Читать книгу Nichts zu verlieren / In aller Stille - Sue Grafton - Страница 15

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Als ich um sechs vor F-9 Korners hielt, war Gwen gerade am Abschließen. Ich drehte mein Wagenfenster runter und beugte mich über den Sitz. »Wollen Sie einsteigen?«

»Ich fahre lieber hinter Ihnen her«, sagte sie. »Wissen Sie, wo der Palmgarten ist? Sind Sie damit einverstanden?«

»Sicher, alles klar.«

Sie strebte dem Parkplatz zu und kam einen Moment später in einem leuchtendgelben Saab aus der Einfahrt. Das Restaurant war nur wenige Blocks entfernt, und wir hielten Seite an Seite auf dem Kundenparkplatz. Sie hatte ihren Kittel ausgezogen und bürstete an ihrem Rockschoß herum.

»Entschuldigen Sie die Hundehaare«, sagte sie. »Normalerweise steige ich direkt in die Wanne.«

Der Palmgarten liegt im Herzen von Santa Teresa, zwar versteckt in einem Einkaufszentrum, aber mit Tischen vor der Tür und den erforderlichen Palmen in großen Holzkübeln. Wir suchten uns einen kleinen Tisch, etwas abseits, und ich bestellte Weißwein, sie Perrier.

»Trinken Sie keinen Alkohol?«

»Nicht viel. Das gab ich nach der Scheidung auf. Davor hab ich eine Menge Scotch gekippt. Was macht Ihr Fall?«

»Schwer zu sagen bis jetzt«, antwortete ich. »Wie lange sind Sie schon in der Hundepflegebranche?«

»Länger als mir lieb ist«, meinte sie und lachte.

Wir unterhielten uns eine Weile über nichts Besonderes. Ich wollte Zeit, um sie abzuschätzen; hoffte herauszukriegen, was sie mit Nikki Fife gemein hatte, so daß sie beide schließlich seine Ehefrauen wurden. Sie war es, die das Gespräch wieder auf das vorliegende Thema zurückbrachte. »Also, schießen Sie los«, sagte sie.

Ich verneigte mich im Geiste. Sie war sehr gewandt, machte mir die Sache viel leichter, als ich angenommen hatte. »Ich dachte nicht, daß Sie so kooperativ sein würden.«

»Sie haben mit Charlie Scorsoni gesprochen«, sagte sie.

»Das schien mir logisch für den Anfang«, erwiderte ich achselzuckend. »Steht er auf Ihrer Liste?«

»Von Leuten, die Laurence umgebracht haben könnten? Nein. Ich denke nicht. Steh ich auf seiner?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das ist ja merkwürdig«, sagte sie.

»Wieso?«

Sie legte den Kopf schräg, ihr Gesichtsausdruck war ruhig. »Er hält mich für verbittert. Das habe ich aus vielen verschiedenen Quellen. Kleinstadt. Wenn Sie lange genug warten, wird Ihnen jedermanns Meinung über Sie zurückgemeldet.«

»Es scheint, als hätten Sie Recht auf ein wenig Bitterkeit.«

»Da habe ich mich längst durchgearbeitet. Übrigens, hier können Sie Greg und Diane erreichen, wenn’s Sie interessiert.« Sie zog eine Karteikarte aus ihrer Brieftasche, mit den beiden Namen, den Adressen und Telefonnummern.

»Danke. Ich weiß das zu schätzen. Vielleicht noch ein Tip, wie man an sie herangehen sollte? Mir war es ernst damit, als ich sagte, ich will sie nicht aufregen.«

»Nein, nein. Die reden Klartext, alle beide. Es könnte höchstens sein, daß Sie Ihnen etwas zu direkt sind.«

»Ich hörte, daß sie mit Nikki nicht in Verbindung stehen.«

»Wahrscheinlich nicht, aber das ist zu dumm. Alte Geschichten. Mir wäre es viel lieber, sie würden mal fertig damit. Sie war sehr gut zu ihnen.« Gwen griff hinter sich und zog den Schal aus ihrem Haar, das sie dann leicht schüttelte, damit es locker fiel. Es war schulterlang, ein interessanter Grauton, an dem vermutlich niemand herumgepfuscht hatte. Der Kontrast war hübsch... graues Haar, braune Augen. Sie hatte kräftige Wangenknochen, ansprechende Züge um den Mund, einen Teint, der auf Gesundheit ohne Eitelkeit schließen ließ.

