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Mit dem Klima in Santa Teresa zu leben, das ist etwa so, als ob man sich in einem von oben ausgeleuchteten Raum aufhält. Das Licht ist gleichförmig – klar und auch hell –, aber die Schatten fallen weg, und ein beunruhigender Mangel an Perspektive entsteht. Die Tage sind eingehüllt von Sonnenschein. Oft ist es zwanzig Grad und trocken. Die Nächte sind gleichbleibend kühl. Saisonbedingt regnet es zwar, doch in der übrigen Zeit gleicht ein Tag weitgehend dem anderen, und der ständig wolkenlose, blaue Himmel hat eine eigentümliche, desorientierende Wirkung, er nimmt einem das Gefühl dafür, wo man im Jahr gerade steht. Der Aufenthalt in einem Gebäude ohne Außenfenster vermittelt den gleichen Eindruck: ein unterschwelliges Ersticken, als ob der Luft ein Teil, wenn auch nicht aller Sauerstoff entzogen ist.

Ich verließ meine Wohnung um neun und fuhr auf der Chapel nach Norden. Ich hielt an, um zu tanken, und benutzte die SB-Zapfsäule, wobei ich jedesmal denke, was für eine simple und absurde Freude es doch ist, so etwas selbst tun zu können. Bis ich K-9 Korners fand, war es Viertel nach neun. Das diskrete Schild im Fenster wies darauf hin, daß sie seit acht Uhr geöffnet hatten. Der Salon war mit einer Tierarztpraxis an der State Street verbunden, genau dort, wo sie die große Kurve machte. Das Gebäude hatte einen flamingorosa Anstrich; in einem Flügel war ein Globetrotter-Service untergebracht, in dessen Schaufenster ein Schlafsack hing und eine Kleiderpuppe in Campingmontur leer auf einen Zeltpfahl starrte.

Ich drang unter dem Gebell zahlreicher Hunde in K-9 Korners vor. Hunde und ich vertragen uns nicht. Sie stecken mir unausweichlich die Schnauze in den Unterleib, und manchmal klammern sie sich dabei um mein Bein, als wollten sie einen Tanz auf zwei Füßen vollführen. Bei bestimmten Gelegenheiten bin ich dann lahm dahergehumpelt, hundumschlungen, während ihre Besitzer wirkungslos nach ihnen schlugen und sagten: »Hamlet, runter! Was ist denn los mit dir?« Es ist schwer, einem solchen Hund ins Gesicht zu sehen, und ich mache lieber einen Bogen um den ganzen Verein.

Drinnen stand ein gläserner Schaukasten voller Hundepflegemittel, und viele Fotos von Hunden und Katzen hingen an der Wand. Rechts von mir war eine Halbtür, die auf ein kleines Büro mit mehreren angrenzenden Pflegeräumen ging. Als ich um den Türpfosten spähte, konnte ich mehrere Hunde in verschiedenen Stadien der Verschönerung sehen. Die meisten bibberten und verdrehten jämmerlich die Augen. Einer bekam soeben eine kleine rote Schleife ins Haarbüschel, genau zwischen die Ohren. Auf dem Arbeitstisch lagen ein paar braune Klümpchen, die mir bekannt vorkamen. Die Pflegerin blickte zu mir hoch.

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Der Hund ist gerade auf diesen braunen Klumpen getreten«, sagte ich.

Sie schaute auf den Tisch hinunter. »Ach, Dashiell, nicht schon wieder. Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte sie. Dashiell blieb zitternd auf dem Tisch, während sie nach Papiertüchern griff und sein kleines Malheur geschickte aufklaubte. Es schien sie wenig zu kümmern. Sie war Mitte Vierzig, mit großen braunen Augen und schulterlangem grauem Haar, das zurückgekämmt war und von einem Schal gehalten wurde. Sie trug einen weinroten Kittel, und ich konnte sehen, daß sie groß und schlank war.

»Sind Sie Gwen?«

Sie blickte mit einem kurzen Lächeln auf. »Ja, ganz recht.«

»Ich bin Kinsey Millhone. Ich bin Privatdetektivin.«

Gwen lachte. »Ach Gott, um was geht’s denn?« Sie ließ das Papiertuch verschwinden, kam zu der Halbtür herüber und öffnete sie. »Kommen Sie rein. Ich bin gleich wieder da.«

Sie hob Dashiell vom Tisch und trug ihn in ein Hinterzimmer, das direkt links abging. Wieder bellten Hunde los, und ich konnte hören, wie ein Heizlüfter abgestellt wurde. Die Luft hier war stickig vor Hitze, angereichert mit dem Geruch feuchter Haare und der seltsamen Kombination von Flohpuder und Hundeparfüm.

