Читать книгу Sophia - Stephanie Tröbs - Страница 10

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Aufbruch

Er band sich seine paar Habseligkeiten mit einem Stück Stoff um den Bauch, Kamuffel steckte er fest unter sein Hemd in die Hose, so hatte er die Hände frei und niemand konnte es ihm etwas so leicht wegnehmen. Dann schaute er sich noch einmal um und schlich dann sehr leise die Treppen hinunter. Der Speisesaal war zum Glück immer offen, so kletterte er durch ein Fenster im Speisesaal raus in die dunkle Nacht. Wie ein Schatten schlich er sich an den Hauswänden vorbei.

Hinter einem Fenster im Erdgeschoss stand Schwester Maria. Sie hatte geahnt, dass Jakob fortgehen wollte. Im Grunde wäre sie selber gerne gegangen. Es war so schwer diesen Hass und diese Gewalt schon unter den Kindern ertragen zu müssen. Auch wusste sie nicht wie sie Hans noch mit Güte begegnen sollte auch, wenn ihr Glaube das Gebot. In ihr wuchs der Wunsch Hans für seine Taten zu bestrafen. Sie wusste, dass sie das beichten musste. Sie sah den Schatten von Jakob durch die Nacht gehen. Diesen Jungen würde sie sehr vermissen. Sie hatte ihn so sehr ins Herz geschlossen. Sie betete für ihn, dass es ihm wohl ergehen würde und, dass er seinen Weg finden würde. Vielleicht! Vielleicht würden sie sich wiedersehen.

Die holländische Grenze war nicht weit entfernt. Er musste sich Nord/westlich halten, dass wusste er aus den Karten die er im Schulatlas studiert hatte und er wusste auch wie er die Himmelsrichtung anhand der Sternen bestimmen konnte. Einmal aus Münster raus, kam er gut voran. Die Geräusche der Nacht machten ihm keine Angst. Er versuchte Straßen zu meiden. Ein kleiner Junge wäre aufgefallen. Auch bei den Bauernhöfen musste er vorsichtig sein. Kinder mussten sich in diesen Zeiten auf den Höfen verdingen. Ob sie wollten oder nicht. Viele wurden auch von ihren Eltern regelrecht verkauft.

Er ging stramm voran und schaffte es in dieser Nacht fast 30 km weit. Dann holte ihn die Erschöpfung ein. Er fand einen alten, offensichtlich verlassenen Holzschuppen und legte sich in der hintersten Ecke Schlafen. Kaum, dass er sich hingelegt hatte, war er auch schon eingeschlafen. Er erwachte am nächsten Tag um die Mittagszeit aus einem Traum von Sophia und mit ihrem Namen auf den Lippen. Vorsichtig lugte er aus dem Schuppen und machte sich weiter auf den Weg. Unterwegs schaffte er es sich immer mal wieder ein wenig Mais, ein paar Äpfel, die auf dem Boden lagen oder Möhren zu ergattern. Wasser trank er aus einem der vielen Bäche, die zwischen den Feldern hindurchflossen. Was ihm auch Sorge bereitete, war seine Kleidung. Die graue Uniform zeigte sofort seine Herkunft. Es galt etwas Anderes zu finden. Aber wie und wo? Die Sachen, die in seinem Koffer gewesen waren, passten ihm nicht mehr und die hatte er auch zurückgelassen.

Der Zufall und das Glück waren mit ihm. Er kam an einem Hof vorbei bei dem die Wäsche draußen auf der Leine hing. Unter anderem auch eine blaue, kurze Hose aus Wolle, wie sie viele Jungs zu der Zeit trugen und ein weißes Hemd welches fast so lang war wie ein Kleid und ihm bis zu den Knien reichte. In seinem vorherigen Leben wäre stehlen niemals für ihn in Frage gekommen aber was blieb ihm denn übrig?! Wieselflink nahm er sich Hose und Hemd, ein kleines Tischtuch und auch noch ein Laib Brot, dass zum Auskühlen beim Backhaus lag. Dann rannte er wie der Wind davon ohne sich umzuschauen. Erst nach einer Stunde traute er sich sein Tempo ein wenig zu drosseln.

Er suchte sich ein Versteck, in der Nähe eines Baches. Dort entledigte er sich seiner alten Kleidung. Auch, wenn der Bach eisig war, wusch er sich darin so gut es ging. Dann zog er die neuen Sachen an, die sich viel besser anfühlten als die alte Uniform. Diese versteckte er in einem dichten Gebüsch. Jetzt hatte er das letzte Stück Heimvergangenheit buchstäblich abgelegt. Er fühlte sich frei.

Nach zweieinhalb Tagen strammen Fußmarsch hatte er die holländische Grenze überschritten, das wusste er, weil er ein Ortsschild gesehen hatte auf dem Enschede 2 km standen. Und Enschede lag ein paar Kilometer hinter der holländischen Grenze. Irgendwie war er erleichtert. Er hatte schon einmal eine Etappe erreicht. Zwar lag noch ein langer Fußmarsch vor ihm aber der schreckte ihn nicht. Sein Weg führte ihn über abgeerntete Felder in Richtung Apeldoorn. Nachts fand er Unterschlupf in einer Scheune oder auch einfach unter freiem Himmel. Es wurde nachts schon empfindlich kalt und er schlief aus diesem Grund meist nicht sehr lange. Ein Feuer zu machen wagte er nicht. Schließlich wollte er keine Aufmerksamkeit erregen.