»Wie dachten Sie über Nikki?« fragte ich.

»Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich meine, damals konnte ich sie auf den Tod nicht ausstehn, aber ich würde gern irgendwann mal mit ihr reden. Ich habe das Gefühl, wir könnten uns sehr viel besser verstehen. Möchten Sie wissen, warum ich ihn geheiratet habe?«

»Das würde mich interessieren.«

»Er hatte einen großen Schwanz«, sagte sie spitzbübisch und lachte dann. »Entschuldigung. Ich konnte dem nicht widerstehen. Tatsächlich war er schrecklich im Bett. Eine richtiggehende Fickmaschine. Fabelhaft, wenn Sie auf entpersönlichten Sex stehen.«

»Ich bin da nicht so verrückt drauf«, sagte ich trocken.

»War ich auch nicht, als ich dahinterkam. Ich war noch Jungfrau, als ich ihn heiratete.«

»Meine Güte«, sagte ich. »Das ist hart.«

»Seinerzeit war’s noch viel härter, das gehörte aber alles zu der Botschaft, mit der ich großgezogen worden bin. Ich dachte immer, es wäre mein Fehler, daß unser Sexualleben nicht stimmte...« Sie brach ab, und ein klein wenig Farbe stieg in ihre Wangen.

»Bis wann«, tastete ich vor.

»Vielleicht sollte ich auch Wein trinken«, sagte sie und signalisierte der Kellnerin. Ich bestellte ein zweites Glas. Gwen wandte sich mir zu.

»Ich hatte eine Affäre, als ich dreißig wurde.«

»Das zeigt, Sie hatten wenigstens etwas Verstand.«

»Also, ja und nein. Es hielt nur etwa sechs Wochen, aber das waren die besten sechs Wochen meines Lebens. In gewisser Hinsicht war ich froh, als es zu Ende ging. Es war eine starke Erfahrung, und sie hätte mein Leben auf den Kopf gestellt. So weit war ich nicht.« Sie zögerte, und ich konnte sehen, wie sie die Informationen in ihrem Kopf durchging. »Laurence war immer sehr kritisch mir gegenüber, und ich glaubte das auch zu verdienen. Dann begegnete ich einem Mann, der meinte, ich sei über jeden Tadel erhaben. Zuerst widerstand ich. Ich wußte, was ich für diesen Mann empfand, aber es ging mir gegen den Strich. Zuletzt gab ich doch nach. Eine Zeitlang redete ich mir ein, es sei gut für meine Beziehung zu Laurence. Ich bekam auf einmal etwas, das ich seit langem gebraucht hatte, und so konnte ich mich auch auf ihn mehr einlassen. Dann begann das Doppelleben seinen Tribut zu fordern. Ich betrog Laurence, solange ich konnte, aber er schöpfte Verdacht, daß da etwas im Gange war. Ich war bald so weit, daß ich seine Berührung nicht mehr ertragen konnte – zuviel Streß, zuviel Lüge. Zuviel Gutes anderswo. Er muß die Veränderung bei mir gespürt haben, denn er fing an zu bohren und mich auszufragen, wollte wissen, wo ich jede einzelne Minute am Tag war. Nachmittags rief er zu Hause an, und natürlich war ich fort. Selbst wenn ich mit Laurence zusammen war, war ich woanders. Er drohte mir mit Scheidung, und ich kriegte einen Schreck, also gestand ich alles. Das war der größte Fehler meines Lebens, weil er sich trotzdem scheiden ließ.«

»Zur Strafe.«

»Wie nur Laurence Fife das konnte. Drakonisch.«

»Wo ist er jetzt?«

»Mein Liebhaber? Warum fragen Sie?«

Ihr Ton war augenblicklich zurückhaltend, ihr Gesichtsausdruck argwöhnisch.

