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3. Gottfried Benn: »Ich erkläre mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich hier seinen Weg bahnt«

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Der deutsche Sonderweg – ein Irrweg für ganze Generationen und ihre geistigen Eliten. Für den national erglühten Berufssoldaten Ernst Jünger ebenso wie für den skeptischen Arzt Gottfried Benn. Im »Horchen auf die geheime Ursprache des Volkes« schloß Benn sich – 1930 im Libretto für Paul Hindemiths Oper »Der Unaufhörliche« – an das Existential des »Unaufhörlichen«, das heißt des ewigen Auf und Ab der Geschichte, des Blühens und Vergehens von Kulturen, das biologisch und historisch als Schicksal verhängt zu sein scheint. Kulturen, so codiert Benn, ›vollziehen‹ sich unabhängig von Menschen. Was Menschen also denken, tun, politisch wollen, ist unerheblich. Bestätigung für diesen fatalistischen Determinismus-Code fand Benn in Oswald Spenglers rechtem Kultbuch »Untergang des Abendlandes«. Durch Spenglers eklektizistisches Handbuch des Konservativismus sah sich Benn darin weithin bestätigt: Die westliche Demokratie, der ihr zugrundeliegende Individualismus, das Menschenrechtsdenken der Aufklärung – waren sie nicht Ausdruck eines allgemeinen Verfalls, der nur durch den »Gang zu den Müttern« zu überwinden war? Spenglers großer Erfolg, der erste Band erschien im letzten Kriegsjahr 1918, rührte daher, daß die deutsche Niederlage mit dem Untergang des Abendlandes verklärt werden konnte. Auch Benn traf mit seinem apolitischen Geschichtspessimismus und seiner Verfalls- und Untergangsmelancholie die Lebensstimmung derer, die der schlechte Kriegsausgang enttäuscht hatte. Den ideologischen Kern von Benns Libretto »Der Unaufhörliche« lobte die »Berliner Börsen Zeitung« nach der Uraufführung im September 1931 ausdrücklich: Benn, dieser Mann »aus dem Blute der Mystiker«, ließ Peter Hamecher verlauten, wolle mit seiner Rationalismuskritik dem Leben durch »Hereinnahme des Irrationalen« endlich »wieder Weite geben und Sinn«1. Der Komponist Robert Oboussier dagegen wies in der »Frankfurter Zeitung« auf den Widerspruch hin, in den Benn sich verstrickte, wenn er das »Unaufhörliche« zum universellen Prinzip erhob. Was denn genau, fragte Oboussier, bezwecke Benn mit diesem »Unaufhörlichen«, wenn er doch auf dem Hintergrund seines Nihilismus das Ringen des Menschen mit ihm als religiöses oder philosophisches Prinzip wiederum für sinnlos erkläre? Herausgekommen sei daher nicht mehr als ein »klagendes Lied vom Katzenjammer der vom Daseinsapparat eingestampften Menschen«2. Das »Unaufhörliche« war die – ja ebenso auch von Heidegger philosophisch betriebene – Rechtfertigung dessen, was geschah, was sich geschichtlich ereignete, also auch der völkischen, nationalen »Bewegung«. Solche Verweigerung von Aufklärung und politischem Gestaltungswillen wurde gedankliches Allgemeingut; es erhielt im Laufe der Weimarer Republik immer mehr Beifall aus der Mitte der Gesellschaft.

