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In der West Street wurde Ben Cooper bereits von Diane Fry erwartet, die ihn wütend anfunkelte, als er das Büro betrat.

»Du hast das Telefon nicht abgenommen«, sagte sie.

»Ich war gerade beschäftigt«, protestierte Cooper. »Ich hätte dich zurückgerufen. Wie läuft’s mit dem tätlichen Angriff auf die beiden Jungs?«

»Den kannst du fürs Erste vergessen.«

»Vergessen? Das war ein zweifacher tätlicher Angriff mit vorsätzlicher Körperverletzung und dazu noch unerlaubter Waffenbesitz! Ganz zu schweigen davon, dass das Ganze potenziell rassistische Hintergründe hatte.«

»Ja ja, und wahrscheinlich hat auch noch jemand Papier auf den Bürgersteig geworfen, als du gerade nicht hingeschaut hast. Vergiss es.«

»Aber Diane …«

»Hefte es in deinem Hängeordner ab, Ben. Wir haben Wichtigeres zu tun.«

»Was ist denn so wichtig? Habt ihr noch eine Leiche gefunden?«

»Wichtig ist«, sagte Fry, »dass wir eine Einsatzbesprechung zum Fall Schneemann haben. Er ist soeben zum Mordfall geworden.«

Ohne besonders darüber nachzudenken, hatte Ben Cooper angenommen, dass der neue Chief Inspector der Division E eine Frau sein würde. Und wenn keine Frau, dann bestimmt ein Angehöriger einer ethnischen Minderheit oder wenigstens ein Schwuler. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass ein so hoher Posten ohne Berücksichtigung geschlechtlicher, ethnischer oder sexueller Gesichtspunkte besetzt wurde.

Aber Cooper konnte DCI Oliver Kessen noch so intensiv unter die Lupe nehmen, er war und blieb ein Weißer mittleren Alters mit fortschreitender Glatzenbildung, schlechten Zähnen, einem schlecht sitzenden Anzug und einem Bauchansatz. Kessen, der neben ihrem alten DCI saß, stand natürlich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Obwohl er lediglich von der Division D überwechselte, die bekanntermaßen nicht gerade in Australien operierte, bekamen ihn die Beamten in Edendale heute zum ersten Mal zu Gesicht.

»Guten Tag zusammen«, sagte Kessen. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Alles so weit unter Kontrolle?«

Einige öffneten den Mund, um zu antworten, klappten ihn jedoch sofort wieder zu, als sie Chief Tailbys Gesichtsausdruck sahen. Tailby sah aus wie ein Schulrektor, der seine Schützlinge angewiesen hatte, nicht mit Fremden zu sprechen.

»Ich glaube schon. Ganz bestimmt«, sagte Tailby.

»Also, ich bin eben erst angekommen und darauf angewiesen, dass Sie mich auf den aktuellen Stand bringen. Aber ich wage schon mal zu behaupten, dass in dieser Dienststelle alles vorbildlich läuft. Wie ich sehe, hat Mr Tailby hier ein hervorragendes Team.«

Der Neue sah nickend in die Runde und versuchte mit so vielen Beamten wie möglich Blickkontakt aufzunehmen. Cooper sah etliche seiner Kollegen wie Kaninchen im Scheinwerferlicht erstarren. Offenbar versagten ihre sozialen Fähigkeiten angesichts zweier gleichrangiger, miteinander rivalisierender Vorgesetzter auf katastrophale Weise. Kessen musste bei dieser lebhaften Reaktion ja denken, er sei in ein Wachsfigurenkabinett geraten. Mit der richtigen Beleuchtung hätte die Tischrunde ein perfektes Szenario für ein Gruselkabinett abgegeben.

Es war immer ein bisschen seltsam, wenn ein neuer Chef kam. Aber es war Stewart Tailbys eigene Entscheidung gewesen, seinen Posten zu verlassen und einen Schreibtischjob im Präsidium zu übernehmen. Daher konnte er im Grunde nichts gegen die Ankunft seines Nachfolgers einzuwenden haben, und er konnte sich auch schlecht dagegen verwahren, dass der Neue nun neben ihm saß und vor seinen ehemaligen Mitarbeitern eine Begrüßungsansprache hielt. Kessen war zu unerfahren, um bei einem wichtigen Fall die Ermittlungen zu leiten. Deshalb saß Tailby noch so lange hier fest, bis die Division E einen Detective Superintendent als Leiter der Kriminalpolizei zugeteilt bekam. Es gab auch andere Kollegen im Raum, die bei Tailbys Weggang auf dessen Posten spekuliert hatten, aber das war eine andere Geschichte. Denen zu sagen, sie sollten sich nicht darüber ärgern, war zwecklos.

