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„Skończymy!“ Plötzlich stand die Mutter vor Magdalena. Sie reichte ihr die Hand. „Für heute sind wir fertig hier. Morgen früh um acht müssen wir im St. Mary´s Hospital sein.“

„Warum?“, fragte Magdalena.

Ewa sagte ihrer Tochter nicht, dass ein Herzkatheter vor der Operation gemacht werden sollte. Sie wollte ihr nicht unnötig Angst machen, denn das letzte Mal hatte schreckliche Erinnerungen hinterlassen.

„Kochanie, jemy lody? Magst du ein Eis? Wir könnten am Wochenende einen Ausflug zum Mississippi unternehmen, was hältst du davon?“ Nein, es hatte gewiss nichts Gutes zu bedeuten, was in ihrer Abwesenheit besprochen worden war! „Pani Agnieszka hat gesagt, auf dem Weg dorthin kämen wir an einem Indianerreservat vorbei.“

Indianerreservat. Gut und schön, es gab hier Cowboys – Männer mit Cowboyhüten auf dem Kopf; breitbeinig und Kaugummi kauend waren sie im Chicagoer Flughafen in Scharen herumgelaufen –, dann gewiss auch Indianer, aber Magdalena durchschaute das Ablenkungsmanöver. Sie steckte trotzig ihren Kopf wieder zwischen die Seiten.

Kazimierz hatte sich die Zwiebel einer Gladiole um den Hals gebunden, die, wie jedermann wusste, nahezu unverwundbar machte, und hatte sich auf den Weg gemacht. Er wollte zum Meer im Norden. Zu den Kreuzfahrerschiffen, die in den legendären Osten fuhren. Denn vielleicht war der Vater von den Tataren entführt worden. Mongolen. Sie waren aus dem Osten gekommen, auf ihren kleinen wendigen Ponys durch Litauen geritten und brandschatzten nun die Herzogtümer Polens. Sogar das Königreich Ungarn war ihnen zum Opfer gefallen! So wurde jedenfalls gemunkelt.

„Wo ist jetzt Tatuś? Weißt du es?“

Die Mutter riss es aus ihren Gedanken. Vielleicht hatte auch sie gerade an Tatuś, den Vater ihrer Kinder, gedacht.

„Magdalena, proszę! Bitte quäle mich nicht immer mit denselben Fragen!“ Ewa Zjawa streifte sich eine dunkle Locke aus dem Gesicht und reichte ihrer Tochter nochmals die Hand. „Nie wiem“, hauchte sie, „ich weiß es doch auch nicht.“ Sie hatte nicht die Kraft, ihr Kind auf die Beine zu ziehen.

„Wir müssen Gladiolenzwiebeln kaufen.“ Magdalena stieg vom Sessel hinunter in ihre Schuhe und gab ihrer Mutter das Buch, damit sie es wegstecken würde. In der Handtasche hatten sich sämtliche Zettel – Wegbeschreibungen, Kärtchen mit Telefonnummern, ärztliche Anweisungen, der Stadtplan von Rochester – ineinander verhakt, und Ewa zog den Packen Papiere heraus und ordnete ihn neu. Zuerst das Buch in die Tasche, es nahm den meisten Platz in Anspruch, dann den Stadtplan, die Flugtickets. Ewa kramte nervös in den hinteren Winkeln nach einem Taschentuch.

„Wir müssen telefonieren … Er wird kommen. Sie werden alle kommen, du wirst sehen, Andrzej und Helene und Tata und … Sie werden alle kommen …“

„Mamusia, gibt es in Amerika Gladiolen?“

„Bestimmt, Kochanie-Liebling. Wir werden Pani Agnieszka fragen.“

Agnieszka Nowak war die amerikanische Polin, die Dolmetscherin.

Im Aufzug drückte Ewa auf Subtown. Unter der Stadt gab es Geschäfte, Apotheken und Restaurants.

„Was magst du essen?“

„Lody! Hast du versprochen!“, erinnerte Magdalena.

„Ja, aber du musst heute noch was Richtiges essen.“ Ewa wusste, dass sie morgen früh vor der Herzkatheteruntersuchung nichts mehr zu essen bekäme.

„Mamusia, ich will keine Untersuchung mehr.“

Beinahe hätte Ewa geantwortet: Ich auch nicht.

„Du musst keine Angst haben, Kochanie. Es wird dir nichts passieren.“

Es gab für Magdalena himmelblaue Ice Cream mit einer Vanillewolke obenauf, später bei Maria, der Italienerin, die ihre Vermieterin war, Spaghetti mit Tomatensoße, in der Ananasstückchen schwammen. Ewa Zjawa hatte ein kleines Zweibettzimmer mit Bad und schmaler Küchenzeile gemietet, mit TV und einem Fensterspalt unter der Decke im Souterrain, wo die Zimmer billiger waren. Es war fraglich, wie lange das Geld reichen würde.