Als Gottfried Benn Heinrich Mann 1931 zum 60. Geburtstag auf dem Bankett des »Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller« mit einer Rede ehrte, lobte er den Artisten und Ästheten, würdigte den politischen Ziehvater von Republik und Demokratie jedoch mit keinem Wort. Den Architekten Werner Hegemann verleitete das zu der Feststellung: Benn rutsche immer weiter ins faschistische Lager ab, seine Kunsttheorie sei »im Geiste Hitlers«3 empfunden. Und es war – vorübergend – auch so: Als Benn am 9. Januar 1932 in die »Section Dichtkunst« der Preußischen Akademie der Künste gewählt wurde, empfand er Genugtuung. Wurde ihm nicht endlich jene Anerkennung zuteil, die ihm schon lange gebührte? In seiner »Akademie«-Rede am 5. April 1932 skizzierte er – sich der Theorie des Wiener Neurologen Konstantin von Economo bedienend – in Gegenwart der sichtlich irritierten Brüder Heinrich und Thomas Mann sein für einen Mediziner erstaunlich irrationalistisches Weltbild: Die »progressive Zerebration«, »die unaufhaltsam fortschreitende Verhirnung der menschlichen Rasse«, ideologisierte er, führe zur »Frigidisierung des Ich«4. Die Überspezialisierung des Leitorgans Gehirn bedeute den Untergangs der Gattung Mensch, sofern dem nicht, stellte er ganz im Sinne Nietzsches und Spenglers dar, ein neuer Menschentyp entgegenarbeite: der »höhere«, »tragisch kämpfende Mensch«. In seiner »Nach dem Nihilismus« überschriebenen Einleitung des gleichnamigen Essaybandes von 1932 beschrieb Benn das zur Überwindung der Misere notwendige »Gesetz« des »Willens zur Macht« bereits mit unmißverständlich faschistischem Vokabular: »Es bekäme dann für ihn den Charakter einer volkhaften Verpflichtung, kämpfend, den Kampf seines Lebens kämpfend, sich an die eigentlich unerkämpfbaren Dinge heranzuarbeiten, deren Besitz älteren und glücklicheren Völkern schon in ihrer Jugend aus ihren Anlagen, ihren Grenzen, ihren Himmeln und Meeren unerkämpft erwuchs: Raumgefühl, Proportion, Realisierungszauber, Bindung an einen Stil.«5

Auch Benn beeindruckten am 30. Januar 1933 die nächtlichen Fackelzüge der »nationalen Erhebung«. »Schicksalsrausch« ergriff von ihm wie von Millionen »Volksgenossen« Besitz, er sah sich als Teil des »mythischen Kollektivs« und glaubte an die Erneuerung des deutschen Volkes, an einen rassisch-völkischen Ausweg aus all dem, was er für fatal hielt: Aufklärung, Rationalismus, Funktionalismus und kapitalistische Selbstbereicherung. Eilfertig formulierte er, nach Heinrich Manns Rücktritt als Präsident selbst kommissarischer Vorsitzender der Preußischen Akademie, eine Loyalitätserklärung. Sie wurde auch an die vor und nach dem Reichstagsbrand geflüchteten Akademiemitglieder geschickt: »Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage.«6 Benn war zu mehr als loyaler Mitarbeit bereit. Vor dem Mikrophon des Berliner Rundfunks bekannte er sich vier Wochen nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, am 24. April 1933, öffentlich zum NS-Regime. Alles, begann Benn seine »Der neue Staat und die Intellektuellen« programmatisch überschriebene Rede, was sich in der Weimarer Republik zu den Intellektuellen zählte, habe das Entstehen des NS-Staates bekämpft und begeistert »jeden revolutionären Stoß von Seiten des Marxismus« begrüßt. Heute jedoch habe weder der Internationalismus Schillers noch der der Sozialisten gesiegt, sondern die »nationale Revolution«. Anfällig für sakrales Pathos, trug Benn feierlich auf: »Eine echte neue geschichtliche Bewegung ist vorhanden, ihr Ausdruck, ihre Sprache, ihr Recht beginnt sich zu entfalten, sie ist typologisch weder gut noch böse, sie beginnt ihr Sein … und es tritt ein in ihr Sein die Diffamierung von Seiten aller sich zu Ende neigender Geschlechter, die Kultur ist bedroht, die Ideale sind bedroht, das Recht, die Menschheit ist bedroht, es klingt wie Echo; aus der Lombardei, aus Ungarn, aus Versailles, als die Gallier kamen, die Goten, die Sansculotten, klang es schon so. Sie beginnt ihr Sein, und alles Feine, Abgestimmte, zu was Gelangte wirft sich ihr entgegen; aber es ist die Geschichte selber, die diese Angriffe entkräftet, ihr Wesen, das nicht abgestimmt undemokratisch verfährt. Die Geschichte verfährt nicht demokratisch, sondern elementar, an ihren Wendepunkten immer elementar. Sie läßt nicht abstimmen, sondern sie schickt den neuen biologischen Typ vor, sie hat keine andere Methode, hier ist er, nun handele und leide, baue die Idee seiner Generation und deiner Art in den Stoff der Zeit, weiche nicht, handele und leide, wie das Gesetz des Lebens es befiehlt.«7