Der braune Linoleumfußboden war mit diversen Haarschnipseln übersät wie ein Friseursalon. Im Nebenraum, sah ich, wurde ein Hund von einer jungen Frau gebadet, die sich über eine erhöhte Wanne beugte. Links von mir warteten mehrere mit Bändern geschmückte Hunde in Käfigen darauf, daß man sie abholte. Eine andere junge Frau war dabei, auf einem zweiten Werktisch einen Pudel zu scheren. Sie warf mir einen interessierten Blick zu. Gwen kam mit einem kleinen grauen Hund unter dem Arm wieder.

»Das ist Wuffel«, sagte sie und klemmte halb das Maul des Hundes zu. Wuffel leckte ihr ein paarmal über den Mund. Sie zog lachend den Kopf weg und schnitt eine Grimasse.

»Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich das hier fertigmache. Nehmen Sie Platz«, sagte sie freundlich, auf einen Metallhocker deutend. Ich hockte mich hin und wünschte, ich bräuchte den Namen Laurence Fife nicht zu erwähnen. Nach dem, was Charlie Scorsoni mir erzählt hatte, würde ihr das wohl die gute Laune verderben.

Gwen begann Wuffel die Krallen zu schneiden, wobei sie den Hund fest an sich drückte, um ihn an plötzlichen Bewegungen zu hindern. »Sie sind vermutlich von hier«, sagte sie.

»Ja, ich habe ein Büro in der Stadt«, erwiderte ich und zog automatisch meinen Ausweis hervor. Ich hielt ihn ihr zum Lesen hin. Sie warf einen Blick darauf, akzeptierte ihn offenbar ohne viel Argwohn oder Besorgnis. Mich erstaunt es immer, wenn Leute mir vertrauen. »Man sagte mir, daß Sie mal mit Laurence Fife verheiratet waren«, wagte ich mich vor.

»Ja, stimmt. Geht es um ihn? Er ist schon Jahre tot.«

»Ich weiß. Sein Fall wird noch mal aufgerollt.«

»Ach, das ist aber interessant. Von wem denn?«

»Von Nikki«, sagte ich. »Das Morddezernat weiß, daß ich die Sache untersuche, und ich habe deren Unterstützung, falls Sie das beruhigt. Könnten Sie mir einige Fragen beantworten?«

»Na schön«, sagte sie. Ihr Ton war vorsichtig, aber es schwang auch Interesse mit, als ob sie die Ermittlungen zwar merkwürdig fände, aber nicht unbedingt schlecht.

»Sie klingen nicht allzu überrascht«, sagte ich.

»Bin ich trotzdem. Ich dachte, die Geschichte wäre erledigt.«

»Tja, ich fange gerade erst mit der Überprüfung an, und es kann sein, daß ich eine Niete ziehe. Wir müssen uns nicht hier unterhalten, wenn es Ihnen ungelegen kommt. Ich möchte Sie nicht bei der Arbeit stören.«

»Geht schon in Ordnung, solange es Ihnen nichts ausmacht, mir zuzusehen, wie ich ein paar Hunde trimme. Ich kann mir jetzt wirklich keine Pause erlauben. Es ist voll heute. Momentchen«, sagte sie. »Kathy, gibst du mir mal das Flohspray? Ich glaub, hier sind uns einige entgangen.«

Die dunkelhaarige Pflegerin ließ den Pudel lange genug los, um nach dem Flohspray zu greifen, und gab es an Gwen weiter. »Das ist Kathy, wie Sie wohl mitgekriegt haben«, sagte Gwen. »Die da bis zu den Ellbogen in Seifenlauge steckt, ist Jan.«

Gwen begann Wuffel einzusprühen, dabei wandte sie den Kopf ab, um die Dämpfe nicht einzuatmen. »Entschuldigung. Fangen Sie an.«

»Wie lange waren Sie mit Fife verheiratet?«

»Dreizehn Jahre. Wir lernten uns auf dem College kennen, in seinem dritten und meinem ersten Jahr. Ich hatte ihn rund sechs Monate gekannt, glaube ich.«

»Gute Jahre? Schlechte Jahre?«

»Na ja, ich seh’s inzwischen etwas heiterer«, sagte sie. »Erst hab ich das Ganze für vertane Zeit gehalten, aber jetzt weiß ich nicht. Haben Sie Laurence selbst gekannt?«

