haben. „Haben Sie wenigstens Feuer? Und Sie sollten jetzt besser nicht Nein sagen, Steven.“