Der Nationalsozialismus, er war in Benns – wie auch in Jüngers und Heideggers sowie in etlicher Millionen – Verständnis gerechtfertigt als das »Unaufhörliche«, als aus der »Schöpfung« aufsteigende Welt und somit als das »geschichtlich Echte«: »Für den Denkenden gibt es seit Nietzsche nur einen Maßstab für das geschichtlich Echte: sein Erscheinen als die neue typologische Variante, als die reale konstitutionelle Novität, also kurz gesagt als der neue Typ, und der, muß man sagen, ist da. Die typologische Majorität – wer könnte bezweifeln, daß sie vorhanden, auf Seiten des neuen Staates vorhanden ist?«8 Benn – dem heilsgeschichtliches Vokabular wie das vom neuen deutschen Menschen leicht zur Hand war – stellte sich vor und hinter NS-ideologische Leitvorstellungen wie: »Rückzug auf die gemeinsam von einem Volk geschichtlich durchlebte Landschaft, auf die sprachliche und kulturelle Tradition, und wir empfinden in dieser geschichtlichen Bewegung durchaus die vorwärtsgerichtete, ordnende, positive, die moderne Staatstendenz, die moderne Staatsidee, die den unfruchtbar gewordenen marxistischen Gegensatz von Arbeitnehmer und Arbeitgeber auflösen will in eine höhere Gemeinsamkeit, mag man sie wie Jünger ›Der Arbeiter‹ nennen oder nationalen Sozialismus.«9 Das geschichtlich »Echte« ist für Benn der »nationale Sozialismus«, will sagen: Nationalsozialismus. Und dessen Modellfigur: Jüngers »Arbeiter«. Wie sehr Benn damit das ideelle Menschenrechtsreservoir der Aufklärung schon immer suspekt war, zeigt auch die folgende Passage aus seiner Rundfunkrede »Der neue Staat und die Intellektuellen«, die am 25. April 1933 auch in der »Berliner Börsenzeitung« zu lesen war: »Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Lehrfreiheit in einem Sechzigmillionenvolk, von dem jeder einzeln den Staat für seine Unbeschädigtheit sittlich und rechtlich verantwortlich macht – ist da der Staat nicht aus Rechtsbewußtsein verpflichtet, diese Freiheit aufs speziellste zu überwachen? Das Wort ist aber der stärkste physiologische Reiz, sagt Pawlow, den das Organische kennt, auch der unabsehbarste, muß man hinzufügen. Läßt sich da überhaupt ein Argument gegen einen Staat finden, der erklärt, die öffentliche Meinungsäußerung nur denen zu gestatten, die auch die öffentliche Staatsverantwortung tragen? … Geistesfreiheit: daß an sie überhaupt die Entstehung von Kultur gebunden sei … ist eine gänzlich erkenntnislose Betrachtung: alles, was das Abendland berühmt gemacht hat, seine Entwicklung bestimmte, bis heute in ihm wirkt, entstand, um es einmal ganz klar auszudrücken, in Sklavenstaaten. Säule, Tragödie, kubischer Raum, Geschichtsschreibung, erste Selbstbegegnung des Ich: Ägypter, Hellas, Rom: es handelte sich um eine Oberschicht, oft eine sehr geringe, und dann die Heloten.«10

Der Pfarrerssohn Benn wünschte, daß der gottlose Materialismus und das bloße Nützlichkeitsdenken des naturwissenschaftlichen Zeitalters ein Ende finden. Endlich müsse die Jugend ideell motiviert werden: durch Leitgedanken wie Nation, Volk, durch Bereitschaft zu »militanter Transzendenz«. »Ein Jahrhundert großer Schlachten wird beginnen«, prophezeite er 1933 in seinem Essay »Züchtung I«, in denen der »neue deutsche Mensch«, die »schwarzen Scharen« der SS, als Sieger hervorgehen werden über »den östlichen wie … den westlichen Typ«.11 Benn rief die Jugend zu den Waffen, zum Aufbau des NS-Staates. Zugleich schmähte er mit poetisch stilisiertem Pathos den Lieblingsteufel der Rechten und Ganzrechten: die liberalen und linken Intellektuellen der Weimarer Republik: »Große, innerlich geführte Jugend, der Gedanke, der notwendige Gedanke, die überirdischste Macht der Welt … gibt dir recht: die Intelligenz, die dir schmähend nachsieht, war am Ende; was sollte sie dir denn vererben; sie lebte ja nur noch von Bruchstücken und Erbrechen über sich selbst. Ermüdete Substanzen, ausdifferenzierte Formen und darüber ein kläglicher, bürgerlich-kapitalistischer Behang. Eine Villa, damit endete für sie das Visionäre, ein Mercedes, das stillte ihren wertesetzenden Drang. Halte dich nicht auf mit Widerlegungen und Worten, habe Mangel an Versöhnung, schließe die Tore, baue den Staat!«12