»Ich traf ihn einige Male«, sagte ich, »nur flüchtig.«

Gwens Blick war sarkastisch. »Er konnte sehr charmant sein, wenn er wollte, aber im Innersten war er ein echter Schweinehund.«

Kathy sah zu Gwen hinüber und lächelte. Gwen lachte. »Die zwei da haben meine Version schon an die hundert Male gehört«, sägte sie zur Erklärung. »Sie waren beide noch nie verheiratet, also spiele ich gern den Teufelsadvokaten. Jedenfalls, damals war ich ganz die pflichtbewußte Gattin, das heißt, ich habe die Rolle mit einer Hingabe gespielt, die ihresgleichen sucht. Ich kochte vornehme Mahlzeiten. Ich schrieb Einkaufslisten. Ich putzte das Haus. Ich zog die Kinder auf. Womit ich nicht sagen will, ich wäre irgendein Sonderfall, nur nahm ich’s mir furchtbar zu Herzen. Ich steckte meine Haare auf, jede Nadel am rechten Platz, und ich hatte für alles die passenden Sachen zum An- und Ausziehen, fast wie eine Barbie-Puppe.« Sie unterbrach sich und lachte über ihr Selbstporträt, tat so, als zöge sie an einer Schnur in ihrem Nacken. »Hallo, ich bin Gwen. Ich bin eine gute Frau«, plapperte sie mit näselnder Papageienstimme. Ihre Art zu erzählen war ziemlich gefühlvoll, so als wäre sie anstatt Laurence gestorben, aber lieben Freunden noch in zärtlicher Erinnerung. Mal sah sie mich an, mal kämmte und trimmte sie den Hund, den sie vor sich auf dem Tisch hatte, aber auf jeden Fall war ihre Haltung freundlich – kaum der bittere, distanzierte Bericht, den ich erwartet hatte.

»Als es vorbei war, war ich ganz schön sauer – weniger über ihn als über mich selbst, weil ich mich auf den ganzen Schwindel eingelassen hatte. Ich meine, verstehen Sie mich nicht falsch. Es gefiel mir damals und paßte mir großartig, aber da lief auch eine Art Wahrnehmungsentzug ab, so daß ich, als die Ehe in die Brüche ging, überhaupt nicht für den Umgang mit der Realität gerüstet war. Er verwaltete das Geld. Er hielt die Fäden in der Hand. Er traf die wichtigen Entscheidungen, besonders was die Kinder anging. Ich badete sie, zog sie an, kochte für sie, und er gestaltete ihr Leben. Damals begriff ich das nicht, weil ich nur herumlief und mir Mühe gab, ihm alles recht zu machen, aber wenn ich jetzt so zurückblicke, es war wirklich für den Arsch.«

Sie schaute zu mir hoch, um zu sehen, ob ich mich an der Ausdrucksweise stieß, aber ich lächelte einfach.

»Folglich höre ich mich jetzt an wie all die anderen Frauen, deren Ehedasein in dieser Epoche zu Ende ging. Verstehen Sie, wir sind alle ein bißchen grantig deswegen, weil wir meinen, man hat uns reingelegt.«

»Sie sagten, Sie sähen es jetzt etwas heiterer«, sagte ich. »Wie ist das denn gekommen?«

»Sechstausend Dollar Therapie«, antwortete sie rundheraus.

Ich lächelte. »Woran ging die Ehe kaputt?«

Ihre Wangen färbten sich leicht, aber ihr Blick blieb unverändert offen. »Das würde ich lieber für später aufheben, wenn Sie’s wirklich interessiert.«

»Sicher, gern«, sagte ich. »Ich wollte Sie ohnehin nicht unterbrechen.«

»Na ja. Es war nicht nur seine Schuld«, sagte sie. »Aber es war auch nicht nur meine, und mit dieser Scheidung hat er mich geschafft. Ich sage Ihnen, das war ein Tief schlag.«

»Wieso?«

»Wie viele Möglichkeiten gibt es denn? Ich hatte Angst, und außerdem war ich naiv. Ich wollte Laurence aus meinem Leben heraushaben, und was das kostete, war mir ziemlich egal. Bis auf die Kinder. Um sie habe ich mit Zähnen und Krallen gekämpft, aber was soll ich Ihnen sagen? Ich verlor sie. Das habe ich nie so ganz verwunden.«

Ich wollte sie nach den Gründen für die Schlacht um das Sorgerecht fragen, aber ich hatte das Gefühl, es war ein heikles Thema. Am besten ging ich vorerst darüber hinweg und griff es später auf, wenn ich konnte. »Die Kinder müssen nach seinem Tod aber doch wieder zu Ihnen gekommen sein. Zumal seine zweite Frau ins Gefängnis kam.«

