Читать книгу Sophia - Stephanie Tröbs - Страница 7
ОглавлениеHass
Der unselige Ausflugstag war gekommen. Die Kinder der HJ standen in Reih und Glied auf dem Hof und marschierten im Gleichschritt zusammen ab. Man hatte das Gefühl kleinen Soldaten und Soldatinnen zu zuschauen. Gemeinsam sollte heute gewandert werden, später würde ein Parteimitglied der NSDAP zu ihnen stoßen und einigen Jungs und Mädchen Auszeichnungen für Ihre Leistungen überreichen. Und dann wurde gepicknickt und ein Lagerfeuer bereitet. So war der Plan.
Eine Handvoll Kinder waren nun mit einigen Nonnen und zwei Jungs der HJ alleine im Heim. Der zweite Junge aus der HJ, Klaus, hatte den Ausflug ausgeschlagen, weil er sich einfach nicht wohl fühlte. Er hatte sich den Magen verdorben und lag im Bett. Somit war Hans als „Aufseher“ übriggeblieben. Jakob, Sophia, Michael und Anna saßen im Speisesaal und sollten einen mindestens 20 Seiten starken Aufsatz über die Deutsche Eiche schreiben wobei es ihnen nicht erlaubt war in die Bücher zu schauen. Für Jakob und Sophia ein leichtes Spiel, Michael und Anna taten sich eher schwer. Alle vier Kinder waren weit auseinandergesetzt, damit Abschreiben nicht möglich war. Hans schritt durch die Tischreihen, die Hände auf dem Rücken mit einem Rohrstock verschränkt. Er konnte es kaum erwarten den ersten zu bestrafen. Schon bei der kleinsten, unbedachten Bewegung, ließ er den Rohrstock tanzen. Er hatte es besonders auf Jakob abgesehen. Der hatte auch schon Tränen in den Augen von den vielen Schlägen, wehrte sich jedoch nicht und gab auch sonst keinen Laut von sich. Als er sich die mit dem Handrücken ein paar Tränen aus den Augen wischte, sauste wieder der Rohrstock auf ihn nieder. Hans begründete das, dass absolute Ruhe und still sitzen befohlen sei und das Verhalten von Jakob dem nicht entspreche. Allerdings verzichtete Hans bei den meisten Schlägen gänzlich auf eine Begründung. Jakob steckte einen weiteren Schlag ein nur, weil er möglichst leise die Nase hochzog. Da reichte es Sophia, sie wollte dem Spiel nicht weiterzusehen. Sie sprang auf, lief auf Hans zu und schubste ihn so unerwartet, dass Hans das Gleichgewicht verlor und hinterrücks auf den Po viel. Beim Fall hatte er sich den Kopf an einem Stuhl angeschlagen und die Nase fing an zu bluten. Hans wischte sich mit dem Handrücken die Nase. Als er das Blut auf seiner Hand sah, stieg eine unbändige Wut und Hass in ihm auf. Wie konnte dieses Weib es wagen ihn anzugreifen! Das sollte sie büßen! Jakob war starr vor Schreck. Hans stand auf, sammelte sich und richtete seine Uniform und dann befahl er Sophia, gefährlich leise, ihm zu folgen. Unschlüssig stand Sophia vor ihm, sie konnte sich nicht entschließen seinem Befehl zu folgen. Als er merkte, dass sie nicht sofort reagierte, nahm er unsanft ihren Arm und zog sie mit sich mit. Beim Hinausgehen, sperrte er den Speisesaal hinter sich ab, damit ihm niemand folgen konnte. Jakob hatte der Szene von dem Moment an als Sophia aufgesprungen war und Hans angriff, völlig erstarrt zugesehen. Er konnte nicht fassen was sich da vor seinen Augen abspielte. Seine Sophia hatte den wesentlich größeren Hans umgehauen, weil sie ihn, Jakob, beschützen wollte! Doch jetzt, als er endlich begriff, dass Hans Sophia mit sich nach draußen zog löste sich aus seiner Erstarrung, sprang auf, erreichte jedoch die Tür nicht mehr rechtzeitig. Was hatte Hans mit Sophia vor? Er musste ihm nach. Die Fenster! Er musste zum Fenster raus! Schnell lief er zu einem der Fenster hin und kletterte hinaus. Dann musste er um das ganze Gebäude laufen um die Vordertür zu erreichen. Die würde allerdings auch verschlossen sein. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung. Da sah er Schwester Maria. Er lief ihr entgegen und erzählte ihr aufgeregt was passiert war. Leider verstand sie ihn nicht sofort. Er fing wieder von vorne an und sagte ihr, dass sie sich beeilen müssen, weil Hans Sophia mitgenommen habe. Der Hass in den Augen von Hans hatte Jakob Angst gemacht die ihm die Gedärme zusammen zog. Er zog Schwester Maria in Richtung Eingang. Sie hatte ja einen Schlüssel.
Endlich verstand auch sie, dass hier jede Minute zählte und lief mit Jakob zum Eingang. Sie schloss die Tür auf und dann suchten beide nach Hans. Sie rissen jede Tür im Erdgeschoss auf bis sie zur einen kleinen Kammer kamen, die normalerweise zur Aufbewahrung der Großen Tafellineale und ähnlichem diente. Dort fanden sie die beiden. Sophia lag am Boden und Hans stand breitbeinig über ihr. Sophia hatte sich wie ein Fötus zusammengekrümmt und wimmerte vor Schmerz. Ihr Gesicht war Blut beschmiert. Hans hatte ein großes Lineal in der Hand, welches zerbrochen war. Die Eisenkante ragte nun wie eine Speerspitze empor. Er atmete schwer und sein Gesicht war schweißnass und hassverzerrt. Er murmelte etwas von gerechter Strafe. Als er die Nonne mit Jakob sah, schaute er sie verächtlich an, drohte Jakob kurz und ging einfach davon, nicht ohne Sophia noch einen letzten Tritt zu verpassen. Jakob wollte sich auf ihn stürzen doch Schwester Maria hielt ihn zurück. Beide beugten sich zu Sophia herunter und drehten sie vorsichtig herum. Sie wimmerte etwas lauter.