»Laurence muß gewußt haben, wer er war. Wenn er Sie bestraft hat, warum den anderen dann nicht gleich mit?«

»Ich möchte ihn keinem Verdacht aussetzen«, sagte sie. »Das wäre schäbig von mir. Er hatte mit dem Tod von Laurence nichts zu tun. Das gebe ich Ihnen schriftlich.«

»Wie können Sie so sicher sein? Damals haben sich eine Menge Leute in vielen Dingen geirrt, und Nikki hat dafür bezahlt.«

»Hey«, sagte sie scharf. »Nikki ist von dem besten Verteidiger des Staates vertreten worden. Vielleicht hat sie hier und da Pech gehabt, vielleicht auch nicht, aber es hat keinen Zweck, die Schuld jemandem zuschieben zu wollen, der nichts damit zu tun hatte.«

»Ich will niemandem was zuschieben. Ich versuche nur, die Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann sie nicht zwingen, mir zu sagen, wer er ist...«

»Ganz recht, und ich glaube, Sie dürften Ihre liebe Mühe haben, das von jemand anders zu erfahren.«

»Hören Sie, ich bin nicht hier, weil ich Streit mit Ihnen suche. Es tut mir leid. Lassen wir das jetzt.«

Zwei rote Flecke erschienen auf ihrem Hals. Sie kämpfte gegen Zorn an, versuchte ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Einen Moment dachte ich, sie würde davonlaufen.

»Ich dränge Sie nicht«, sagte ich. »Das ist ja eine Frage für sich, und ich bin hergekommen, um mich mit Ihnen zu unterhalten. Wenn Sie darüber nicht reden wollen, bin ich einverstanden.«

Sie schien immer noch in Fluchtbereitschaft, also hielt ich den Mund und ließ sie sich ihre eigene Meinung bilden. Schließlich konnte ich sehen, daß sie sich etwas beruhigte, und da erst merkte ich, daß ich genauso angespannt war wie sie. Dieser Kontakt war zu wertvoll für mich, um ihn zu verpatzen.

»Kommen wir auf Laurence zurück. Erzählen Sie mir von ihm«, sagte ich. »Was sollten diese ganzen Seitensprünge?«

Hierauf lachte sie unsicher, trank einen Schluck Wein und schüttelte den Kopf. »Entschuldigung. Ich wollte mich nicht aufregen aber Sie haben mich überrumpelt.«

»Klar, das passiert hin und wieder. Manchmal überrasche ich mich selbst.«

»Ich glaube nicht, daß er Frauen mochte. Er war immer darauf gefaßt, verraten und verkauft zu werden. Frauen waren die Leute, die einen reinlegten. Da wollte er gern schneller sein, so nehme ich wenigstens an. Ich vermute, daß eine Affäre für ihn immer eine Machtprobe war, mit ihm als dem Überlegenen.«

»Füg es andern zu, bevor sie’s dir zufügen.«

»Richtig.«

»Aber wer hatte es auf ihn abgesehen? Wer könnte ihn derart gehaßt haben?«

Sie zuckte mit den Schultern, und ihre Fassung schien wiederhergestellt. »Darüber denke ich den ganzen Nachmittag schon nach, und komischerweise läuft es darauf hinaus, daß ich nicht sicher bin. Er hatte zu vielen Leuten scheußliche Beziehungen. Scheidungsanwälte sind zwar nie sehr beliebt, aber ermordet werden die wenigsten.«

»Vielleicht hing es nicht mit seiner Funktion zusammen«, wandte ich ein. »Vielleicht war es kein wütender Ehemann, dem wegen Unterhalt und Erziehungsbeihilfe der Kragen platzte. Vielleicht war es etwas anderes – ›ein verschmähtes Weib‹.«

»Na ja, davon gab es eine Menge. Aber ich meine, im Schlußmachen war er wahrscheinlich sehr geschickt. Oder die Frauen waren so weit wiederhergestellt, daß sie von selber die Grenzen der Beziehung erkannten und ihrer Wege gingen. Er hatte allerdings eine scheußliche Geschichte mit der Frau eines Richters hier, eine Frau namens Charlotte Mercer. Die hätte ihn glatt auf der Straße überfahren, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte. Zumindest hörte ich das mal. Sie war nicht der Typ, der sich im Guten trennt.«