„Wir müssen telefonieren“, sagte Ewa noch einmal leise und drehte das Schloss der Tür herum, an der eine Zwei aus Metall angebracht war.

Magdalena schlüpfte aus Jacke und Schuhen und griff nach Mamusias Tasche. Sie zog das Buch heraus. Die Flugtickets fielen auf den Boden: Hin- und Rückflug für einen Erwachsenen und ein Kind, Nürnberg, BRD - Frankfurt am Main - Chicago, USA - Rochester, Minnesota.

„Mamusia, wann fliegen wir nach Polen zurück?“

Ewa konnte ihre Tochter nicht hören, sie war im Bad, der Wasserhahn plätscherte.

„Mamusia! Liest du mir vor?“ Magdalena warf sich aufs Bett.

Kazimierz wanderte durch den endlosen Krakau-Tschenstochauer Jura. Das Weiß des Kalksteins war vom Schnee verhangen, weiße Hügellandschaft führte ihn nordwärts in das angrenzende Großpolen. In den Dörfern machte er Rast und ersuchte die Menschen um Nahrung. An jeder Straßenkreuzung und an den Waldrändern, die seinen Weg säumten und die er nicht vermeiden konnte, faltete er seine Hände zum Gebet, um die Schutzheiligen anzurufen, und ging mit eingezogenem Kopf zügig voran. Es waren Gegenden, die besonders gerne von König Herle heimgesucht wurden, der darauf aus war, seine Heerschar stetig zu vergrößern.

Unwillkürlich faltete Magdalena ihre Hände unter der Brust, die man bald aufsägen würde. Die Rippen auseinanderbrechen, um an das Herz zu gelangen. Von diesen Details sollte das Mädchen eigentlich nichts wissen. Das Herz vom Kreislauf trennen und den Körper an eine Maschine anschließen. Je geringer die Angst, desto günstiger für den Verlauf. Aber Magdalena hatte bereits im Medizinmuseum der kleinen Stadt Rochester eine Herz-Lungen-Maschine betrachten können. Ewa hatte bereut, nicht erst nach der Operation das Museum aufgesucht zu haben.

Hier trieb er sich oft herum, lauerte einsamen Wanderern auf, der wilde Jäger, König der Toten und welche Namen man sonst noch für ihn gefunden hatte, der eine Horde von verdammten Rittern befahl und sämtliche Ausgeburten der Hölle um sich scharte.

Eine Hand streichelte über Magdalenas Haar.

„Soll ich dir vorlesen, Kochanie, mein Liebling?“

Er durfte keinesfalls einschlafen; die Winternacht würde sich anschleichen und seine Seele mitnehmen. Wahrscheinlich lauerte König Herle bereits auf seinen Tod.

Kazimierz schlief ein.

Magdalena griff nach Mamusias Hand, damit sie bei ihr bleiben würde.

Man hätte meinen können, er sei tot. Kazimierz´ Gesicht war blaugefroren, vor allem seine Lippen waren blau wie die Heidelbeeren im Sommer.

Magdalena änderte verlegen ihre Körperhaltung. Verstohlen sah sie zu Mamusia hoch. Ihre Mutter lächelte wie ein Engel und fuhr über ihr dunklen Lippen.

„Bald werden sie rot wie Erdbeeren sein.“

Oftmals glaubten die Leute auf der Straße, sie habe Blaubeeren gegessen, Leute, die sie gar nicht kannte. Manche fanden ihren Lippenstift nicht schön und meinten, es Magdalena sagen zu müssen. Nie hatte sie Lippenstift aufgetragen und ganz bestimmt keinen blauen! Im Sommer zog man sie regelmäßig aus dem See, weil man der Meinung war, sie sei schon zu lange im Wasser gewesen, den blauen Lippen nach zu urteilen. Dabei war ihr Badeanzug meistens kaum nass geworden. So jung und schon herzkrank? Die Leute konnten es nicht glauben und schimpften sie, wenn sie ihre kleine Schwester die Büchertasche tragen ließ, so dass Helene zwei zu schleppen hatte, während sie mit leeren Händen nebenher trottete. Sogar die Mutter wurde von Wildfremden zurechtgewiesen, wenn sie das Mädchen auf dem Arm trug.

„Du wirst sehen, nach der Operation wird Schluss damit sein!“

Lenesias letzte Reise

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