»Wie einige von Ihnen wissen, liegen die ersten Obduktionsergebnisse des Unbekannten vor, dessen Leiche an der A57 am Snake Pass gefunden wurde«, verkündete Tailby. »Die Ergebnisse zwingen uns, ab sofort in einem Mordfall zu ermitteln. Ich bin mir bewusst, dass Sie alle mit anderen Fällen beschäftigt sind, und ich muss nicht eigens betonen, dass unsere Personaldecke extrem dünn ist. Wir hoffen auf Unterstützung von anderen Divisionen. Aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass, was Personalfragen betrifft, alle im gleichen Boot sitzen.«

Der Raum war tatsächlich wesentlich spärlicher besetzt als bei jedem anderen größeren Fall, an den sich Cooper erinnern konnte. Dass die Personalkrise ausgerechnet mit einem unbekannten Mordopfer und einem zweifachen schweren tätlichen Angriff mit mehreren Verdächtigen zusammenfiel, war wohl eine Ironie des Schicksals. Beide Fälle verlangten nach langwieriger Routinearbeit, aber dafür gab es nicht genug Leute.

»Inspector Hitchens und Sergeant Fry unterrichten Sie nun ausführlicher über die Informationen, die uns bislang vorliegen«, fuhr Tailby fort.

Die blaue Tasche des Schneemanns stand ganz vorn auf dem Tisch und war wie jedes Beweisstück in Plastik verpackt. Alle starrten sie an, als könnte sie ihnen verraten, was sie so dringend wissen wollten. Paul Hitchens erhob sich.

»Diese Tasche wurde von den Schneeräumern bei der Leiche gefunden«, erklärte er. »Es ist eine handelsübliche Marke, wenn auch nicht billig. Eine unserer ersten Aufgaben besteht darin, sämtliche Geschäfte in der Umgebung ausfindig zu machen, die derartige Reiseartikel verkaufen. Leider gibt es keine Etiketten, ebenso wenig wie einen Inhalt, mit dessen Hilfe wir den Besitzer identifizieren könnten.«

»War die Tasche denn ganz leer?«, fragte Cooper.

»Sie war so leer, dass man sie für einen Einsatzraum bei der Kripo Derbyshire halten könnte«, sagte Hitchens. »Nur dass sie besser riecht.«

Cooper sah, dass Chief Inspector Kessens Augen sich unmerklich weiteten. Er sah erst Hitchens an, dann wandte er sich Tailby zu, der ihn ignorierte. Zum ersten Mal an diesem Morgen stahl sich ein leises Lächeln auf Tailbys Gesicht.

»Das heißt, jemand hat sich große Mühe gegeben, alle Hinweise auf die Identität des Toten zu beseitigen«, sagte Cooper.

»Ja und nein«, erwiderte Hitchens. »Es wurden zwar alle Sachen aus der Tasche genommen, den Toten selbst aber hat man voll bekleidet liegen lassen. Man hat ihm seine Brieftasche und vielleicht auch sein Handy abgenommen, falls er eins dabeihatte, aber seine Taschen hat man nicht geleert. Und warum haben die Täter die Reisetasche liegen lassen? Wenn sie sie angefasst haben, gehen sie damit ein Risiko ein. Warum haben sie die Tasche nicht gleich zusammen mit den Kleidern weggeworfen? Das passt alles nicht richtig zusammen.«

»Was sagen die Vermisstenmeldungen?«, fragte Chief Inspector Kessen.

»Bestimmt ist auch da alles unter Kontrolle«, antwortete Tailby.

»Selbstverständlich. Ich wollte nur wissen, wer sich darum kümmert.«

Gavin Murfin hob zögernd die Hand. Er hatte den Mund voller Schokolade und kaute ein bisschen schneller, als sich die Blicke beider Chief Inspectors auf ihn richteten.

»Das ist Detective Constable Murfin«, stellte Tailby ihn vor.

»Guten Tag, Murfin«, sagte Kessen. »Sie haben die Vermisstenmeldungen im Griff?«

Murfin machte den Mund auf, aus dem jedoch nur Kaugeräusche und leises, würgendes Schlucken drangen.

»Schon irgendwas herausgefunden, Murfin?«, hakte Tailby nach.

»Nein, Sir. Wir haben eine Liste vorliegen, auf der einem aber sozusagen nichts direkt ins Auge springt.«

»Überregionale Behörden?«

»Die Anfrage läuft noch«, gab Murfin zurück. »Von einigen haben wir noch keine Antwort.«

»Dann bleiben Sie dran, Murfin.«

»Jawohl, Sir.« Murfin merkte, dass seine Hand immer noch in die Luft ragte. Er ließ sie sinken und sah verlegen in die Runde.