»Wie haben Sie davon erfahren?«

»Sie rief mich an, nachdem er mit ihr Schluß gemacht hatte.«

»Vor Ihrer Scheidung oder danach?«

»Oh, erst nachher, denn ich entsinne mich, daß ich mir damals wünschte, sie hätte früher angerufen. Ich stand mit leeren Händen vor Gericht.«

»Versteh ich nicht«, sagte ich. »Was hätte es genützt? Selbst damals hätten Sie ihn wegen Ehebruch nicht drankriegen können.«

»Damit kriegte er mich auch nicht, aber es hätte mir doch einen psychologischen Vorteil verschafft. Ich fühlte mich so schuldig wegen dem, was ich getan hatte, daß ich fast keinen Kampf lieferte, bis es um die Kinder ging, und da schlug er mich auch noch zurück. Wenn sie Ärger hätte stiften wollen, hätte das sehr nützlich sein können. Er mußte schließlich seinen Ruf wahren. Wie auch immer, vielleicht kann Charlotte Mercer Ihnen mehr erzählen.«

»Wunderbar. Ich werde ihr sagen, daß sie meine Hauptverdächtige ist.«

Gwen lachte. »Erwähnen Sie ruhig meinen Namen, falls sie wissen will, wer Sie geschickt hat. Es ist das mindeste, was ich tun kann.«

Nachdem Gwen gegangen war, schlug ich in der Telefonkabine des Restaurants die Adresse von Charlotte Mercer nach. Sie und der Richter lebten in den Vorbergen oberhalb von Santa Teresa; wie sich zeigte, in einem weitläufigen Bungalow mit Stallungen zur Rechten, auf staubigem Boden mit wenig Buschwerk. Die Sonne ging eben unter, und die Aussicht war hinreißend. Das Meer sah aus wie eine breite, lavendelfarbene Borte an dem blaurosa Himmel.

Eine Haushälterin in schwarzer Dienstkleidung öffnete auf mein Läuten, und ich wartete in einer geräumigen, kühlen Halle darauf, daß die »Missus« geholt würde. Leichte Schritte näherten sich aus dem Hintergrund des Hauses, und erst dachte ich, die Teenager-Tochter der Mercers (falls sie eine hatten) wäre an Charlottes Statt erschienen.

»Ja, was gibt’s?«

Die Stimme war rauh, tief und kehlig, und der Eindruck von Jugendlichkeit ließ rapide nach.

»Charlotte Mercer?«

»Ja, richtig.«

Sie war zierlich, einssechzig wahrscheinlich, wog allenfalls hundert Pfund. Sandalen, Hemdbluse, weiße Shorts, die Beine lohfarben und wohlgeformt. Ihr Haar war aschblond, kurz geschnitten, ihr Make-up dezent. Sie mußte fünfundfünfzig Lenze zählen, und ohne ein Team von Experten hätte sie nie und nimmer so gut aussehen können. Ihre Kinnpartie war von einer künstlichen Festigkeit, und ihre Wangen hatten jenes geschmeidig glatte Aussehen, das nur eine Gesichtsstraffung zu diesem späten Zeitpunkt noch liefern kann. Ihr Hals war faltig, auf den Handrücken traten knotige Adern hervor, aber das waren die einzigen Widersprüche an dem Erscheinungsbild schlanker, kühler Jugend. Ihre Augen waren hellblau, belebt durch den geschickten Auftrag von Wimperntusche und einen Lidschatten in zweierlei Grau. Goldene Reifen klimperten an ihrem Arm.