Das Brot ging so langsam zur Neige und der Hunger plagte ihn. Auf den Feldern war nicht mehr viel Essbares zu finden und an die Höfe wagte er sich nicht nah heran.

Eines Nachmittags ging er wieder über ein abgeerntetes Feld als ihm der unwiderstehliche Duft von gebackenen Kartoffeln in die Nase stieg. Ein paar Leute hatten auf dem Feld ein Feuer gemacht nachdem sie die letzten Kartoffeln geerntet hatten. Jakob wollte schon einen großen Bogen um die Gruppe machen, da hatte ihn auch schon ein Mädchen entdeckt. Sie rief nach ihm auf Holländisch, was er nicht verstand. Sie winkte ihn zu sich. Wegrennen war jetzt wohl auch keine Option. Er hätte das auch nicht lange durchgehalten so geschwächt wie er mittlerweile war. So trabte er langsam zu der Gruppe. Sie bestand aus einem Mann, einer Frau, einem älteren und einem jüngeren Knaben und diesem Mädchen. Die Frau sah sich Jakob von oben bis unten an und schüttelte mitleidig den Kopf. Warum konnte Jakob nicht wirklich nachvollziehen. Er hatte ja auch eine Weile keinen Spiegel mehr gesehen sonst hätte er sich selber über die hagere Gestalt mit den tiefen Ringen unter den Augen erschrocken. Die Frau reichte ihm einen Becher mit Milch. Jakob nahm ihn zögerlich, doch als die Milch seinen Lippen berührte konnte er nicht anders als den Becher gierig zu leeren. Das war köstlich. Die Frau lächelte und reichte ihm noch ein Stück Brot. Jakob nahm dankend an. Er bekam auch noch ein Stück Schinkenspeck und etwas Käse. Schinkenspeck war fremd für ihn. Zuhause hatte es den bei ihnen nicht gegeben und im gab es nie Fleisch. Es schmeckte gut. Einfach köstlich. Er verlor seine ganze Scheu und schlug sich einfach den Bauch voll.

Die Bauersfamilie nahm ihn mit auf ihren Hof und Jakob wehrte sich nicht. Wie auch?! Zuerst war er zu hungrig und zu müde gewesen um weg zu laufen und jetzt war er zu vollgefressen und träge dazu. Auf dem Hof machte die Frau ihm einen Zuber mit warmem Wasser und Jakob konnte sich endlich waschen, danach gab sie ihm frische Kleidung, die wohl einer der Jungs früher gehört haben muss. Eine Unterhose, ein Leibchen, eine knielange Hose aus Wolle, ein Hemd und eine Strickjacke. Jakob fühlte sich wie im Himmel auch, wenn er kein Wort von dem verstand was die Leute sprachen. Er bekam auch noch Wollstrümpfe und Holzschuhe. Die waren allerdings ein wenig zu groß. Es war schon spät und die Bäuerin wies ihm ein Strohbett bei den Knaben zu. Kaum hatte Jakob sein Kopf auf das Lager gelegt war er auch schon eingeschlafen. So bekam er nicht mit, dass der Bauer und die Bäuerin sich noch lange unterhielten. Die beiden waren sich sicher, dass Jakob wohl seinen Lehnsherrn davongelaufen sei. Da er aber Deutsch sprach musste er wohl von einem Hof nahe der Grenze stammen. Der Bauer wollte keinen Streit, schon gar nicht mit den Deutschen so beschloss er und seine Frau Jakob am nächsten Morgen wieder an der Deutschen Grenze absetzen. Vielleicht würde dieser ihm freiwillig verraten welcher Hof es denn gewesen war, von dem er weggelaufen war.