»Und wer ist die Dame?«, fragte Chief Inspector Kessen plötzlich. Alle drehten sich nach der Tür um, doch dort war niemand zu sehen. Cooper ließ den Blick nicht von seinen beiden Vorgesetzten und sah, wie sich Tailbys Kiefermuskeln anspannten. An diesem Nachmittag befand sich nur eine einzige Frau im Raum, und das war keine Dame, sondern Diane Fry. Schließlich folgten ein paar Beamte Kessens Blick. Er lächelte und zog neckend die Augenbraue hoch, eine Marotte, die er sich beim Betrachten von Sean-Connery-Videos angewöhnt haben musste.

Fry stand auf und beantwortete die Frage selbst, was bei Besprechungen absolut unüblich war.

»Detective Sergeant Diane Fry, Sir.«

»Guten Tag, Diane. Und woran arbeiten Sie gerade?«

»Sergeant Fry gehört zu meinen besten Leuten«, informierte ihn Tailby mit unheilvoller Miene.

»Aber gewiss. Das sieht man auf den ersten Blick. Aber ich glaube, dass sie jetzt eher zu meinen Leuten gehört, Stewart.«

»Wir haben eine Beschreibung des Mannes mit der Bitte um Hinweise an alle Medien herausgegeben«, sagte Fry kühl. »Außerdem haben wir Beamte zu Kontrollpunkten an der A57 geschickt, wo sie sämtliche Autofahrer aus der Umgebung anhalten, die etwas gesehen haben könnten. Und wir suchen nach einem Wagen mit Allradantrieb, der womöglich zu dem Zeitpunkt in dieser Gegend gesehen wurde, zu dem die Leiche dort hingeschafft wurde. Selbstverständlich gehen wir auch den Hinweisen nach, die uns der Tote selbst liefert: seiner Kleidung und allem, was er bei sich hatte. Die Kleidung scheint momentan am vielversprechendsten zu sein.«

Chief Inspector Kessen nickte und lächelte beifällig.

»Außerdem haben wir eine kleine Tätowierung am linken Oberarm der Leiche gefunden«, fuhr Fry fort. »Ein Dolch mit einer Schlange. Ein weit verbreitetes Motiv, trotzdem könnte es uns bei der Identifizierung helfen.«

»Ich bin sicher, dass Sie ausgezeichnete Arbeit leisten«, sagte Kessen. »Ganz hervorragende Arbeit.«

»Sollen wir weitermachen?«, fragte Tailby. »Wir haben heute noch viel vor.«

Fry drehte sich um, so dass sie Cooper und Murfin sehen konnte, die sich jedoch beide hüteten zu grinsen.

»Erklären Sie uns doch bitte noch einmal den zeitlichen Ablauf«, sagte Tailby.

Fry folgte seiner Bitte und erläuterte den eingeschränkten Zeitraum, in dem die Mörder Gelegenheit hatten, die Leiche am Snake Pass abzuladen, ohne dabei gesehen zu werden.

»Deshalb gehen wir mit ziemlicher Sicherheit davon aus, dass es sich um ein Fahrzeug mit Allradantrieb gehandelt haben muss«, sagte sie.

»Davon gibt es hier nicht gerade wenige.«

»Eddie Kemp hat eins, zum Beispiel«, warf Murfin ein.

»Wer?«, fragte Tailby.

»Der Bursche, den wir wegen des tätlichen Angriffs hier hatten.«

»Wirklich?«

»Wir haben einen Verdächtigen in Gewahrsam?«, erkundigte sich Kessen. »Das wusste ich ja gar nicht. Wer hat ihn festgenommen?«

»Ich«, sagte Cooper. »Aber das betrifft einen ganz anderen Fall.«

»Wissen wir das zweifelsfrei?«

»Es ist in der gleichen Nacht passiert«, sagte Murfin.

Cooper zögerte. »Es gibt keine offensichtliche Verbindung zwischen den beiden Fällen. Bis auf die zeitliche Überschneidung.«

»Er fährt einen Isuzu Trooper. Ich habe ihn schon draußen stehen sehen, wenn er die Fenster geputzt hat.«

»Was hat er geputzt?«

»Er ist Fensterputzer«, erklärte Murfin. »Jedenfalls ist er nicht mehr in Gewahrsam – wir haben ihn wieder nach Hause geschickt. Er hat seine vierundzwanzig Stunden abgesessen.«

Tailby verzog das Gesicht. Zu oft schon hatte sich herausgestellt, dass die Polizei einen Verdächtigen in Gewahrsam genommen und wieder freigelassen hatte, bevor die entscheidenden Beweise seine Festnahme rechtfertigten. »Wir sollten uns lieber noch einmal vergewissern, dass es tatsächlich keine Verbindung zwischen den beiden Vorfällen gibt«, sagte er. »Wer kann das überprüfen?«

Cooper bemerkte, dass der Chief Inspector ihn ansah. »Ich übernehme das, Sir«, sagte er.