»Ich bin Kinsey Millhone«, sagte ich. »Ich bin Privatdetektivin.«

»Schön für Sie. Was führt Sie her?«

»Ich untersuche den Tod von Laurence Fife.«

Ihr Lächeln verlor sich, fiel von einem Minimum an Höflichkeit ab in etwas Grausames. Sie musterte mich flüchtig und verwarf mich auf einen Blick. »Es dauert hoffentlich nicht lange«, sagte sie und schaute sich um. »Kommen Sie mit zum Patio. Da steht noch mein Drink.«

Ich folgte ihr zur Rückseite des Hauses. Die Zimmer, die wir passierten, sahen geräumig, elegant und unbenutzt aus: strahlende Fenster, dicker, pulverblauer Teppichboden, der noch durchfurcht war von Staubsaugerspuren, frisch geschnittene Blumen in fachgerechter Anordnung auf spiegelnden Tischplatten. Die Tapeten und Vorhänge waren endlose Wiederholungen ein und desselben blauen Blumenmusters, und alles duftete nach Lemon Pledge. Ob sie es benutzte, um den milden Duft von Bourbon auf Eis zu kaschieren, der hinter ihr her wehte? Als wir an der Küche vorbeikamen, konnte ich Lammbraten mit Knoblauch riechen.

Der Patio war von Gitterwerk beschattet. Zwanglos verteilt, weiße Korbmöbel mit leuchtendgrünen Leinenkissen. Sie nahm ihren Drink von einem Beistelltisch aus Glas und Schmiedeeisen und ließ sich auf eine gepolsterte Liege plumpsen. Automatisch griff sie nach ihren Zigaretten und einem schlanken goldenen Dunhill-Feuerzeug. Sie wirkte amüsiert, als wäre ich eigens aufgetaucht, um sie während der Cocktailstunde zu unterhalten.

»Wer hat Sie hergeschickt? Nikki oder die kleine Gwen?« Ihre Augen glitten über meine hinweg, eine Antwort schien nicht erwartet. Sie zündete ihre Zigarette an, zog den halbvollen Aschenbecher näher. Sie winkte mir mit der Hand. »Setzen Sie sich.«

Ich nahm einen Sessel nicht weit von ihr. Ein ovaler Swimmingpool war hinter den Sträuchern sichtbar, die den Patio umgaben. Charlotte fing meinen Blick auf.

»Wollen Sie ’ne Runde schwimmen oder was?«

Ich beschloß, nicht beleidigt zu sein. Ich hatte das Gefühl, daß Sarkasmus ihr leichtfiel, eine automatische Reaktion, vergleichbar mit Raucherhusten.

»Wer hat Sie denn hergeschickt?« fragte sie, sich wiederholend. Es war der zweite Hinweis darauf, daß sie nicht so nüchtern war, wie sie es auch um diese Tageszeit noch hätte sein sollen.

»Gerüchte verbreiten sich.«

»Oh, das will ich meinen«, sagte sie und schnaubte Rauch. »Also, ich sag Ihnen eins, Schätzchen. Ich war mehr als irgendeine Nummer für den Mann. Ich war nicht die erste und war nicht die letzte, aber ich war mit Abstand seine beste.«

»Hat er deswegen Schluß gemacht?«

»Werden Sie nicht link«, sagte sie mit einem kurzen, scharfen Blick, aber gleichzeitig lachte sie, tief aus der Kehle, und ich vermutete, daß ich in ihrer Wertschätzung gestiegen war. Sie kehrte offenbar das Biest heraus und fand es nur fair, wenn sie hin und wieder selbst einen Hieb einsteckte. »Klar hat er Schluß gemacht. Weshalb soll ich heute noch Geheimnisse haben? Ich hatte einen kleinen Krach mit ihm, bevor er sich von Gwen scheiden ließ, und ein paar Monate vor seinem Tod kam er dann wieder an. Er war wie so ein alter Kater, der immer um dieselbe Hintertür rumschnüffelt.

»Und was passierte diesmal?«

Sie warf mir einen müden Blick zu, als wäre das alles kaum von Bedeutung. »Er fing was mit einer anderen an. Ganz heimlich. Ganz heiß. Hol’s der Teufel. Er servierte mich ab wie eine alte Unterhose.«

»Ich bin erstaunt, daß man Sie nicht verdächtigt hat«, sagte ich.