Im In- und Ausland fand Benns emphatische und peinlich deutliche Konversion zum Nationalsozialismus große Beachtung: Genugtuung bei Nazis und Sympathisanten, Verwunderung, Entsetzen und Abscheu bei Oppositionellen und Emigranten. Aus seinem Exilort Le Lavandou in Südfrankreich stellte Klaus Mann in einem Offenen Brief Fragen: »Was konnte Sie dahin bringen, Ihren Namen, der uns der Inbegriff des höchsten Niveaus und einer geradezu fanatischen Reinheit gewesen ist, denen zur Verfügung zu stellen, deren Niveaulosigkeit absolut beispiellos in der europäischen Geschichte ist und vor deren moralischer Unreinheit sich die Welt mit Abscheu abwendet? Wie viel Freunde müssen Sie verlieren, indem Sie solcherart gemeinsame Sache mit den geistig Hassenswürdigen machen und was für Freunde haben Sie am Ende auf dieser falschen Seite zu gewinnen? Wer versteht Sie denn dort? Wer hat denn dort nur Ohren für Ihre Sprache, deren radikales Pathos den Herren Johst und Vesper höchst befremdlich, wenn nicht als der purste Kulturbolschewismus in den Ohren klingen dürfte? Wo waren denn die, die Ihre Bewunderer sind? Doch nicht etwa im Lager dieses erwachenden Deutschlands? Heute sitzen Ihre jungen Bewunderer … in den kleinen Hotels von Paris, Zürich und Prag – und Sie, der ihr Abgott gewesen ist, spielen weiter den Akademiker DIESES Staates.«13 Zwei Wochen nach der Bücherverbrennung, am 24. Mai, antwortete der Siebenundvierzigjährige dem Emigranten Klaus Mann im Berliner Rundfunk: »Ich muß Ihnen zunächst sagen, daß ich auf Grund vieler Erfahrungen in den letzten Wochen die Überzeugung gewonnen habe, daß man über die deutschen Vorgänge nur mit denen sprechen kann, die sie auch innerhalb Deutschlands selbst erlebten … mit den Flüchtlingen, die ins Ausland reisten, kann man es nicht. Diese haben nämlich die Gelegenheit versäumt, den ihnen so fremden Begriff des Volkes nicht gedanklich, sondern erlebnismäßig, nicht abstrakt, sondern in gedrungener Natur in sich wachsen zu fühlen, haben es versäumt, den auch in Ihrem Brief wieder so herabsetzend und hochmütig gebrauchten Begriff ›das Nationale‹ in seiner realen Bewegung, in seinen echten überzeugenden Ausdrücken als Erscheinung wahrzunehmen, haben es versäumt, die Geschichte form- und bilderbeladen bei ihrer vielleicht tragischen, aber jedenfalls schicksalsbestimmten Arbeit zu sehen.«14 Wieder, seine auf Einsamkeit und Eigenständigkeit gegründete intellektuelle Existenz desavouierend, warf Benn sich der Majorität, dem »germanischen« »Volk«, in die Arme: »Ich erkläre mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich hier seinen Weg bahnt. Wer wäre ich, mich auszuschließen, weiß ich denn etwas Besseres – nein! Ich kann versuchen, es nach Maßgabe meiner Kräfte dahin zu leiten, wo ich es sehen möchte, aber wenn es mir nicht gelänge, es bliebe mein Volk, Volk ist viel! Meine geistige und wirtschaftliche Existenz, meine Sprache, mein Leben, meine menschlichen Beziehungen, die ganze Summe meines Gehirns danke ich doch in erster Linie diesem Volke. Aus ihm stammen die Ahnen, zu ihm kehren die Kinder zurück. Und da ich auf dem Land und bei den Herden groß wurde, weiß ich auch noch, was Heimat ist. Großstadt, Industrialismus, Intellektualismus, alle Schatten, die das Zeitalter über meine Gedanken warf, alle Mächte des Jahrhunderts, denen ich mich in meiner Produktion stellte, es gibt Augenblicke, wo dies ganze gequälte Leben versinkt und nichts ist da als die Ebene, die Weite, Jahreszeiten, Erde, einfache Worte –: Volk. So kommt es, daß ich mich denen zur Verfügung stelle, denen Europa, wie Sie schreiben, jeden Rang abspricht.«15 Läßt sich intellektueller Verrat – die Selbstpreisgabe des denkenden Subjekts, gerade auch poetischer Anarchie, von Kants mündigem Bürger, läßt sich das Versinken im Partikularismus des deutschen Sonderweges – unzweideutiger bekennen als hier durch einen der genialsten Verseschmiede deutscher Zunge?

Verrat der Intellektuellen

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