Gwen zupfte mit kundiger Hand an einer grauen Fellsträhne. »Zu der Zeit waren sie ja fast im College-Alter. Gregory war sogar im selben Herbst schon weggegangen, und Diane ging im Jahr darauf. Aber es waren sehr verkorkste Kinder. Laurence ist ein strenger Zuchtmeister gewesen. Nicht, daß ich was daran auszusetzen hätte – ich denke, Kinder brauchen Erziehung –, aber er war ein sehr einengender Mensch, letztlich ohne Gespür für Gefühlsdinge, ziemlich aggressiv im Umgang mit anderen, besonders mit den Kindern. Nach fünf Jahren unter diesem Regiment waren sie beide entsprechend in sich gekehrt und still. Defensiv, verschlossen. Soweit ich es einschätzen konnte, beruhte seine Beziehung zu ihnen auf Angriffen, auf dauernder Rechenschaftspflicht, ähnlich wie er es mit mir gehalten hatte. Natürlich kriegte ich sie jedes zweite Wochenende zu sehen und dergleichen, und es gab auch den üblichen Sommerbesuch. Ich hatte bloß keine Ahnung, wie weit es mit ihnen gekommen war. Und sein Tod war obendrein noch ein Schlag vor den Kopf für sie. Ich bin sicher, sie hatten beide eine Menge Gefühle, die nie geklärt worden waren. Diane ging sofort in therapeutische Behandlung. Und Gregory war später auch bei jemandem, wenn auch nicht regelmäßig.« Sie zögerte einen Moment. »Es kommt mir vor, als ob ich Ihnen hier eine Krankengeschichte erzähle.«

»Aber nein, ich bin dankbar für Ihre Offenheit«, sagte ich. »Sind die Kinder auch in der Stadt?«

»Greg lebt südlich von Palm Springs. Am Saltonsee. Er hat ein Boot da unten.«

»Was arbeitet er?«

»Na ja, er braucht eigentlich nichts zu tun. Finanziell hat Laurence für sie vorgesorgt. Ich weiß nicht, ob Sie schon die Versicherung überprüft haben, aber sein Vermögen wurde zu gleichen Teilen zwischen den drei Kindern aufgeteilt – Greg, Diane und Nikkis Sohn Colin.«

»Apropos Diane. Wo ist sie?«

»Sie geht in Claremont zur Schule. Will noch einen Grad erwerben. Sie interessiert sich für den Unterricht mit schwerhörigen Kindern und kommt anscheinend gut damit zurecht. Erst war ich darüber beunruhigt, weil das in ihrem Kopf vermutlich alles zusammenging – meine Scheidung, Nikki, Colin und ihre Verantwortung –, obwohl es gar nichts mit ihr zu tun hatte.«

»Moment. Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

Gwen blickte erstaunt zu mir auf. »Ich denke, Sie haben bereits mit Nikki gesprochen.«

»Na ja, einmal schon«, sagte ich.

»Hat Sie Ihnen nicht erzählt, daß Colin hörgeschädigt ist? Er war taub von Geburt an. Ich weiß nicht mehr genau die Ursache, aber anscheinend konnten sie nichts dagegen tun. Diane war ganz außer sich. Sie war dreizehn, glaube ich, als das Kind geboren wurde, und vielleicht hatte sie ihm sein Eindringen verübelt. Ich will ja nicht dauernd so analysieren, aber einiges davon kam bei ihrem Therapeuten heraus, und es scheint zu stimmen. Ich glaube, sie kann das zum großen Teil jetzt selber aussprechen – sie tut es sogar –, also begehe ich wohl keinen Vertrauensbruch.«

Sie wählte ein paar Schmuckbänder unter etwa zwanzig Spulen aus, die an einer Lochplatte an der Wand über dem Trimmtisch hingen. Sie legte ein blaues und ein orangefarbenes auf Wuffels Kopf. »Was meinst du, Wuffa? Blau oder orange?«

Wuffel hob seine (oder vielmehr ihre) Augen und hechelte glücklich. Gwen entschied sich für das orangefarbene, und ich mußte zugeben, daß es Wuffels silbergrauem Haarschopf eine kecke Note verlieh. Der Hund war fügsam, voller Vertrauen, genoß jede Bewegung, obwohl Gwens Aufmerksamkeit doch halb mir zugewandt war.