Die Schwester wies Jakob an sofort einen Arzt zu holen und er rannte los. Er rannte so schnell ihn seine Füße trugen. Der Arzt war nur ein paar Häuser weiter. Als er Jakob sah und dieser ihm versuchte zu erklären was los war, entschied er sich Jakob einfach zu folgen. Es schien wirklich dringend zu sein. Im Heim angekommen wurde der Arzt schon vorn Schwester Maria begrüßt. Sie führte ihn auf die Krankenstation wohin sie bereits Sophia getragen hatte. Jakob musste draußen bleiben. Angst und Verzweiflung stiegen in ihm hoch. Sophia, seine Sophia war schwer verletzt worden. Würde sie wieder gesundwerden? Es dauerte lange bis der Arzt wieder aus dem Krankenzimmer kam und er machte ein ernstes Gesicht. Er sprach sehr leise mit der Nonne aber Jakob schaffte es ein paar Fetzen aufzufangen. Er hörte etwas von eventuellen inneren Verletzungen, schwere Stauchungen und einem wahrscheinlichen Bruch des Nasen- und Jochbeines. Dann war da noch das Wort Krankenhaus und Jude. Der Arzt schüttelte bedauernd den Kopf und gab der Nonne Anweisungen wie sie Sophia pflegen sollte. Die Angst in Jakobs Magen wurde immer größer. Sophia, seine Sophia! Schwester Maria geleitet den Arzt wieder hinaus. Als sie zurückkam, sah sie Jakob vor der Tür der Krankenstation. Er sah abgehetzt und außer Atem aus. Was Schwester Maria nicht wusste war, Jakob hatte in der kurzen Zeit, die sie weg war Kamuffel aus dem Versteck geholt und unter seinem Hemd versteckt. Er hoffte Kamuffel könne Sophia Trost spenden, wenn sie erwachte. Schwester Maria überlegte kurz was nun mit Jakob machen sollte, dann entschied sie sich dafür ihn zu Sophia zu lassen. Viel konnte sie nicht tun. So sollte doch wenigstens jemand für sie da sein, wenn sie wiedererwachte. Jemand, der sie so liebte wie Jakob.
Jakob nahm sich einen Stuhl und setzte sich an Sophias Bett. Er nahm ihre kleine Hand in seine. Sie fühlte sich heiß an. Jakob hatte Kamuffel neben sie unter die Decke gelegt. Sophia war nicht bei Bewusstsein und schien große Schmerzen zu haben. Immer wieder stöhnte sie auf. Ihr kleiner Körper war über und über mit Kratzern, Wunden und immer dunkler werdenden Flecken übersäht. Ein Auge schwoll langsam zu, die Unterlippe war geplatzt und dick angeschwollen. Doch am meisten Sorgen bereitete der Nonne der Bauch, der immer dicker und hart wurde und sich ebenfalls verfärbte. Sophia bekam Fieber und Schüttelfrost. Jakob wich ihr nicht von der Seite.
In der Zwischenzeit waren die anderen Kinder und der Direktor wieder ins Heim zurückgekehrt. Der Direktor hörte sich die Schilderung des Vorganges von der Nonne an und zitierte dann Hans in sein Büro. Für den Direktor war es schwierig eine Entscheidung zu treffen, da seine Partei Ideologie aussagte, dass ein Angriff auf Juden keine Straftat war. Die gleiche Ideologie, die sie den Kindern auch schon eintrichterten. Ihm war wohl bewusst, dass Hans hier weit über seine Grenzen hinausgegangen war aber den Direktor waren die Hände gebunden. So beschränkte er sich darauf Hans für die Zerstörung von Schuleigentum zu bestrafen. Die Strafe bestand darin, eine Woche den Latrinendienst zu übernehmen. Er befahl Hans aber auch sich von jetzt ab von Sophia und Jakob fern zu halten.
Hans nahm die Strafe für das zerstörte Lineal stoisch hin. Eigentlich hatte er auf ein Lob für sein Handeln gehofft. Hatte er sich doch wie ein guter Deutscher verhalten und dem respektlosen Verhalten einer Jüdin die gerechte Bestrafung zugkommen gelassen. Als er das zu seiner Verteidigung anbringen wollte, genügte ein Blick in die Augen des Direktors um ihn zum Schweigen zu bringen. Was Solls, die Tat allein hatte ihm eine ungeahnte Befriedigung beschert, wie er sie sich nie hätte erträumen können. Sein Körper schüttete immer noch Adrenalin aus, die Glückshormone machten ihn fast euphorisch. Er hatte jeden Schlag genossen und noch mehr, als Sophia angefangen hatte zu weinen. Dennoch hatte sie nicht um Gnade gefleht, was ihm noch mehr Befriedung bereitet hätte. Er wusste er würde das wieder machen wollen. Er empfand weder Scham noch Schuld. Alles was er fühlte war das unbegrenzte Gefühl von Macht. Er Hans, der von allen Kindern gemieden worden war, hatte nun die Macht über Menschen. Er konnte über Leben oder Tod bestimmen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken und er konnte es kaum erwarten weiter aufzusteigen in der Hierarchie der besseren Menschen und endlich erwachsen zu werden.