Ihre Brauen schnellten hoch. »Mich?« feixte sie. »Die Frau eines prominenten Richters? Ich hab noch nicht mal ausgesagt und die wußten verdammt gut, daß ich was mit ihm hatte. Die Polypen sind um mich herumgeschlichen, als wäre ich ein schwieriges Baby, das endlich schläft. Und wer hat das von ihnen verlangt? Ich hätte denen alles erzählt. Zum Teufel, es war mir schietegal. Außerdem hatten sie schon ihre Verdächtige.«

»Nikki?«

»Klar, Nikki«, sagte sie freundlich. Ihre Gesten waren entspannt, die Hand mit der Zigarette wedelte träge, während sie sprach. »Wenn Sie mich fragen, die war viel zu zimperlich, um jemand umzubringen. Nicht, daß irgendwer auf meine Meinung großen Wert legt. Ich bin bloß die Klatschtante vom Dienst. Beschicke«. Was weiß die schon? Wer hört auf die? Ich könnte Ihnen über jeden in dieser Stadt was erzählen, aber wer gäbe was drauf? Und wissen Sie, wie ich’s erfahre? Ich sag es Ihnen. Sie wird’s interessieren, weil Sie das gleiche machen, nämlich Leute auf die Schliche kommen, stimmt’s?«

»Mehr oder weniger«, murmelte ich, bemüht, den Redefluß nicht zu unterbrechen. Charlotte Mercer war der Typ, der munter drauflosquatschen würde, wenn sie nichts ablenkte. Sie nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette, blies den Rauch in zwei grimmigen Stößen durch die Nase. Sie hustete kopfschüttelnd.

»Verzeihen Sie, wenn ich ersticke«, sagte sie und hielt inne, um erneut zu husten. »Man verrät Geheimnisse«, nahm sie den Faden ihrer Rede wieder auf. »Man erzählt das Allerdreckigste, was man weiß, und in neun von zehn Fällen kriegt man etwas noch Schlimmeres zu hören. Probieren Sie’s mal aus. Ich sage alles. Ich erzähle Geschichten über mich, bloß um zu sehen, was ich dafür bekomme. Wenn Sie Tratsch wollen, Süße, dann sind Sie hier richtig.«

»Was erzählt man sich denn über Gwen?« fragte ich, behutsam vorfühlend.

Charlotte lachte. »Mit Ihnen wär’s kein Tausch«, sagte sie. »Sie haben nichts zu bieten.«

»Na ja, das stimmt. Ich würde nicht lange im Geschäft bleiben, wenn ich meinen Mund nicht hielte.«

Sie lachte wieder. Das schien ihr zu gefallen. Meine Einschätzung war, daß sie sich mit ihrem Wissen wichtig vorkam. Ich hoffte auch, daß sie gern ein bißchen damit angab. Es war gut möglich, daß sie von Gwens Affäre gehört hatte, aber ich konnte nicht danach fragen, ohne meine Karten aufzudecken, also wartete ich einfach ab und hoffte, soviel wie möglich aufzuschnappen.

»Gwen war der größte Dummkopf, der je gelebt hat«, sagte sie ohne sonderliches Interesse. »Ich mag den Typ nicht, und ich verstehe nicht, wie sie ihn überhaupt solange halten konnte. Laurence Fife war ein ganz eiskalter Bursche, deshalb war ich auch so verrückt auf ihn, falls Sie’s noch nicht erraten haben. Ich kann Männer nicht ab, die schöntun, verstehen Sie? Ich kann’s nicht ab, wenn ein Mann mir in den Arsch kriecht, aber er gehörte zu dem Schlag, der eine Frau gleich auf dem Fußboden nimmt und sie hinterher noch nicht mal ansieht, wenn er sich den Reißverschluß hochzieht.«

»Das klingt ja ganz schön derb«, sagte ich.

»Sex ist derb, deswegen laufen wir doch alle rum und tun’s, und deswegen paßte ich zu ihm auch so gut. Er war so derb wie er gemein war, und das ist die Wahrheit über ihn. Nikki war zu kultiviert, zu fein. Gwen genauso.«

»Dann mochte er vielleicht beide Extreme«, tippte ich an.