Inspector Hitchens meldete sich zu Wort. »Wir überprüfen gerade die Aufnahmen der Überwachungskameras und hoffen, dass entweder die Verdächtigen oder die Opfer von einer der Kameras im Zentrum erfasst wurden.«

»Sehr schön«, sagte Tailby. »Dann sollten wir uns wohl wieder mit der Identifizierung des Schneemanns beschäftigen. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Solange wir nicht wissen, wer er ist, treten wir auf der Stelle. Natürlich brauchen wir die Unterstützung der Öffentlichkeit. Aber da er wahrscheinlich nicht aus der Gegend stammt, dürfte das eine Weile dauern. Das heißt, es gibt jede Menge zu tun. Mr Kessen glaubt, dass wir alles so weit unter Kontrolle haben, da wollen wir ihn doch nicht enttäuschen.«

Diane Fry sah sehr wütend aus. Sobald die Besprechung vorbei war, beugte sich Ben Cooper zu ihr hinüber.

»Sieht ganz so aus, als hätten wir es bei dem Schneemann-Fall mit Amateuren zu tun«, sagte er. »Die Täter haben die Tat nicht richtig durchdacht. Sie sind nicht logisch vorgegangen. Ohne System und ohne Plan. Ist doch gut, oder? Das heißt, sie machen sich jetzt schwer Sorgen, ob sie Spuren hinterlassen haben.«

Fry zuckte die Achseln. »Ich bin nicht ganz deiner Meinung. Die Zeitplanung sieht für mich ziemlich durchdacht aus. Das hat sich jemand genau überlegt.«

»Oder sie hatten einfach Glück.«

»Gegen das Glück können wir nicht viel machen, Ben.«

»Doch.«

»Und zwar?«

»Wir müssen eben selber Glück haben.«

»Von wegen.«

Aber Ben Cooper glaubte an das Glück. Er glaubte daran, dass sich das Glück, wenn man nur lange und ernsthaft an etwas arbeitete, letztendlich zu den eigenen Gunsten wendete.

Was Cooper nicht erkannte, war die Tatsache, dass ihm das Glück in dieser Woche bereits fast auf den Füßen gestanden hatte. Mehr war fürs Erste nicht zu holen.

Nachdem die Ermittlungsteams eilig zusammengestellt worden waren, verließ Cooper mit Diane Fry und Gavin Murfin den Einsatzraum. Sie schwiegen, nur Murfin summte leise vor sich hin. Cooper versuchte, die Melodie zu erkennen. Es hörte sich an wie ein alter Song von den Eagles: New Kid in Town.

»Tja, neue Besen kehren besser«, kommentierte Murfin, als sie wieder im Büro waren, und begann in seinen Schreibtischschubladen zu wühlen. »Hat meine Mutter jedenfalls immer gesagt.«

Cooper sah, dass Fry sich nicht überwinden konnte, ihm etwas zu entgegnen. Sie war blass und bewegte sich so steif, als wäre ihr entsetzlich kalt. Im Einsatzraum war es tatsächlich sehr kalt gewesen, so kalt, dass man die Luft mit einem Eispickel hätte bearbeiten können.

»Du bist immer optimistisch, was, Ben?«, sagte sie schließlich. »Du hast von Glück geredet. Aber sieh dich doch um. Unsere personellen Kapazitäten sind auf dem Nullpunkt, und zu allen anderen Fällen haben wir jetzt noch eine nicht identifizierte Leiche. Wir haben einen neuen Boss, der alte Chief Super ist kurz vorm Durchdrehen, und unser größter Aktivposten ist ausgerechnet Gavin. Sogar das Wetter ist gegen uns. Glaubst du wirklich, es sieht auch nur annähernd so aus, als wäre das Glück auf unserer Seite?«

»Man kann nie wissen.«

»Meinst du, wir könnten Mr Tailby überreden, doch hier zu bleiben?«, fragte Murfin.