»Gregory nahm eine Zeitlang Drogen«, sagte Gwen im Plauderton. »Das hat wohl seine Generation so gemacht, während meine trautes Heim spielte. Aber er ist ein guter Kerl, und ich glaube, jetzt ist er mit sich im reinen. Oder soweit im reinen, wie er eben sein kann. Er ist glücklich, und das ist doch mehr, als die meisten von sich behaupten können – ich meine, ich bin glücklich, aber eine Menge Leute, die ich kenne, sind es nicht.«

»Wird ihm das Bootfahren nicht zu langweilig?«

»Hoffen wir’s«, sagte Gwen vergnügt. »Er kann es sich leisten, zu tun, was er will, und wenn der Müßiggang erst an Reiz verliert, wird er sich eine nützliche Beschäftigung suchen. Er ist sehr klug, ein sehr fähiger Junge, auch wenn er im Augenblick faulenzt. Manchmal beneide ich ihn darum.«

»Glauben Sie, es ginge den Kindern zu nahe, wenn ich mal mit ihnen rede?«

Darüber erschrak Gwen; zum erstenmal schien sie etwas aus der Fassung gebracht zu haben. »Über ihren Vater?«

»Irgendwann muß ich’s vielleicht«, sagte ich. »Ich möchte es nicht ohne Ihr Wissen tun, aber es könnte wirklich weiterhelfen.«

»Es würde wohl auch gehen«, meinte sie, aber ihr Ton war voller Zweifel.

»Wir können später noch darüber sprechen. Vielleicht ist es gar nicht nötig.«

»Ach so. Gut. Ich wüßte nicht, was es schaden sollte. Aber ich muß schon sagen, eigentlich verstehe ich nicht, warum Sie sich mit der ganzen Sache noch mal befassen.«

»Wahrscheinlich, um zu sehen, ob der Gerechtigkeit Genüge getan wurde«, sagte ich. »So melodramatisch es klingt, darauf läuft’s hinaus.«

»Gerechtigkeit für wen? Laurence oder Nikki?«

»Vielleicht sollten Sie mir sagen, wie Sie dazu stehen? Ich nehme an, daß Sie und die beiden nichts füreinander übrig hatten, aber sind Sie der Meinung, er hat seine ›gerechte Strafe‹ bekommen?«

»Sicher, warum nicht? Bei ihr weiß ich’s nicht so. Ich denke, sie hatte einen fairen Prozeß, und wenn das dabei herausgekommen ist, tja, dann muß sie’s auch getan haben. Aber es gab Zeiten, da hätte ich es selbst getan, wenn ich gewußt hätte wie.«

»Falls sie ihn umgebracht hat, würden Sie’s ihr also nicht verübeln?«

»Ich nicht, und ein halbes Dutzend andere auch nicht. Laurence hat eine Menge Leute zurückgestoßen«, sagte sie gleichgültig. »Wir hätten einen Verein gründen und ein monatliches Info rausgeben können. Ich treffe immer noch welche, die sich an mich ranpirschen und sagen: ›Gott sei Dank, daß er tot ist.‹ Buchstäblich. So aus dem Mundwinkel.« Gwen lachte wieder. »Tut mir leid, wenn das respektlos klingt, aber er war kein netter Mensch.«

»Aber was denn für Leute?«

Sie legte die Hand in die Hüfte und warf mir einen müden Blick zu. »Wenn Sie eine Stunde warten wollen, gebe ich Ihnen eine Liste.«

Darüber lachte ich. Ihr Humor war anscheinend nicht zu unterdrücken, oder vielleicht fühlte sie sich auch nur unbehaglich. Gespräche mit Privatdetektiven zehren vielfach an den Nerven.

Gwen tat Wuffel in einen leeren Käfig, dann ging sie in den anderen Raum und holte einen großen Bobtail heraus. Sie hob erst seine Vorderbeine an, stellte sie auf den Tisch und schob die Hinterbeine nach, während der Hund ängstlich winselte. »Ach komm, Duke«, schnappte sie. »Was ist das für ein Feigling.«

»Meinen Sie, wir könnten uns bald noch mal unterhalten?« fragte ich.

»Klar, würde ich gern. Ich schließe hier um sechs. Wenn Sie dann Zeit haben, können wir was trinken gehen. Nach Feierabend bin ich reif dafür.«

»Ich auch. Dann bis nachher«, sagte ich.

Ich hüpfte von meinem Hocker herunter und ging hinaus. Als die Tür ins Schloß fiel, war sie schon mit dem Hund am Plaudern. Ich fragte mich, was sie sonst noch wußte und wieviel davon sie preiszugeben bereit war. Ich hoffte außerdem wie der Teufel, daß ich in zehn Jahren noch derart gut aussehen könnte.

Nichts zu verlieren / In aller Stille

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