»Na ja, das bezweifle ich nicht. Wahrscheinlich. Vielleicht hat er die Zickigen geheiratet und mit den Schamlosen herumpoussiert.«

»Wie steht’s mit Libby Glass? Haben Sie von ihr schon mal gehört?«

»Nein. Daneben. Wer noch?«

Gott, die Frau ließ mich wünschen, ich hätte eine Liste. Ich überlegte rasch, wollte sie aushorchen, solange sie dazu in Stimmung war. Ich hatte das Gefühl, es konnte nicht ewig dauern, dann würde sie wieder mürrisch werden.

»Sharon Napier«, sagte ich, als wäre es ein Gesellschaftsspiel.

»Und ob. Die habe ich mir selber vorgeknöpft. Sobald mir diese kleine Schlange zum erstenmal unter die Augen kam, wußte ich, daß was im Busch war.«

»Sie glauben, er hatte was mit ihr?«

»O nein, noch besser. Nicht mit ihr. Mit ihrer Mutter. Ich nahm mir einen Schnüffler, um das abzuklopfen. Er hatte ihr Leben zerstört, und Sharon wußte davon, also taucht sie Jahre später auf und hängt sich an ihn. Ihre Eltern gingen seinetwegen auseinander, und Mami hatte einen Nervenzusammenbruch oder fing an zu trinken, irgend so ein Drama. Ich kenne nicht sämtliche Einzelheiten, außer daß er ihnen allen übel mitspielte, und dafür hat Sharon jahrelang kassiert.«

»Hat sie ihn erpreßt?«

»Nicht um Dollars. Um ihren Lebensunterhalt. Die konnte nicht tippen. Sie konnte ja kaum ihren Namen schreiben. Sie wollte nur Rache nehmen, also erscheint sie jeden Tag zur Arbeit und tut, wozu sie gerade Lust hat, und dreht ihm eine lange Nase. Er hat alles gefressen, was sie ihm aufgetischt hat.«

»Könnte sie ihn umgebracht haben?«

»Klar, warum nicht? Vielleicht nutzte der Spaß sich ab, oder vielleicht war es ihr einfach nicht genug, jede Woche sein Geld einzustreichen.« Sie unterbrach sich und drückte mit einer Reihe ungeschickter Stupser die Glut an ihrer Zigarette aus. Sie lächelte verschlagen zu mir herüber.

»Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich«, sagte sie mit einem Blick zur Tür. »Aber die Konferenz ist um. Mein geschätzter Gatte, der gute Richter, muß jeden Augenblick heimkommen, und da möchte ich nicht erklären müssen, was Sie in meinem Haus machen.«

»Nur fair«, sagte ich. »Ich finde alleine raus. Sie waren eine große Hilfe.«

»Garantiert.« Sie erhob sich, wobei sie ihren Drink mit einem widerhallenden Knall auf die Glasplatte des Tisches setzte. Nichts war passiert, und mit einem langen erleichterten Blick erholte sie sich von dem Schrecken.

Sie musterte kurz mein Gesicht. »In ein paar Jahren müssen Sie sich die Augen machen lassen. Im Moment sind Sie okay«, erklärte sie.

Ich lachte. »Ich mag Falten«, sagte ich. »Ich verdiene mir meine. Trotzdem, vielen Dank.«

Ich ließ sie auf dem Patio zurück und ging um das Haus herum zu meinem Wagen. Die Unterhaltung hatte mir nicht so ganz benagt, und ich war froh, daß ich fortkam. Charlotte Mercer war gerissen und scheute sich womöglich nicht, ihre Betrunkenheit als Mittel einzusetzen. Vielleicht hatte sie die Wahrheit gesagt, vielleicht auch nicht. Irgendwie war mir die Enthüllung über Sharon Napier zu glatt. Als Lösung schien sie allzu naheliegend. Andererseits hat die Polizei auch manchmal recht. Mord ist für gewöhnlich nicht subtil, und meistens braucht man gar nicht so weit entfernt zu suchen.

Nichts zu verlieren / In aller Stille

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