Jakob schlief unruhig wie immer. In seinen Träumen versuchte er immer wieder den Speisesaal des Heimes schneller zu verlassen um Sophia zu retten. Es gelang ihm aber nicht. Er wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Erst einmal musste er sich orientieren dann wusste er wieder wo er war. Wieder war er der Meinung sein Name wäre gerufen worden, konnte aber niemanden ausmachen. Dann hörte er es wieder. Eine Stimme flüsterte seinen Namen und sagte ihm, dass er hier wegmüsse, schnell. Obwohl er nicht herausfinden konnte wo die Stimme herkam stand er leise auf, zog sich an und schlich zur Tür. Die war jedoch verschlossen. Panik stieg in ihm hoch. Er war gefangen, warum hatten die Bauersleute die Tür abgeschlossen? Das war auf dem Land meist nicht üblich. Gehetzte suchte er einen Ausweg. In der Küche fand er eine kleine Tür, die direkt zu den Ställen führte. Diese war nicht verschlossen. Jakob öffnete sie leise und schlich sich durch den stockfinsteren Stall. Schritt für Schritt tastete er sich zu der Stalltür als er plötzlich ein tiefes, kehliges knurren hinter sich vernahm. Langsam drehte er den Kopf und sah in der Ecke den Schatten eines großen Hundes mit funkelnden Augen. Jakob rannte sofort los und der Hund setzte ihn nach, er schaffte es gerade so zur Stalltür, riss sie auf und knallte sie vor der Nase des Hundes wieder zu! Geschafft. Dann rannte er los, der Krach hatte sicher die Bauersfamilie geweckt. Er rannte so schnell ihn seine Füße tragen konnten, die Holzschuhe unter dem Arm und blindlings in die Nacht. Er hielt erst an als er glaubte weit genug entfernt zu sein. Dann sank er auf seine Knie, eine solche Angst hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Die Sonne ging rechts von ihm auf, zum Glück war er in die richtige Richtung gelaufen. Er wollte nach Norden, nach Amsterdam. Wie weit das wohl noch war?

In den nächsten Tagen achtete er noch mehr darauf keinem Menschen zu begegnen. Er ernährte sich von Pilzen und Kräutern aus dem Wald und fand hier und auch immer noch ein paar Äpfel. Das machte nicht wirklich satt aber er verhungerte nicht. Er versuchte sich so weit wie möglich sauber zu halten und achtete auf seine Kleidung. Die Sachen, die die Bauersfamilie ihm gegeben hatte, wärmten ihn auch in den Nächten. Er hatte Glück mit dem Wetter, denn es regnete nicht einen einzigen Tag auf seiner Reise.

Nach 10 Tagen hatte er endlich Amsterdam erreicht. Hier wimmelte es nur so von Menschen und Jakob viel in dem Getümmel nicht auf. In der Zwischenzeit hatten die Not und der Hunger seine Einstellung zum Stehlen grundlegend geändert. Aber er nahm sich selbst das Versprechen ab es nie wieder zu tun, wenn er endlich an seinem Ziel wäre. Auf dem Markt mopste er ein Stück Käse und ein Brot und verkroch sich in eine Seitengasse um diese in Ruhe zu verspeisen. Nachdem er gesättigt war konnte er auch wieder denken. Wie sollte er auf ein Schiff gelangen ohne entdeckt zu werden und wie sollte er eine solch lange Reise ohne Proviant überstehen? War es vielleicht möglich als Schiffsjunge anzuheuern? Aber dafür war er sicher noch zu jung und viel zu klein und schmächtig.

Er hatte sich mittlerweile zum Hafen durchgeschlagen und erkundete vorsichtig die Umgebung immer darauf bedacht kein Aufsehen zu erregen. Es war laut hier und es stank nach Fisch, Kot, Urin und was sonst noch. Es lagen mehrere Schiffe vor Anker. Einige Frachter, der Ladung entweder gelöscht wurde oder die gerade neu beladen wurden. Ein Segelschulschiff und ein großer Passagierdampfer. Das Passagierschiff hatte den Namen Resolute und trug drei riesige Schornsteine. Auf einem Plakat konnte man lesen, dass dieser Dampfer nach New York fahren würde und zwar morgen. Er musste da drauf! Aber wie?

Der Zufall sollte Jakob einmal mehr behilflich sein. Jakob war gerade in der Nähe der Gangway der Resolute und suchte nach Lösung seines Problems. Die Schiffe wurden bewacht und auch die Ladung wurde vor der Verbringung auf das Schiff genau geprüft. Es schien unmöglich auf das Schiff zu gelangen. Doch dann geschah das Unglaubliche. Ein paar Meter von der Gangway entfernt löste sich beim Beladen ein Tau von der Palette, die schon einige Meter über der Erde schwebte. Ein Arbeiter, der auf der Palette gestanden hatte um diese einzuweisen, verlor sein Gleichgewicht, rutschte ab und konnte sich gerade noch so mit den Händen festhalten. Er schrie um Hilfe. Die beiden Posten, die an der Gangway Wache gehalten hatten, rannten los um zu helfen. Es hatten sich schnell ein paar Männer zusammen getan um eine Art Sprungtuch zu spannen. Jetzt oder nie! Jakob rannte Wiesel schnell die Gangway hinauf und suchte die nächste Treppe, die ihn nach unten führte. Er fand sie und lief und lief und lief. Er konnte später gar nicht mehr sagen wie viele Treppen er nach unten gelaufen war und durch wie viele Türen er gegangen war. Schlussendlich war er im Laderaum gelandet. Hier waren die Habseligkeiten der Passagiere untergebracht und auch ein paar Automobile und diverse Kisten. Es war laut und stickig wegen der Nähe zum Maschinenraum aber es war auch warm. Jakob verkroch sich unter einer Plane in ein Automobil. Der Wagen war offen und der Rücksitz weich wie eine Wolke. Er schlief darin ein. So verschlief er wie das Schiff den Hafen von Amsterdam verließ…

Sophia

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