Читать книгу Sophia - Stephanie Tröbs - Страница 8
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Jakob saß jetzt schon zwei Tage durchgehend an Sophias Bett. Kein Direktor, keine Schwester, niemand hinderte ihn daran. Er wurde mit Essen und Tee versorgt und Schwester Maria wechselte hier und da Sophias Verbände und maß ihr Fieber. Sie hatte hohes Fieber aber kein Schüttelfrost mehr. Ihre Atmung war flach und die unregelmäßig. Das Gesicht war zugeschwollen und der Körper über und über mit blauen Flecken übersät. Die Haut war schwitzig und kalt. Der Bauch hatte sich aufgebläht und war verfärbt. Hans musste sie mit den Füßen malträtiert haben.
Jakob verstand nicht warum der Arzt nicht wiederkam und auch verstand er nicht warum Sophia nicht im Krankenhaus lag. Warum half ihr keiner? Warum wurde sie nicht wach? Sophia, seine Sophia. Irgendwann versuchte es Jakob mitbeten. Er hatte zwar vergessen was ihm der Vater beigebracht hatte aber es musst doch auch so einen Weg geben, Gott darum zu bitten Sophia zu helfen. Er kniete sich vor Sophias Bett und faltete die Hände. Inbrünstig bat er den lieben Gott Sophia doch bitte beizustehen und sie wieder gesund zu machen. Er überlegte ob er Gott etwas im Gegenzug anbieten konnte aber es fiel ihm nichts ein. So erklärte er Gott warum Sophia einen anderes Kind geschubst hatte und, dass Sophia kein böser Mensch sei. Sie hätte ihn nur beschützen wollen. Er bemerkte nicht, dass er von Schwester Maria beobachtet wurde, die ihre Tränen beim Anblick von Jakob, nicht mehr zurückhalten konnte. Sie wusste es stand schlecht um Sophia, sehr schlecht.
Die nächste Nacht kam und Jakob wachte weiter bei seiner Sophia. Er hatte seinen Kopf auf ihr Bett gelegt und war ein wenig eingeschlafen. Plötzlich wurde er wach, weil er dachte jemand hätte seinen Namen gerufen. Immer noch hielt er Sophias Hand in seiner. Sie hatte die Augen geschlossen und Schweißperlen standen auf Ihrer Stirn. Im Raum war niemand zu sehen und doch spürte Jakob die Anwesenheit von jemanden oder etwas. Irgendetwas war anders und machte ihm Angst. Jakob schaute Sophia an und er hatte das Gefühl sie habe sich verändert. Ihre Gesichtszüge schienen entspannter zu sein als ob die Schmerzen sie nicht mehr quälten. Sollte sie vielleicht über dem Berg sein?! Doch dann veränderte sich die Atmung von Sophia. Sie wurde erst schneller und dann langsamer, immer langsamer und flacher, immer flacher und langsamer, bis sie ganz aussetzte und Sophia aufhörte zu atmen. Sanft schüttelte Jakob sie an der Schulter, sie musste doch atmen. Jakob schüttelte stärker und rief ihren Namen. Sie bewegte sich nicht. Schnell rannte er aus der Krankenstation um Hilfe zu holen. Schwester Maria war nur ein Raum weiter und sofort zur Stelle, da sie ahnte was passieren wurde. Sie sprang sofort auf und rannte mit Jakob zur Krankenstation. Sie stürzte zu Sophia nahm Ihre Hand und fühlte Ihren Puls. Doch da war keiner. Dann versuchte sie es noch einmal an der Halsschlagader. Aber auch da war nichts zu fühlen. Sie legte Ihren Kopf auf Sophias Brust. Man konnte kein Herz schlagen hören. Sophia war tot, erschlagen von einem zehnjährigen Knaben. Sie nahm Sophias Hände und faltete sie über ihrer Brust zusammen so als ob sie beten würde. Dann schlug sie selber ein Kreuz und sprach das Vater unser. Jakob sah ihr schweigend dabei zu. Er hoffte immer noch es würde ein Wunder geschehen und Sophia würde die Augen wieder aufschlagen. Warum tat Schwester Maria denn nichts mehr? Warum hatte sie so schnell aufgegeben? Sie musste Sophia doch aufwecken, Sophia musste wieder atmen! Seine Sophia durfte nicht sterben! Schwester Maria hatte das Gebet beendet und nahm den verzweifelten Jakob in die Arme. Sie sagte ihm Sophia wäre jetzt an einem besseren Ort ohne Schmerz und Leid.
Nein, das konnte nicht sein! In Jakobs Herz zerbrach etwas. Er konnte jeden Splitter als tiefen Stich spüren. Sophia durfte nicht tot sein! Dann stieg zu der Verzweiflung Wut in ihm hoch. Wut und ein Name. Hans! Hans hatte ihm seine Sophia genommen! Hans sollte dafür büßen! Er wollte sich aus der Umarmung losreißen aber Schwester Maria ahnte was in ihm vorging und hielt ihn mit aller Kraft fest. Sie ließ ihn nicht los und redete beruhigend auf ihn ein. Machte ihm klar, dass er in sein Unglück rennen würde und dass es ihm niemals gelingen würde gegen Hans und die anderen Burschen etwas auszurichten. Es waren zu viele! Niemand würde ihm zur Seite stehen und ihm helfen. Immer noch wehrte sich Jakob gegen ihre Umklammerung bis sie den einen Satz sagte: „Deine Sophia würde das nicht wollen, sie hat Dich doch beschützt; sollte das umsonst gewesen sein?“ Jakob hielt inne. Kraftlos sank er in die Arme von Schwester Maria und fing an zu weinen, er weinte so lange wie er noch nie geweint hatte. Weinte bis es keine Tränen mehr zu weinen gab.
Sophia, seine Sophia war nicht mehr da. Er würde in seinem Leben nie wieder Freude empfinden und nie wieder einem Menschen so rein und so unschuldig wie ihr begegnen. Seine Sophia war einen Tag vor ihrem achten Geburtstag gestorben. Gestorben für ihn. Das würde ihn nie wieder loslassen. Eine Schuld, die er niemals begleichen konnte. Er wäre gerne an ihrer Stelle gestorben. In dieser Nacht starb auch etwas in ihm. Seine Kindheit war vorbei.
Sophia! Sophia, meine Sophia, dachte er und brach in den Armen von Schwester Maria zusammen.