»Ich glaube, dazu ist nicht viel Überredung nötig«, sagte Cooper. »Er ist nicht besonders scharf auf den neuen Job in der Zentrale.«

»Auf den neuen Chief Inspector ist er noch weniger scharf.«

»Mr Kessen wird sich schon einleben, Gavin.«

»Das könnte eine Weile dauern. Ich weiß nicht, Ben … wir alten Polizisten werden manchmal Dinosaurier genannt. Aber dort im oberen Stock kommt es mir manchmal vor wie der reinste Jurassic Park.«

»Warum hast du dann Eddie Kemp erwähnt? Wolltest du beim neuen Chief ein paar Punkte machen? Kemp hat doch nichts damit zu tun. Was hast du bloß immer gegen ihn?«

»Vielleicht hat er mein Fenster nicht richtig geputzt«, sagte Murfin. »Ich weiß auch nicht. Vielleicht wollten Kemp und seine Kumpels auch einfach Ärger. Bei den anderen beiden sind sie auf den Geschmack gekommen, und dann haben sie irgendeinen armen Kerl vor der Stadt am Straßenrand aufgegabelt.«

»Ich habe mit Kemps Frau gesprochen«, wandte Cooper ein. »Sie sagt, er ist die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen. Er ist um acht Uhr in den Pub gegangen, und bis zum nächsten Morgen, als sie telefonisch benachrichtigt wurde, dass er bei uns ist, hat sie nichts mehr von ihm gehört. Außerdem hat sie gesagt, der Isuzu sei die ganze Nacht weg gewesen. Jemand hat ihn erst frühmorgens zurückgebracht und den Schlüssel durch den Briefschlitz geworfen.«

»Vermutlich einer von Kemps Kumpels, weil er selber zu der Zeit ja bereits in Gewahrsam war«, sagte Fry.

»Vermutlich. Wir sollten das sicherheitshalber überprüfen.«

»Kennt Mrs Kemp die Freunde ihres Mannes?«

»Ich würde sagen, sie kennt sie, will sie aber nicht kennen.«

»Hat sie keine Namen genannt?«

»Nein. Sie ist nicht gerade begeistert von der ganzen Sache, sagt aber natürlich nicht gegen ihren Mann aus. Die beiden Opfer könnten uns da schon eher weiterhelfen, falls wir von ihnen brauchbare Aussagen bekommen, was ich allerdings bezweifle. Sie gehören zur der Bande vom Devonshire-Wohnblock – für solche Leute wäre es reiner Selbstmord, sich mit der Polizei zu unterhalten. Also haben wir lediglich die Aussage des alten Ehepaares in der Hand, das aus dem Fenster geschaut hat und Kemp erkannt haben will. Ihr wisst ja, wie verlässlich Zeugenaussagen unter solchen Umständen sind. Eddie selbst sagt, wenn er jemanden geschlagen hat, dann höchstens in Notwehr.«

»Die anderen drei hat er nicht identifiziert, oder?«

»Du machst wohl Witze. Jemand muss herausfinden, wer die Typen waren.«

»Gott weiß, wer«, sagte Fry. »Und Gott weiß, wann.«

»Wetten, dass es mal wieder mich trifft?«, seufzte Cooper. »So wie es aussieht, steht Kemps Wagen auf meiner Liste.«

»Hey«, sagte Murfin, »ist euch aufgefallen, dass der neue Chief Oliver heißt?« Er hielt den gleichnamigen Hummer hoch.

»Willst du etwa behaupten, das wäre ein Zufall, Gavin?«

Diane Fry hatte die ganze Zeit über leise mit den Fingerspitzen auf ihren Schreibtisch getrommelt. Doch nun schien sie einen Entschluss gefasst zu haben und schüttelte unwillig den Kopf.

»Du solltest dich jetzt besser auf den Weg machen und dir den Wagen ansehen, Ben«, sagte sie. »Und nimm Gavin mit.«

»Ich hab genug mit den Vermissten zu tun«, protestierte Gavin.

»Sag in der Einsatzzentrale Bescheid, wo du bist, und geh mit Ben. Er kann nicht allein zu Kemp. Er ist sowieso schon viel zu oft allein unterwegs.«

Murfin ging grummelnd hinaus. Besorgt beobachtete Cooper, wie Fry eine Weile aus dem Fenster starrte. Sie hatte die Zähne zusammengebissen und fingerte entgegen ihrer Gewohnheit an einer Haarsträhne herum. Die Sehnen ihrer blassen, schmalen Hand standen so deutlich hervor, dass er sie mit dem Finger hätte nachfahren können.

»Neue Besen kehren besser, was?«, sagte sie. »Dem stecke ich einen Besenstiel in den Arsch.«

Cooper nickte. Er nahm nicht an, dass sie von Gavin Murfin sprach.

Kaltes Grab

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